Pflichti I: Nachträgliche Bestellung, oder: Auch noch Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO

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Heute lege ich dann noch einmal mit drei Entscheidungen zur Pflichtverteidigung nach. Und man wird es nicht glauben, alle drei positiv zur Problematik nachträgliche Beiordnung.

Und: Es gibt keinen „Aprilscherz“. Irgendwie ist mir nicht danach :-).

Die erste Entscheidung hat mir der Kollege Siebers aus Braunschweig geschickt. Mal wieder etwas vom LG Magdeburg, und zwar der LG Magdeburg, Beschl. v. 20.02.2020 – 29 Qs 2/20. Das AG hatte die Bestellung des Kollegen als Pflichtverteidiger abgelehnt. Anders das LG:

„Die (sofortige) Beschwerde ist gemäß § 142 Absatz 7 StPO zulässig und auch begründet.

Auf die Beschwerde des Beschuldigten war die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts Magdeburg aufzuheben und Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beizuordnen.

Aufgrund der bei Antragstellung bestehenden Haftunterbringung des Beschuldigten lag jedenfalls zu jenem Zeitpunkt der Beiordnungsgrund des § 140 Absatz 1 Nummer 5 StPO vor.

Der im Auftrag des Beschuldigten gestellte Antrag des – früheren – Wahlverteidigers, ihn als Pflichtverteidiger beizuordnen, beinhaltet wie im Grundsatz jeder entsprechende Antrag stets auch ohne ausdrückliche Nennung die Erklärung, die Wahlverteidigung solle mit der Beiordnung enden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt. StPO. 62. Auflage 2019. § 142 Rn. 7 m. w. N.).

Dass das Ermittlungsverfahren zwischenzeitlich eingestellt worden ist, steht der nachträglichen – Beiordnung nicht entgegen.

Das Landgericht Magdeburg hat, etwa mit Beschluss in anderer Sache vom 26. März 2019 ¬22 Qs 467 Js 21065/18 (16/19) -. zu derartigen Konstellationen bereits ausgeführt:

„Zwar folgt die Kammer der überwiegenden Ansicht (vgl. hierzu Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt. 61. Aufl.. StPO. § 141, Rn. 8). dass nach dem endgültigen Abschluss eines Strafverfahrens die nachträgliche Beiordnung eines Verteidigers nicht mehr in Betracht kommt und ein darauf gerichteter Antrag unzulässig ist. Dies gilt auch für den Fall der Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO, die der Sache nach mit einer endgültigen Einstellung verbunden ist, die die gerichtliche Anhängigkeit beendet. Allerdings hält die Kammer in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung vieler Landgerichte eine rückwirkende Bestellung für zulässig. wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde. die Voraussetzungen für eine Beiordnung gem. § 140 Abs. 1. 2 StPO vorlagen und die Entscheidung durch gerichtsinterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte (vgl. Landgericht Magdeburg, Beschluss vom 11. Oktober 2016. 23 Qs 18/16: Landgericht Hamburg. StV 2005. 207: Landgericht Saarbrücken, StV 2005, 82; Landgericht Itzehoe StV 2010, 562: Landgericht Neubrandenburg StV 2017, 724 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen).“

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an. Zum Zeitpunkt der Verfahrenseinstellung am 10. Februar 2020 lag nicht nur der bereits positiv entscheidungsreife Beiordnungsantrag beim Amtsgericht vor. Es war darüber auch schon – ablehnend – entschieden worden. Bei der bei dem Amtsgericht Magdeburg am 24. Januar 2020 eingegangenen „Beschwerde“ handelte es sich zudem um eine sofortige Beschwerde gemäß § 142 Absatz 7 StPO, bei der es keiner weiteren Prüfung einer Abhilfe durch das Amtsgericht bedurfte. § 311 Absatz 3 Satz 1 StPO. Für ein Zuwarten mit der Aktenvorlage an das Beschwerdegericht bestand daher kein Grund. Wären die Akten dem Beschwerdegericht sogleich zur Entscheidung vorgelegt worden. wäre bis zur Einstellung des Verfahrens am 10, Februar 2020 bereits mit einer die amtsgerichtliche Entscheidung abändernden Entscheidung des Beschwerdegerichts zu rechnen gewesen.“

Es empfiehlt sich immer, mal ins Gesetz zu schauen. Dann hätte das AG wahrscheinlich/hoffentlich bemerkt, dass das zulässige Rechtsmittel gegen Pflichtverteidigungsentscheidungen inzwischen die sofortige Beschwerde ist.

4 Gedanken zu „Pflichti I: Nachträgliche Bestellung, oder: Auch noch Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO

  1. Rechtsanwalt Heiko Urbanzyk

    Eine gute Entscheidung. 337 km westlich, hier in Münster, ist das leider noch nicht angekommen.

