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Wann beginnt die Wartepflicht des Linkabbiegers?, oder: Erkennen des Rechtsabbiegevorgangs

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Heute dann „Kessel-Buntes-Tag“. Und in dem Kessel köcheln heute zwei Entscheidungen aus dem Zivilrecht.

Zunächst kommt hier etwas zur Unfallverursachung, nämlich der OLG Nürnberg, Beschl. v. 03.06.2024 – 3 U 746/24 – zur sog. Wartepflicht des Linksabbiegers. Gestritten wird um die Ersatzpflicht aus folgendem Unfall-/Verkehrsgeschehen:

Zwischen dem PKW VW Tiguan des Klägers, welcher zu dem Unfallzeitpunkt von seiner Ehefrau (Zeugin) gesteuert wurde, und dem im Eigentum des Beklagten zu 1) stehenden PKW Toyota kam es am 08.02.2023 gegen 14:00 Uhr in pp. auf der, unmittelbar hinter der Einmündung der pp. und der pp. Straße, zu einer Kollision. Die Zeugin bog, von der pp. her kommend, nach links in die – stadteinwärts gerichtet – ein, die Beklagte zu 1) aus der entgegenkommenden Straße nach rechts in dieselbe Richtung. Der von der Beklagten zu 1) gesteuerte PKW beschädigte dabei den PKW des Klägers im Bereich der vor der Vordertüre, der Hintertüre und des Heckkotflügels rechts.

Der Kläger begehrt vollständigen Ersatz des durch die Beschädigung seines PKW verursachten Schadens, den er auf rund 8.600 EUR beziffert hat. Das LG hat der Klage nur im Umfang von rund 4.300 EUR entsprochen und sie im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Das LG ist von einer Schadensteilung ausgegangen. Dagegen die Berufung des Klägers, der weiterhin vollen Schadensersatz begehrt.

Das OLG hat in dem Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO dargelegt, dass nach seiner Überzeugung die Berufung unbegründet ist:

„2. Das Landgericht hat aber zu Recht diesem Umstand nicht die Bedeutung beigemessen, die die Berufung für geboten hält.

a) Nach § 9 Abs. 4 S. 1 StVO hat derjenige, der nach links abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge, die ihrerseits nach rechts abbiegen wollen, durchfahren zu lassen. Entsprechendes ordnet § 9 Abs. 3 StVO im Hinblick auf entgegenkommende Fahrzeuge an. Den Linksabbieger trifft mithin grundsätzlich eine Wartepflicht gegenüber dem entgegenkommenden Verkehr. Die in § 9 Abs. 3 u. 4 StVO geregelten Fälle stellen zwar keine Fälle der Vorfahrt im eigentlichen Sinn dar, da sie die Begegnung mit einem auf derselben Straße Entgegenkommenden betreffen, sind mit diesen aber nahe verwandt und unterliegen im Allgemeinen den gleichen Rechtsgrundsätzen (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/ Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 26; für den Charakter als echte Vorfahrtsregeln MüKoStVR/Bender, 1. Aufl. 2016, StVO § 9 Rn. 28).

Die sich aus dem vorfahrtsähnlichen Recht des Rechtsabbiegers ergebende Wartepflicht des Linksabbiegers entfällt noch nicht dadurch, dass sich der Linksabbieger in den Bereich der Vorfahrtstraße, in die er einbiegen will, begeben hat, weil er allein dadurch noch nicht zum Benutzer der Vorfahrtstraße und damit gegenüber dem Gegenverkehr bevorrechtigt wird (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 27; BeckOK StVR/Grabow, 23. Ed. 15.4.2024, StVO § 9 Rn. 49). Zu einem solchen wird er erst, wenn der Linksabbiegevorgang vollständig abgeschlossen ist, was angenommen werden kann, soweit keine Schrägstellung mehr vorliegt (OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Dezember 1996, 14 U 203/95, DAR 1997, 26).

