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Nr. 4142 VV RVG I: Verfahrensgebühr bei Einziehung. oder: Die Beratung des Mandanten reicht, aber…

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Und dann geht es hier dann weiter mit dem – eigentlichen – „Money-Day“, also Gebührenentscheidungen; der Beitrag zum AG Hameln, Beschl. v. 14.02.2022 – 49 OWi 23/22 (Einspruchseinlegung im OWi-Verfahren auch durch beA?, oder: Nein, sagt das AG Hameln) ist ja außer der Reihe gelaufen.

Ich stelle dann heute zum RVG zwei Entscheidungen zur Nr. 4142 VV RVG vor. Die Vorschrift spielt in der Rechtsprechung derzeit ja eine große Rolle.

Ich beginne mit dem nicht so schönen – oder besser: falschen – LG Magdeburg, Beschl. v. 04.02.2022 – 25 Qs 2/22. Dann haben wir das schon mal hinter uns.

Hier hatte die Staatsanwaltschaft gegen den Beschuldigten Anklage wegen Unterschlagung eines E-Mountainbikes im Wert von 4.500,00 EUR erhoben. Wegen dieser Tat ist der Beschuldigte dann auch durch das AG wegen Unterschlagung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Weder die Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft noch die Anklage der Staatsanwaltschaft Magdeburg noch das Urteil des Amtsgerichts enthalten Ausführungen hinsichtlich der Einziehung des Werts von Taterträgen im Sinne der § 73 ff. StGB. Der Pflichtverteidiger des Angeklagten hat im Rahmen der Vergütungsfestsetzung (dennoch) auch eine Gebühr Nr. 4142 VV RVG geltend gemacht, die damit begründet wurde, dass eine Erörterung der drohenden Einziehung des Werts des Erlangten über 4.500,00 Euro in der Hauptverhandlung mit dem Mandanten stattgefunden habe. Das AG hat die Gebühr nicht festgesetzt. Zur Begründung der Absetzung hat es ausgeführt, dass weder aus der Anklage noch dem weiteren Schriftverkehr bzw. der Hauptverhandlung erkennbar sei, dass die Einziehung von Wertersatz Gegenstand des Verfahrens gewesen sei. Dagegen das Rechtsmittel des Verteidigers, das beim LG keinen Erfolg hatte:

„Die Beschwerde ist in der Sache jedoch unbegründet. Streitgegenständlich ist lediglich noch die Absetzung der Gebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG durch das Amtsgericht Wernigerode, nachdem der Verteidiger in seinem Schriftsatz vom 2. September 2021 deutlich gemacht hat, dass keine Einwände gegen die Absetzung der Kosten für die Erstellung von Fotokopien erhoben werden sollen.

Die Absetzung der Gebühr gemäß § 4142 VV RVG durch das Amtsgericht mit seinem Beschluss vom 8. November 2021 erfolgte zu Recht. Auch die von der Verteidigung beigefügten Entscheidungen ändern nichts daran, dass eine Verfahrenslage, wie vom Verteidiger beschrieben, im vorliegenden Fall gerade nicht vorgelegen hat. Weder die Abschlussverfügung, noch die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Magdeburg — Zweigstelle Halberstadt — vom 5. Mai 2021 erwähnen in irgendeiner Form eine zu treffende Einziehungsentscheidung gemäß §§ 73 ff. StGB. Auch wurde im Rahmen der Hauptverhandlung, ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls vom 29. Juli 2021, in keiner Hinsicht eine etwaige Einziehung erörtert. Anders als in der Entscheidung des Landgerichts Kiel vom 12. Februar 2021 (Az.: I KLs 12/6) liegt hier ein Antrag in der Anklageschrift hinsichtlich der Einziehung von beschlagnahmten Gegenständen gerade nicht vor. Auch ist beim Amtsgericht Wernigerode, anders als im Rahmen der Entscheidung des Landgerichts Essen vom 2. Juni 2006 (Az.: 23 Qs 74/06), die Einziehung in der Hauptverhandlung gerade nicht zur Sprache gekommen. Des Weiteren liegt es, anders als im Rahmen der Entscheidung des Kammergerichts Berlin vom 18. Juli 2005 (Az.: 5 Ws 256/05) hier gerade nicht so, dass der Verteidiger durch seinen Einsatz eine von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht beabsichtigte Einziehung ganz oder teilweise verhindert hat. Hier gab es keinerlei Anlass, mit dem Mandanten eine Einziehung zu erörtern, da ersichtlich weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft die Einziehung beabsichtigt haben.“

