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Pflichti I: Eröffnung des Tatvorwurfs, oder: Egal, woher du den Tatverdacht erfahren hast

Heute dann gleich noch einmal ein Pflichtverteidigungstag. Heute dann aber mit zwei Entscheidungen zum Verfahrensrecht in Zusammenhang mit den §§ 140 ff. StPO.

Und die erste aus dem Bereich kommt mal wieder vom LG Magdeburg, stammt also vom Kollegen Funck aus Braunschweig. Das LG hat im LG Magdeburg, Beschl. v. 24.07.2020 – 25 Qs 65/20 – zum Begriff der Eröffnung des Tatvorwurfs“ in § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO und zur Einstellung nach § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO Stellung genommen.

Das AG hatte die Bestellung des Kollegen u.a. deshlab abgelehnt, da dem Mandanten der Tatvorwurf nicht eröffnet sei. Dazu dann das LG, das den Kollegen bestellt hat:

„In den Fällen der notwendigen Verteidigung wird dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, gemäß § 141 Abs. 1 S. 1 StPO unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO liegt vor, da sich der in dieser Sache noch unverteidigte Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Antragsstellung am 31. März 2020 in Haft in der JVA Halle befand.

Dem Beschwerdeführer war zu diesem Zeitpunkt bereits der Tatvorwurf i. S. v. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO eröffnet. Für die Eröffnung des Tatvorwurfes genügt es, dass der Beschuldigte durch amtliche Mitteilung oder auf sonstige Art und Weise vom Tatverdacht gegen ihn Kenntnis erlangt hat. Die Auslegung, nach welcher unter der Eröffnung des Tatvorwurfes i. S. v. § 141 Abs. 1 StPO nur die förmliche Mitteilung i. S. v. §§ 136, 163 a StPO verstanden wird, ist aus Sicht der Kammer unter Beachtung der Neuregelung der Vorschriften zur Bestellung eines Pflichtverteidigers zu eng. Die Gesetzgebungsmaterialien nehmen ausdrücklich Bezug auf Art. 2 Abs. 1 RL (EU) 2016/1919 über Prozesskostenhilfe in Strafverfahren und Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls (RL 2016/1919/EU v. 7. Juli 2020, bar. ABI. 2017 Nr. L 91 S. 40) i. V. m. Art. 2 Abs. 1 S. 1 RL 2013/48/EU über Rechtsbeistand in Strafverfahren und Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls (RL 2013/48/EU v. 22. Oktober 2013, ABI. Nr. L 294 S. 1), nach welchem gerade nicht die förmliche Mitteilung verlangt wird, so dass eine richtlinienkonforme Auslegung des Begriffes geboten ist (BeckOK StPO/Krawczyk, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 141 Rn. 4). Inwieweit der Beschuldigte schon Kenntnis hat, hängt daher nicht von einer förmlichen Beschuldigtenvernehmung ab, sondern davon, ob er tatsächlich Kenntnis hat bzw. hatte. Der Vermerk der Staatsanwaltschaft Magdeburg vom 12. März 2019 zur Sitzung vom 21. Januar 2019 lässt den Schluss zu, dass dem Beschwerdeführer bereits in der Hauptverhandlung – Az.: 13 Ls 233 Js 26233/18 (645/18) – tatsächlich bekannt geworden ist, dass gegen ihn ein Verfahren wegen Anstiftung zur falschen uneidlichen Aussage angestrebt werden könnte, da er bei der Vernehmung der Zeugin pp. auf die der Tatverdacht durch die Staatsanwaltschaft Magdeburg gestützt wird, anwesend war. Jenes stützt im Ergebnis auch der Brief des Beschwerdeführers vom 27. Mai 2020.