Zu beachten ist weiter, dass die Wartepflicht gegenüber dem Entgegenkommenden besteht, wenn dieser so nahe gekommen ist, dass er durch das Abbiegen gefährdet oder auch nur in der zügigen Weiterfahrt wesentlich behindert würde; ihn trifft die Wartepflicht, wenn für ihn bei Beginn des Abbiegevorgangs der Gegenverkehr bereits sichtbar war (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 28). Eine Pflicht, am Straßenrand der Gegenrichtung stehende Kraftfahrzeuge daraufhin zu beobachten, ob sie alsbald anfahren, trifft den Linksabbieger nicht (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 28). Der Wartepflichtige muss allerdings in gewissem Umfang damit rechnen, dass sich der Entgegenkommende selbst verkehrswidrig verhält, so etwa, dass dieser bei entsprechenden Straßenverhältnissen die zulässige Geschwindigkeit mäßig überschreitet (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 26a; BeckOK StVR/ Grabow, 23. Ed. 15.4.2024, StVO § 9 Rn. 41; MüKoStVR/Bender, 1. Aufl. 2016, StVO § 9 Rn. 30).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landgericht zutreffend nicht als maßgeblich angesehen, dass im Moment der Kollision der PKW des Klägers bereits vollständig parallel zur ausgerichtet war und damit den Linksabbiegevorgang bereits beendet hatte. Die Zeugin hatte zu diesem Zeitpunkt bereits gegen die Wartepflicht verstoßen, was zu dem Unfall führte.

Aus den oben dargestellten Grundsätzen ergibt sich, dass die Wartepflicht einsetzt, sobald der Linksabbieger erkennen kann, dass das sich aus der Gegenrichtung nähernde Fahrzeug nach rechts abbiegen will und es daher zu einer Überschneidung der Fahrwege im Einmündungsbereich oder auf der nachfolgenden Straße kommen wird. Trifft den Linksabbieger danach eine Wartepflicht, entfällt diese nicht dadurch, dass er seinen Abbiegevorgang fortsetzt und so eine Situation herstellt, bei der er zum Benutzer der vorfahrtsberechtigten Straße wird. Dies folgt schon daraus, dass andernfalls ein Anreiz geschaffen würde, den an sich nicht zulässigen Linksabbiegevorgang möglichst schnell (und damit in einer die Unfallgefahr insgesamt steigerten Weise) zu vollziehen, um dann in den Genuss des Vorfahrtsrechts zu kommen. Die Wartepflicht beinhaltet gerade, dass der entgegenkommende Rechtsableger seinen Abbiegevorgang ungestört unternehmen darf, während der Linksabbieger sich nach diesem auszurichten hat; dies verbietet die Annahme, dass der Linksabbieger, der diesen Vorgang einmal verkehrswidrig begonnen oder fortgesetzt hat, im weiteren Verlauf das Vorrecht erlangen kann und nunmehr der Rechtsableger zum Warten gezwungen wird.

Im Übrigen spricht bereits der Wortlaut der Bestimmung dafür, dass für den Zeitpunkt, auf den wegen der Wartepflicht abzustellen ist, der Beginn des Abbiegevorgangs und dessen Verlauf, nicht aber ein etwaiger Kollisionszeitpunkt ist. § 9 Abs. 4 S. 1 StVO stellt insoweit darauf ab, dass jemand nach links abbiegen „will“.

c) Davon, dass die Zeugin eine Wartepflicht traf, weil sie vor Beginn des Linksabbiegevorgangs die Annäherung und die Absicht der Beklagten zu 1), nach rechts abzubiegen, erkennen konnte, ist das Landgericht aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen fehlerfrei ausgegangen.

In den beiden von ihm exemplarisch modellierten Varianten war zu dem Zeitpunkt, als die Zeugin den Abbiegevorgang durch Überfahren der gestrichelten Seitenlinie begann, sowohl der PKW der Beklagten zu 1) als solcher zu erkennen als auch der Umstand, dass diese entweder nach rechts abbiegen oder gerade aus fahren werde. So befand sich die Beklagte zu 1) selbst dann, wenn sie relativ schnell (50 km/h) an die Kreuzung herangefahren wäre, dann maximal verzögert hätte und wieder beschleunigt hätte, bei Beginn des Abbiegevorgangs durch die Zeugin 5 1/2 – 6 Sekunden vor dem Zusammenstoß bereits (aus ihrer Sicht) hinter der Ein-/Ausfahrt zu dem Supermarkt, so dass die Zeugin gewärtigen musste, dass dieser PKW entgegenkommt und alsbald in die Kreuzung einfahren werde. Die Angaben der Zeugin, die den PKW der Beklagten zu 1) nicht gesehen haben will, können damit kaum zutreffen; dies kann auch ohne Weiteres damit erklärt werden, dass sie sich noch in erheblicher Distanz hinter dem PKW des Klägers befunden hatte, weshalb ihre Sicht eingeschränkt war und eine Abschätzung von Distanzen noch schwieriger war. Wäre die Beklagte zu 1) langsamer, etwa mit 30 km/h, an die Kreuzung herangefahren, errechnet sich der Beginn des Abbiegevorgangs durch die Zeugin rund 4 1/2 Sekunden vor der Kollision; zu diesem Zeitpunkt musste sich dann die Beklagte zu 1) aber bereits noch näher an der Kreuzung befunden haben und ihr Fahrzeug noch deutlicher nach rechts ausgerichtet gewesen sein.

