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Standardisiertes Messverfahren beim Fahrtenbuch, oder: Zugang bei der Bußgeldstelle erstrebt?

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Und dann heute im „Kessel Buntes“ zwei Entscheidungen aus dem Verwaltungsrecht.

Als erste stelle ich den VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 06.08.2024 – 13 S 1001/23 – vor. Gestritten wird mal wieder um eine Fahrtenbuchauflage. Die Klage dagegen hatte das VG abgewiesen. Der VGH hat die Berufung nicht zugelassen. Die von ihm angesprochenen Fragen sind nicht neu, so dass ich mich auf den Leitsatz beschränke und im Übrigen auf den verlinkten Volltext verweise.

Hier die Leitsätze:

1. Wird eine Fahrtenbuchanordnung auf die mit einem standardisierten Messverfahren ermittelte Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gestützt, muss das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung auch bei fehlenden Rohmessdaten nur dann von Amts wegen überprüft werden, wenn der Adressat der Anordnung plausible Anhaltspunkte für einen Messfehler vorträgt oder sich solche Anhaltspunkte sonst ergeben.

2. Der Adressat einer Fahrtenbuchanordnung, der sich gegen die Verwertbarkeit der Geschwindigkeitsmessung mit einem standardisierten Messverfahren wendet, kann sich nicht mit Erfolg auf die Verweigerung des Zugangs zu bei der Bußgeldstelle gespeicherten Daten berufen, wenn er nicht seinerseits alles ihm Zumutbare unternommen hat, um – ggf. auch nach Ablauf der Verjährungsfrist für die Ahndung des Verkehrsverstoßes – den gewünschten Zugang von der Bußgeldstelle zu erhalten.

Die Mitwirkungspflicht des Betroffenen im Bußgeldverfahren

FragezeichenMitwirkungspflicht im Bußgeldverfahren? Man stutzt, wenn man es liest und denkt gleich an den nemo-tenetur-Grundsatz. Allerdings: Es geht im OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.12.2014 – 1 (8) SsRs 662/14-AK 233/14 – um eine verfahrensrechtliche Problematik in Zusammenhang mit einem Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG. Im Verfahren wird es nicht ganz klar, ob es sich bei vom Betroffenen und/oder seinem Verteidiger gestellten Anträgen um einen Terminsverlegungsantrag oder einen Entbindungsantrag handelt. Das AG geht von einem Verlegungsantrag aus und verwirft den Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG, als der Betroffene dann nicht erscheint. Die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Dem Betroffenen obliegt hinsichtlich des Antrags auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung (§ 73 Abs. 2 OWiG) eine Mitwirkungspflicht.
  2. Ergibt sich aus einer Verfügung des Gerichts, dass dieses ein missverständlich formuliertes Schreiben des Betroffenen anders als von diesem gewollt nicht als Entbindungsantrag auslegt, ist er deshalb gehalten, das Missverständnis aufzuklären. Andernfalls muss er sich an dem Erklärungsgehalt, den das Gericht dem Schreiben beimisst, festhalten lassen.

Und:

„Im Hinblick auf die dem Betroffenen durch § 73 Abs. 2 OWiG auferlegte Mitwirkungspflicht (Senge in Karlsruher Kommentar, OWiG, 4. Aufl. 2014, § 73 Rn. 13; Seitz a. a. O., § 73 Rn. 3) oblag es danach dem Betroffenen, nachdem durch das – im Hinblick auf die erteilte Vertretungsvollmacht zulässigerweise an den Verteidiger gerichtete – Schreiben vom 12.8.2014 offensichtlich wurde, dass das Amtsgericht dem Schriftsatz vom 8.8.2014 nicht einen vom Betroffenen gewollten Erklärungsinhalt beigemessen hatte, dieses Missverständnis auszuräumen. Indem er untätig blieb, brachte er jedoch zum Ausdruck, der vom Amtsgericht vorgenommenen – nach dem Inhalt der Erklärung möglichen – Interpretation, dass es sich bei dem Antrag vom 8.8.2014 um einen solchen auf Terminverlegung handelte, nicht entgegentreten zu wollen (vgl. BGH StV 2001, 436 und 504; 1989, 465 – jeweils zur Mitwirkungspflicht bei falsch verstandenen Beweisanträgen), so dass ein Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG, der der Verwerfung des Einspruchs entgegenstand, gerade nicht vorlag.“

Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2015 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft…

Fahrtenbuch: Beweis des Zugangs des Anhörungsbogens durch die Behörde gelungen?

Ein wenig Luft bei der Anordnung eines Fahrtenbuches verschafft der VG Potsdam, Beschl . v. 9 03.2012, VG 10 L 52/12 -, in dem es um die Nichterfüllung der Mitwirkungspflicht des Fahrzeughalters als Voraussetzung für die Anordnung eines Fahrtenbuches (§ 31a StVZO) ging. Erforderlich ist für die Anordnung, dass die Feststellungen des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung nicht möglich ist, obwohl die  Behörde nach den Umständen des Einzelfal­les alle bei vernünftiger Betrachtung angemessenen und zumutbaren Nachforschun­gen ergriffen hat. In dem Zusammenhang spielt die Mitwirkungspflicht des Fahrzeugshalters eine Rolle. An einer hinreichenden Mitwirkung des Fahrzeughalters daran, den Fahrzeug­führer zu bezeichnen, fehlt es nach der Rechtsprechung regelmäßig bereits dann, wenn der Fahrzeughalter einen Anhörungsbogen der Ordnungswidrigkeitenbehörde nicht zurücksendet oder weitere Angaben zum Personenkreis der Fahrzeugbenutzer nicht macht.

Das VG sagt nun: Sendet der Fahrzeughalter den Anhörungsbogen der Verwaltungsbehörde im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht zurück, kann darin im Rahmen der Anordnung eines Fahrtenbuches aber nur dann eine unterbliebene Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers gesehen werden, wenn der Fahrzeughalter den Anhörungsbogen nachweislich erhalten hat. Diesen Beweis konnte hier die Behörde nicht führen:

Allein die Obersendung eines Datensatzauszuges der Behörde reicht hierfür nicht aus, da die Vorschrift des § 41 Abs. 2 VwVfG, wonach ein schriftlicher Verwaltungs­akt bei der Übermittlung durch die Post im Inland am dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekanntgegeben gilt, gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Bbg VwVfG nicht im Ord­nungswidrigkeitenverfahren Anwendung findet und das OWG keine vergleichbaren speziellen Vorschriften beinhaltet. Vielmehr gilt insoweit die allgemeine Vorschrift des § 130 BGB für den Zugang von Willenserklärungen, deren allgemeine Beweislast hier die Behörde trägt. Den notwendigen Beweis des Zuganges konnte die Behörde hier jedoch nicht führen.

Die vom OVG Lüneburg (B. v. 6. April 2010 – 12 ME 47/10 -) genannten Indizien sind offenkundig nicht geeignet, geeignet, den individuellen Nachweis für einen entsprechenden Zugang hier bei der Antragstellerin zu führen.