In meinen Augen entweder Ignoranz des LG bzw. hatte offenbar der entscheidende Einzelrichter keine Lust, sich mit aktuellerer Rechtsprechung als aus den Jahren 2005 – 2007 zu befassen. Denn: Hätte das LG das getan, hätte es unschwer erkannt, dass die amtsgerichtliche Entscheidung falsch war und die Gebühr Nr. 4142 VV RVG hätte festgesetzt werden müssen. Man ist es leid und es ärgert einen, dass man immer wieder auf dieselben Fehler hinweisen muss, die bei der Festsetzung der Nr. 4142 VV RVG gemacht werden. Für die Gebühr kommet es nämlich – und das mag das LG bitte zur Kenntnis nehmen – nun nicht darauf an, was sich Staatsanwaltschaft und/oder AG gedacht. Sondern: Allein maßgeblich ist, ob eine Beratung des Mandanten durch den Verteidiger im Hinblick auf eine Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB geboten war oder nicht. Und das ist sie m.E. immer, wenn eine Einziehung in Betracht kommt. Der Verteidiger muss schon aus haftungsrechtlichen Gründen tätig werden, unabhängig davon ob Staatsanwaltschaft und/oder Gericht die Möglichkeit der Einziehung sehen. Daher war hier die Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG spätestens dann entstanden, als der Verteidiger den Mandanten bei der Besprechung im Ermittlungsverfahren auf diese ggf. drohende Nebenfolge hingewiesen hat. Das mag den Vertretern der Staatskasse und/oder den Gerichten missfallen, ist aber nun mal Folge der 2017 erfolgten Änderungen des Rechts der Einziehung in den 73 ff. StGB. Man hat das Einziehungsrecht verschärft, dann mag man bitte auch die sich daraus ergebenden gebührenrechtlichen Folgen tragen. Und da es sich bei der Nr. 4142 VV RVG um eine Verfahrensgebühr handelt, kommt es auch nicht darauf an, ob sich diese Tätigkeit des Verteidigers aus den Akten ergibt. Auch das ist gebührenrechtliches Grundwissen, über das man bei der Strafkammer offenbar nicht verfügt hat.

StrEG III: Verfahrenseinstellung nach § 170 StPO, oder: Keine Billigkeitsentscheidung – Cannabissamen aus NL?

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Und zum Tagesschluss dann noch zwei Entscheidungen zum StrEG, und zwar zur Entschädigung nach Einstellung gem. § 170 Abs. 2 StPO, und zwar:

Stellung genommen hat zunächst das LG Mainz im LG Mainz, Beschl. v. 11.01.2022 – 3 Qs 79/21 – zur Frage: Entschädigung in den Fällen der Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO nach § 2 StrEG oder nach § 3 StrEG. Das LG sagt:

„Da die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO daher nicht als Ermessensentscheidung erging (vgl. KK-StPO/Moldenhauer, 8. Aufl. 2019, S 170 Rn. 13 f.), bestimmt sich die Entschädigungspflicht insoweit nur nach § 2 StrEG — nicht auch § 3 StrEG —, so dass sie unabhängig von einer Abwägung der Umstände des Einzelfalls und von Billigkeitsgründen besteht. Entsprechendes gilt auch, soweit der angefochtene Beschluss eine Entschädigungspflicht für die stattgehabte Durchsuchung feststellte, denn diese war — rechtskräftig festgestellt — rechtswidrig, so dass die Erledigung eines daran anknüpfenden Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft einzig nach § 170 Abs. 2 StPO und wiederum ohne Ermessen, nämlich aus tatsächlichen Gründen — wegen fehlenden Anfangsverdachts (vgl. KK-StPO/Moldenhauert a.a.O. Rn. 18) — in Betracht kam.“

