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„Gas-Wheelie“ oder „Kunstmotorradfahren kein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr

Das AG Lübeck hatte im § 111a-StPO-Verfahren über folgenden Sachverhalt zu befinden:

Danach befuhr der Beschuldigte am 27.08.2011 gegen 21:17 Uhr mit dem Kraftrad Suzuki Typ GSX-R 750/WVB 3 mit einer (zulassungs-)bescheinigten Nennleistung von 25 kw (9300 Umdrehungen/min) – amtliches Kennzeichen R – in M. öffentliche Straßen, u.a. die Hauptstraße. Dabei bewirkte er durch eine gezielte Betätigung des Gashebels, dass sich das Kraftrad mit dem Vorderrad von der Straße aufrichtete (sog. Gas- wheelie). Nachdem der Beschuldigte zunächst allein auf dem Hinterrad weitergefahren war, verlor er aus nach derzeitigem Sachstand unbekannten Gründen die Kontrolle über das Kraftrad und stürzte. Das Kraftrad rutsche über die Straße auf einen angrenzenden Gehweg, verfehlte dabei sich zwei dort befindliche Passanten letztlich nur dank deren schnellen Ausweichens um weniger als einen Meter und kollidierte schließlich mit zwei Verkehrsschildern, von denen eines leicht beschädigt, eines zerstört wurde…“

Das AG hat sich in seiner umfassend begründeten Entscheidung mit fast allen verkehrsstrafrechtlichen Tatbeständen befasst, so mit § 142 StGB, § 315c StGB und auch § 315b StGB. Zu letzterem kommt es zu dem Ergebnis, dass eine Strafbarkeit nach § 315b StGB nicht vorliegt. Ein absichtlich auf die Störung des Straßenverkehrs (zweck-)gerichtetes verkehrsfeindliches oder gar mit mindestens bedingtem Schädigungsvorsatz vorgenommenes Fahrverhalten, in dem das Kraftrad als Waffe oder Schadenswerkzeug i.S. des § 315b StGB missbraucht worden sei, lasse sich nicht annehmen. Die Fahrt habe primär fahrerischen Unterhaltungszwecken gedient, damit aber jedenfalls auch (noch) dem eigenen Fortkommen im Verkehr. Eine andere Beurteilung hätte letztlich zur Folge, dass eine Vielzahl bewusst risikoreicher, teilweise geradezu grotesk-absurder Fahrmanöver im täglichen Straßenverkehr der vergleichsweise hohen Strafdrohung und -erwartung des § 315b StGB unterfielen. Dies möge aus generalpräventiven Gesichtspunkten zur mäßigenden Einwirkung auf das Verhalten im Straßenverkehr zwar geboten erscheinen. Eine solche Betrachtung verschließe sich aber, da nach dem Willen des Gesetzgebers abstrakt besonders gefährliche Verkehrsverstöße enumerativ von § 315 c Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasst seien.

Bezogen auf den Sachverhalt heißt es dann:

Dem lässt sich das vorliegende (Fahr-)Verhalten des Beschuldigten bei einem wertenden Vergleich nicht gleichstellen. Zwar kann – mit der Auffassung der Staatsanwaltschaft – im Ausgangspunkt zweifelsfrei festgestellt werden, dass der Beschuldigte die Fahrt auf dem Hinterrad ohne Rücksicht auf die Sicherheit des Straßenverkehrs in hohem Maße verkehrswidrig unternommen und den Straßenverkehr gleichsam zu seinem Ausleben pervertiert hat. Damit rückt der Sachverhalt aber wertungsmäßig in die Nähe etwa des sog. Auto-Surfens, bei welchem das Oberlandesgericht Düsseldorf die Verwendung eines Pkw zur Mitnahme von auf dem Dach liegenden Personen als zwar zweckentfremdetes Mittel der Unterhaltung angesehen, den Vorgang aber nicht als Eingriff in den Straßenverkehr bewertet hat (NStZ-RR 1997, 325 ff.; zustimmend etwa Sternberg-Lieben/Hecker, a.a.O., Rdn. 12; a. A. Saal, NZV 1998, 49, 50 ff.). Soweit es bei der Beurteilung im dortigen Streitfall auch darauf abgestellt hat, dass von den Beteiligten bewusst verkehrsfreie Feldwege zur Nachtzeit ausgewählt wurden, hier der Beschuldigte aber Hauptstraßen zur Abendzeit befahren hat, ändert dies an der Bewertung nichts. Denn ein absichtlich auf die Störung des Straßenverkehrs (zweck-)gerichtetes verkehrsfeindliches oder gar mit mindestens bedingtem Schädigungsvorsatz vorgenommenes Fahrverhalten, in dem das Kraftrad als Waffe oder Schadenswerkzeug missbraucht wird, lässt sich derzeit nicht annehmen, auch wenn der Beschuldigte eine Gefährdung anderer nicht schon durch die Wahl einer wenig befahrenen Wegstrecke von vornherein ausgeschlossen hat. Die gegenständliche Fahrt diente primär fahrerischen Unterhaltungszwecken, damit aber jedenfalls auch einem eigenen Fortkommen im Verkehr. Eine andere Beurteilung hätte letztlich zur Folge, dass eine Vielzahl bewusst risikoreicher, teilweise geradezu grotesk-absurder Fahrmanöver im täglichen Straßenverkehr der vergleichsweise hohen Strafdrohung und -erwartung des § 315 b StGB unterfielen. Dies mag aus generalpräventiven Gesichtspunkten zur mäßigenden Einwirkung auf das Verhalten im Straßenverkehr zwar geboten erscheinen. Eine solche Betrachtung verschließt sich aber, da nach dem Willen des Gesetzgebers abstrakt besonders gefährliche Verkehrsverstöße enumerativ von § 315 c Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasst sind.“

