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Die Wertgrenze bei der „geringwertigen Sache“ bewegt sich nach oben – etwas

Das StGB spricht in § 243 Abs. 2 und in § 248a von der geringwertigen Sache. Entscheidende Frage für den Angeklagten kann sein, bis zu welcher Wertgrenze noch von einer geringwertigen Sache ausgegangen werden kann. Während früher 25 DM als Grenze angesehen wurde, verschiebt sich die Grenze allmählich nach oben.

Man wird m.E. sagen können, dass sie mindestens bei 30 € zu ziehen ist (so jetzt auch der 1. Strafsenat des KG in seinem Beschl. v. 02.09.2010 –  [1] 1 Ss 561/09 [1/10]). Offen gelassen und offen lassen können hat das KG die Frage, ob die Wertgrenze nicht (viel) höher, nämlich bei 50 €, zu ziehen ist, wie es einige OLG schon seit einigen Jahren tun und wie es auch die überwiegende Auffassung in der Literatur befürwortet (vgl. die Nachweise in der Entscheidung des KG).

Wenn es darauf ankommt, sollte sich der Verteidiger auf diese Auffassung berufen. Anderenfalls wird sich die Grenze nicht weiter nach oben bewegen. Aber: Am besten die entsprechende Rechtsprechung und auch die Kopien aus den angeführten Kommentaren vorlegen. Denn wenn das AG überhaupt einen (aktuellen) Kommentar zur Hand hat – und nimmt – dann wird es im Zweifel nur den „Fischer“ zur Verfügung haben. Und der spricht eben immer noch von 25 – 30 €.

Zu schnell entschieden = Verletzung des rechtlichen Gehörs

so könnte man auch den Leitsatz zur Entscheidung des KG v. 10.09.2010 – 3 Ws 454/10 formulieren. Das KG hat es etwas seriöser formuliert, wenn es dort heißt:

Ein Beschwerdeführer, der bei Einlegung des Rechtsmittels unter Berufung auf § 147 Abs. 7 StPO Akteneinsicht beantragt und eine Beschwerdebegründung nach deren Erfolg angekündigt hat, wird in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, wenn das Beschwerdegericht eine Entscheidung trifft, ohne zuvor das Akteneinsichtsgesuch beschieden zu haben.“

In der Sache hatte der Beschuldigte bei der Beschwerdeeinlegung gegen die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung Akteneinsicht nach § 147 Abs. 7 StPO beantragt und eine Stellungnahme angekündigt, wenn die AE gewährt war. Das LG hat die Beschwerde verworfen, ohne AE zu gewähren. Das KG sieht darin zutreffend eine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Interessant auch die Ausführungen des KG zur Stellungnahme der GStA. Da heißt es:

„Es sind vorliegend keine Umstände ersichtlich, die der Erteilung von Auskünften oder Abschriften im Sinne des § 147 Abs. 7 S. 1 StPO entgegengestanden hätten. Insbesondere lagen weder eine Gefährdung des Untersuchungszweckes noch beachtliche Drittinteressen vor. Auch ist es – entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin – für einen erfolgreichen Antrag auf Information aus der Akte nicht erforderlich, dass der Antragsteller die Aktenbestandteile, über die er Auskunft begehrt, im Einzelnen benennt. Denn durch den Auskunftsgewährungsanspruch soll der Antragsteller gerade in die Lage versetzt werden, Aufschluss über ihm bis dahin unbekannte Aktenbestandteile zu erhalten, die er in Ermangelung eigener Kenntnis naturgemäß vorab nicht zu benennen vermag. Eine ihm nicht zustehende uneingeschränkte Akteneinsicht hat der Angeklagte angesichts der ausdrücklichen Benennung des § 147 Abs. 7 StPO ohnehin nicht begehrt.“

Tja, da fragt man sich wirklich „liebe GStA“: Wie sollte das wohl gehen.

Mal ein wenig Strafvollzug – Akteneinsicht im Rahmen der Vollzugsplanfortschreibung

Bisher war für die Vollzugsplanfortschreibung nach § 159 StVollzG obergerichtlich nicht geklärt, ob ein Anspruch des Gefangenen auf Kenntnis von Beurteilungen und Entwürfen besteht, die von der Haftanstalt beziehungsweise deren Mitarbeitern zu deren Vorbereitung angefertigt wurden. Die Frage wollte jetzt ein Gefangener in Berlin geklärt haben, dem die JVA in seinem Begehren gefolgt ist. Die Justizverwaltung hat das anders gesehen und ist in die Rechtsbeschwerde gegangen, über die im Beschl. v. 09.10.2010 – 2 Ws 390/10 Vollz das KG wie folgt entschieden hat:

Der Gefangene hat keinen Anspruch auf Auskunft über oder Einsicht in interne, lediglich vorbereitende Arbeitsgrundlagen und Entwürfe der an der Vollzugsplanfortschreibung beteiligten Mitarbeiter, wenn sie nicht Bestandteil der Gefangenenpersonalakten geworden sind.“

Das KG verweist u.a. auf einen Parallele zu § 147 StPO: Auch aus § 147 StPO folge lediglich ein Anspruch auf Einsicht in Aktenbestandteile (BGHSt 29, 394, BGH StV 2010, 228, 229; OLG Karlsruhe NStZ 1982, 299), nicht aber in interne Arbeitsgrundlagen wie das Senatsheft (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 173; BGH NStZ 2007, 538; 2001, 551).

An dem Einsichtrecht in die Gefangenenpersonalakte ändert sich durch diese Entscheidung aber nichts.

Immer wieder Beweisantrag, immer wieder Beweisantrag erneut stellen

Das KG hat in seinem Beschl. v. 24.08.2010 – 3 Ws (B) 404/10 – 2 Ss 243/10 darauf hingewiesen, dass eine Verletzung des förmlichen Beweisantragsrechts, das der Verteidiger im Verfahren gerügt hatte, voraussetzt, dass in der Hauptverhandlung überhaupt ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag gestellt worden ist. Allein die Stellung von Beweisanträgen in einem Hauptverhandlungstermin, der zur Aussetzung der Hauptverhandlung führte, reiche dazu nicht aus, denn nach einer Aussetzung der Hauptverhandlung bedarf es der Wiederholung bereits früher gestellter Beweisanträge im neuen Hauptverhandlungstermins.

Also: Nicht vergessen, dass ein einmal gestelltere Beweisantrag in jeder neu anberaumten HV noch einmal gestellt werden muss, wenn er Ausgangspunkt für eine Verfahrensrüge sein soll. M.E. eine Selbstverständlichkeit, die Verteidiger wissen sollten.

Und: Es muss nicht nur der in einer ausgesetzten Hauptverhandlung gestellte Beweisantrag in einem neuen Hauptverhandlungstermin ggf. wiederholt werden, sondern auch der vor der Hauptverhandlung zunächst nur angekündigte Beweisantrag (OLG Hamm NJW 1999, 1416). Anderenfalls kann die Rechtsbeschwerde/Revision auf die Nichtbescheidung dieses Antrags nicht gestützt werden. es bleibt dann nur noch die Aufklärungsrüge.

Auch der viel beschossene Hase darf (zunächst) weiterfahren…

muss sich nicht nach dem Fortbestand seiner Fahrerlaubnis erkundigen. So das KG in einem Beschl. v. 12.07.2010 – (3) 1 Ss 180/10 (77/10). Das AG war von einem fahrlässigen Verstoß gegen § 21 StVG ausgegangen und hatte eine Erkundigungspflicht angenommen. Das KG führt zur Erkundigungspflicht aus:

Entgegen der Annahme des Tatrichters und der Generalstaatsanwaltschaft Berlin besteht jedoch für den Inhaber einer rechtswirksam erteilten Fahrerlaubnis keine Verpflichtung, sich bei der Verwaltungsbehörde nach deren Fortbestand zu erkundigen. Dies gilt auch, sofern der Verkehrsteilnehmer häufiger verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist. Angesichts der weitgehend unbekannten und unterschiedliche Fristen enthaltenden Tilgungsbestimmungen kann von ihm in aller Regel nicht erwartet werden, dass er einen genauen Überblick über die unter seinem Namen gespeicherten Eintragungen hat. Es bedarf daher konkreter Anhaltspunkte, die die Annahme nahe legen, der Angeklagte habe von dem verwaltungsrechtlichen Entziehungsverfahren und einer unmittelbar bevorstehenden Entscheidung Kenntnis gehabt, deshalb täglich mit der Zustellung eines Bescheides gerechnet und es dennoch an einer Kontrolle seiner Post fehlen lassen. Dies belegen die Urteilsausführungen nicht.

Damit wird die Frage der Erforderlichkeit einer Erkundigung auf ein zumutbares Maß zurückgeführt.