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Corona II: Quarantäne wegen positivem PCR-Test, oder: Kein Schmerzensgeld bei ggf. falschem Test

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Als zweite Entscheidung zu der Thematik aus dem Bereich „Corona“ stelle ich ein Verfahren vor, in dem das OLG Naumburg im OLG Naumburg, Beschl. v. 08.06.2022 – 5 U 35/22 – die Berufung gegen ein Urteil des LG Magdebrug zurückgewiesen hat. Die OLG Naumburg-Entscheidung habe ich im Volltext noch nicht gefunden, über sie haben bisher nur LTP und beck-online berichtet. Das zugrunde liegende LG Magdeburg, Urt. v. 01.92.2022 – 10 O 715/21 – habe ich aber vorliegen. Daher stelle ich das vor.

In dem Verfahren geht es um Schadensersatz wegen einer Quarantäneanordnung. Diese war gegen eine vierköpfige Familie aufgrund eines positiven PCR-Testergebnisses im April 2021 angeordnet worden. Alle waren ohne Symptome und haben behauptet, der Test sei falsch gewesen. Sie haben deshalb aus § 839 BGB 3.700 Euro pro Person Schmerzensgeld verlangt. Das LG hat die Klage abgewiesen und führt dazu u.a. aus:

„…. Bei dieser Quarantänemaßnahme handelt es sich entgegen der Auffassung der Kläger nicht etwa um eine Freiheitsentziehung, die in der Tat wohl nur mit richterlicher Genehmigung hätte erfolgen dürfen, sondern lediglich um eine Freiheitsbeschränkung. Denn den Klägern war es gestattet, während der Quarantäneanordnung in ihrer Häuslichkeit alles das zu tun und zu lassen, was sie wollten und über die vorhandenen technischen Medien auch Kontakt zur Außenwelt zu halten.

Eine feste zeitliche Grenze, ab der eine Freiheitseinschränkung als ausgleichspflichtig anzusehen wäre, gibt es nicht. Abzustellen ist vielmehr auf die konkrete Situation des Einzelfalls, bei der es insbesondere auch auf die Ausgestaltung und Intensität des Eingriffs sowie auf herabwürdigende Behandlungen und mögliche rufschädigende Wirkungen ankommt (vgl. LG Göttingen, Urteil vom 30. Januar 1990 – Aktenzeichen: 2 O 322/89 -, NJW 1991, 2.6, beck-online; LG Hannover, Urteil vom 20.08.2021 – Aktenzeichen: 8 O 2/21 -, zitiert nach juris). Daher kann aus dem bloßen Überschreiten der zeitlichen Grenzen, die in der Rechtsprechung als schmerzensgeldbegründend angesehen wurden (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 7. März 2018 – Aktenzeichen: 1 U 1025/17 -, zitiert nach juris: 13 Stunden in psychiatrischem Krankenhaus; Landgericht Göttingen, a.a.O.: 2 Stunden mit 400 weiteren Personen in einem Polizeikessel) nicht abgeleitet werden, dass vorliegend allein wegen der zweiwöchigen Dauer die Billigkeitsschwelle überschritten wurde. Denn die Quarantäne der Kläger unterscheidet sich in gravierender Weise von den genannten Fällen. Die Kläger mussten keine demütigenden Zwangsbehandlungen erdulden. Sie wurden nicht mit psychischen Zwangsmitteln an einem fremden Ort festgehalten, sondern konnten sich innerhalb ihrer Wohnung ohne Überwachung Dritter frei bewegen und ihren Tagesablauf in diesem Rahmen vollkommen frei bestimmen. Schließlich wurde ihre Freiheitsbeschränkung auch auf einen Umstand gegründet, der – anders als bei einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder bei einer Festnahme als möglicher Straftäter – nicht geeignet war, ihr Ansehen und ihren Ruf in der Gesellschaft zu gefährden.

Die von den Klägern vorgetragenen Beeinträchtigungen durch die Quarantäne sind auch nicht geeignet, einen Schmerzensgeldanspruch unter dem Aspekt des Ausgleichsgedankens zu begründen.