Der § 141 Abs. 2 S. 3 StPO ist vorliegend nicht einschlägig, da diese Norm ausdrücklich nur auf die Fälle des § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 StPO angewendet werden kann. Vorliegend richtet sich die Bestellung jedoch nach § 141 Abs. 1 StPO. Eine entsprechende Anwendung von § 141 Abs. 2 S. 3 StPO auf § 141 Abs. 1 i. V. m. § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO erachtet die Kammer aufgrund der ausdrücklichen Beschränkung auf § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 StPO für nicht geboten. Aber auch bei entsprechender Anwendung der Vorschrift dürften deren Voraussetzungen nicht erfüllt sein, da aufgrund der bisherigen Zeitdauer und der äußerst ungewissen Zeitspanne bis zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens in Abhängigkeit des Ausganges des Wiederaufnahmeverfahrens in der Sache 333 Js 26233/18 jedenfalls nicht mehr von einer alsbald beabsichtigten Einstellung gesprochen werden kann.“

Pflichti III: „Beiordnungsbündel“, oder: Höhere Freiheitsstrafe, Akteneinsicht und SV-Gutachten

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Die dritte Entscheidung, den LG Magdeburg, Beschl. v. 24.07.2020 – 25 Qs 722 Js 17549/20 (74/20) – hat mir mal wieder der Kollege Funck aus Braunschweig geschickt.

Das LG hat auf seine sofortige Beschwerde in einem Verfahren mit dem Vorwurf gegen die Angeklagte, zwei Diebstahlstaten begangen zu haben, den Kollegen aus Pflichtverteidiger beigeordnet. Dazu stützt sich das LG auf mehrere Gründe:

„Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg, da die Beschwerdeführerin einen Anspruch auf Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 141 Abs. 1 StPO hat.

Die Voraussetzungen sind erfüllt. Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO vor, da bereits die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers gebietet. Zwar gibt nicht schon jede Freiheitsstrafe Anlass zur Bestellung eines Pflichtverteidigers. Jedoch kann eine zu erwartende Freiheitsstrafe über einem Jahr in der Regel die Mitwirkung eines Verteidigers gebieten (Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl., § 140, Rn. 23 a). So liegt es hier. Der Beschwerdeführerin wird die tatmehrheitliche Begehung von zwei Diebstählen vorgeworfen. Der Diebstahl wird gemäß § 242 Abs. 1 StGB mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Gelstrafe bestraft. Dabei ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der tatmehrheitlichen Begehung eine Gesamtstrafe gemäß § 53 StGB zu bilden sein wird und die Beschwerdeführerin bereits mehrfach einschlägig vorbestraft ist, wobei sie bereits mehrfach zu Freiheitsstrafen, auch Freiheitsstrafen von einem Jahr, verurteilt worden ist.

Daneben gebietet aber auch die Schwierigkeit der Sachlage die Mitwirkung eines Verteidigers, da die Beschwerdeführerin, anders als ihr Verteidiger, gemäß § 147 Abs. 4 StPO nur eine beschränkte Möglichkeit zur Einsichtnahme in die Akten hat (Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl, § 147, Rn. 32). Gegen eine persönliche Einsichtnahme der Akten durch die Beschwerdeführerin dürften insbesondere die von den Zeugen geäußerten Bedenken sprechen, dass die Beschwerdeführerin bereits einmal die Wohnungen der Zeugen betreten habe und sie erneut aufsuchen könnte.

Im Übrigen ist die Sachlage erschwert, da ein daktyloskopisches Gutachten eingeholt worden ist (Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl., § 140, Rn. 27).“

LG Magdeburg zum „geplatzten Termin“ topp, oder: Zur Mittagspause beim Längenzuschlag nichts Neues

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Heute am RVG-Tag dann zunächst der LG Magdeburg, Beschl. v. 15.04.2020 – 21 Ks 5/19 – zum geplatzten Termin und zur Mittagspause beim Längenzuschlag. Der schöne Beschluss stammt vom Kollegen Eickelberg aus Burgwedel.

Folgender Sachverhalt: Der Kollege war Nebenklägerbeistand in einem Verfahren mit dem Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge. Er hat nach Abschluss des Verfahrens seine gesetzlichen Gebühren geltend gemacht.

Beantragt worden ist u.a. auch die Festsetzung einer Terminsgebühr für einen Hauptverhandlungstermin am 07.10.2019, zu dem der Kollege geladen war. Der Termin ist jedoch wegen Erkrankung des Vorsitzenden kurzfristig am 07.10.2019 telefonisch morgens aufgehoben worden. Zur Begründung der Terminsgebühr hat Kollege, der seinen Kanzleisitz in Burgwedel hat, darauf hingewiesen, dass er die Abladung am 07.10.2019 erst nach Fahrtantritt zum Gericht auf der A2, kurz vor dem Dreieck Braunschweig-Nord, erhalten habe. Dort habe er die Reise abgebrochen und den Rückweg angetreten.

