Corona II: Die Maskenpflicht des Verteidigers in der HV, oder: Wenn der Verteidiger auch als Schamane tätig ist

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In der zweiten Entscheidung, dem LG Chemnitz, Beschl. v. 12.04.2021 – 4 Qs 108/21 – geht es noch einmal um die Maskenpflicht in der Hauptverhandlung. Grundlage der Entscheidung ist folgender Sachverhalt:

„Der Beschwerdeführer ist der gewählte Verteidiger der Angeklagten im Strafverfahren Z 2 Cs 730 Js 39632/20 vor dem Amtsgericht A, Zweigstelle S.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 26.02.2021 wurde der Beschwerdeführer als Verteidiger geladen. Die Ladung enthielt die Hinweise: „In der Verhandlung besteht aus Infektionsschutzgründen Maskenpflicht. Sie werden aufgefordert eine FFP2-Maske oder OP-Maske mitzubringen und bereits beim Betreten des Gerichtsgebäudes zu tragen. Bei Verstoß wird Anzeige erstattet. Ein ärztliches Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht wird nur anerkannt, wenn es den Vorgaben der Sächsischen Landesärztekammer entspricht. Das Attest muss im Original vorgelegt werden.“ Der Ladung beigefügt war durch das Gericht eine Pressemitteilung der Sächsischen Landesärztekammer vom 09.11.2020, in der sie – aus ihrer Sicht – die Anforderungen an ein wirksames ärztliche Attest zur Befreiung von der sog. „Maskenpflicht“ der Coronaschutzverordnung zusammenfasst. Darin wird insbesondere gefordert, dass die ärztliche Bescheinigung die prüfende Stelle in die Lage versetzen muss, das Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen zur Befreiung selbstständig zu prüfen. Namentlich sei die gesundheitliche Beeinträchtigung zu benennen, die zur Befreiung führen soll.

Zum Termin der mündlichen Hauptverhandlung am 10.03.2021 erschien der Beschwerdeführer ohne jegliche Mund-Nasenbedeckung. Auf Aufforderung des Gerichts, eine Maske zu tragen, verweigerte sich der Beschwerdeführer. Stattdessen legte er ein Dokument der Frau Dipl.-Med. pp. aus pp.. vom 19.06.2020 vor. Dieses Dokument ist augenscheinlich ein Vordruck einer ärztlichen Verordnung für Heilmittel, auf der (neben dem Praxisstempel der ausstellenden Ärztin, deren Unterschrift und das Datum der Ausstellung) allein der Name, Geburtstag und Anschrift des Beschwerdeführers, dessen Versicherer und der bloße Hinweis „Befreiung von der Maskenpflicht aus medizinischen Gründen“ abgedruckt wurde. Sonstige Daten – wie Versicherungsnummer, Personennummer, Angaben zur Versicherungskarte – fehlen vollständig auf dem Vordruck. Der Beschwerdeführer erklärte im eigenen Namen „an Eides statt“, dass er „aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht in der Lage sei, eine Mund-Nasenbedeckung zu tragen“. Weitere Gründe gab er nicht an. Auf den Hinweis des Gerichts, dass das vorgelegte Attest nicht anerkannt werde, da es den Vorgaben der Landesärztekammer nicht entspreche, gab der Beschwerdeführer an, er werde keine Maske tragen. Die Vorsitzende ordnete daraufhin an, dass der Verteidiger den Sitzungssaal aufgrund des Infektionsschutzes zu verlassen habe. Hiergegen hat der Beschwerdeführer noch im Termin zur mündlichen Verhandlung „Beschwerde“ eingelegt und damit begründet, für die Anordnung zum Tragen einer Maske existiere weder in der Corona-Schutzverordnung noch im Infektionsschutzgesetz eine Rechtsgrundlage. Er habe das ärztliche Attest zur Glaubhaftmachung vorgelegt. Weiterhin sei seine Ärztin nicht an die Vorgaben der Landesärztekammer gebunden, „weil er privat versichert ist“. Die Hauptverhandlung wurde daraufhin ausgesetzt. Mit Schreiben vom 15.03.2021 schickte der Beschwerdeführer die Kopie eines nicht näher bezeichneten Dokuments – offensichtlich ein Teil der amtlichen Begründung zur Sächsischen Corona-Schutzverordnung vom 05.03.2021 – und markierte dort die Passage zur Befreiung von der Tragepflicht „Eine gesonderte Begründung [pp.] ist dabei aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht erforderlich.“

