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Unfall nach Rückwärtsfahrt auf der Einbahnstraße, oder: Wie haftet der „Rückwärtsfahrer“?

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Und dann vor Weihnachten noch einmal ein „Kessel-Buntes“. Und in dem köcheln heute zivilgerichtliche Entscheidungen.

Zunächst stelle ich das BGH, Urt. v. 10.10.2023 – VI ZR 287/22 – vor. Gestritten wird um Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall. Der Kläger hatte sein Fahrzeug vorwärts in einer Grundstückszufahrt ab­gestellt, die sich an einer Einbahnstraße rechtwinklig in Fahrtrichtung rechts be­findet. Die Beklagte war mit ihrem Fahrzeug in Fahrtrichtung der Einbahnstraße an der Grundstückszufahrt vorbeigefahren. Sie hielt im Bereich einer gerade freiwerdenden Parklücke, die sich links parallel zur Fahrbahn befindet und etwa auf Höhe der Grundstückszu­fahrt beginnt, um in diese einzufahren. Die Fahrzeuge stießen zusammen, als der Kläger aus der Grundstückszufahrt rückwärts in einem Rechtsbogen auf die Einbahnstraße fuhr und die Beklagte zu 1 auf der Einbahnstraße einige Meter rückwärts fuhr, um dem aus der Parklücke herausfahrenden Fahrzeug Platz zu machen. Das Fahrzeug des Klägers wurde an der linken Seite beschädigt.

Vorgerichtlich regulierte die Versicherung der Beklagte auf der Grundlage einer Haftungsquote der Beklagten von 40 %. Mit seiner Klage macht der Kläger die restlichen 60 % geltend. Das AG hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG die Klage abgewiesen. Dieses Urteil hat der BGH auf die Revision aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung – Rest dann bitte selbst lesen:

1. Das Vorschriftszeichen 220 in Verbindung mit § 41 Abs. 1 StVO gebietet, dass die Einbahnstraße nur in vorgeschriebener Fahrtrichtung befahren werden darf. Verboten ist auch das Rückwärtsfahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Lediglich (unmittelbares) Rückwärtseinparken („Rangieren“) ist – ebenso wie Rückwärtseinfahren aus einem Grundstück auf die Straße – kein unzulässiges Rückwärtsfahren auf Richtungsfahrbahnen gegen die Fahrtrich­tung.

2. Zur Anwendung des Anscheinsbeweises bei einem Verkehrsunfall (hier: Zu­sammenstoß eines aus einer Grundstückszufahrt auf eine Einbahnstraße ein­fahrenden Fahrzeugs mit einem auf der Einbahnstraße unzulässig rückwärts fahrenden Fahrzeug).

Haftung, wenn umfallender E-Scooter Pkw beschädigt, oder: Gefährdungs- und/oder Verschuldenshaftung?

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Im Kessel Buntes heute dann zwei AG-Entscheidungen aus Berlin, einmal Zivilrecht und einmal OWi-/Verwaltungsrecht. Die Klammer? In beiden Entscheidungen geht es um einen E-Scooter.

Ich beginne hier mit dem AG Berlin-Mitte, Urt. v. 09.05.2023 – 151 C 60/22. Gestritten wird um Schadensersatz nach dem Umsturz eines E-Scooters auf einer Straße in Berlin. Die Beklagte hatte den E-Scooter auf dem Gehweg der pp. Straße abgestellt. Unter im Einzelnen zwischen den Parteien streitigen Umständen kam es gegen 19:30 Uhr durch den Umsturz des E-Scooters zu einer Kollision mit dem Klägerfahrzeug. Dabei wurde das fahrzueg beschädigt. Der Kläger verlangt Ersatz der Reparaturkosten u.a.

Der Kläger hat behauptet, durch den Umsturz des von der Beklagten unsachgemäß abgestellten E-Scooter sei es zu Beschädigungen seines Fahrzeugs gekommen, was die Beklagte gegenüber einer auch eingeräumt habe. Er ist der Ansicht, die Beklagten treffe bereits eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung. Die §§ 7, 18 StVG seien auf Elektrokleinstfahrzeuge jedenfalls entsprechend anzuwenden, da der Gesetzgeber ihre Erfassung offensichtlich vergessen habe. Anderenfalls liefe die Haftung von Versicherungen für die bei ihnen versicherten Elektrokleinstfahrzeugen faktisch ins Leere.

Die Beklagten haben behauptet, die Beklagte habe den E-Scooter ordnungsgemäß am Rand des Gehwegs abgestellt, sodass weder Fußgänger noch andere Verkehrsteilnehmer durch den E-Scooter behindert oder gefährdet worden seien. Die Beklagten sind ferner der Ansicht, die §§ 7, 18 StVG seien aufgrund der Regelung des § 8 Nr. 1 StVG nicht anwendbar, sodass der Kläger ein Verschulden der Beklagten positiv darlegen und beweisen müsse. Dieser Nachweis sei dem Kläger nicht gelungen.