Und dann noch der LG Magdeburg, Beschl. v. 25.01.2022 – 21 Qs 1/22, das ebenfalls meint, dass ein Fall des § 3 StrEG, in dem eine Entschädigung lediglich nach Ermessen im Umfang der Billigkeit nach den Umständen des Falles gewährt werden kann, bei einer Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO nicht vorliegt. Zudem macht das LG ganz interessante Ausführungen zu § 5 Abs. 2 StrEG in den Fällen der Bestellung von Cannabissamen in den Niederlanden:

„Es kann dahinstehen, ob die Anwendung dieser Vorschrift nach einer Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO überhaupt darauf gestützt werden kann, dass der ehemals Beschuldigte sich aufgrund einer eigenen Würdigung des Akteninhalts durch das entscheidende Gericht in Wahrheit im Sinne des ursprünglichen Tatvorwurfs strafbar verhalten habe. Denn jedenfalls vorliegend ist ein solches Verhalten dem Akteninhalt bereits nicht mit der erforderlichen Gewissheit zu entnehmen. Zwar mag einiges für die Annahme sprechen, der ehemals Beschuldigte habe sich Cannabissamen aus den Niederlanden bestellt. Anders wäre die solche enthaltende an ihn adressierte Briefsendung kaum erklärlich. Jedoch stellt der Erwerb und Besitz von Cannabissamen nicht ohne weiteres vorwerfbares Verhalten dar. Nach Anlage I zum BtMG — Spiegelstrich „Cannabis“, Spiegelstich „ausgenommen“, Buchstabe a) — ist der Samen des Cannabis von den Betäubungsmitteln ausgenommen, sofern er nicht zum unerlaubten Anbau bestimmt ist. Hieraus folgt, dass verschiedene erlaubte Formen der Verwendung von Cannabissamen denkbar sind, etwa als Tierfutter (vgl. Patzak, in: Körner/PatzakNolkmer, Betäubungsmittelgesetz, 9. Auflage 2019, § 29, Rn. 37 <beck-online>). Da bei der Wohnungsdurchsuchung keine anderweitigen mit dem Anbau von Betäubungsmitteln in Verbindung stehenden Utensilien bei dem ehemals Beschuldigten gefunden wurden, kann eine Bestellung von Cannabissamen zu erlaubten Zwecken vorliegend auch nicht aus-geschlossen werden. Da der erlaubte Erwerb von Cannabissamen also in Betracht kommt, kann hierin auch keine grobe Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Einleitung einer Strafverfolgungsmaßnahme liegen. Zwar ist das Entstehen eines Anfangsverdachts gegen den Adressaten durch das Auffinden von Cannabissamen in einer Briefsendung nachvollziehbar, weil nach kriminalistischer Erfahrung aus den Niederlanden bestellte Cannabissamen häufig zum unerlaubten Anbau von — und in der Folge Besitz von und Handel mit — Cannabis verwendet werden. Dies kann jedoch vor dem Hintergrund der ausdrücklichen gesetzlichen Einschränkung der Einordnung von Cannabissamen als Betäubungsmittel nicht dazu führen, dass jeder Umgang mit solchen ohne weiteres bereits als grob fahrlässig in Bezug auf entsprechende Straf-verfolgungsmaßnahmen anzusehen wäre.“

Pflichti II: Rückwirkende Bestellung des Verteidigers?, oder: Akten schlummern vier Monate bei der Polizei

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Heute kann ich im Rahmen der Berichterstattung dann auch wieder über einige Entscheidungen zur nachträglichen/rückwirkenden Bestellugn berichten.