  2. Emigrant

    „Es empfiehlt sich immer, mal ins Gesetz zu schauen. Dann hätte das AG wahrscheinlich/hoffentloich bemerkt, dass das zulässige Rechtsmittel gegen Pflichtverteidigungsentscheidungen inzwischen die sofortige Beschwerde ist.“

    Wenn man denn von der Gerichtsleitung einen aktuellen Gesetzestext zur Verfuegung gestellt bekommen hat. Ich denke, beim OLG Hamm war das kein Problem, da standen der aktuelle Schoenfelder und der Meyer/Gossner bestimmt puenktlich auf dem Neujahrstisch. An den Amtsgerichten sieht es (bekanntermassen?) anders aus. Da kann man froh sein, wenn’s fuer die Vor-Vorjahresausgabe reicht.

    Normalerweise sollten Strafrichter aber StPO-technisch immer auf der Hoehe der Zeit sein, da stimme ich Ihnen zu. Moeglicherweise ist der Beschluss auch in der Urlaubsvertretung gefasst worden, wer weiss das alles schon?

    Darueber hinaus ist es natuerlich auch nicht verboten, dass Anwaelte in ihren Antragsschreiben den Rechtsbehelf korrekt bezeichen.

    Letztlich verstehe ich das ewige Rumgereite der Landgerichte auf Paragraf 311 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht so ganz, da Satz 2 immerhin eine Abhilfemoeglichkeit einraeumt. Die Landgerichte sollen dann doch einfach ueber die sof. Beschwerde entscheiden, und gut ist, ohne gegenueber dem Amtsgericht nochmal nachzutreten. Das Landgericht haette – denn das war ja hier der Grund fuer das Nachtreten – ausfuehren koennen, welche andere Frist denn fuer die Vorlage von sofortigen Beschwerden gelten soll. Nach meiner Lesart des Gesetzes ist Paragraf 306 Abs. 2 StPO fuer Beschwerden und sofortige Beschwerden gleichermassen anwendbar.

    Aber vielleicht kann man mich hier endlich mal eines Besseren belehren.

  3. Detlef Burhoff

    Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll.

    Meinen Sie:
    „Wenn man denn von der Gerichtsleitung einen aktuellen Gesetzestext zur Verfuegung gestellt bekommen hat. Ich denke, beim OLG Hamm war das kein Problem, da standen der aktuelle Schoenfelder und der Meyer/Gossner bestimmt puenktlich auf dem Neujahrstisch. An den Amtsgerichten sieht es (bekanntermassen?) anders aus. Da kann man froh sein, wenn’s fuer die Vor-Vorjahresausgabe reicht.“

    und die daraus abzuleitende Schlussfolgerung ernst? Es gibt genügend – kostenlose – Informationsmöglichkeiten über gesetzliche Neuregelungen. Sie wollen doch nicht behaupten ,d ass Sie warten, bis Sie einen aktuellen Gesetzestext vom der Justizverwaltung erhalten? Dass es so schlimm ist, hätte ich nicht gedacht.

    Im Übrigen: Ich stelle schon die Entscheidungen kostenlos ein/zur Verfügung. Dann betreibe ich nicht auch noch weitere kostenlose Fortbildung.

  4. Emigrant

    Kostenlose Fortbildung erwartet natuerlich keiner. Ich hatte da mehr an ein Fachgespraech unter Juristen gedacht.

    Es waere aber schon mal interessant gewesen zu hoeren, auf welche angeblich andere (kuerzere?) Frist das LG bei der sofortigen Beschwerde abstellt. Ob Beschwerde oder sof. Beschwerde, bei Nichtabhilfe ist in jedem Fall innerhalb der Frist des Paragraf 306 vorzulegen. Auch waere eine Stellungnahme interessant gewesen, ob Paragraf 311 Abs. 3 Satz 2 StPO eine Abhilfemoeglichkeit darstellt oder nicht – gerade vor dem HIntergrund, dass das Landgericht davon ausgeht, dass eine Abhilfemoeglichkeit nicht existiert (vielleicht liegt dort nur eine Gesetzesfassung vor, in der Satz 2 nicht enthalten ist?).

    Ich zitiere mal aus dem Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung (zu 311 StPO), 8. Aufl. 2019, Rn. 6:
    „Die Abhilfebefugnis gem. Abs. 3 Satz 2 greift auch, wenn das nachträgliche Vorbringen des Beschwerdeführers keine neuen oder abweichenden Tatsachenbehauptungen enthält, jedoch die rechtliche Würdigung überzeugend angreift (Matt in Löwe/Rosenberg Rn. 11). In jedem Fall muss die Änderung aber auf einer neuen Würdigung gerade derjenigen Tatsachen oder Beweisergebnisse beruhen, zu denen der Beschwerdeführer nicht gehört worden ist.“

    Und weiter zur Frist (ebenda, Rn. 8):
    „Im Übrigen gelten für die sofortige Beschwerde die allgemeinen Vorschriften über das Beschwerdeverfahren. Ihre Form richtet sich nach § 306 Abs. 1. “

    Mir scheint, dass sich durch Paragraf 142 Abs. 7 Satz 1 StPO die Stellung des Beschuldigten eher verschlechtert, nicht verbessert hat.

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