Denn die in der Klageschrift geschilderten Einschränkungen in der Lebensführung der Kläger sind dafür zu pauschal gehalten. Die Kläger haben nicht konkret dargelegt, welche sozialen Einschränkungen und welche psychischen Belastungen sie durch die Quarantäne erlitten haben wollen. Konkret haben die Kläger lediglich vorgetragen, dass sie keinen Zugang zur Natur und keine Möglichkeit gehabt hätten, im Freien sportliche Aktivitäten auszuführen. Diese geschilderten Umstände sind jedoch nicht ausreichend, um ein Überschreiten der Geringfügigkeitsschwelle begründen zu können. Die angeordnete Quarantäne hatte eine Dauer von lediglich 14 Tagen. Die Kläger mussten daher für einen Zeitraum zuhause bleiben, wie er auch unter normalen Umständen, z.B. bei einem hinreichenden Auskurieren einer Grippe, eintreten kann. Zudem hätten die Kläger, da sie ja nach eigenem Bekunden symptomfrei waren, auch sportliche Aktivitäten innerhalb ihrer Wohnung durchführen können.

Der Vortrag der Kläger, die Beklagte habe gegen ihre Amtspflichten verstoßen, da sie auch den positiven PCR-Test an das RKI weitergeleitet habe, obwohl sie wisse, dass bei dem überwiegenden Teil der positiv getesteten Personen keine Infektion vorliege und dennoch den positiven PCR-Test dem RKI übermittelt habe, damit die Inzidenz gefälscht werde, ist nicht geeignet, einen Schmerzensgeldanspruch unter dem Aspekt der Genugtuungsfunktion zu begründen.

Denn die Beklagte konnte aufgrund der Pandemielage und der von Bund und den Ländern deswegen getroffenen Maßnahmen sowie der wissenschaftlichen Expertise beim RKI davon ausgehen, dass ein PCR-Test fundierte Ergebnisse für das Bestehen oder Nichtbestehen einer Infektion liefert und sich auch hierauf ohne weitere ärztliche Untersuchungen des Testergebnisses verlassen.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat mit Beschluss vom 20. April 2021 – Aktenzeichen: 1 S 1121/21 -, zitiert nach juris, insoweit ausgeführt:

„Der Senat geht davon aus, dass es sich bei einem PCR-Test um ein geeignetes Instrument handelt, das Vorliegen einer akuten SARS-CoV-2-Infektion zu ermitteln. Bei korrekter Durchführung der Tests und fachkundiger Beurteilung der Ergebnisse ist von einer sehr geringen Zahl falsch positiver Befunde auszugehen, denn aufgrund des Funktionsprinzips von PCR-Tests und hohen Qualitätsanforderungen liegt die analytische Spezifität bei korrekter Durchführung und Bewertung bei nahezu 100 %. Die Herausgabe eines klinischen Befundes unterliegt einer fachkundigen Validierung und schließt im klinischen Setting Anamnese und Differenzialdiagnosen ein. In der Regel werden nicht plausible Befunde in der Praxis durch Testwiederholung oder durch zusätzliche Testverfahren bestätigt bzw. verworfen. Die aufgestellte Behauptung, in 71,12 % der Fälle sei das Testergebnis offensichtlich falsch, entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage“.

Diese Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg gibt auch die insoweit einhellige Rechtsprechung der übrigen Verwaltungsgerichtshöfe bzw. Oberverwaltungsgerichte der Länder wieder. Die von den Klägern dargelegte gegenteilige Auffassung der Professorin Dr. K. von der Universitätsklinik W.burg stellt insoweit eine absolute Mindermeinung dar und ist daher unbeachtlich……“

Pflichti II: Kleine „Pflichti-Rechtsprechungsübersicht“, oder: Zwei Verteidiger, Rückwirkung und Aufhebung

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Im zweiten Posting dann eine Zusammenstellung verschiedender Entscheidungen aus der letzten Zeit. M.E. reichen hier die Leitsätze.