Und da verweise ich zunächst auf den LG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2022 – 25 Qs 8/22. Gegen den Beschuldigten ist/war ein Verfahren wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen anhängig. In dem zeigte der Verteidiger am 13.08.2021 – noch bei der Polizei – die Vertretung des Beschuldigten an und beantragte zugleich, diesem gem. § 140 Abs. 2 i.V.m. § 141 Abs. 1 Satz i.V.m. § 142 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO beigeordnet zu werden. Das Verfahren ging dann am 28.12.2021 bei der Staatsanwaltschaft ein, die das Verfahren am 12.01.2022 gemäß § 154 Abs. 1 StPO im Hinblick auf ein Urteil des AG Quedlinburg vom 13.09. 2021 einstellte. Die Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger wurde abgelehnt. Dagegen hat sich der Verteidiger mit der sofortigen Beschwerde gewendet, die beim LG keinen Erfolg hatte:

„Die gemäß §§ 142 Abs. 7 Satz 1, 311 StPO zulässige sofortige Beschwerde des Verteidigers ist in der Sache unbegründet.

Die Voraussetzung für eine nachträgliche Beiordnung des Verteidigers für den mittlerweile verstorbenen Beschuldigten gemäß §§ 140, 142 StPO liegen nicht vor. Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens – hier Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft Magdeburg Zweigstelle Halberstadt — am 12. Januar 2022 – ist einem Angeklagten (hier: Beschuldigten) rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn die sachlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorlagen und der Antrag auf Bestellung noch vor dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gestellt, aber nicht bzw. nicht vorab verbeschieden wurde (vgl. insoweit OLG Bamberg, 1. Strafsenat, Beschluss vom 29. April 2021, Az.: 1 Ws 260/21, Beck RS2021, 14711). Die Kammer schließt sich der Auffassung an, dass die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers dann zulässig ist, wenn die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 StPO vorlagen und die Entscheidung über den Beiordnungsantrag wesentlich verzögert wurde (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 6. November 2020, Az.: Ws 962/20). Ebenso vertritt auch das Landgericht Köln die Auffassung, dass von dem Ausschluss einer nachträglichen Bestellung zum Pflichtverteidiger dann eine Ausnahme zu machen sei, wenn trotz Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 140, 141 StPO über den rechtzeitig gestellten Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aus justizinternen Gründen nicht entschieden worden ist bzw. die Entscheidung eine wesentliche Verzögerung erfahren hat (vgl. Landgericht Köln, Beschluss vom 6. April 2021, Az.: 23 Qs 19/21, NStZ 2021, 639). Hier ist es zwar so, dass der Verteidiger für den Beschuldigten am 13. August 2021 den Beiordnungsantrag gestellt hat, mithin noch vor der Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft Magdeburg — Zweigstelle Halberstadt — am 12. Januar 2022. Jedoch ist insoweit eine justizinterne Verzögerung, die ausnahmsweise eine rückwirkende Beiordnung erlaubt hätte, nicht ersichtlich. Das Polizeirevier Halberstadt hat die Akten am 17. Dezember 2021 an die Staatsanwaltschaft abverfügt, bei der die Sache am 28. Dezember 2021 eingegangen ist. Bereits am 12. Januar 2022 erfolgte sodann die Einstellung im Hinblick auf ein Urteil des Amtsgerichts Quedlinburg vom 13. September 2021. Auch angesichts des Jahreswechsels erscheint ein Zeitraum von 15 Tagen durchaus angemessen und nicht verzögernd, das Verfahren durch eine Einstellung zu beenden, zumal es sich nicht um eine Haftsache handelte, Eine justizinterne Verzögerung ist daher nicht zu erkennen. Auch ist es unerheblich, ob die Entscheidung des Amtsgerichts Quedlinburg, auf die die Staatsanwaltschaft Magdeburg — Zweigstelle Halberstadt — im Rahmen ihrer Einstellungsverfügung vom 12. Januar 2022 Bezug genommen hat, bereits zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags des Verteidigers des Beschuldigten am 13. August 2021 ergangen ist oder nicht. Es kommt allein darauf an, ob über den rechtzeitig gestellten Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aus justizinternen Gründen nicht entschieden worden ist bzw. ob eine wesentliche Verzögerung seitens der Justiz eingetreten ist. Dies ist hier nicht der Fall, sodass eine rückwirkende Beiordnung des Pflichtverteidigers ausschied.“