Mit Beschluss des Amtsgerichts A, Zweigstelle S, vom 15.03.2021 hat das Gericht die sitzungspolizeiliche Anordnung vom 10.03.2021 aufrechterhalten. Weiterhin wurde der Verteidiger für die Hauptverhandlung nicht von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasenbedeckung befreit. Hilfsweise ordnete das Gericht an, dass der Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung und an den nachfolgenden Sitzungstagen jeweils einen Nachweis einer Testung auf eine Infektion mit dem Corona-Virus SARA-CoC-2 als PCR-Test oder Schnelltest vorzulegen hat. Ein Selbsttest wird dagegen nicht als ausreichend angesehen. Der Test dürfe nicht älter als 48 Stunden sein. Im Wesentlichen wird der Beschluss durch das Amtsgericht damit begründet, dass eine Glaubhaftmachung einer Befreiung von der Pflicht, eine Mund-Nasenbedeckung zu tragen, durch das vorgelegte Attest nicht erfolgt sei, da dieses nicht die inhaltlichen Vorgaben der Sächsischen Landesärztekammer einhalte. Ein Attest zur Befreiung von der Tragepflicht müsse nachvollziehbar darlegen, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund der Mund-Nasen-Bedeckung zu erwarten sind. Allein die Bescheinigung, eine Person könne „aus gesundheitlichen Gründen“ keine Maske tragen, genüge hierfür nicht. Datenschutzrechtliche Gründe stünden einer solchen Forderung nicht entgegen. Auch könne ein Attest vom 18.06.2020 ohne Angabe dazu, ob eine akute oder eine chronische Erkrankung Grund für die Befreiung ist, nicht acht Monate später eine Befreiung glaubhaft machen. Im Übrigen wird auf den umfangreich begründeten Beschluss Bezug genommen.

Hiergegen wurde durch den Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 19.03.2021 Beschwerde eingelegt. Diese wurde mit Schreiben vom 06.04.2021 nochmals begründet. Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, die Angabe der Diagnose sei in der Sächsischen Corona-Schutzverordnung nicht gefordert und es fehle „jedwede Rechtsgrundlage“. Die erkennende Richterin sei die einzige, die sein Attest nicht anerkenne. Dem Beschwerdeführer sei eine tatsächliche Diagnose durch einen Arzt nicht zuzumuten, da diese einen „erheblichen finanziellen Beitrag“ erfordere. Eine Glaubhaftmachung durch ihn sei in Form seiner eigenen eidesstattlichen Versicherung erfolgt. Er leide an „einer chronischen Erkrankung der Atemwege“. Auch setze er nie eine OP-Maske auf und habe auch insbesondere bei einem von ihm angesprochenen Treffen eines Gewerbevereins keinen Mindestabstand eingehalten, was durch die Polizei dort gebilligt worden sei. Weiterhin werde er als ethnische Minderheit diskriminiert, da er durch zwei Indianerstämme adoptiert worden sei. Auch habe die erkennende Richterin keine ausreichende medizinische Ausbildung, um den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers einschätzen zu können. Im Übrigen sei ein ausreichender Schutz im Gerichtssaal durch wiederholtes Lüften und im Saal angebrachte Plexiglasscheiben gewährleistet.“

Das LG sagt: Ob die Beschwerde überhaupt zulässig ist, kann dahinstehen, aber jedenfalls ist sie unbegründet. Da der Beschluss recht lang ist, stelle ich hier nur die Leitsätze ein und die Ausführungen des LG zum dem vorgelegten Attest.

Hier die Leitsätze:

  1. Rechtsgrundlage für die Anordnung einer Maskenpflicht in der Hauptverhandlung sind die §§ 238 Abs. 1 StPO, 176 GVG.

  2. Eine solche Anordnung ist zur Verhinderung der Ansteckung mit dem Corona-Virus geeignet und geboten.

  3. Ein ärztliches Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht darf sich nicht pauschal auf „medizinische Gründe“ beschränken, sondern muss zur Glaubhaftmachung Tatsachen zum Beleg dieser Feststellung aufweisen.

