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Corona: Maskenpflicht auch bei Inzidenz unter 50, oder: Reicht das Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht?

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Die zweite Entscheidung zum Wochenauftakt befasst sich mit Corona dem nächsten Dauerbrenner. Das AG Lüneburg hat im AG Lüneburg, Urt. v. 10.06.2021 – 34 OWi 260/21 –zur Frage eines bußgeldbewehrten Verstoßes gegen eine „Maskenpflicht“ und zu den Anforderungen an ein Attest zur Befreiung von der Pflicht zum Tragen einer Maske Stellung genommen.

Im Bußgeldbescheid war der Betroffenen vorgeworfen worden, sich am 16.11.2020 gegen 16:35 Uhr in Lüneburg im Bereich Am Ochsenmarkt ohne Maske aufgehalten zu haben. Das AG hat frei gesprochen. Das AG bezweifelt, ob ein bußgeldbewehrter Maskenverstoß bei einem Inzidenzwert von unter 50 – wie am Tattag – überhaupt vorliegt. Jedenfalls sei aber die Betroffene wirksam von einer etwaigen Maskenpflicht befreit.

Ich lasse jetzt hier mal die Ausführungen des AG zur Frage, ob überhaupt ein Maskenverstoß vorliegen konnte, außen vor. Denn die sind/waren m.E. überflüssig bzw. auf die Frage kam es nicht an, wenn man von einer wirksamen Befreiung ausgegangen ist. Und das hat das AG getan:

„3. Unabhängig von einer etwaigen Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung oder deren Folgen für das Bußgeldverfahren liegt jedenfalls im konkreten Fall im Ergebnis kein bußgeldrelevanter Maskenverstoß vor. Selbst wenn man davon ausginge, dass zum Tattag eine Maskenpflicht bestanden haben sollte und diese bußgeldrechtlich hätte geahndet werden können, ist die Betroffene wirksam von einer etwaig bestehenden Maskenpflicht befreit. Aufgrund Ziffer 4 der Allgemeinverfügung in Verbindung mit § 3 Abs. 6 der Corona-Verordnung vom 30.10.2020 in der Fassung vom 06.11.2020 gilt die Maskenpflicht nicht für Personen, die vom Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus medizinischen Gründen aufgrund körperlicher, geistiger oder psychischer Beeinträchtigung oder Vorerkrankung wegen Unzumutbarkeit befreit sind, und den Nachweis zur Glaubhaftmachung mitführen. Die Betroffene hat durch Vorlage einer Kopie des ärztlichen Attestes einer ortsansässigen Allgemeinmedizinerin datiert vom 04.06.2020 glaubhaft gemacht, von der Maskenpflicht befreit zu sein.

Soweit die Behörde der Auffassung ist, dass das seitens der Betroffenen vorgelegte Attest den Voraussetzungen eines Befreiungstatbestandes von der Pflicht zur Nutzung eines Mund-Nasen-Schutzes nicht genüge, kann dem nicht gefolgt werden.

Anders als andere Corona-Verordnungen verlangt weder § 3 Abs. 6 der Niedersächsische Corona-Verordnung noch die Allgemeinverfügung in den jeweils damals geltenden Fassungen die Angabe einer konkreten Diagnose. Bereits aufgrund des Bestimmtheitsgrundsatzes kann nicht ohne Weiteres eine über den Wortlaut hinausgehende Voraussetzungen zur Maskenbefreiung verlangt werden.

Der auch in anderen Verfahren seitens der Behörde vorgelegte Aufsatz über das ärztliche Attest in der COVID-19 Pandemie, auf den sich die Behörde in Bezug auf das Erfordernis der konkreten Angaben in dem Attest bezieht, ist als eine „Interdisziplinäre Handreichung betreffend der Befreiung von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung“ betitelt und damit lediglich als Anleitung für die Ärzte beim Ausstellen eines Attestes zu verstehen, um den prüfenden Behörden die Arbeit zu erleichtern. Diese Angaben mögen im verwaltungsrechtlichen Verfahren sinnvoll sein und eine Arbeitserleichterung darstellen. Hierdurch wird aber kein verpflichtender Inhalt eines Attests definiert.