Geltend gemacht worden ist außerdem ein Längenzuschlag nach Nr. 4122 VV RVG für einen Hauptverhandlungstermin am 10.10.2019. Diese dauerte ausweislich des Sitzungsprotokolls von 09:05 Uhr bis 14:25 Uhr wurde u.a. aber von 12:22 Uhr bis um 13:05 Uhr unterbrochen.

Diese Gebühren sind nicht festgesetzt worden. Die dagegen gerichtete Erinnerung des Kollege hatte teilweise Erfolg.

  1. Der Begriff des Erscheinens in Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG ist teleologisch erweiternd dahin auszulegen, dass es grundsätzlich auch ausreicht, wenn der sich bereits auf dem Weg befindliche RA zur Terminsteilnahme gewillt ist und von einem Aufsuchen des Gerichtsgebäudes lediglich deshalb absieht, weil er noch kurzfristig während der Anreise zum Gericht von der Terminsaufhebung erfährt.
  2. Macht das Gericht eine Mittagspause, ist diese unabhängig von ihrer tatsächlichen Dauer mit 30 Minuten in Abzug zu bringen. Ob es sich bei einer Pause um eine Mittagspause handelt, lässt sich ggf. aus dem zur Mittagszeit gelegenen Unterbrechungszeitpunkt entnehmen.

Eine hinsichtlich der Terminsgebühr sehr schön begründete Entscheidung des LG, die zu dem m.E. zutreffenden Ergebnis führt, dass in dem Fall die Terminsgebühr nach Vorbem. 4 Abs. 3 VV RVG auf jeden Fall entstanden war. Wenn nicht dann, wann denn dann? Die Auffassung des OLG München, mit der sich das LG auseinander setzt, das gewährt eine Gebühr für den „geplatzten Termin“ nur bei Erscheinen im Gerichssaal – führt nämlich dazu, dass in den Fällen sonst nie eine Terminsgebühr entstehen und der Anwendungsbereich der Regelung gegen Null gehen würde. Denn, wenn der Kollege weitergefahren wäre, um im Gerichtssaal zu „erscheinen“ und so dann die Voraussetzungen der Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG zu erfüllen, wäre ihm im Zweifel entgegen gehalten worden, dass er ja rechtzeitig Kenntnis erlangt hatte und damit nach Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 3 VV RVG die Terminsgebühr eben doch nicht entstanden ist. Das wären dann die vom OLG München gegen das Entstehen der Gebühr auch bemühten „Abgrenzungsschwierigkeiten“, die das LG nicht sieht. Denn es ist zutreffend, wenn es darauf hinweist, dass das Finden von rechtssicheren und handhabbaren, aber auch im Einzelfall gerechten Lösungen für Grenzfälle zu der originären Aufgabe der Rechtsprechung gehört, der sie sich weder entziehen darf noch kann.

Widersprechen muss man m.E. dem LG insoweit, als es unter Hinweis auf den Beschluss des OLG München vom 4.8.2014 (OLG München RVGreport 2015, 66 = StRR 2014, 451) – offenbar der Auffassung ist, eine Terminsaufhebung am Vortag des geplanten Termins gelange dem Rechtsanwalt rechtzeitig zur Kenntnis. Das mag in den meisten Fällen zutreffen, m.E. jedoch nicht, wenn der RA zu mehreren nacheinander terminierten Hauptverhandlungsterminen angereist ist, von denen einer kurzfristig abgesetzt wird, wovon der Rechtsanwalt aber erst am Gerichtsort erfährt. Das war die Fallgestaltung in dem vom OLG München (a.a.O.) entschiedenen Fall. Der ist sicherlich nicht vergleichbar mit der vom LG angeführten normalen Terminsabsage am Vortag des Hauptverhandlungstermins.