Der Entscheidung muss man widersprechen. Zutreffend ist zwar der vom LG gewählte Ausgangspunkt zur rechtlichen Beurteilung der Frage der nachträglichen Beiordnung des Pflichtverteidigers. Es dürfte – zumindest wohl in der landgerichtlichen Rechtsprechung – inzwischen h.M. sein, dass eine nachträgliche Bestellung in Betracht kommt, wenn der Antrag auf gerichtliche Beiordnung vor Verfahrensabschluss gestellt wurde, die Voraussetzungen des § 140 StPO vorgelegen haben und aufgrund justizinterner Umstände eine rechtzeitige Bescheidung des Antrags unterblieben ist

Allerdings verkennt das LG m.E. dann die gesetzliche Regelung in den §§ 141, 142 StPO. Denn dort wird gerade nicht zwischen der Polizei und der Staatsanwaltschaft unterschieden, sondern die StPO geht davon aus, dass der Beiordnungsantrag selbstverständlich auch bei der Polizei angebracht werden kann (vgl. § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO). Dann ist er natürlich auch von den Polizeibehörden über die Staatsanwaltschaft dem Ermittlungsrichter zur Entscheidung zuzuleiten. Das ist hier offensichtlich nicht geschehen. Vielmehr hat die Polizei in Missachtung der nun wahrlich nicht mehr so neuen gesetzlichen Regelung in § 142 StPO die Übersendung der Akten an den Ermittlungsrichter vier Monate lang zurückgehalten, offenbar weiter ermittelt und einfach negiert, dass ein Beiordnungsantrag im Ermittlungsverfahren gestellt worden ist. Angesichts dieses Ablaufs lässt sich kaum noch von einer sachgerechten Handhabung seitens der Ermittlungsbehörden sprechen. Das LG verliert dazu kein Wort, sondern schein – inzidenter – davon auszugehen, dass das „polizeiliche Ermittlungsverfahren“ noch kein Ermittlungsverfahren ist und der Beschuldigter erst, wenn die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernommen hat im dann „echten“ Ermittlungsverfahren einen Anspruch auf unverzügliche Beiordnung eines Pflichtverteidigers hat. Das widerspricht aber ohne Zweifel dem Wortlaut des § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Termin II: Freie Termine bei Terminsnachfrage, ja, oder: Ladung mehr als drei Wochen später noch zu erwarten?

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Die zweite Entscheidung des Tages, der LG Magdeburg, Beschl. v. 09.09.2021 – 25 Qs 74/21 -, den mir der Kollege Siebers geschickt hat, hat folgenden Sachverhalt:

Das AG hat in einem Verfahren mit dem Vorwurf der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung Termin zur Hauptverhandlung auf den 29.09.2021 bestimmt, ohne dies mit den Verteidigern abgesprochen zu haben. Am 03.06.2021 beantragte der Verteidiger Terminsaufhebung wegen einer Verhinderung. Er führte aus, er habe am 29.09.2021 in einer Staatsschutzsache einen Termin vor dem OLG Stuttgart. Zudem wies er darauf hin. dass er bis weit in das Jahr 2022 hinein fast jede Woche von Dienstag bis Donnerstag vor dem OLG Stuttgart Mandantschaft vertrete, sodass er darum bitte. den neu anzuberaumenden Hauptverhandlungstermin mit seinem Sekretariat abzustimmen. Am 08.06.2021 teilte der Verteidiger des Angeklagten „noch“ in Betracht kommende Termine am 10.09.2021 und 22.10.2021 mit.