Und zwar zunächst der Hinweis auf den BGH, Beschl. v. 05.05.2022 – StB 16/22 – zum weiteren Pflichtverteidiger, mit dem der BGH seine Rechtsprechung im BGH, Beschl. v. 24.03.2022 – StB 5/22 – bestätigt:

Nach ihrem Wortlaut hat die Vorschrift des § 144 StPO zur zentralen Voraussetzung, dass die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers erfordert. Eine solche Bestellung ist somit nicht schon dann geboten, wenn sie eine das weitere Verfahren sichernde Wirkung hat, also grundsätzlich zur Verfahrenssicherung geeignet ist. Vielmehr muss die Bestellung eines Sicherungsverteidigers zum Zeitpunkt ihrer Anordnung zur Sicherung der zügigen Verfahrensdurchführung notwendig sein. Die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers als Sicherungsverteidiger ist daher lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen.

Als zweite Entscheidung dann der – schon etwas ältere – LG Bonn, Beschl. v. 01.03.2022 – 63 Qs 7/22 – u.a. noch einmal zur rückwirkenden Bestellung, und zwar mit folgenden Leitsätzen:

    1. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers kommt nach Einstellung des Verfahrens grundsätzlich nicht mehr in Betracht. Dies kann im Einzelfall anders zu beurteilen sein, etwa wenn der Abweisung des Antrags auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers eine sachlich nicht gerechtfertigte, erhebliche Verzögerung der Verfahrensbehandlung vorausgegangen ist.
    2. Bei einer Straferwartung um ein Jahr Freiheitsstrafe ist – auch wenn deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden sollte – regelmäßig von einer Schwere der Tat i.S.v. § 140 Abs. 2 StPO auszugehen.

Und dann als letztes hier der LG Magdeburg, Beschl. v. 11.05.2022 – 25 Qs 33/22 – zur Frage der Aufhebung der Pflichtverteidigebestellung in den Fällen der Haftentlassung. Das LG bestätigt die bisherige Rechtsprechung:

In den Fällen der Pflichtverteidigeraufhebung wegen Haftentlassung ist im Rahmen des insoweit eingeräumten Ermessens stets sorgfältig zu prüfen, ob die frühere mit dem Umstand der Inhaftierung verbundene Behinderung des Angeklagten in seinen originären Verteidigungsrechten und -möglichkeiten entfallen ist oder diese Einschränkung des Angeklagten trotz Aufhebung der Haft fortbesteht und deshalb eine weitere Unterstützung durch einen Verteidiger erfordert.

Nr. 4142 VV RVG I: Verfahrensgebühr bei Einziehung. oder: Die Beratung des Mandanten reicht, aber…

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Und dann geht es hier dann weiter mit dem – eigentlichen – „Money-Day“, also Gebührenentscheidungen; der Beitrag zum AG Hameln, Beschl. v. 14.02.2022 – 49 OWi 23/22 (Einspruchseinlegung im OWi-Verfahren auch durch beA?, oder: Nein, sagt das AG Hameln) ist ja außer der Reihe gelaufen.

Ich stelle dann heute zum RVG zwei Entscheidungen zur Nr. 4142 VV RVG vor. Die Vorschrift spielt in der Rechtsprechung derzeit ja eine große Rolle.

Ich beginne mit dem nicht so schönen – oder besser: falschen – LG Magdeburg, Beschl. v. 04.02.2022 – 25 Qs 2/22. Dann haben wir das schon mal hinter uns.

Hier hatte die Staatsanwaltschaft gegen den Beschuldigten Anklage wegen Unterschlagung eines E-Mountainbikes im Wert von 4.500,00 EUR erhoben. Wegen dieser Tat ist der Beschuldigte dann auch durch das AG wegen Unterschlagung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Weder die Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft noch die Anklage der Staatsanwaltschaft Magdeburg noch das Urteil des Amtsgerichts enthalten Ausführungen hinsichtlich der Einziehung des Werts von Taterträgen im Sinne der § 73 ff. StGB. Der Pflichtverteidiger des Angeklagten hat im Rahmen der Vergütungsfestsetzung (dennoch) auch eine Gebühr Nr. 4142 VV RVG geltend gemacht, die damit begründet wurde, dass eine Erörterung der drohenden Einziehung des Werts des Erlangten über 4.500,00 Euro in der Hauptverhandlung mit dem Mandanten stattgefunden habe. Das AG hat die Gebühr nicht festgesetzt. Zur Begründung der Absetzung hat es ausgeführt, dass weder aus der Anklage noch dem weiteren Schriftverkehr bzw. der Hauptverhandlung erkennbar sei, dass die Einziehung von Wertersatz Gegenstand des Verfahrens gewesen sei. Dagegen das Rechtsmittel des Verteidigers, das beim LG keinen Erfolg hatte:

„Die Beschwerde ist in der Sache jedoch unbegründet. Streitgegenständlich ist lediglich noch die Absetzung der Gebühr gemäß Nr. 4142 VV RVG durch das Amtsgericht Wernigerode, nachdem der Verteidiger in seinem Schriftsatz vom 2. September 2021 deutlich gemacht hat, dass keine Einwände gegen die Absetzung der Kosten für die Erstellung von Fotokopien erhoben werden sollen.

Die Absetzung der Gebühr gemäß § 4142 VV RVG durch das Amtsgericht mit seinem Beschluss vom 8. November 2021 erfolgte zu Recht. Auch die von der Verteidigung beigefügten Entscheidungen ändern nichts daran, dass eine Verfahrenslage, wie vom Verteidiger beschrieben, im vorliegenden Fall gerade nicht vorgelegen hat. Weder die Abschlussverfügung, noch die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Magdeburg — Zweigstelle Halberstadt — vom 5. Mai 2021 erwähnen in irgendeiner Form eine zu treffende Einziehungsentscheidung gemäß §§ 73 ff. StGB. Auch wurde im Rahmen der Hauptverhandlung, ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls vom 29. Juli 2021, in keiner Hinsicht eine etwaige Einziehung erörtert. Anders als in der Entscheidung des Landgerichts Kiel vom 12. Februar 2021 (Az.: I KLs 12/6) liegt hier ein Antrag in der Anklageschrift hinsichtlich der Einziehung von beschlagnahmten Gegenständen gerade nicht vor. Auch ist beim Amtsgericht Wernigerode, anders als im Rahmen der Entscheidung des Landgerichts Essen vom 2. Juni 2006 (Az.: 23 Qs 74/06), die Einziehung in der Hauptverhandlung gerade nicht zur Sprache gekommen. Des Weiteren liegt es, anders als im Rahmen der Entscheidung des Kammergerichts Berlin vom 18. Juli 2005 (Az.: 5 Ws 256/05) hier gerade nicht so, dass der Verteidiger durch seinen Einsatz eine von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht beabsichtigte Einziehung ganz oder teilweise verhindert hat. Hier gab es keinerlei Anlass, mit dem Mandanten eine Einziehung zu erörtern, da ersichtlich weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft die Einziehung beabsichtigt haben.“

In meinen Augen entweder Ignoranz des LG bzw. hatte offenbar der entscheidende Einzelrichter keine Lust, sich mit aktuellerer Rechtsprechung als aus den Jahren 2005 – 2007 zu befassen. Denn: Hätte das LG das getan, hätte es unschwer erkannt, dass die amtsgerichtliche Entscheidung falsch war und die Gebühr Nr. 4142 VV RVG hätte festgesetzt werden müssen. Man ist es leid und es ärgert einen, dass man immer wieder auf dieselben Fehler hinweisen muss, die bei der Festsetzung der Nr. 4142 VV RVG gemacht werden. Für die Gebühr kommet es nämlich – und das mag das LG bitte zur Kenntnis nehmen – nun nicht darauf an, was sich Staatsanwaltschaft und/oder AG gedacht. Sondern: Allein maßgeblich ist, ob eine Beratung des Mandanten durch den Verteidiger im Hinblick auf eine Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB geboten war oder nicht. Und das ist sie m.E. immer, wenn eine Einziehung in Betracht kommt. Der Verteidiger muss schon aus haftungsrechtlichen Gründen tätig werden, unabhängig davon ob Staatsanwaltschaft und/oder Gericht die Möglichkeit der Einziehung sehen. Daher war hier die Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG spätestens dann entstanden, als der Verteidiger den Mandanten bei der Besprechung im Ermittlungsverfahren auf diese ggf. drohende Nebenfolge hingewiesen hat. Das mag den Vertretern der Staatskasse und/oder den Gerichten missfallen, ist aber nun mal Folge der 2017 erfolgten Änderungen des Rechts der Einziehung in den 73 ff. StGB. Man hat das Einziehungsrecht verschärft, dann mag man bitte auch die sich daraus ergebenden gebührenrechtlichen Folgen tragen. Und da es sich bei der Nr. 4142 VV RVG um eine Verfahrensgebühr handelt, kommt es auch nicht darauf an, ob sich diese Tätigkeit des Verteidigers aus den Akten ergibt. Auch das ist gebührenrechtliches Grundwissen, über das man bei der Strafkammer offenbar nicht verfügt hat.