Behalten durfte der Fahrer seinen Führerschein aber dennoch nicht. Das AG hat einen Verstoß gegen § 21 StVG festgestellt und das als Anlasstat für die vorläufige Entziehung ausreichen lassen. Alles nachzulesen in AG Lübeck, Beschl. v. 09.12.0211 – 61 Gs 125/11.

Ausländische Fahrerlaubnis – Erkundigungspflicht

Dauerproblem: Ausländische Fahrerlaubnis. Nach dem EU-Gemeinschaftsrecht sind die Mitgliedstaaten der EU grundsätzlich verpflichtet, die von anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anzuerkennen. Allerdings ist ein Mitgliedstaat berechtigt, den Führerschein eines anderen dann nicht anzuerkennen, wenn der Führerschein unter Missachtung der Wohnsitzvoraussetzung ausgestellt wurde.

Führt der Betroffene trotzdem ein Fahrzeug, ist eine Verurteilung wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) nach Auffassung des OLG Koblenz jedenfalls dann rechtmäßig, wenn er sich nicht nach der Gültigkeit der Fahrerlaubnis erkundigte, obwohl sich ihm eine solche Erkundigung schon deshalb aufdrängen musste, weil der Erwerb der tschechischen Fahrerlaubnis offensichtlich der Umgehung der strengen Voraussetzungen für die Wiedererteilung der deutschen Fahrerlaubnis nach Ablauf einer Fahrerlaubnissperre dienen sollte (so OLG Koblenz, Urt. v. 07.02.2011 – 2 Ss 222/1o).

Auch der viel beschossene Hase darf (zunächst) weiterfahren…

muss sich nicht nach dem Fortbestand seiner Fahrerlaubnis erkundigen. So das KG in einem Beschl. v. 12.07.2010 – (3) 1 Ss 180/10 (77/10). Das AG war von einem fahrlässigen Verstoß gegen § 21 StVG ausgegangen und hatte eine Erkundigungspflicht angenommen. Das KG führt zur Erkundigungspflicht aus:

Entgegen der Annahme des Tatrichters und der Generalstaatsanwaltschaft Berlin besteht jedoch für den Inhaber einer rechtswirksam erteilten Fahrerlaubnis keine Verpflichtung, sich bei der Verwaltungsbehörde nach deren Fortbestand zu erkundigen. Dies gilt auch, sofern der Verkehrsteilnehmer häufiger verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist. Angesichts der weitgehend unbekannten und unterschiedliche Fristen enthaltenden Tilgungsbestimmungen kann von ihm in aller Regel nicht erwartet werden, dass er einen genauen Überblick über die unter seinem Namen gespeicherten Eintragungen hat. Es bedarf daher konkreter Anhaltspunkte, die die Annahme nahe legen, der Angeklagte habe von dem verwaltungsrechtlichen Entziehungsverfahren und einer unmittelbar bevorstehenden Entscheidung Kenntnis gehabt, deshalb täglich mit der Zustellung eines Bescheides gerechnet und es dennoch an einer Kontrolle seiner Post fehlen lassen. Dies belegen die Urteilsausführungen nicht.

Damit wird die Frage der Erforderlichkeit einer Erkundigung auf ein zumutbares Maß zurückgeführt.

Der Führerscheintourismus, die Pflichtverteidigung und das LG Regensburg

Der sog. Führerscheintourismus beschäftigt uns schon einige Zeit und beschäftigt uns auch immer wieder, vor allem hinsichtlich der Frage des Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Die Rechtsprechung zu der Problematik ist unüberschaubar. Deshalb ist es zu begrüßen, dass nun auch das LG Regensburg in seinem Beschl. v. 15.03.2010 – 7 Qs 14/10 – die Sach- und Rechtslage als schwierig angesehen und dem Angeklagten im Beschwerdeverfahren einen Pflichtverteidiger beigeordnet hat. Die Frage wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung ziemlich einheitlich gesehen. Deshalb fragt man sich schon, warum das AG nicht bereits einen Pflichtverteidiger beigeordnet hat.