Mit Verfügung vom 16.06.2021 hat das AG dann den Hauptverhandlungstermin vom 29.09.2021 auf den 22.10.2021 verlegt. Zuvor hatte das AG nicht telefonisch Rücksprache mit dem Sekretariat des Verteidigers genommen oder mitgeteilt, dass dieser Tag für die Hauptverhandlung geplant worden sei. Vielmehr erfolgte der Versand der Umladung per Post. wobei die Verfügung erst am 209.6.2021 ausgeführt wurde. Dementsprechend ging die Umladung erst am 01.07.2021 bei dem Verteidiger ein. Noch am 01.07.2021 beantragte der Verteidiger die Aufhebung des Termins vom 22.10.2021, da er sich an diesem Tage in einer langfristig abgesprochenen Sache vor dem LG Braunschweig befinde. Zudem regte der Verteidiger an, einen neuen Termin zur Hauptverhandlung telefonisch mit seinem Sekretariat abzustimmen.

Das AG hat den Antrag auf Terminsaufhebung abgelehnt. Zur Begründung hat das AG darauf verwiesen, dass u.a. der 22.10.2021 ausdrücklich als freier Termine benannt worden sei. Zwischen der Mitteilung des Verteidigers und der Zustellung der Ladung hätten lediglich drei Wochen und zwei Tage gelegen. Zur Vermeidung einer Terminskollision sei es dem Verteidiger zudem zumutbar gewesen. sich beim AG ggfs. vor einer Terminszusage beim LG zu erkundigen, ob einer der mitgeteilten Termine bereits berücksichtigt worden sei. Der Verteidiger hat gegen die Nichtverlegung des Termins Beschwerde eingelegt. Die hatte beim LG Erfolg.

„Die zulässige Beschwerde des Verteidigers ist in der Sache auch begründet. Zu Recht hat der Verteidiger die Ablehnung der Terminsverlegung hinsichtlich des Hauptverhandlungstermins vom 22. Oktober 2021 durch das Amtsgericht Oschersleben gerügt. Zwar besagt § 305 StPO, dass Entscheidungen der erkennenden Gerichte, die der Urteilsfindung vorausgehen, nicht der Beschwerde unterliegen. Ausnahmefälle im Sinne von § 305 Satz 2 StPO liegen ersichtlich nicht vor. Mithin ist grundsätzlich die Ablehnung eines Terminsaufhebungsantrages nicht anfechtbar. Anderes gilt jedoch. wenn die Ablehnung der Aufhebung von Hauptverhandlungsterminen ermessensfehlerhaft erfolgte (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt. StPO, 64. Auflage. § 305. Rdn. 4). So liegen die Dinge hier. Das Amtsgericht Oschersleben hätte im Rahmen seiner Entscheidung über den Terminsaufhebungsantrag des Verteidigers vom 1. Juli 2021 berücksichtigen müssen. dass das Amtsgericht zwar „nur“ acht Tage gebraucht hat, um einen der beiden von dem Verteidiger vorgeschlagenen Termine auszuwählen und einen entsprechenden Hauptverhandlungstermin anzuberaumen. jedoch hätte es auch erkennen müssen. dass seit der Terminsladung und der Ausführung dieser Verfügung wiederum 13 Tage vergangen sind und demzufolge die Ladung erst am 1. Juli 2021 bei dem Verteidiger eingegangen ist. Wenn ein Verteidiger am 8. Juni 2021 freie Termine anbietet und es mehr als drei Wochen dauert, bis eine Ladung bei dem Verteidiger eingeht, muss dieser nicht mehr damit rechnen. dass einer der angebotenen Termine auch tatsächlich seitens des Gerichts berücksichtigt wird. Es hätte vielmehr dem Amtsgericht Oschersleben oblegen. bevor eine Zustellung der Ladung verfügt wurde, telefonisch dem Büro des Verteidigers mitzuteilen, dass der 22. Oktober 2021 als künftiger Hauptverhandlungstermin berücksichtigt wurde oder aber eine entsprechende Ladung per Fax zu übersenden. Es kann dem Verteidiger angesichts dieser Ungewissheit nicht zugemutet werden, über einen Zeitraum von über drei Wochen hinweg Termine — ohne Rückmeldung des Gerichts — vorzuhalten. Vor der Annahme des Termins beim Amtsgericht Oschersleben rückzufragen. ob einer der angebotenen Termine ausgewählt worden sei, übersteigt das einem Verteidiger Zumutbare, zumal es dem Gericht ein Leichtes gewesen wäre. zeitnah für eine „Blockierung“ des Termins zu sorgen. Insofern ist von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen. den Termin vom 22. Oktober 2021 zu verlegen. Deshalb war die Entscheidung des Amtsgerichts Oschersleben, den Antrag auf Terminsaufhebung am 15. Juli 2021 abzulehnen, ermessensfehlerhaft. Demnach war der Beschluss des Amtsgerichts Oschersleben vom 15. Juli 2021 aufzuheben.“