Unabhängig davon kann nach hiesiger Auffassung ein derart detailliertes Attest aber auch insbesondere aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht verlangt werden. Etwaige Entscheidungen im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren zur Befreiung von der Maskenpflicht im Schulunterricht können nicht ohne Weiteres auf das bußgeldrechtliche Verfahren übertragen werden. Denn die dortige Rechtsprechung bezog sich auf Anträge auf Feststellung zur Befreiung von der Maskenpflicht aus gesundheitlichen Gründen im jeweiligen Einzelfall, bei denen die Prüfung des Befreiungstatbestandes jeweils von dem ohnehin den datenschutzrechtlichen Bindungen unterliegenden Gericht vorgenommen wurde. Mittlerweile hat aber auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im Eilverfahren, insbesondere für den – auch hier maßgeblichen – außerschulischen Bereich entschieden, dass das zum Nachweis einer Befreiung von der Maskenpflicht vorzulegende ärztliche Zeugnis keine konkret zu benennende gesundheitliche Beeinträchtigung (Diagnose) sowie keine konkreten weiteren Angaben beinhalten müsse (vgl. dazu nur OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 04.01.2021 – 11 S 132/20). Die Abwägung zwischen den Rechten eines Betroffenen an der Geheimhaltung seiner besonders sensiblen Gesundheitsdaten einerseits und dem Interesse der Verfolgungsbehörden, der Gefahr von Gefälligkeitsattesten vorzubeugen andererseits, fiel eindeutig zu Gunsten der Betroffenen aus. Inzwischen haben auch andere Länder klargestellt, dass sogar ein Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht in Schulen aus datenschutzrechtlichen Gründen keine konkrete Diagnose mehr zu enthalten hat (vgl. dazu nur Ebert/Rinne in „Offenbarungspflichten bei medizinischen Masken-Attesten, ARP 2021, 124 ff. und beck-online mit weiteren Nachweisen).

Die Argumentation des Landkreises Lüneburg, das Attest müsse lediglich der Polizei und den Verfolgungsbehörden vorgelegt werden, verfängt nicht und ist überdies nicht nachvollziehbar. Vielmehr hat die Betroffene das Attest jeder Person in jeder Situation vorzulegen, sobald sie ohne Maske Zugang begehrt. Demnach trifft zwar zu, dass die Betroffene indirekt selbst entscheidet, wem sie das Attest zeigt. Nachdem – wie allseits bekannt ist – aber jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt bis noch vor kurzem eine sehr umfangreiche fast flächendeckende Maskenpflicht sowohl in geschlossenen Räumlichkeiten als auch im öffentlichen Raum bestand, und die Betroffene demnach lediglich die Wahl hatte und hat, ohne Vorlage eines Attests von vorneherein auf Zugang gänzlich zu verzichten oder doch die Maske aufzusetzen, dürfte offensichtlich sein, dass das Verlangen eines derart detaillierten Attests unzumutbar ist. Inwieweit der Betroffenen ggf. von Privaten nach Vorlage des Attests der Zugang dennoch tatsächlich verwehrt wird bzw. werden könnte, ist unerheblich.

Hätten tatsächlich begründete Zweifel an der Kopie oder der inhaltlichen Richtigkeit des Attestes bestanden, wären weitere Ermittlungen angezeigt gewesen. Hätten diese ergeben, dass es sich tatsächlich um eine gefälschte Kopie bzw. ein gefälschtes Attest (wovon offenbar nicht einmal der Landkreis Lüneburg ausgegangen ist) oder um ein „Gefälligkeitsattest“ handelt, hätten entsprechende Maßnahmen ergriffen werden müssen. Hierfür lagen und liegen jedoch keinerlei Anhaltspunkte vor. Die Betroffene oder die Ärztin aufgrund eines angeblich zu „pauschalen“ Attests unter Generalverdacht immerhin einer Straftat (jedenfalls § 278 StGB) zu stellen, ist nicht nur völlig ungerechtfertigt, sondern könnte aufgrund der drohenden pauschalen Kriminalisierung im Einzelfall sogar dazu führen, dass ein Arzt das Ausstellen eines Attests trotz bestehender Diagnose verweigert und eine betroffene Person hierdurch kein berechtigtes Attest erhält bzw. eine Maske aufsetzt bzw. aufsetzen muss, obwohl dies aufgrund der vorliegenden Diagnose gesundheitsgefährdend wäre. In diesem Zusammenhang darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass ein Arzt immerhin einen verpflichtenden Eid abgelegt hat, der ihn unabhängig von etwaiger strafrechtlichen Bewertung zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet…..“

Corona II: Maskenpflicht bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs, oder: Wirksam

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Die zweite „Corona-Entscheidung“ kommt mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 11.06.2021 –2 Rb 35 Ss 94/21– auch aus Baden-Württemberg.

In der Entscheidung geht es um einen Verstoß gegen die Pflicht zum Tragen einer Masken bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs. Das AG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Am 30.09.2020 gegen 15.00 Uhr fuhr die Betroffene in pp. A mit der S-Bahn 1. Auf Höhe der Haltestelle A wurde durch eine Polizeistreife im Zug festgestellt, dass die Betroffene ihre nichtmedizinische Alltagsmaske unter dem Kinn trug und sich mit einer Pinzette Barthaare am Kinn herauszupfte. Bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte die Betroffene ihr Fehlverhalten erkennen können und müssen.“

Das AG hat die Betroffene verurteilt. Die Verurteilung ist auf § 73 Abs. 1a Nr. 24 i.V.m. §§ 32, 28 Abs. 1 S. 1 Infektionsschutzgesetz und § 19 Nr. 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung – Corona-VO) vom 23.06.2020 (GBl. S. 483) in der am 30.09.2020 geltenden Fassung vom 22.09.2020 (GBl. S. 721) gestützt worden. Festgesetzt hat das AG eine Geldbuße von 100 EUR. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen hatte nur hinsichtlich der Höhe der Geldbuße Erfolg.