StrEG III: Verfahrenseinstellung nach § 170 StPO, oder: Keine Billigkeitsentscheidung – Cannabissamen aus NL?

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Und zum Tagesschluss dann noch zwei Entscheidungen zum StrEG, und zwar zur Entschädigung nach Einstellung gem. § 170 Abs. 2 StPO, und zwar:

Stellung genommen hat zunächst das LG Mainz im LG Mainz, Beschl. v. 11.01.2022 – 3 Qs 79/21 – zur Frage: Entschädigung in den Fällen der Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO nach § 2 StrEG oder nach § 3 StrEG. Das LG sagt:

„Da die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO daher nicht als Ermessensentscheidung erging (vgl. KK-StPO/Moldenhauer, 8. Aufl. 2019, S 170 Rn. 13 f.), bestimmt sich die Entschädigungspflicht insoweit nur nach § 2 StrEG — nicht auch § 3 StrEG —, so dass sie unabhängig von einer Abwägung der Umstände des Einzelfalls und von Billigkeitsgründen besteht. Entsprechendes gilt auch, soweit der angefochtene Beschluss eine Entschädigungspflicht für die stattgehabte Durchsuchung feststellte, denn diese war — rechtskräftig festgestellt — rechtswidrig, so dass die Erledigung eines daran anknüpfenden Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft einzig nach § 170 Abs. 2 StPO und wiederum ohne Ermessen, nämlich aus tatsächlichen Gründen — wegen fehlenden Anfangsverdachts (vgl. KK-StPO/Moldenhauert a.a.O. Rn. 18) — in Betracht kam.“

Und dann noch der LG Magdeburg, Beschl. v. 25.01.2022 – 21 Qs 1/22, das ebenfalls meint, dass ein Fall des § 3 StrEG, in dem eine Entschädigung lediglich nach Ermessen im Umfang der Billigkeit nach den Umständen des Falles gewährt werden kann, bei einer Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO nicht vorliegt. Zudem macht das LG ganz interessante Ausführungen zu § 5 Abs. 2 StrEG in den Fällen der Bestellung von Cannabissamen in den Niederlanden:

„Es kann dahinstehen, ob die Anwendung dieser Vorschrift nach einer Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO überhaupt darauf gestützt werden kann, dass der ehemals Beschuldigte sich aufgrund einer eigenen Würdigung des Akteninhalts durch das entscheidende Gericht in Wahrheit im Sinne des ursprünglichen Tatvorwurfs strafbar verhalten habe. Denn jedenfalls vorliegend ist ein solches Verhalten dem Akteninhalt bereits nicht mit der erforderlichen Gewissheit zu entnehmen. Zwar mag einiges für die Annahme sprechen, der ehemals Beschuldigte habe sich Cannabissamen aus den Niederlanden bestellt. Anders wäre die solche enthaltende an ihn adressierte Briefsendung kaum erklärlich. Jedoch stellt der Erwerb und Besitz von Cannabissamen nicht ohne weiteres vorwerfbares Verhalten dar. Nach Anlage I zum BtMG — Spiegelstrich „Cannabis“, Spiegelstich „ausgenommen“, Buchstabe a) — ist der Samen des Cannabis von den Betäubungsmitteln ausgenommen, sofern er nicht zum unerlaubten Anbau bestimmt ist. Hieraus folgt, dass verschiedene erlaubte Formen der Verwendung von Cannabissamen denkbar sind, etwa als Tierfutter (vgl. Patzak, in: Körner/PatzakNolkmer, Betäubungsmittelgesetz, 9. Auflage 2019, § 29, Rn. 37 <beck-online>). Da bei der Wohnungsdurchsuchung keine anderweitigen mit dem Anbau von Betäubungsmitteln in Verbindung stehenden Utensilien bei dem ehemals Beschuldigten gefunden wurden, kann eine Bestellung von Cannabissamen zu erlaubten Zwecken vorliegend auch nicht aus-geschlossen werden. Da der erlaubte Erwerb von Cannabissamen also in Betracht kommt, kann hierin auch keine grobe Fahrlässigkeit im Hinblick auf die Einleitung einer Strafverfolgungsmaßnahme liegen. Zwar ist das Entstehen eines Anfangsverdachts gegen den Adressaten durch das Auffinden von Cannabissamen in einer Briefsendung nachvollziehbar, weil nach kriminalistischer Erfahrung aus den Niederlanden bestellte Cannabissamen häufig zum unerlaubten Anbau von — und in der Folge Besitz von und Handel mit — Cannabis verwendet werden. Dies kann jedoch vor dem Hintergrund der ausdrücklichen gesetzlichen Einschränkung der Einordnung von Cannabissamen als Betäubungsmittel nicht dazu führen, dass jeder Umgang mit solchen ohne weiteres bereits als grob fahrlässig in Bezug auf entsprechende Straf-verfolgungsmaßnahmen anzusehen wäre.“