M.E. eine zutreffende Entscheidung, die die „Risiken“ richtig verteilt. Denn es liegt in der Tat nicht mehr in der Sphäre des Verteidigers, wenn dieser nach Mitteilung von freien Terminen – ohne gebeten worden zu sein, sie frei zu halten – diese Termine anderweitig „vergibt“. Wollte man das verlangen, würde über kurz oder lang jedes Verteidigerbüro blockiert sein. Vielmehr wird man von einem Gericht – wie hier das LG vom AG – wenn es schon acht Tage benötigt, um einen freien Termin auszuwählen, verlangen können, dass es dann den Verteidiger informiert oder für eine schnelle Zustellung der Ladung sorgt.

Pflichtverteidiger (nur) für den Haftprüfungstermin, oder: Gebühren wie ein Verteidiger

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Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den LG Magdeburg, Beschl. v. 16.07.2021 – 21 Qs 53/21 und 54/21. Ergangen ist der Beschluss, den mir der Kollege Reuleke aus Wernigerode geschickt hat, in einem Verfahren wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen u.a. In dem Verfahren spielt auch die EncroChat-Problamtik eine Rolle. Die interessiert mich aber weniger, da die Problematik für mich derzeit eh ein „alter Hut“ ist bzw. eine Problematik, in der sich bis wir eine BGH-Entscheidung und ggf. mehr vorliegen, nichts bewegt.

Mir geht es hier heute um die gebührenrechtliche Fragestellung, die in dem Beschluss (auch) angesprochen worden ist, und zwar hinsichtlich von Pflichtverteidigergebühren. Insoweit ist aus dem (umfangreichen) Sachverhalt Folgendes von Bedeutung:

Der Verteidiger G. des Beschuldigten konnte in dem auf seinen Antrag anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung über den Erlass eines von der Staatsanwaltschaft beantragten Haftbefehls wegen „Corona-Quarantäne“ nicht erscheinen. Das AG Wernigerode fasste daher im Rahmen des Termins, an dem ein Rechtsanwalt W. teilnahm, einen Beschluss des folgenden Inhalts: „Rechtsanwalt W. wird dem Beschuldigten für den heutigen Termin als Pflichtverteidiger beigeordnet.“ Das AG hat gegen den Beschuldigten dann den Haftbefehl erlassen.

Rechtsanwalt W. hat die Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren beantragt. Er hat u.a. Grundgebühr, Verfahrensgebühr und Terminsgebühr geltend gemacht. Das AG hat nur die Terminsgebühr festgesetzt. Die dagegen gerichtete Erinnerung hatte beim AG Erfolg. Das AG hat die Pflichtverteidigergebühren antragsgemäß festgesetzt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Landeskasse hatte keinen Erfolg:

„Das Amtsgericht hat dem Kostenfestsetzungsantrag von Rechtsanwalt W. zu Recht statt-gegeben.