Bei beiden Annahmen wäre es auch so gewesen, dass während des Abbiegevorgangs der Zeugin, als dieser PKW noch nicht in parallel Richtung zur ausgerichtet war, die Annäherung und die Abbiegeabsicht der Beklagten zu 1) erkennbar gewesen sein muss. All dies löste jeweils die Wartepflicht für den PKW des Klägers aus.

Selbst wenn, was der Sachverständige in technischer Hinsicht nicht ausschließen konnte, die Beklagte zu 1) zunächst aus dem Supermarktparkplatz ausgefahren wäre, ergäbe sich nichts entscheidend anderes. Zwar wäre der PKW der Beklagten zu 1) dann in dem Moment, in dem die Zeugin ihren Abbiegevorgang begonnen hat, noch nicht auf der Straße gewesen; gemäß den oben dargestellten Grundsätzen hätte sie nach vorläufiger rechtliche Bewertung des Senats nicht ohne weiteres damit rechnen müssen, dass Fahrzeuge aus angrenzenden Grundstücken in die Straße einfahren und dann sogleich nach rechts abbiegen. Jedoch wäre wiederum während des weiteren Verlaufs des Linksabbiegens für die Zeugin zu erkennen gewesen, dass sich die Beklagte zu 1) mit der Absicht, nach rechts abzubiegen, der Kreuzung näherte. Dies wäre auch deutlich vor Beginn der Phase der Fall gewesen, in der die Zeugin bereits so in die eingefahren gewesen wäre, dass sie sich in dieser Fahrtrichtung bewegte und damit ein Vorfahrtsrecht erlangt hätte. Mit einer schnellen Annäherung der Beklagten zu 1) an den Kreuzungsbereich, d.h. eine Ausschöpfung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, musste die Zeugin dabei grundsätzlich rechnen.

3. Das Landgericht hat damit zutreffend bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge auf Seiten des Klägers einen Vorfahrtsverstoß nach § 9 Abs. 4 S. 1 StVO eingestellt. Die Beklagte zu 1) trifft demgegenüber der Vorwurf, gegen das allgemeine Gebot der Rücksichtnahme verstoßen zu haben. Wenn das Landgericht beide Verschuldensanteile als gleichwertig angesehen hat, stellt dies jedenfalls keinen Fehler zum Nachteil des Klägers dar. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Verstöße gegen konkrete Verkehrsregeln und Wartepflichten grundsätzlich höheres Gewicht besitzen als die Verletzung der allgemeinen Vorsichts- und Rücksichtnahmepflichten. Eine gleich hohe Gewichtung beschwert daher den Kläger nicht.

Der Senat legt deshalb aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).“

Linksabbieger, oder: Das Wahlrecht des Voranfahrenden

Author nach den drei verschiedenenen TGLs entnommen wikimedai.org
interpretiert und digital umgesetzt durch Mediatus

Die zweite Entscheidung kommt mit dem KG, Urt. v. 18.11.2019 – 22 U 18/19 – mal wieder aus Berlin. Das KG hat über einen Linksabbiegerunfall entschieden, und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhalts:.

„Der Zeuge pp. stand als Fahrzeugführer mit dem Fahrzeug der Sicherungseigentümerin, einem Mercedes C 63 S AMG, auf der Fennstraße in südwestlicher Richtung hinter dem von dem Beklagten zu 3. geführten Fahrzeug, einem Kia Picanto 1.1 Spirit, in dem mit Pfeilen gekennzeichneten Linksabbiegerfahrstreifen. Der benachbarte Fahrstreifen ist mit Geradeauspfeilen versehen. Nach dem Anfahren und während oder nach dem Linksabbiegen in die Müllerstraße in Richtung Mitte überholte der Zeuge rechts, während der Beklagte zu 3. in den rechten Fahrstreifen einfuhr. Streitig ist, ob – so behaupten die Beklagten – der Unfall in Höhe der Fußgängerfurt oder – so behauptet der Kläger – etwas später in Höhe der Bushaltestelle stattfand. Zwischen der in Fahrtrichtung der Unfallbeteiligten gesehen hinteren Begrenzung der Fußgängerfurt und der Bushaltestelle (am Wartestand) liegen etwa 23 m. Der Kläger meint auf der Grundlage seiner Behauptung, der Beklagte zu 3. habe den Fahrstreifen gewechselt.“

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme der Klage (weitgehend) stattgegeben. Es hat gemeint, ein Fahrstreifenwechsel sei weder bewiesen noch widerlegt. Da zulasten der Sicherungseigentümerin die Haftung aus der Betriebsgefahr nicht anzurechnen sei, müssten die Beklagten aber in voller Höhe den Schaden ersetzen. Es hat gemeint, trotz Vorschadens ließe sich der Schaden vorliegend schätzen, und hat nur einige Abzüge vorgenommen.

Dagegen die Berufung der Beklagten, die Erfolg hatte:

„Die Berufung der Beklagten ist begründet und die Klage in vollem Umfang abzuweisen, denn dem Kläger stehen gegen die Beklagten die in Prozessstandschaft für die Sicherungseigentümerin geltend gemachten Schadenersatz- bzw. Freistellungsansprüche gemäß §§ 823 Abs. 1, 249 BGB; §§ 7, 17, 18 StVG; § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG; § 421 BGB nicht zu, weil der Fahrer des Fahrzeuges des Klägers den Unfall allein verschuldete (§§ 9 StVG, 254 BGB). Auf den Umstand, dass sich der (Nur-) Eigentümer die Betriebsgefahr nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG nicht anrechnen lassen muss, kommt es daher schon nicht an.

1. Der Beklagte zu 3. handelte nicht sorgfaltswidrig, insbesondere verstieß er – anders als das Landgericht zu Unrecht gemeint hat – nicht gegen § 7 Abs. 5 StVO.

Er nahm – selbst die Version des Klägers zu dessen Gunsten unterstellt – keinen Fahrstreifenwechsel im Sinne von § 7 Abs. 5 StVO vor. Vielmehr stand ihm als Voranfahrendem noch das Wahlrecht zwischen den Fahrstreifen in der Müllerstraße zu, denn ein paralleles Abbiegen war vorliegend durch die Kennzeichnung der Fahrstreifen in der Fennstraße unzulässig. Der in dem einzigen zulässigen Linksabbiegerfahrstreifen Nachfolgende darf dem Voranfahrenden dessen Wahlrecht nicht vorzeitig durch starkes Beschleunigen streitig machen, sondern hat abzuwarten, bis sich der Voranfahrende endgültig eingeordnet hat. Diese Wahlfreiheit endet für das Abbiegen aus einem Fahrstreifen – ebenso wie bei zulässigem parallelem Abbiegen (vgl. dazu Kuhnke, Die Rechtslage bei paarweisem parallelem Abbiegen, NZV 2019, 223, 224 [II.3.]) oder bei Aufteilung eines Fahrstreifens in zwei Fahrstreifen (vgl. Senat, [Hinweis-] Beschluss vom 17. Oktober 2019 – 22 U 139/17 – [unveröffentlicht]; LG Dortmund, Urteil vom 10. 4. 2003 – 15 S 277/02NJW-RR 2003, 1260; vgl. auch König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 7 StVO Rn. 16) – erst mit der endgültigen Einordnung des Voranfahrenden, also allenfalls 15 bis 20 m hinter der Fußgängerfurt, wenn also das endgültige Einordnen nach dem Beginn von Fahrstreifenmarkierungen klar erkennbar ist. Angesichts des Umstandes, dass der nachkollisionäre Halteort des Mercedes an dem dort befindlichen Bushaltestellenschild bzw. dem Wartehaus 23 m hinter der Fußgängerfurt liegt, muss die Kollision deutlich früher erfolgt sein, was zudem angesichts des erforderlichen Bremswegs eher dem Vortrag der Beklagten entspricht, die Kollision sei in Höhe der Fußgängerfurt erfolgt, so dass ganz offensichtlich die zur endgültigen Einordung erforderliche Strecke durch den Beklagten zu 3. noch nicht zurückgelegt gewesen sein kann.

Soweit der Kläger, der bei dem Unfall nicht anwesend war, im Termin behauptet hat, der Standort habe sich hinter der Bushaltestelle befunden, entspricht dies weder dem erstinstanzlichen Vortrag noch dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme und ist ohnehin spekulativ. Zum einen sind auf den mit der Klageschrift eingereichten Fotos die unfallbeteiligten Fahrzeuge nicht zu erkennen und zum anderen werden die Unfallbeteiligten die Fahrzeuge angesichts des fortbestehenden Busverkehrs vorgefahren haben, um Behinderungen zu vermeiden. Der Mercedes war ausweislich des Gutachtens noch fahrfähig. Gleiches gilt für den Kia. Ob die Aussagen des Fahrers und des Beifahrers überzeugen, kann offenbleiben. Der Fahrer hat ausgesagt, nach der Berührung der Felge am Bordstein 1 bis 2 m später an der Bushaltestelle gestanden zu haben. Bushaltestellenschild oder Bushaltestellenhäuschen sei für ihn kein Unterschied. Der Beifahrer hat ebenfalls ausgesagt, kurz vor dem Bushaltestellenschild sei die Kollision gewesen und vor dem Bushaltestellenschild hätten sie dann angehalten. Damit übereinstimmend wird mit den mit der Klageschrift eingereichten Schwarz-Weiß-Fotos der Felgenabrieb – wobei hier unterstellt werden kann, dass diese von dem Mercedes stammen – dem Bushaltestellenschild am Wartehaus zugeordnet. Da der Mercedes, eine (wegen des Auffahrens und Einleitens des Überholvorgangs eher zu gering angenommene) Geschwindigkeit von 30 km/h und eine (wegen des Modells sehr hohe) Verzögerung von 7,5 m/s unterstellt, angesichts eines Anhalteweges von 10,5 m bzw. reinen Bremsweges (ohne Reaktions-, Umsetz-, Ansprech- und Anschwellzeiten) von 4 m nicht unmittelbar in den Stand gebremst haben kann, muss die Erkennbarkeit des Herüberwechselns des Kia, also die Reaktionsaufforderung für den Fahrer des Mercedes zweifelsfrei in dem Bereich erfolgt sein, in dem dem Beklagten zu 3. noch der Vorrang bzw. die Wahlfreiheit zustand.

2. Den Zeugen E… trifft ein Verschulden wegen der Missachtung des Wahlrechts des Beklagten zu 3. als Verletzung der allgemeinen Sorgfaltspflicht nach § 1 Abs. 2 StVO. Abgesehen von dem Umstand, dass eine sorgfältige Beobachtung des Voranfahrenden in dieser Situation geboten gewesen wäre (§ 1 Abs. 2 StVO), durfte der Zeuge nicht grob rücksichtslos beschleunigen und das Rechtsüberholen einleiten, bevor von einer endgültigen Einordung auszugehen war. Hätte er auf Höhe der Fußgängerfurt und kurz dahinter dies beachtet, wäre der von dem Beklagten zu 3. geführte Pkw sicherlich nicht für ihn „plötzlich“ herübergekommen. Auch zu der Kurvenfahrt musste er als Nachfolgender Beobachtungen zum Fahrverhalten des Voranfahrenden machen, die er ausweislich seiner Aussage ganz offensichtlich unterlassen hat.“

Rettungswagen gegen Linksabbieger, oder: Wer haftet wie?

entnommen wikimedia.org
Author Soenke Rahn

Mit den Hinweisen auf interessante verkehrszivilrechtliche Entscheidungen hinke ich ja immer ein wenig hinterher. Aber da ich die nur an Samstagen im „Kessel Buntes“ bringe, ist dafürt nicht so vile Raum und es kommt zu „Verzögerungen“. So auch beim OLG München, Urt. v. 12.01.2018 – 10 U 2135/17, der mal wieder eine „Sonderrechtsproblematik“ zum Gegenstand hat, und zwar Überholen bei unklarer Verkehrslage (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO). Dazu die Leitsätze aus der Entscheidung:

1. Für die im Rahmen von § 35 Abs. 5a StVO erforderliche Beurteilung, ob höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden, kommt es nicht auf eine Betrachtung ex post, sondern darauf an, ob sich der Einsatzfahrer nach der ihm bekannten Lage für berechtigt halten durfte, die Sonderrechte in Anspruch zu nehmen (Anschluss OLG Düsseldorf Beschluss vom 06.01.2010, Az.: IV – 3 RBs 95/09). Die Darlegungs- und Beweislast trägt insoweit derjenige, der sich auf die Sonderrechte beruft.

2. Der Fahrer eines Einsatzfahrzeugs mit aktiviertem Blaulicht und Martinshorn darf an einer ampelgeregelten Kreuzung darauf vertrauen, dass die anderen Verkehrsteilnehmer, für die Grünlicht gilt, dem bei Rotlicht die Kreuzung überquerenden Einsatzfahrzeug freie Bahn gewähren, wenn sie ihr Tempo hinreichend reduzieren (vgl. BGH Urt. v. 17.12.1974 – VI ZR 207/73).
3. Demgegenüber darf der Fahrer eines Einsatzfahrzeugs trotz aktiviertem Blaulicht und Martinshorn nicht darauf vertrauen, dass ein Linksabbieger, der vor dem Abbiegen sein Tempo reduziert oder anhält, insbesondere wenn der linke Fahrtrichtungsanzeiger nicht abgestellt wird, das von hinten kommende Einsatzfahrzeug noch vor dem Abbiegen überholen lässt (entgegen LG Saarbrücken LG Saarbrücken Urt. v. 1.7.2011 – 13 S 61/11). Überholt der Fahrer des Einsatzfahrzeugs den Linksabbieger dennoch, kann darin ein Verstoß gegen § 35 Abs. 8 StVO liegen.
4. Kollidiert ein Einsatzfahrzeug mit aktiviertem Blaulicht und Martinshorn mit einem von ihm unter Verstoß gegen § 35 Abs. 8 StVO überholten, seinerseits gegen § 9 Abs. 1 S. 4, § 38 Abs. 1 S. 2 StVO verstoßenden Linksabbieger, so kommt eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zulasten des Linksabbiegers in Betracht.“
Die Leitsätze stammen von der Seite „Bayern-Recht“. Ich habe die Beck-RS-Fundstellen aufgelöst. M.E. eine Unsitte der entsprechenden Seiten mit Bezahlfundstellen zu arbeiten. Was macht der, der dorthin keinen Zugang hat. Er darf suchen….

Kollision falscher Linksabbieger/Überholer: 100 % beim Linksabbieger

© fabstyle - Fotolia.com

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Hat ein Linksabbieger sich nicht ordnungsgemäß zum Linksabbiegen eingeordnet, sondern befand er sich zu dem Zeitpunkt, als er zum Linksabbiegen ansetzte, noch am rechten Fahrbahnrand, so haftet er im Falle einer Kollision mit einem überholenden Fahrzeug allein. So hat das OLG Frankfurt im OLG Frankfurt, Urt v. 26.01.2016 – 7 U 189/13 – entschieden. Begründung:

„Der Klägerin steht gegenüber den Beklagten kein Schadensersatzanspruch zu. Die vom Landgericht vorgenommene Haftungsverteilung von 100 : 0 ist angesichts der feststehenden groben Fahrverstöße seitens der Klägerin sachgerecht. Allein die höhere Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs rechtfertigt keine andere Beurteilung; sie tritt vielmehr zurück.

Nach den Feststellungen des Landgerichts, an deren Richtigkeit und Vollständigkeit keine Zweifel bestehen, so dass der Senat hieran gebunden ist, hat die Klägerin gegen die ihr obliegenden erhöhten Sorgfaltsanforderungen gemäß § 9 StVO verstoßen. Die Klägerin hat sich entgegen § 9 Abs. 1 StVO nicht ordnungsgemäß zum Linksabbiegen eingeordnet. Das klägerische Fahrzeug befand sich vielmehr am rechten Fahrbahnrand, als es plötzlich zum Linksabbiegen ansetzte. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Beklagten zu 3) bereits zum Überholen angesetzt. Letzteres wäre ihm auch gefahrlos aufgrund der sich verbreiternden Fahrbahn möglich gewesen. Bei Beachtung der erforderlichen Rückschaupflicht hätte die Klägerin den Unfall durch Abbrechen des Abbiegevorgangs vermeiden können. Dass die Klägerin – zudem rechtzeitig – den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt hat, hat sie nicht beweisen können. Angesichts dessen hat das Landgericht auch zu recht einen eigenen haftungsbegründenden Sorgfaltsverstoß des Beklagten zu 3) verneint. Die Ausführungen in der Berufung rechtfertigen keine andere Beurteilung. Es lag keine unklare Verkehrslage im Sinne des § 5 StVO vor. Zwar hat die Klägerin nach den Feststellungen des Sachverständigen ihre Geschwindigkeit von ca. 35 km/h auf ca. 10 km/h kurz vor der Kollision herabgesetzt. Dies allein begründet jedoch für den Beklagten zu 3) nicht die Annahme einer unklaren Verkehrslage.

Eine unklare Verkehrslage liegt vor, wenn der Überholende nach den gegebenen Umständen mit einem ungefährlichen Überholvorgang nicht rechnen darf, d.h. wenn die Verkehrslage unübersichtlich ist. Bei einer Verlangsamung des Vorausfahrenden kommt es insoweit auf die konkrete Verkehrssituation und die Örtlichkeit an. Nur wenn diese geeignet sind, Zweifel über die beabsichtigte Fahrweise des Vorausfahrenden aufkommen zu lassen, kommt eine unklare Verkehrslage in Betracht (vgl. OLG München, Urteil vom 9.11.2012, Az.: 10 U 1860/12; KGR Berlin 2003, 169). Vorliegend fuhr die Klägerin jedoch am äußersten rechten Fahrbahnrand, an dem sich ausweislich der seitens des Sachverständigen gefertigten Lichtbilder Parkbuchten befanden. Des Weiteren verbreitert sich die Straße in jenem Bereich bereits dergestalt, dass – auch wenn noch nicht durch Markierung getrennt – bereits zwei Fahrspuren für den gleichgerichteten Verkehr zur Verfügung stehen. Wie der Sachverständige bei seiner Anhörung vor dem Landgericht ausgeführt hat, kann man ab ca. 20 Meter bezogen auf den roten PKW – so wie in der Skizze Blatt 16 seines Gutachtens eingezeichnet – gefahrlos den Einordnungsvorgang für den späteren Spurverlauf, der in eine Links- und eine Rechtsabbiegerspur mündet, vornehmen und auch gefahrlos in dieser Konstellation aneinander vorbeifahren. Dem entsprechend hatte sich der Beklagte zu 3) auch nach links eingeordnet. Damit, dass die Klägerin entgegen ihrer eindeutigen Einordnung zum rechten Fahrbahnrand plötzlich nach links abbiegen würde, musste er nicht rechnen. Die Klägerin kann sich insoweit nicht darauf berufen, der Beklagte zu 3) – der vermutet habe, die Klägerin suche rechts neben der Fahrbahn einen Parkplatz – habe zu keinem Zeitpunkt bekundet, dass diese nach rechts geblinkt habe. Abzustellen ist allein auf die objektiven Umstände, nicht auf das Gefühl des Überholwilligen.

Der Beklagte zu 3) ist auch nicht mit unangepasster, überhöhter Geschwindigkeit gefahren. Nach den Feststellungen des Sachverständigen betrug die Geschwindigkeit ca. 40 bis 45 km/h.“

Der Überholer war besoffen – wie wird gehaftet?, oder: Erschüttert das den Anscheinsbeweis?

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Das OLG München, Urt. v. 23.01.2015 – 10 U 299/14 – geht von folgendem Sachverhalt aus: Zugrunde liegt ein Zusammenstoß am 29.04.2011 gegen 17.15 Uhr zwischen dem klägerischen Pkw Mercedes Sprinter und dem Pkw Renault Laguna des Beklagten zu 1). Das klägerische Fahrzeug, gesteuert von seinem Angestellten F., wollte – auf Höhe des Anwesens Nr. 3 in der H.-Straße in M. in südwestlicher Richtung fahrend – nach links in eine Grundstückseinfahrt abbiegen oder wenden, als der Beklagte zu 1) sich zum Überholen entschlossen hatte. Es kam zur Kollision und die Parteien habden dann darum gestritten, wer wie haftet.

Das OLG München sagt:

1. Kommt es zu einer Kollision eines nach links in eine Grundstückseinfahrt abbiegenden Fahrzeugs mit einem überholenden Fahrzeug, so haftet der Linksabbieger allein, wenn sich der Überholvorgang als verkehrsgerecht darstellt und er insbesondere den Nachweis, dass der Fahrtrichtungsanzeiger betätigt wurde, nicht führen kann.
2. Dabei ist eine nachgewiesene Alkoholisierung des überholenden Fahrers ohne Bedeutung, wenn nicht feststeht, dass sie für den Unfall ursächlich geworden ist. Hiervon ist nicht auszugehen, wenn sich der Überholvorgang bei geringer Geschwindigkeit als verkehrsgerecht dargestellt hat.

Im Urteil dann ganz interessante Ausführungen des OLG zum Anscheinsbeweis, vor allem auch im Hinblick auf die Auswirkungen der Alkoholisierung des Beklagten, mit denen der Kläger gegen den gegenihn als Linksabbbier sprechenden Anscheinsbeweis argumentiert hatt:

„(3) Zuletzt wird eine Anscheinsbeweislage nicht aufgehoben durch die Alkoholisierung des Beklagten, unabhängig davon, ob die im unstreitigen Tatbestand des Ersturteils festgestellte Blutalkoholkonzentration von 1,04 Promille, oder – wie vom Kläger gewünscht – bis zu 1,4 Promille zugrunde gelegt wird. Selbst eine Alkoholisierung im Bereich der absoluten Fahruntüchtigkeit erlaubt keinen Rückschluss auf die Unfallursache, darf vielmehr bei der Abwägung nach § 17 StVG nur berücksichtigt werden, wenn sie sich nachweislich in dem Unfall niedergeschlagen hat (BGH NJW 1995, 1029 [BGH 10.01.1995 – VI ZR 247/94]). Aus diesem Grund ist ein unfallursächlicher Verstoß das alkoholisierten Kraftfahrers vorauszusetzen, bevor – aufgrund der Alkoholisierung, gegebenenfalls in Form eines Anscheinsbeweises – darauf geschlossen werden kann, der Unfall habe sich in einer Verkehrslage ereignet, die ein nüchterner Kraftfahrer problemlos hätte meistern können (BGH NJW 1976, 897 [BGH 24.02.1976 – VI ZR 61/75]: Fußgänger, zusätzlich zur Alkoholisierung unmotiviertes Liegen auf der Fahrbahn; OLG Stuttgart r + s 1988, 329 [Volltext BeckRS 2008, 19041: zusätzlich stark überhöhte Geschwindigkeit; OLG Hamm NZV 1995, 483 [OLG Hamm 10.10.1994 – 6 U 334/91]; OLG Köln VersR 2002, 1040; KG Urt. v. 21.06.1990 – 12 U 3456/89 [BeckRS 1990, 07643: Alkoholisierung nicht ursächlich, weil ohnehin schuldhaftes Überholen einer unübersichtlichen Kolonne]; OLG Celle, Urt. v. 29.09.2010 – 14 U 27/10 [BeckRS 2011, 14566: zusätzlicher Verstoß gegen § 1 II StVO gefordert, aber nicht erweislich]; Senat, Beschl. v. 12.11.2014 – 10 U 3222/14: zusätzlich zur Alkoholisierung nicht rechtzeitige Ausweichreaktion erforderlich).

Deswegen ist ein Zusammenstoß des Linksabbiegers mit dem Überholenden nicht schon dann „nicht mehr typisch“, wenn und weil der Überholende alkoholisiert war. Anderenfalls stünde jede der bisherigen Anscheinsbeweislagen unter dem Vorbehalt, dass keiner der beteiligten Fahrzeugführer alkoholisiert wäre, während andererseits neue Anscheinsbeweislagen mit alkoholisierten Beteiligten zu entwickeln wären. Zudem verlöre die ständige Rechtsprechung des BGH, dass die Unfallursächlichkeit der Alkoholisierung festzustellen sei, jeden Anwendungsbereich. Die Anscheinsbeweislagen des Abbiegens in ein Grundstück oder Wendens einerseits, der alkoholbedingten absoluten Fahruntüchtigkeit andererseits stehen in einem Stufenverhältnis: Zunächst ist bei anzuwendendem Anscheinsbeweis gegen den Linksabbieger zu klären und im Strengbeweisverfahren festzustellen, ob ein Fehlverhalten des anderen Verkehrsteilnehmers vorliegt, dass den Anscheinsbeweis erschüttert. Sollte das nicht der Fall sein, kommt es auf dessen Alkoholisierung nicht mehr an. Werden dagegen eine Pflichtwidrigkeit oder ein Sorgfaltsverstoß des zunächst vom Anscheinsbeweis Begünstigten festgestellt, spricht jedenfalls im Fall der absoluten Fahruntüchtigkeit ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Alkoholisierung unfallursächlich geworden ist, wenn sich der Unfall in einer Verkehrslage und unter Umständen ereignet hat, die ein nüchterner Fahrer hätte meistern können.