Zum Längenzuschlag: Nichts Neues 🙂 :

Das LG hat die Beschwerde war gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG hinsichtlich der Zubilligung der fiktiven Terminsgebühr zugelassen. Man darf gespannt sein, ob und wie dann ggf. demnächst das OLG Naumburg entscheidet. Es wird bei der überzeugenden Argumentation des LG nicht so ganz einfach sein.

Pflichti I: Nachträgliche Bestellung, oder: Auch noch Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO

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Heute lege ich dann noch einmal mit drei Entscheidungen zur Pflichtverteidigung nach. Und man wird es nicht glauben, alle drei positiv zur Problematik nachträgliche Beiordnung.

Und: Es gibt keinen „Aprilscherz“. Irgendwie ist mir nicht danach :-).

Die erste Entscheidung hat mir der Kollege Siebers aus Braunschweig geschickt. Mal wieder etwas vom LG Magdeburg, und zwar der LG Magdeburg, Beschl. v. 20.02.2020 – 29 Qs 2/20. Das AG hatte die Bestellung des Kollegen als Pflichtverteidiger abgelehnt. Anders das LG:

„Die (sofortige) Beschwerde ist gemäß § 142 Absatz 7 StPO zulässig und auch begründet.

Auf die Beschwerde des Beschuldigten war die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts Magdeburg aufzuheben und Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beizuordnen.

Aufgrund der bei Antragstellung bestehenden Haftunterbringung des Beschuldigten lag jedenfalls zu jenem Zeitpunkt der Beiordnungsgrund des § 140 Absatz 1 Nummer 5 StPO vor.

Der im Auftrag des Beschuldigten gestellte Antrag des – früheren – Wahlverteidigers, ihn als Pflichtverteidiger beizuordnen, beinhaltet wie im Grundsatz jeder entsprechende Antrag stets auch ohne ausdrückliche Nennung die Erklärung, die Wahlverteidigung solle mit der Beiordnung enden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt. StPO. 62. Auflage 2019. § 142 Rn. 7 m. w. N.).

Dass das Ermittlungsverfahren zwischenzeitlich eingestellt worden ist, steht der nachträglichen – Beiordnung nicht entgegen.

Das Landgericht Magdeburg hat, etwa mit Beschluss in anderer Sache vom 26. März 2019 ¬22 Qs 467 Js 21065/18 (16/19) -. zu derartigen Konstellationen bereits ausgeführt:

„Zwar folgt die Kammer der überwiegenden Ansicht (vgl. hierzu Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt. 61. Aufl.. StPO. § 141, Rn. 8). dass nach dem endgültigen Abschluss eines Strafverfahrens die nachträgliche Beiordnung eines Verteidigers nicht mehr in Betracht kommt und ein darauf gerichteter Antrag unzulässig ist. Dies gilt auch für den Fall der Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO, die der Sache nach mit einer endgültigen Einstellung verbunden ist, die die gerichtliche Anhängigkeit beendet. Allerdings hält die Kammer in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung vieler Landgerichte eine rückwirkende Bestellung für zulässig. wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde. die Voraussetzungen für eine Beiordnung gem. § 140 Abs. 1. 2 StPO vorlagen und die Entscheidung durch gerichtsinterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte (vgl. Landgericht Magdeburg, Beschluss vom 11. Oktober 2016. 23 Qs 18/16: Landgericht Hamburg. StV 2005. 207: Landgericht Saarbrücken, StV 2005, 82; Landgericht Itzehoe StV 2010, 562: Landgericht Neubrandenburg StV 2017, 724 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen).“

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an. Zum Zeitpunkt der Verfahrenseinstellung am 10. Februar 2020 lag nicht nur der bereits positiv entscheidungsreife Beiordnungsantrag beim Amtsgericht vor. Es war darüber auch schon – ablehnend – entschieden worden. Bei der bei dem Amtsgericht Magdeburg am 24. Januar 2020 eingegangenen „Beschwerde“ handelte es sich zudem um eine sofortige Beschwerde gemäß § 142 Absatz 7 StPO, bei der es keiner weiteren Prüfung einer Abhilfe durch das Amtsgericht bedurfte. § 311 Absatz 3 Satz 1 StPO. Für ein Zuwarten mit der Aktenvorlage an das Beschwerdegericht bestand daher kein Grund. Wären die Akten dem Beschwerdegericht sogleich zur Entscheidung vorgelegt worden. wäre bis zur Einstellung des Verfahrens am 10, Februar 2020 bereits mit einer die amtsgerichtliche Entscheidung abändernden Entscheidung des Beschwerdegerichts zu rechnen gewesen.“

Es empfiehlt sich immer, mal ins Gesetz zu schauen. Dann hätte das AG wahrscheinlich/hoffentlich bemerkt, dass das zulässige Rechtsmittel gegen Pflichtverteidigungsentscheidungen inzwischen die sofortige Beschwerde ist.