Und zum Attest führt das LG aus:

„d) Das „Attest“, welches der Beschwerdeführer dem Amtsgericht im Termin zur mündlichen Hauptverhandlung vorgelegt hat, genügt den obigen Grundsätzen ersichtlich nicht.

Dieses „Attest“ ist aus mehreren Gründen unzulänglich.

Zunächst enthält es – wie ausführlich ausgeführt – nicht die notwendigen Informationen zu der medizinischen Beeinträchtigung, die das Tragen einer Maske unmöglich (oder jedenfalls gefährlich etc.) machen könnte. Allein die Mitteilung „Befreiung von der Maskenpflicht aus medizinischen Gründen“ genügt hierfür ersichtlich nicht (OVG Münster Beschl. v. 24.9.2020 – 13 B 1368/20; VGH München, Beschluss vom 26.10.2020 – 20 CE 20.2185; VG Regensburg, Beschluss vom 02.11.2020 – RN 4 S 20.2660; ArbG Siegburg, Urt. v. 16.12.2020 – 4 Ga 18/20). Diese Begründung entspricht insbesondere nicht den Vorgaben der Sächsischen Landesärztekammer, deren Berufsordnung selbstverständlich auch die Ärztin des Beschwerdeführers verpflichtet ist.

Dies gilt selbst vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer sodann „an Eides statt“ erklärte, aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung keine Maske tragen zu können. Auch die Erklärung des Beschwerdeführers in seiner weiteren, sehr pauschalen Begründung, er leide an einer „chronischen Erkrankung der Atemwege“ vermag keine Glaubhaftmachung darzustellen. Zunächst verkennt der Beschwerdeführer, dass die eigene eidesstattliche Versicherung eines Antragstellers bzw. Betroffenen regelmäßig kein geeignetes Mittel zur Glaubhaftmachung ist (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 30.11.2017 – 3 StR 539/17; Meyer-Goßner/Schmitt 63. Aufl. 2020 § 45 Rn. 9 m.w.N.). Dieser Grundsatz gilt hier unverändert. Weiterhin enthalten selbst diese Erklärungen keine überprüfbaren Tatsachen zu seiner vermeintlichen gesundheitlichen Beeinträchtigung. Das Schlagwort einer „chronischen Atemwegserkrankung“ vermag ebenso wenig konkrete und belastbare Tatsachen darzulegen, die von einem Dritten überprüft werden kann, wie die Angabe der „medizinischen Gründe“.

Weiterhin ist das „Attest“ am 18.06.2020 ausgefüllt. Ohne Angabe der ausstellenden Ärztin dazu, ob eine akute oder eine chronische Erkrankung Grund für die Befreiung ist, kann bereits aus dem Zeitablauf überhaupt nicht beurteilt werden, ob acht Monate später zum Termin der Hauptverhandlung der vermeintliche Grund zur Befreiung noch vorliegt. Dass das pauschale Behaupten des Betroffenen, er leide an einer chronischen Krankheit nicht ausreichen kann, wurde bereits gezeigt. Bereits dieser Umstand zeigt, dass eine Konkretisierung der medizinischen Indikation Voraussetzung jeder Glaubhaftmachung sein muss, da ohne diese Konkretisierung jede „Überprüfung“ ad absurdum geführt werden würde.