Die Entscheidung hat folgende (amtliche) Leitsätze:

  1. Das Infektionsschutzgesetz enthält mit den in §§ 28, 32, 73 Abs. 1a Nr. 24 getroffenen Regelungen eine ausreichende Ermächtigung für die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Corona-VO BW angeordnete Beschränkung (Pflicht zum Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung bei Nutzung des öffentlichen und des touristischen Personenverkehrs) und deren Bußgeldbewehrung in § 19 Nr. 2 Corona-VO.
    2. Das bußgeldbewehrte Gebot des Tragens einer (nicht-medizinischen) Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Personenverkehr nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 19 Nr. 2 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung) vom 23. Juni 2020 (GBl. S. 483) in der am 30. September 2020 geltenden Fassung vom 22. September 2020 (GBl. S. 721) ist verfassungsgemäß.
    3. Soweit § 3 Abs. 1 Nr. 1 Corona-VO vom 23. Juni 2020 bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs das Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung vorschreibt, wird für jeglichen Aufenthalt in den namentlich aufgeführten Fahrzeugen des öffentlichen Personenverkehrs das durchgängige Tragen eine Mund-Nasen-Bedeckung angeordnet. Der Verordnungsgeber hat in § 3 Abs. 2 CoronaVO einzelne Ausnahmen von der durchgängigen Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in den in § 3 Abs. 1 genannten Orten (insbesondere im öffentlichen Personenverkehr) geregelt, dabei jedoch keine Ausnahme „bei Einhaltung eines Mindestabstands von über 1,5 Metern“ normiert. Eine solche Ausnahme gebot das Verfassungsrecht zum verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt auch nicht.

Etwas anders als OLG Stuttgart v. 14.05.2021. Aber auch hier gilt: Man wird abwarten müssen, was vom BVerfG auf die Vorlage des Thüringer VerfGH, Beschl. v. 19.05.2021 – 110/20 – kommt.

Corona I: OLG Jena hebt AG-Weimar-Masken-Beschluss auf, oder: „Familienrichter bleib bei deinen Leisten“

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Es ist heute zwar Pfingstmontag und damit Feiertag, aber ich lasse hier dann mal das „normale Programm“ laufen. Und das heißt heute wieder: Corona bzw. Entscheidungen, die mit Corona zu tun haben.

Und zunächst will ich dann auf einen Beschluss des OLG Jena zu dem Thema hinweisen, und zwar auf den OLG Jena, Beschl. v. 14.05.2021 – 1 UF 136/21. Das ist die „Rechtsmittelentscheidung“ zu dem – in meinen Augen falschen und nicht nachvollziehbaren – AG Weimar, Beschl. v. 08.04.2021 – 9 WF 148/21 (vgl. dazu hier: Corona I: AG Weimar und AG Wuppertal melden sich, oder: Zwei etwas “ungewöhnliche” Entscheidungen).

Das OLG hat – wie m.E. nicht anders zu erwarten – den AG Weimar-Beschluss aufgehoben. Leider liegt der Volltext zu der Entscheidung noch nicht vor. Daher muss ich mich hier auf die PM des OLG beschränken. Tue ich ja nur selten, aber in dieser Sache mache ich dann mal wieder eine Ausnahme. In der PM heißt es:

„Keine Zuständigkeit der Familiengerichte zur Überprüfung von Corona-Schutzmaßnahmen an Schulen

Das OLG Jena hatte sich mit einer Beschwerde des Freistaates Thüringen gegen einen Beschluss des AG Weimar zu befassen.

Die Eltern von zwei Kindern, die in Weimar zur Schule gehen, hatten beim Familiengericht Weimar angeregt, von Amts wegen zu deren Schutz ein Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung einzuleiten. Sie vertreten die Ansicht, das körperliche, seelische und geistige Wohl der Kinder und aller weiteren Kinder, die die gleichen Schulen wie ihre Söhne besuchen, sei aufgrund der Anordnungen zum Tragen eines Mund- und Nasenschutzes und zur Wahrung räumlicher Distanz gefährdet. Deshalb haben sie eine Rechtmäßigkeitsüberprüfung der diesen Anordnungen zugrundeliegenden Vorschriften, insbesondere der Dritten Verordnung über außerordentliche Sondermaßnahmen zur Eindämmung einer sprunghaften Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2, gültig ab 15.12.2020, zuletzt geändert am 12.3.2021, angeregt.