Verkehrsrecht III: Pflichtverteidiger (im Bußgeldverfahren)?, oder: Ja, wenn SV-Gutachten eingeholt wird

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Und die dritte Entscheidung zum Verkehrsrecht kommt aus dem Bußgeldverfahren. Es handelt sich um den LG Magdeburg, Beschl. v. 13.12.2019 – 28 Qs 956 Js 73928/19 (39/19). Gestritten worden ist um die Bestellung eines Pflichtverteidigers, die – bei der der Entscheidung zugrunde liegenden Konstellation in Verfahren mit verkehrsrechtlichem Einschlag immer wieder auftreten kann.

Das LG Magdeburg hat auf die Beschwerde einen Pflichtverteidiger bestellt:

„Mit seiner Beschwerde begehrt der Betroffene die Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Halberstadt, durch den die Beiordnung seines bisherigen Wahlverteidigers pp. als Pflichtverteidiger abgelehnt worden war.

Aus den Akten ergibt sich folgender Verfahrensablauf:

Am 7. Februar 2009 erließ die Zentrale Bußgeldstelle im Technischen Polizeiamt regen den Betroffenen wegen des Führens eines Kraftfahrzeuges unter Einwirkung berauschender Mittel einen Bußgeldbescheid über 500,– €. Gleichzeitig wurde gegen ihn ein Fahrverbot x-on einem Monat verhängt. Gegen diesen Bescheid legte der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 20. Februar 2019 Einspruch ein.

Bis zu diesem Zeitpunkt enthielt die Akte eine Übersicht über den Verfahrensablauf, eine Auskunft des Kraftfahrt Bundesamtes. einen Journaleintrag nebst Feststellung zum Sachverhalt, ein polizeiliches Protokoll nebst ärztlichem Untersuchungsbericht zur Blutentnahme, eine von PK pp. vorgefertigte Dokumentation zur Blutentnahme ohne Ausfüllung der vorgegebenen Feststellungen sowie einen Ergebnisbericht, aus dem sich ein positiver Nachweis von Cannabinoiden im Blut des Betroffenen ergab.

Auf den Einspruch des Betroffenen hin fand am 07. Juni 2019 eine Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht statt, zu der neben dem Betroffenen und seinem Verteidiger auch der geladene Zeugen PK pp. erschien, jedoch nach Einlassung des Betroffenen über seinen Verteidiger unvernommen entlassen wurde. Das Gericht setzte die Hauptverhandlung aufgrund der Einlassung des Betroffenen, er habe lediglich THC Tropfen eingenommen, die frei verkäuflich seien und auch in kleinsten Mengen erhöhte THC-Werte im Blut hervorrufen könnten, ohne jedoch berauschende Wirkungen zu entfalten, zwecks Einholung eines Sachverständigengutachtens aus. Im Anschluss an diese Hauptverhandlung wandte sich der bereits unvernommen entlassene Zeuge PK pp. außerhalb der Hauptverhandlung an den entscheidenden Richter, um ihm mitzuteilen, dass entgegen der soeben abgegebenen Einlassung des Betroffenen, er gegenüber dem Polizeibeamten angegeben habe, gelegentlich ein „Tütchen“ zu konsumieren.