Pflichti II: Rückwirkende Bestellung des Verteidigers?, oder: Akten schlummern vier Monate bei der Polizei

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Heute kann ich im Rahmen der Berichterstattung dann auch wieder über einige Entscheidungen zur nachträglichen/rückwirkenden Bestellugn berichten.

Und da verweise ich zunächst auf den LG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2022 – 25 Qs 8/22. Gegen den Beschuldigten ist/war ein Verfahren wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen anhängig. In dem zeigte der Verteidiger am 13.08.2021 – noch bei der Polizei – die Vertretung des Beschuldigten an und beantragte zugleich, diesem gem. § 140 Abs. 2 i.V.m. § 141 Abs. 1 Satz i.V.m. § 142 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO beigeordnet zu werden. Das Verfahren ging dann am 28.12.2021 bei der Staatsanwaltschaft ein, die das Verfahren am 12.01.2022 gemäß § 154 Abs. 1 StPO im Hinblick auf ein Urteil des AG Quedlinburg vom 13.09. 2021 einstellte. Die Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger wurde abgelehnt. Dagegen hat sich der Verteidiger mit der sofortigen Beschwerde gewendet, die beim LG keinen Erfolg hatte:

„Die gemäß §§ 142 Abs. 7 Satz 1, 311 StPO zulässige sofortige Beschwerde des Verteidigers ist in der Sache unbegründet.