Mit Beschluss vom 23.03.2021 ist Rechtsanwalt W. dem Beschuldigten für den Termin zur mündlichen Verhandlung und Haftbefehlsverkündung an diesem Tage als Pflichtverteidiger bei-geordnet worden.

Die auf diesen Termin beschränkte Beiordnung war zwar — nach dem seit 13.12.2019 geltenden Recht — rechtswidrig, weil §§ 140 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 143 StPO eine Pflichtverteidigerbestellung für das gesamte Verfahren vorsehen, die mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens oder durch Aufhebung mit gesonderten Beschluss endet. Dabei sieht § 143 Abs. 2 Satz 4 StPO ausdrücklich für die Fälle des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO vor, dass eine Aufhebung erfolgen soll, falls der Beschuldigte auf freien Fuß gesetzt wird — was hier nicht der Fall war. Auch war Rechtsanwalt W. nicht lediglich Terminsvertreter des verhinderten Rechtsanwalts G., was eine zeitlich befristete Bestellung gerechtfertigt hätte. Denn Rechtsanwalt G. war in der Sache noch nicht tätig und auch nicht beigeordnet worden, so dass der Beschuldigte bei dem Verhandlungstermin am 23.03.2021 noch keinen Verteidiger hatte.

Jedoch ist der in Bezug auf die zeitliche Begrenzung der Beiordnung rechtswidrige Beschluss vom 23.03.2021 nicht mit der sofortigen Beschwerde gemäß § 142 Abs. 7 StPO angefochten worden, so dass er mit seinem rechtswidrigen Inhalt Bestand hatte.

Dies ändert jedoch nichts daran, dass Rechtsanwalt W. die Gebühren eines Pflichtverteidigers vollumfänglich geltend machen kann. Denn auch der Pflichtverteidiger, der nur für einen Tag bzw. Termin bestellt ist, ist für diesen begrenzten Zeitraum umfassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte und -pflichten betraut. Daher kommt auch angesichts der zeitlichen Begrenzung der Beiordnung eine gebührenrechtliche Einstufung der Tätigkeit als Einzeltätigkeit nach Nr. 4102 VV RVG nicht in Betracht (vgl. LG Aachen, Beschluss vom 20.10.2020, Az. 60 Qs 47/20 rn.w.N. für den Terminsvertreter <juris>).“

Die Entscheidung ist m.E. zutreffend. Das LG setzt mit der Entscheidung seine Rechtsprechung zum alten Recht der Pflichtverteidigung fort- Danach hat das LG hat schon zum Rechtszustand vor Inkrafttreten des „Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung“ v. 10.12.2019 (BGBl I, S. 2128) die zutreffende Auffassung vertreten, dass der für einen Haftprüfungstermin gemäß § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO a.F. anstelle des Pflichtverteidigers beigeordnete Rechtsanwalt nicht nur Terminsvertreter i.e.S. ist, sondern Vollverteidiger und daher nicht nur die Terminsgebühr sondern auch Grundgebühr und Verfahrensgebühr zustehen (unzutreffend a.A. OLG Celle RVGreport 2019, 17 = StraFo 2018, 534 = JurBüro 2018, 580; LG Leipzig, RVGreport 2019, 338 = StraFo 2019, 439). Das gilt für das neue Recht nach wie vor bzw. erst recht. Denn nach § 141 Abs. 1 StPO wird dem Beschuldigten ein „Pflichtverteidiger bestellt“. Daher ist schon nach dem Wortlaut der Regelung keine Anwendung für Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG – Einzeltätigkeit. Das hat so auch das LG Aachen entschieden. Denn dort ist der Rechtsanwalt ebenfalls als Pflichtverteidiger bestellt worden und war – anders als das LG Magdeburg meint – nicht nur „Terminsvertreter“.