Dem Betroffenen und seinem Verteidiger wurde hierüber ein entsprechender richterlicher Vermerk und ein seitens des Zeugen pp. zu den Akten gereichtes Gedächtnisprotokoll weitergeleitet. Diesbezüglich wurden seitens des Verteidigers für den Betroffenen weitere Anträge gestellt, u.a. die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens bezüglich der Bekundungen des Zeugen pp. sowie Anträge auf Vernehmung der ebenfalls bei der Kontrolle anwesenden Polizeibeamten. die insoweit bestätigen sollen, dass die Behauptung des Zeugen pp., der Betroffene habe ihm unmittelbar nach der Blutprobe mitgeteilt, regelmäßig am Wochenende von Samstag auf Sonntag eine Tüte zu rauchen. frei erfunden sei.

Nachdem das Gericht von der Einholung eines Sachverständigengutachtens im Hinblick auf die Auswirkungen von freiverkäuflichem Hanföl auf die Blutwerte Abstand genommen hatte und auch eine vom Verteidiger beantragte Terminsverlegung abgelehnt hatte, wurde zunächst über das Ablehnungsgesuch gegen den entscheidenden Richter sowie die Ablehnung der Terminsverlegung für einen auf den 13. Dezember anberaumten Termin entschieden. Diesbezüglich liegt auch eine Entscheidung über die Beschwerde gegen den die Terminsverschiebung ablehnenden Beschluss durch das Landgericht Magdeburg vom 9. Dezember 2019 vor.

Die Staatsanwaltschaft hat im Rahmen ihrer Stellungnahmen zu dem Befangenheitsantrag, den eingelegten Beschwerden und zu den gestellten Anträgen u.a. ausgeführt, dass sie zwar ein Glaubwürdigkeitsgutachten hinsichtlich des Zeugen PK pp., insbesondere auch vor dem Hintergrund der Vernehmung der benannten weiteren Zeugen, nicht für erforderlich erachte. Im Übrigen ist sie der Einholung eines Gutachtens zur Feststellung, ob frei verkäufliches Hanföl zu erhöhten THC-Werten im Blut ohne entsprechende berauschende Wirkung führen kann, nicht entgegengetreten.

Die gegen den Beschluss, durch den die Beiordnung als Pflichtverteidiger abgelehnt wurde, eingelegte Beschwerde begründet der Betroffene im Wesentlich damit, dass der Umstand. dass das Gericht bislang von der ursprünglich vorgesehenen Einholung eines Gutachtens zu den Auswirkungen der Einnahme von Hanföl auf die Blutwerte im Hinblick auf die Zeugenvernehmungen abgesehen habe, es nicht rechtfertige. die Beiordnung eines Pflichtverteidigers abzulehnen, da das Verfahren in seiner Gesamtschau betrachtet werden müsse und keine künstliche Aufspaltung vorgenommen werden dürfe. Insofern sei zu berücksichtigen, dass hier die Einholung eines Gutachtens im Raum stehe, die eine Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich machen würde.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Nach der gern. § 46 Abs. 1 OWiG sinngemäß anwendbaren Vorschrift des § 140 StPO kommt eine Beiordnung vorliegend in Betracht. wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Eine Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ist vorliegend deshalb zu erwägen, weil die Auseinandersetzung mit einem Sachverständigengutachten zu mindestens zu erwarten ist. auch wenn das Gericht zunächst von der Einholung eines diesbezüglichen Sachverständigengutachtens abgesehen hat. Bereits der bisherige Verfahrensablauf zeigt, dass für das Bestreiten des Betroffenen. er habe dem Polizeibeamten PK pp. gegenüber gesagt. gelegentlich „ein Tütchen zu rauchen“. u.a. seine protokollierte Angabe irr Rahmen der Blutentnahme spricht. Dort wurde ein vorheriger Konsum generell verneint. Ob und inwieweit dann seine Einlassung, er habe lediglich Hanföl konsumiert, das keine berauschenden Wirkungen erzeuge, zutrifft, bedarf dann einer umfassenden Würdigung ggf. auch unter Hinzuziehung des Sachverständigen im Hinblick auf die Frage, ob die Blutwerte auf den Konsum von Hanföl hindeuten können. Angesichts der naheliegenden Möglichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens und einer späteren Auseinandersetzung damit, war bereits zum jetzigen Zeitpunkt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gem. § 140 Abs. 2 StPO erforderlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung der §§ 464. 467 StPO.“

M.E. zutreffend. Ich weiß, andere LG machen es (leider) anders.