In dem daraufhin eingeleiteten Eilverfahren hat das Familiengericht den Lehrern, den Schulleitungen sowie deren Vorgesetzten einstweilen untersagt, das Maskentragen, die Einhaltung von Mindestabständen und die Teilnahme an Schnelltests zur Feststellung des Virus SARS-CoV-2 anzuordnen oder vorzuschreiben. Weiter gebot es den Leitungen und den Lehrern der von den beteiligten Kindern besuchten Schulen, den Präsenzunterricht aufrechtzuerhalten. Das Familiengericht ist bei seiner Entscheidung von der eigenen Zuständigkeit ausgegangen und hat seine Anordnungen mit einer gegenwärtigen Kindeswohlgefährdung durch die von den Eltern kritisierten Maßnahmen und dem Unvermögen der Eltern, diese Gefahr von den Kindern abzuwenden, begründet.

Auf die sofortige Beschwerde des Freistaates Thüringen hat das Thüringer Oberlandesgericht mit Beschluss vom 14.05.2021 den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Weimar vom 09.04.2021 aufgehoben, den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren eingestellt.

Zur Begründung führt das Oberlandesgericht aus, dass das Amtsgericht vor einer Sachentscheidung gehalten gewesen wäre, vorab über seine Zuständigkeit zu entscheiden. Für das mit der Anregung der Eltern verfolgte Ziel, zum Schutz der Kinder schulinterne Maßnahmen, wie die Anordnung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und die Abstandsregeln, außer Kraft zu setzen und die Rechtmäßigkeit der diesen Anordnungen zugrundeliegenden Vorschriften zu überprüfen, fehle es an einer Regelungskompetenz des Familiengerichtes. Im Rahmen des schulrechtlichen Sonderstatusverhältnisses seien die zuständigen Behörden an die das Kindeswohl schützenden Grundrechte gebunden. Die gerichtliche Kontrolle dieses Behördenhandelns – auch hinsichtlich von Gesundheitsschutzmaßnahmen in den jeweiligen Schulen – obliege allein den Verwaltungsgerichten.

Eine Befugnis des Familiengerichts zum Erlass von Anordnungen zur Durchsetzung des Kindeswohls gegenüber Behörden bzw. Beamten dieser Behörden folge insbesondere nicht aus § 1666 Abs. 4 BGB. Behörden, Regierungen und sonstige Träger staatlicher Gewalt seien nämlich keine „Dritte“ im Sinne der Vorschrift, gegen die in Angelegenheiten der Personensorge Maßnahmen getroffen werden könnten.

Da eine Verweisung des von Amts wegen eingeleiteten Verfahrens an das Verwaltungsgericht nicht in Betracht kam, war die Entscheidung nach Ansicht des Thüringer Oberlandesgerichts aufzuheben und das Verfahren einzustellen.

Das Oberlandesgericht hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.“

Wahrscheinlich werden jetzt wieder viele den Untergang des Rechtsstaats vorhersagen und ihn sogar schon sehen. Aber: Nein, gerade nicht. Die Frage durchläuft das dafür vorgesehene rechtsstaatliche Verfahren der Überpüfung durch höhere Instanzen. Und wenn die gesprochen/entschieden haben, sollte man das Ergebnis dann auch akzeptieren. Auch wenn es schwer fallen mag.

Edit 28.05.2021: Inzwischen ist der Volltext des Beschlusses veröffentlicht, und zwar hier.

Corona II: Die Maskenpflicht des Verteidigers in der HV, oder: Wenn der Verteidiger auch als Schamane tätig ist

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In der zweiten Entscheidung, dem LG Chemnitz, Beschl. v. 12.04.2021 – 4 Qs 108/21 – geht es noch einmal um die Maskenpflicht in der Hauptverhandlung. Grundlage der Entscheidung ist folgender Sachverhalt:

„Der Beschwerdeführer ist der gewählte Verteidiger der Angeklagten im Strafverfahren Z 2 Cs 730 Js 39632/20 vor dem Amtsgericht A, Zweigstelle S.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 26.02.2021 wurde der Beschwerdeführer als Verteidiger geladen. Die Ladung enthielt die Hinweise: „In der Verhandlung besteht aus Infektionsschutzgründen Maskenpflicht. Sie werden aufgefordert eine FFP2-Maske oder OP-Maske mitzubringen und bereits beim Betreten des Gerichtsgebäudes zu tragen. Bei Verstoß wird Anzeige erstattet. Ein ärztliches Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht wird nur anerkannt, wenn es den Vorgaben der Sächsischen Landesärztekammer entspricht. Das Attest muss im Original vorgelegt werden.“ Der Ladung beigefügt war durch das Gericht eine Pressemitteilung der Sächsischen Landesärztekammer vom 09.11.2020, in der sie – aus ihrer Sicht – die Anforderungen an ein wirksames ärztliche Attest zur Befreiung von der sog. „Maskenpflicht“ der Coronaschutzverordnung zusammenfasst. Darin wird insbesondere gefordert, dass die ärztliche Bescheinigung die prüfende Stelle in die Lage versetzen muss, das Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen zur Befreiung selbstständig zu prüfen. Namentlich sei die gesundheitliche Beeinträchtigung zu benennen, die zur Befreiung führen soll.

Zum Termin der mündlichen Hauptverhandlung am 10.03.2021 erschien der Beschwerdeführer ohne jegliche Mund-Nasenbedeckung. Auf Aufforderung des Gerichts, eine Maske zu tragen, verweigerte sich der Beschwerdeführer. Stattdessen legte er ein Dokument der Frau Dipl.-Med. pp. aus pp.. vom 19.06.2020 vor. Dieses Dokument ist augenscheinlich ein Vordruck einer ärztlichen Verordnung für Heilmittel, auf der (neben dem Praxisstempel der ausstellenden Ärztin, deren Unterschrift und das Datum der Ausstellung) allein der Name, Geburtstag und Anschrift des Beschwerdeführers, dessen Versicherer und der bloße Hinweis „Befreiung von der Maskenpflicht aus medizinischen Gründen“ abgedruckt wurde. Sonstige Daten – wie Versicherungsnummer, Personennummer, Angaben zur Versicherungskarte – fehlen vollständig auf dem Vordruck. Der Beschwerdeführer erklärte im eigenen Namen „an Eides statt“, dass er „aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht in der Lage sei, eine Mund-Nasenbedeckung zu tragen“. Weitere Gründe gab er nicht an. Auf den Hinweis des Gerichts, dass das vorgelegte Attest nicht anerkannt werde, da es den Vorgaben der Landesärztekammer nicht entspreche, gab der Beschwerdeführer an, er werde keine Maske tragen. Die Vorsitzende ordnete daraufhin an, dass der Verteidiger den Sitzungssaal aufgrund des Infektionsschutzes zu verlassen habe. Hiergegen hat der Beschwerdeführer noch im Termin zur mündlichen Verhandlung „Beschwerde“ eingelegt und damit begründet, für die Anordnung zum Tragen einer Maske existiere weder in der Corona-Schutzverordnung noch im Infektionsschutzgesetz eine Rechtsgrundlage. Er habe das ärztliche Attest zur Glaubhaftmachung vorgelegt. Weiterhin sei seine Ärztin nicht an die Vorgaben der Landesärztekammer gebunden, „weil er privat versichert ist“. Die Hauptverhandlung wurde daraufhin ausgesetzt. Mit Schreiben vom 15.03.2021 schickte der Beschwerdeführer die Kopie eines nicht näher bezeichneten Dokuments – offensichtlich ein Teil der amtlichen Begründung zur Sächsischen Corona-Schutzverordnung vom 05.03.2021 – und markierte dort die Passage zur Befreiung von der Tragepflicht „Eine gesonderte Begründung [pp.] ist dabei aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht erforderlich.“

Mit Beschluss des Amtsgerichts A, Zweigstelle S, vom 15.03.2021 hat das Gericht die sitzungspolizeiliche Anordnung vom 10.03.2021 aufrechterhalten. Weiterhin wurde der Verteidiger für die Hauptverhandlung nicht von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasenbedeckung befreit. Hilfsweise ordnete das Gericht an, dass der Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung und an den nachfolgenden Sitzungstagen jeweils einen Nachweis einer Testung auf eine Infektion mit dem Corona-Virus SARA-CoC-2 als PCR-Test oder Schnelltest vorzulegen hat. Ein Selbsttest wird dagegen nicht als ausreichend angesehen. Der Test dürfe nicht älter als 48 Stunden sein. Im Wesentlichen wird der Beschluss durch das Amtsgericht damit begründet, dass eine Glaubhaftmachung einer Befreiung von der Pflicht, eine Mund-Nasenbedeckung zu tragen, durch das vorgelegte Attest nicht erfolgt sei, da dieses nicht die inhaltlichen Vorgaben der Sächsischen Landesärztekammer einhalte. Ein Attest zur Befreiung von der Tragepflicht müsse nachvollziehbar darlegen, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund der Mund-Nasen-Bedeckung zu erwarten sind. Allein die Bescheinigung, eine Person könne „aus gesundheitlichen Gründen“ keine Maske tragen, genüge hierfür nicht. Datenschutzrechtliche Gründe stünden einer solchen Forderung nicht entgegen. Auch könne ein Attest vom 18.06.2020 ohne Angabe dazu, ob eine akute oder eine chronische Erkrankung Grund für die Befreiung ist, nicht acht Monate später eine Befreiung glaubhaft machen. Im Übrigen wird auf den umfangreich begründeten Beschluss Bezug genommen.

Hiergegen wurde durch den Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 19.03.2021 Beschwerde eingelegt. Diese wurde mit Schreiben vom 06.04.2021 nochmals begründet. Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, die Angabe der Diagnose sei in der Sächsischen Corona-Schutzverordnung nicht gefordert und es fehle „jedwede Rechtsgrundlage“. Die erkennende Richterin sei die einzige, die sein Attest nicht anerkenne. Dem Beschwerdeführer sei eine tatsächliche Diagnose durch einen Arzt nicht zuzumuten, da diese einen „erheblichen finanziellen Beitrag“ erfordere. Eine Glaubhaftmachung durch ihn sei in Form seiner eigenen eidesstattlichen Versicherung erfolgt. Er leide an „einer chronischen Erkrankung der Atemwege“. Auch setze er nie eine OP-Maske auf und habe auch insbesondere bei einem von ihm angesprochenen Treffen eines Gewerbevereins keinen Mindestabstand eingehalten, was durch die Polizei dort gebilligt worden sei. Weiterhin werde er als ethnische Minderheit diskriminiert, da er durch zwei Indianerstämme adoptiert worden sei. Auch habe die erkennende Richterin keine ausreichende medizinische Ausbildung, um den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers einschätzen zu können. Im Übrigen sei ein ausreichender Schutz im Gerichtssaal durch wiederholtes Lüften und im Saal angebrachte Plexiglasscheiben gewährleistet.“

Das LG sagt: Ob die Beschwerde überhaupt zulässig ist, kann dahinstehen, aber jedenfalls ist sie unbegründet. Da der Beschluss recht lang ist, stelle ich hier nur die Leitsätze ein und die Ausführungen des LG zum dem vorgelegten Attest.

Hier die Leitsätze:

  1. Rechtsgrundlage für die Anordnung einer Maskenpflicht in der Hauptverhandlung sind die §§ 238 Abs. 1 StPO, 176 GVG.

  2. Eine solche Anordnung ist zur Verhinderung der Ansteckung mit dem Corona-Virus geeignet und geboten.

  3. Ein ärztliches Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht darf sich nicht pauschal auf „medizinische Gründe“ beschränken, sondern muss zur Glaubhaftmachung Tatsachen zum Beleg dieser Feststellung aufweisen.

Und zum Attest führt das LG aus:

„d) Das „Attest“, welches der Beschwerdeführer dem Amtsgericht im Termin zur mündlichen Hauptverhandlung vorgelegt hat, genügt den obigen Grundsätzen ersichtlich nicht.

Dieses „Attest“ ist aus mehreren Gründen unzulänglich.

Zunächst enthält es – wie ausführlich ausgeführt – nicht die notwendigen Informationen zu der medizinischen Beeinträchtigung, die das Tragen einer Maske unmöglich (oder jedenfalls gefährlich etc.) machen könnte. Allein die Mitteilung „Befreiung von der Maskenpflicht aus medizinischen Gründen“ genügt hierfür ersichtlich nicht (OVG Münster Beschl. v. 24.9.2020 – 13 B 1368/20; VGH München, Beschluss vom 26.10.2020 – 20 CE 20.2185; VG Regensburg, Beschluss vom 02.11.2020 – RN 4 S 20.2660; ArbG Siegburg, Urt. v. 16.12.2020 – 4 Ga 18/20). Diese Begründung entspricht insbesondere nicht den Vorgaben der Sächsischen Landesärztekammer, deren Berufsordnung selbstverständlich auch die Ärztin des Beschwerdeführers verpflichtet ist.

Dies gilt selbst vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer sodann „an Eides statt“ erklärte, aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung keine Maske tragen zu können. Auch die Erklärung des Beschwerdeführers in seiner weiteren, sehr pauschalen Begründung, er leide an einer „chronischen Erkrankung der Atemwege“ vermag keine Glaubhaftmachung darzustellen. Zunächst verkennt der Beschwerdeführer, dass die eigene eidesstattliche Versicherung eines Antragstellers bzw. Betroffenen regelmäßig kein geeignetes Mittel zur Glaubhaftmachung ist (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 30.11.2017 – 3 StR 539/17; Meyer-Goßner/Schmitt 63. Aufl. 2020 § 45 Rn. 9 m.w.N.). Dieser Grundsatz gilt hier unverändert. Weiterhin enthalten selbst diese Erklärungen keine überprüfbaren Tatsachen zu seiner vermeintlichen gesundheitlichen Beeinträchtigung. Das Schlagwort einer „chronischen Atemwegserkrankung“ vermag ebenso wenig konkrete und belastbare Tatsachen darzulegen, die von einem Dritten überprüft werden kann, wie die Angabe der „medizinischen Gründe“.

Weiterhin ist das „Attest“ am 18.06.2020 ausgefüllt. Ohne Angabe der ausstellenden Ärztin dazu, ob eine akute oder eine chronische Erkrankung Grund für die Befreiung ist, kann bereits aus dem Zeitablauf überhaupt nicht beurteilt werden, ob acht Monate später zum Termin der Hauptverhandlung der vermeintliche Grund zur Befreiung noch vorliegt. Dass das pauschale Behaupten des Betroffenen, er leide an einer chronischen Krankheit nicht ausreichen kann, wurde bereits gezeigt. Bereits dieser Umstand zeigt, dass eine Konkretisierung der medizinischen Indikation Voraussetzung jeder Glaubhaftmachung sein muss, da ohne diese Konkretisierung jede „Überprüfung“ ad absurdum geführt werden würde.

Im Übrigen bestehen auch aufgrund der konkreten Form des vorgelegten „Attests“ erhebliche Zweifel an dessen Ernsthaftigkeit. So stellte die Ärztin Frau pp. – deren Praxis knapp 90 Kilometer vom Wohnort des Beschwerdeführers entfernt ist – diese Bescheinigung auf einem Vordruck für eine medizinische Verordnung aus, was für sich bereits jedenfalls ungewöhnlich ist und nach der Erfahrung der Kammer den fachlichen Gewohnheiten von Ärzten in vergleichbaren Fällen (bspw. in den behaupteten Fällen einer Verhandlungsunfähigkeit) widerspricht. Auch enthält diese Bescheinigung zwar den Namen und die Anschrift des Beschwerdeführers, jedoch keine Versicherungsnummer, die auch ein Versicherungsnehmer einer privaten Krankenversicherung besitzt. Aus der Erfahrung der Kammer spricht auch dieser Umstand erheblich gegen eine tatsächliche fachlich korrekte Diagnose, da es sich bei einer tatsächlichen Diagnose einer Befreiung von der Maskenpflicht um ein ärztliches Gutachten i.S.d. § 25 der Berufsordnung der Landesärztekammer Sachsen handelt (vgl. auch Pressemitteilung der Sächsischen Landesärztekammer vom 09.11.2020), das voraussetzt, dass der Patient tatsächlich durch den Arzt oder die Ärztin behandelt wurde. Eine solche Behandlung geht jedoch jedenfalls regelmäßig damit einher, dass die Versicherungsdaten des Patienten durch die Praxis erhoben werden und bei entsprechenden Attesten, Verordnungen etc. auch die Versicherungsnummer angegeben wird. Wird entgegen der weit verbreiteten guten Praxis dies – wie hier – nicht angegeben, spricht dies aus Sicht der Kammer erheblich gegen eine tatsächlich erfolgte Diagnose.

Der Beschwerdeführer verkennt in diesem Zusammenhang, dass die Ärztin, die eine Befreiung von der Maskenpflicht anregt, bereits hiermit (selbstverständlich) ein ärztliches Gutachten erstattet (vgl. auch Pressemitteilung der Sächsischen Landesärztekammer vom 09.11.2020), was allein auf einer fachgerechten Diagnose fußen darf. Soweit der Beschwerdeführer angibt, ein solches Gutachten sei ihm nicht zuzumuten, stellt er bereits selbst sein Attest zur Maskenbefreiung in Frage. Allein aufgrund eines medizinischen Gutachtens kann überhaupt erst eine Maskenbefreiung durch einen Arzt angeregt werden. Dass der Besuch bei einem Arzt mit dem Ziel einer Diagnose für eine privat versicherten Person Geld kostet, ist der Natur der Sache geschuldet und führt nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Anordnung. Auch vermag der pauschale Einwand des Beschwerdeführers, die finanzielle Belastung für eine tatsächliche ärztliche Diagnose sei ihm nicht zuzumuten, vor dem Hintergrund, dass er keine Kosten scheute, zur Ausstellung eines Attests eine einfache Fahrtstrecke über 90 Kilometer zu einer Ärztin – welche keine spezialisierte Lungenärztin oder Hals-Nasen-Ohren-Ärztin ist – in Kauf zu nehmen, nicht zu überzeugen.“

Man – zumindest ich – frage mich bei solchen Beschlüssen dann immer auch nach dem Hintergrund des beschriebenen Verhaltens, hier des Verteidigers. Vielleicht ist es ja eine Erklärung, was das LG hier festgestellt hat:

 

„Soweit das Amtsgericht in seinem Beschluss auch auf die Umstände abgestellt hat, dass der Beschwerdeführer ausweislich seiner von ihm im Internet veröffentlichten Vita als Schamane tätig ist und die Ärztin, die sein Attest ausstellte, vorwiegend Leistungen im Bereich der Homöopathie und bei der Erkennung von Schilddrüsenkrebs sowie deren Behandlung durch Punktion anbietet, lässt dies ebenfalls keinen Ermessensfehler erkennen. Zunächst sind diese Umstände ausweislich des Beschlusses nicht die tragenden Gründe für die Anordnung der Maskenpflicht und der Kontrolle des Attests. Auch war die Person des Beschwerdeführers insofern durchaus von Belang, als dass er aus Sicht des Gerichts Schutzmaßnahmen gegen die Coronapandemie grundsätzlich ablehnend gegenüber steht. Insofern kann das Gericht bei der Frage, ob ein ärztliches Attest tatsächlich auf einer stattgefundenen, fachlich korrekten Diagnose beruht oder ein Gefälligkeitsattest darstellen könnte, auch die sonstigen Begebenheiten der Ausstellung des Attests berücksichtigen. Das Ziel der sitzungspolizeilichen Anordnung ist es ja u.a. gerade, die Erstellung von Gefälligkeitsattesten ohne eine valide Diagnose hierzu aufzudecken. Eine Diskriminierung des Beschwerdeführers, der nach seinen Angaben von zwei nordamerikanischen Indianerstämmen adoptiert wurde, ist darin nicht zu sehen.“

Außer der Reihe zu Corona: VG Weimar zur Maskenpflicht an Schulen, oder: „ausbrechender Rechtsakt“

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Vor dem eigentlichen Tagesprogramm ein „Abrundungspost“, und zwar zu dem Beitrag betreffend den AG Weimar, Beschl. v. 08.04.2021 – 9 WF 148/21 (vgl. hier: Corona I: AG Weimar und AG Wuppertal melden sich, oder: Zwei etwas “ungewöhnliche” Entscheidungen). Ich erinnere: Das ist die Entscheidung, die im familiengerichtlichen Verfahren zwei Schulen in Weimar untersagt hat, die Maskenpflicht anzuordnen, weil damit das Kindeswohl von zwei Schülern gefährdet sei.

Mit der Frage hatte sich nun auch das VG Weimar im VG Weimar, Beschl. v. 20.04.2021 – 8 E 416/21 We – zu befassen. Und das VG rückt die Stühle wieder an die richtige Stelle:

„1. Vorausgeschickt sei, dass für die gerichtliche Überprüfung der Allgemeinverfügung ausschließlich der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist (§ 40 Abs. 1 VwGO). Der die Antragsteller zu 1. und 2. betreffende Beschluss des Amtsgerichts Weimar vom 8. April 2021 (Az. 9 F 148/21) steht dem nicht entgegen. Der Beschluss ist als ausbrechender Rechtsakt (VGH München, Beschluss vom 16.04.2021, 10 CS 21.1113) offensichtlich rechtswidrig.

Insbesondere fehlt dem Familiengericht eine Rechtsgrundlage für seine Entscheidung. In dem Beschluss werden im Weg der einstweiligen Anordnung einzelne Gebote gegenüber „den Leitungen und Lehrern […] sowie den Vorgesetzten der Schulleitungen“ ausgesprochen. Dem Familiengericht steht aber eine Befugnis, Anordnungen gegenüber Behörden und Vertretern von Behörden zu treffen, nicht zu. Für eine solche Anordnungskompetenz fehlt es an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage (Lugani in Münchner Kommentar BGB, 8. Auflage 2020, Rdnr. 181 zu § 1666). § 1666 BGB scheidet als Grundlage aus, denn bei den in § 1666 Abs. 4 BGB genannten Dritten handelt es sich um private Personen, nicht um Träger öffentlicher Gewalt. Dies ist für das Verhältnis zwischen Familiengerichten und den Behörden der Kinder- und Jugendhilfe anerkannt (z. B. OLG Oldenburg, Beschluss vom 27.11.2007, 4 WF 240/07, Juris-Rdnr. 2; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 29.07.2015, 1 BvR 1468/15, Juris-Rdnr. 5; Lugani, a.a.O., Rdnr. 180 ff zu § 1666; Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Auflage 2019, Rdnr. 16 vor §§ 50-52). Gegenüber den Schulbehörden gilt nichts anderes. Im Rahmen des schulrechtlichen Sonderstatusverhältnisses sind die zuständigen Behörden an die das Kindeswohl schützenden Grundrechte gebunden. Die gerichtliche Kontrolle dieses Behördenhandelns auch hinsichtlich von Gesundheitsschutzmaßnahmen in den Schulen obliegt allein den Verwaltungsgerichten (so auch die aktuelle familiengerichtliche Rechtsprechung, z. B. zuletzt – unter ausdrücklicher Ablehnung der Auffassung des AG Weimar – AG Waldshut-Tiengen, Beschluss vom 13.04.2021, 306 Ar 6/21, Juris-Rdnr. 8).

Weiterer Ausführungen zur Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Amtsgerichts Weimar bedarf es an dieser Stelle nicht. Sie sind dem Thüringer Oberlandesgericht als Rechtsmittelinstanz vorbehalten.“

Genaus das hat in einem Rechtsstaat zu passieren: Jeder entscheidet über das, für das er zuständig ist.

Ach so: In der Sache hat das VG den Antrag zurückgewiesen. Er sieht die Thüringer CoronaVO als wirksam an. Und:

„6.2. Bei der Auswahl der zu ergreifenden Maßnahme durfte der Antragsgegner das Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung für Grundschüler (hier der Antragsteller zu 2.) und der medizinischen Gesichtsmaske für Schüler an der Klassenstufe 7 (hier der Antragsteller zu 1.) anordnen. Der Antragsgegner hält sich mit seiner Entscheidung im Rahmen des ihm eröffneten Ermessens. Diese vom Antragsgegner gewählte Handlungsalternative ist vor dem Hintergrund der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnis vertretbar und liegt deshalb innerhalb seines Einschätzungsspielraums (vgl. OVG Weimar, Beschluss vom 25.11. 2020, 3 EN 746/20, Juris-Rdnr. 53).“