Die Voraussetzung für eine nachträgliche Beiordnung des Verteidigers für den mittlerweile verstorbenen Beschuldigten gemäß §§ 140, 142 StPO liegen nicht vor. Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens – hier Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft Magdeburg Zweigstelle Halberstadt — am 12. Januar 2022 – ist einem Angeklagten (hier: Beschuldigten) rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn die sachlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorlagen und der Antrag auf Bestellung noch vor dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gestellt, aber nicht bzw. nicht vorab verbeschieden wurde (vgl. insoweit OLG Bamberg, 1. Strafsenat, Beschluss vom 29. April 2021, Az.: 1 Ws 260/21, Beck RS2021, 14711). Die Kammer schließt sich der Auffassung an, dass die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers dann zulässig ist, wenn die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 StPO vorlagen und die Entscheidung über den Beiordnungsantrag wesentlich verzögert wurde (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 6. November 2020, Az.: Ws 962/20). Ebenso vertritt auch das Landgericht Köln die Auffassung, dass von dem Ausschluss einer nachträglichen Bestellung zum Pflichtverteidiger dann eine Ausnahme zu machen sei, wenn trotz Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 140, 141 StPO über den rechtzeitig gestellten Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aus justizinternen Gründen nicht entschieden worden ist bzw. die Entscheidung eine wesentliche Verzögerung erfahren hat (vgl. Landgericht Köln, Beschluss vom 6. April 2021, Az.: 23 Qs 19/21, NStZ 2021, 639). Hier ist es zwar so, dass der Verteidiger für den Beschuldigten am 13. August 2021 den Beiordnungsantrag gestellt hat, mithin noch vor der Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft Magdeburg — Zweigstelle Halberstadt — am 12. Januar 2022. Jedoch ist insoweit eine justizinterne Verzögerung, die ausnahmsweise eine rückwirkende Beiordnung erlaubt hätte, nicht ersichtlich. Das Polizeirevier Halberstadt hat die Akten am 17. Dezember 2021 an die Staatsanwaltschaft abverfügt, bei der die Sache am 28. Dezember 2021 eingegangen ist. Bereits am 12. Januar 2022 erfolgte sodann die Einstellung im Hinblick auf ein Urteil des Amtsgerichts Quedlinburg vom 13. September 2021. Auch angesichts des Jahreswechsels erscheint ein Zeitraum von 15 Tagen durchaus angemessen und nicht verzögernd, das Verfahren durch eine Einstellung zu beenden, zumal es sich nicht um eine Haftsache handelte, Eine justizinterne Verzögerung ist daher nicht zu erkennen. Auch ist es unerheblich, ob die Entscheidung des Amtsgerichts Quedlinburg, auf die die Staatsanwaltschaft Magdeburg — Zweigstelle Halberstadt — im Rahmen ihrer Einstellungsverfügung vom 12. Januar 2022 Bezug genommen hat, bereits zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags des Verteidigers des Beschuldigten am 13. August 2021 ergangen ist oder nicht. Es kommt allein darauf an, ob über den rechtzeitig gestellten Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aus justizinternen Gründen nicht entschieden worden ist bzw. ob eine wesentliche Verzögerung seitens der Justiz eingetreten ist. Dies ist hier nicht der Fall, sodass eine rückwirkende Beiordnung des Pflichtverteidigers ausschied.“

Der Entscheidung muss man widersprechen. Zutreffend ist zwar der vom LG gewählte Ausgangspunkt zur rechtlichen Beurteilung der Frage der nachträglichen Beiordnung des Pflichtverteidigers. Es dürfte – zumindest wohl in der landgerichtlichen Rechtsprechung – inzwischen h.M. sein, dass eine nachträgliche Bestellung in Betracht kommt, wenn der Antrag auf gerichtliche Beiordnung vor Verfahrensabschluss gestellt wurde, die Voraussetzungen des § 140 StPO vorgelegen haben und aufgrund justizinterner Umstände eine rechtzeitige Bescheidung des Antrags unterblieben ist

Allerdings verkennt das LG m.E. dann die gesetzliche Regelung in den §§ 141, 142 StPO. Denn dort wird gerade nicht zwischen der Polizei und der Staatsanwaltschaft unterschieden, sondern die StPO geht davon aus, dass der Beiordnungsantrag selbstverständlich auch bei der Polizei angebracht werden kann (vgl. § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO). Dann ist er natürlich auch von den Polizeibehörden über die Staatsanwaltschaft dem Ermittlungsrichter zur Entscheidung zuzuleiten. Das ist hier offensichtlich nicht geschehen. Vielmehr hat die Polizei in Missachtung der nun wahrlich nicht mehr so neuen gesetzlichen Regelung in § 142 StPO die Übersendung der Akten an den Ermittlungsrichter vier Monate lang zurückgehalten, offenbar weiter ermittelt und einfach negiert, dass ein Beiordnungsantrag im Ermittlungsverfahren gestellt worden ist. Angesichts dieses Ablaufs lässt sich kaum noch von einer sachgerechten Handhabung seitens der Ermittlungsbehörden sprechen. Das LG verliert dazu kein Wort, sondern schein – inzidenter – davon auszugehen, dass das „polizeiliche Ermittlungsverfahren“ noch kein Ermittlungsverfahren ist und der Beschuldigter erst, wenn die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernommen hat im dann „echten“ Ermittlungsverfahren einen Anspruch auf unverzügliche Beiordnung eines Pflichtverteidigers hat. Das widerspricht aber ohne Zweifel dem Wortlaut des § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO.