Im zweiten Posting geht es noch einmal um die Erstattung der Kosten eines privaten Sachverständigengutachten. Leider ist das auch so ein Thema, mit dem sich viele Verwaltungsbehörden und auch Amtsgerichte schwer tun. Dazu hat sich jetzt noch einmal das LG Ravensburg im LG Ravensburg, Beschl. v. 05.08.2025 – 1 Qs 37/25 – geäußert.
Das AG hatte gegen den (ehemaligen) Beschuldigten durch Strafbefehl wegen einer fahrlässigen Körperverletzung, die der Beschuldigte im Straßenverkehr begangen haben sollte, eine Geldstrafe festgesetzt. Dem Beschuldigten wurde zur Last gelegt, als Lenker eines Lastkraftwagens bei der Einfahrt von einem Waldweg auf eine Kreisstraße einen vorfahrtsberechtigten Motorradfahrer übersehen und hierdurch die Kollision beider Fahrzeuge verursacht zu haben, wodurch sich der Motorradfahrer mehrere Frakturen zugezogen habe.
Zu dem nach Einspruchseinlegung auf den 15.11.2024 bestimmten Hauptverhandlungstermin wurden lediglich der Motorradfahrer und der mit der Verkehrsunfallanzeige befasste Polizeibeamte als Zeugen geladen. Mit Schreiben vom 21.10.2024 reichte der Verteidiger ein – an die Kanzlei des Verteidigers adressiertes – schriftliches Gutachten eines Unfallsachverständigen vom 26.09.2024 ein. Dieses kam zum Ergebnis, dass sich der Kradfahrer bei Beginn des Einfahrvorgangs seitens des Beschuldigten außerhalb von dessen Sichtbereich befunden habe. Der Verteidiger beantragte eine Verfahrenseinstellung gern. § 153 Abs. 2 StPO. Mit Verfügung vom 28.10.2024 lehnte die Staatsanwaltschaft die Zustimmung zur Einstellung des Verfahrens ab.
In der auf den 24.02.2025 verlegten Hauptverhandlung wurden der Beschuldigte sowie die beiden geladenen Zeugen gehört. Sodann wurde das Privatgutachten vom 26.09.2024 im Selbstleseverfahren eingeführt und hierauf die Beweisaufnahme geschlossen. Entsprechend den allseitigen Anträgen wurde der Beschuldigte freigesprochen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer den Kradfahrer übersehen habe und der Unfall für ihn vermeidbar gewesen wäre. Die notwendigen Auslagen des Beschuldigten wurden der Staatskasse auferlegt.
Der Beschuldigte hat Erstattung der an den Unfallsachverständigen für die Erstellung des Sachverständigengutachtens gezahlten 1.931,37 EUR beantragt. Die Bezirksrevisorin hat der Festsetzung widersprochen. Das AG hat daraufhin die Auslagen für das eingeholte Privatgutachten nicht festgesetzt.
Dagegen hat der Beschuldigte sofortige Beschwerde erhoben. Zur Begründung hat er sich darauf berufen, dass der Freispruch „final“ auf dem vorgelegten Privatgutachten beruhe und das Gericht anderenfalls selbst dazu veranlasst gewesen wäre, ein Gutachten einzuholen.
Das LG ist ihm gefolgt:
„… Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg. Die Kosten für das Privatgutachten sind dem Beschwerdeführer als notwendige Auslagen zu ersetzen.
Dabei ist der angefochtenen Entscheidung im Ausgangspunkt zuzugeben, dass Aufwendungen für die Einholung eines Privatgutachtens nach allgemeiner Rechtsprechung aus den dargelegten Gründen grundsätzlich nicht als notwendige Auslagen erstattungsfähig sind. Hiervon werden in der jüngeren Rechtsprechung zunehmend Ausnahmen gemacht, z. B. wenn schwierige technische Fragestellungen zu beurteilen seien oder wenn der Tatvorwurf auf einem standartisierten Messverfahren beruhe. Zudem sind zahlreiche Gerichte vom ausschließlichen Maßstab der Ex-ante-Betrachtung für die Beurteilung der Notwendigkeit der Gutachteneinholung abgerückt. Stattdessen wird eine Erstattungsfähigkeit jedenfalls dann bejaht, wenn das Privatgutachten ur-sächlich für den Freispruch oder die Einstellung des Verfahrens geworden ist (LG Dresden, Beschluss vom 7. Oktober 2009 — 5 Qs 50/07 —, Rn. 12; LG Zwickau, Beschluss vom 19. Juli 2024 — 1 Qs 77/24 —, jeweils zitiert nach juris).
Andere Gerichte halten es sogar bereits für ausreichend, wenn das eingeholte Gutachten zu dem Freispruch beigetragen hat (LG Münster, Beschluss vom 14. Juni 2024 — 12 Qs 16/24 —, Rn. 37, m.w.N., zitiert nach juris).
Ob die dargelegten Ausnahmen vom Grundsatz der fehlenden Erstattungsfähigkeit allgemein zu machen sind, bedarf hier keiner Entscheidung. Jedenfalls besteht dann kein Grund, die Auslagen für die Einholung eines Privatgutachtens dem Angeklagten zu belassen, wenn sich das Gericht dieses Gutachten quasi zu eigen macht und im Hinblick hierauf auf die Einholung eines Gutachtens, die ohne Vorlage des Privatgutachtens erforderlich gewesen wäre, verzichtet. Für diese Sachverhaltsgestaltung sind keine rechtsdogmatischen Gründe ersichtlich, welche die Nicht-erstattung der Auslagen rechtfertigen würde, Vielmehr streiten Billigkeit und Rechtsempfinden ganz entschieden für den Ersatz der Aufwendungen, wenn auf der Grundlage des Gutachtens eine Verurteilung nicht erfolgt. Es leuchtet nicht ein, weshalb sich Gerichte die Auslagen für die Einholung eines Sachverständigengutachtens auf Kosten eines nicht verurteilten Angeklagten ersparen können sollten.
Dies zugrunde gelegt steht die Erstattungsfähigkeit der Gutachterkosten des Beschwerdeführers außer Frage. Nach dem Verfahrensgang und insbesondere dem Ablauf der Hauptverhandlung drängt sich geradezu auf, dass das Gericht ohne Heranziehung des Privatgutachtens zur Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens verpflichtet gewesen wäre. Mit den vorhandenen Erkenntnisquellen – Zeugen, polizeiliche Ermittlungsergebnisse – wurde ein hinreichender Tatverdacht bejaht und Strafbefehl erlassen. Eine Verfahrenseinstellung kam aufgrund der Zustimmungsverweigerung der Staatsanwaltschaft nicht in Betracht. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die mittels Zeugenaussagen in der Hauptverhandlung erlangten Erkenntnisse bereits die Grundlage für einen Freispruch bereitet hätten. Zum einen ergeben sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll keine nennenswerten Abweichungen der Aussagen vom Akteninhalt, zum anderen hätte es in diesem Fall der Einführung des Privatgutachtens im Wege des Selbstleseverfahrens gar nicht bedurft. Bei dieser Verfahrenskonstellation wäre das Gericht somit gem. § 244 Abs. 2 StPO zur Einholung eines Gutachtens verpflichtet gewesen, hätte es sich zur Negierung des ursprünglich bejahten hinreichenden Tatverdachts nicht des vom Beschwerdeführer in Auftrag gegebenen Gutachtens bedienen können. Aufgrund dieses Gutachtens erfolgte – wie den Urteilsgründen hinreichend zu entnehmen ist – schließlich der Freispruch des Verteidigers. Nachvollziehbare Gründe, weshalb bei einer solchen Sachverhaltskonstellation zwingend und ausschließlich die ex-ante-Bewertung des Beschuldigten maßgeblich sein sollte, vermag die Kammer nicht zu erkennen.
An seiner Rechtsauffassung fühlt sich das Gericht auch nicht durch die Entscheidung des OLG Stuttgart in NStZ-RR 2003, 127 gehindert, da der dort zugrunde liegende Verfahrensgegenstand von dem hier zu entscheidenden abweicht. Das OLG hatte nämlich über die Erstattungsfähigkeit der Auslagen für das In-die-Sitzung-Stellen eines Sachverständigen zu entscheiden. Die insoweit aufgestellten Grundsätze – insbesondere zur ausschließlichen Maßgeblichkeit der Ex-ante-Betrachtung – lassen sich schon wegen § 245 Abs. 2 StPO und der eingeschränkten gerichtlichen Möglichkeiten, die Anhörung eines präsenten Sachverständigen abzulehnen, nicht vollumfänglich auf die Einholung eines Privatgutachtens und den hier zu bescheidenden Verfahrensgang übertragen.“
Die Entscheidung ist zutreffend. Wenn man den Verfahrensgang liest, fragt man sich: Wenn nicht in diesem Fall eine Erstattung erfolgt, wann dann? Der Beschuldigte ist hier quasi in Vorlage für die Staatskasse getreten. Von daher kann man sich über die Stellungnahme der Bezirksrevisorin gegen die Festsetzung der Gutachterkosten nur wundern. IM Übrigen verweise ich zu den sich in dem Zusammenhang stellenden Fragen und zur Rechtsprechung auf Burhoff, Erstattungsfähigkeit von Kosten für Privatgutachten im Straf- oder Bußgeldverfahren, aus AGS 2023, 193.
Und: Als Verteidiger darf man in solchen Fällen nicht übersehen, seine Gebühren für das Beschwerdeverfahren geltend zu machen. Denn es entsteht in diesen Fällen nach Vorbem. 4 Abs. 5 Nr. 1 1. Alt. VV RVG eine Gebühr nach Nr. 3500 VV RVG (dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 7. Aufl. 2025, Vorbem. 4 VV Rn 120). Deren Höhe richtet sich nach dem Gegenstandswert, der sich nach dem Umfang richtet, in dem eine Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses beantragt wird (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 7. Aufl. 2025, Vorbem. 4 VV Rn 121). Das waren hier 1.931,37 EUR. Also ist hier eine Gebühr in Höhe von 88 EUR nebst Auslagen entstanden. Die sollte man nicht verschenken. Die Staatskasse verschenkt auch nichts.