Im Übrigen bestehen auch aufgrund der konkreten Form des vorgelegten „Attests“ erhebliche Zweifel an dessen Ernsthaftigkeit. So stellte die Ärztin Frau pp. – deren Praxis knapp 90 Kilometer vom Wohnort des Beschwerdeführers entfernt ist – diese Bescheinigung auf einem Vordruck für eine medizinische Verordnung aus, was für sich bereits jedenfalls ungewöhnlich ist und nach der Erfahrung der Kammer den fachlichen Gewohnheiten von Ärzten in vergleichbaren Fällen (bspw. in den behaupteten Fällen einer Verhandlungsunfähigkeit) widerspricht. Auch enthält diese Bescheinigung zwar den Namen und die Anschrift des Beschwerdeführers, jedoch keine Versicherungsnummer, die auch ein Versicherungsnehmer einer privaten Krankenversicherung besitzt. Aus der Erfahrung der Kammer spricht auch dieser Umstand erheblich gegen eine tatsächliche fachlich korrekte Diagnose, da es sich bei einer tatsächlichen Diagnose einer Befreiung von der Maskenpflicht um ein ärztliches Gutachten i.S.d. § 25 der Berufsordnung der Landesärztekammer Sachsen handelt (vgl. auch Pressemitteilung der Sächsischen Landesärztekammer vom 09.11.2020), das voraussetzt, dass der Patient tatsächlich durch den Arzt oder die Ärztin behandelt wurde. Eine solche Behandlung geht jedoch jedenfalls regelmäßig damit einher, dass die Versicherungsdaten des Patienten durch die Praxis erhoben werden und bei entsprechenden Attesten, Verordnungen etc. auch die Versicherungsnummer angegeben wird. Wird entgegen der weit verbreiteten guten Praxis dies – wie hier – nicht angegeben, spricht dies aus Sicht der Kammer erheblich gegen eine tatsächlich erfolgte Diagnose.

Der Beschwerdeführer verkennt in diesem Zusammenhang, dass die Ärztin, die eine Befreiung von der Maskenpflicht anregt, bereits hiermit (selbstverständlich) ein ärztliches Gutachten erstattet (vgl. auch Pressemitteilung der Sächsischen Landesärztekammer vom 09.11.2020), was allein auf einer fachgerechten Diagnose fußen darf. Soweit der Beschwerdeführer angibt, ein solches Gutachten sei ihm nicht zuzumuten, stellt er bereits selbst sein Attest zur Maskenbefreiung in Frage. Allein aufgrund eines medizinischen Gutachtens kann überhaupt erst eine Maskenbefreiung durch einen Arzt angeregt werden. Dass der Besuch bei einem Arzt mit dem Ziel einer Diagnose für eine privat versicherten Person Geld kostet, ist der Natur der Sache geschuldet und führt nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Anordnung. Auch vermag der pauschale Einwand des Beschwerdeführers, die finanzielle Belastung für eine tatsächliche ärztliche Diagnose sei ihm nicht zuzumuten, vor dem Hintergrund, dass er keine Kosten scheute, zur Ausstellung eines Attests eine einfache Fahrtstrecke über 90 Kilometer zu einer Ärztin – welche keine spezialisierte Lungenärztin oder Hals-Nasen-Ohren-Ärztin ist – in Kauf zu nehmen, nicht zu überzeugen.“

Man – zumindest ich – frage mich bei solchen Beschlüssen dann immer auch nach dem Hintergrund des beschriebenen Verhaltens, hier des Verteidigers. Vielleicht ist es ja eine Erklärung, was das LG hier festgestellt hat:

 

„Soweit das Amtsgericht in seinem Beschluss auch auf die Umstände abgestellt hat, dass der Beschwerdeführer ausweislich seiner von ihm im Internet veröffentlichten Vita als Schamane tätig ist und die Ärztin, die sein Attest ausstellte, vorwiegend Leistungen im Bereich der Homöopathie und bei der Erkennung von Schilddrüsenkrebs sowie deren Behandlung durch Punktion anbietet, lässt dies ebenfalls keinen Ermessensfehler erkennen. Zunächst sind diese Umstände ausweislich des Beschlusses nicht die tragenden Gründe für die Anordnung der Maskenpflicht und der Kontrolle des Attests. Auch war die Person des Beschwerdeführers insofern durchaus von Belang, als dass er aus Sicht des Gerichts Schutzmaßnahmen gegen die Coronapandemie grundsätzlich ablehnend gegenüber steht. Insofern kann das Gericht bei der Frage, ob ein ärztliches Attest tatsächlich auf einer stattgefundenen, fachlich korrekten Diagnose beruht oder ein Gefälligkeitsattest darstellen könnte, auch die sonstigen Begebenheiten der Ausstellung des Attests berücksichtigen. Das Ziel der sitzungspolizeilichen Anordnung ist es ja u.a. gerade, die Erstellung von Gefälligkeitsattesten ohne eine valide Diagnose hierzu aufzudecken. Eine Diskriminierung des Beschwerdeführers, der nach seinen Angaben von zwei nordamerikanischen Indianerstämmen adoptiert wurde, ist darin nicht zu sehen.“

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