Das AG hat die Klage abgewiesen:

„1.) Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, Abs. 2 und 18 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 VVG. Ein solcher Anspruch scheitert im vorliegenden Falle bereits an der fehlenden Anwendbarkeit der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung nach § 7 StVG.

Gemäß § 8 Nr. 1 StVG gilt die Vorschrift des § 7 StVG nicht, wenn der Unfall durch ein Kraftfahrzeug verursacht wurde, das auf ebener Bahn mit keiner höheren Geschwindigkeit als 20 km/h fahren kann. Der an dem Unfall beteiligte E-Scooter verfügte aber unstreitig über eine Zulassung nach der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV). Gemäß § 1 eKFV sind Elektrokleinstfahrzeuge Kraftfahrzeuge mit elektrischem Antrieb und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h. Dass der am Unfall beteiligte E-Scooter entgegen seiner Zulassung (etwa aufgrund sog. Tunings) schneller als 20 km/h fahren konnte ist von der Klägerseite weder dargelegt, noch bewiesen. Entsprechend findet § 7 StVG auf den am Unfall beteiligten E-Scooter keine Anwendung (ebenso LG Münster, Urt. v. 09.03.2020 – 8 O 272/19; AG Frankfurt, Urt. v. 22.04.2021 – 29 C 2811/20; Höke in Buschbell/Höke, MAH Straßenverkehrsrecht, 5. Aufl., 2020, § 59, Rn. 10).

Entgegen der Ansicht des Klägers kommt auch keine analoge Anwendung des § 7 StVG in Betracht (im Ergebnis ebenso AG Frankfurt, a.a.O., Rn. 19, zitiert nach juris). Nach allgemeiner Ansicht wäre hierfür das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage Voraussetzung. Dies scheitert nach der Überzeugung des Gerichts im vorliegenden Falle aber bereits an der Planwidrigkeit einer etwaigen Regelungslücke. Denn die entscheidungserhebliche Reglung in § 8 Nr. 1 StVG wurde durch den Gesetzgeber zuletzt durch das Gesetz zur Haftung bei Unfällen mit Anhängern und Gespannen im Straßenverkehr vom 10.07.2020 (BGBl. I S. 1653) sowie das Gesetz zum autonomen Fahren vom 12.07.2021 (BGBl. I S. 3108) geändert. Die eKFV dagegen wurde bereits am 06.06.2019 (BGBl. I S. 756) erlassen und trat am 15.06.2019 in Kraft. Dem Gesetzgeber waren die mit dem Betrieb von E-Scootern einhergehenden besonderen Gefahren und deren Auswirkungen in Praxis also durchaus bewusst. Dennoch hat er es – anders als etwa im Bereich des autonomen Fahrens – nicht für erforderlich erachtet, vom der Regelung des § 8 Nr. 1 StVG zugrunde liegenden Gedankens einer geringeren Betriebsgefahr bei langsamen Kraftfahrzeugen (BT-Drucks. 14/7752, S. 31) für den Fall von Elektrokleinstfahrzeugen abzuweichen. Die Frage, ob dieser Gedanke insgesamt überholt ist oder nicht (vgl. zur Kritik m.w.N. etwa Walter in BeckOGK BGB, 2022, § 8 StVG, Rn. 2 ff.), obliegt dagegen der Beurteilung durch den Gesetzgeber und nicht der Gerichte.

Schließlich hat der Kläger auch keinen Anspruch gemäß § 18 Abs. 1 StVG gegen die Beklagte zu 1) als Fahrerin des E-Scooters. Auch insoweit steht § 8 Nr. 1 StVG einer Haftung entgegen (vgl. BGH, Urt. v. 17.06.1997 – VI ZR 156/96).

2.) Dem Kläger steht auch kein deliktischer Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB zu.

Ihm ist es nicht gelungen den ihn obliegenden Beweis für eine mindestens fahrlässige Verletzung von Sorgfaltspflichten, die die Beklagte zu 1) in der konkreten Situation getroffen hätten, zu führen. Insbesondere die Vernehmung der vom Kläger angebotenen Zeugin […] blieb im Ergebnis unergiebig. Sie gab an den Umsturz des E-Scooters selbst nicht wahrgenommen, sondern diesen bereits auf bzw. an dem Klägerfahrzeug liegend aufgefunden zu haben. Auch ihre Schilderung eines Gesprächs mit der erst nachträglich eingetroffenen Beklagten zu 1) gibt für ein etwaiges Schuldanerkenntnis keine Anhaltspunkte. Die Beklagte zu 1) soll gegenüber der Zeugin lediglich angegeben haben, den E-Scooter an dieser Stelle abgestellt zu haben. Die Möglichkeit, dass es sich bei dem am Unfall beteiligten E-Scooter um denselben handeln könnte, den die Beklagte zu 1) zuvor auf dem Gehweg abgestellt hatte, räumte auch die Beklagte zu 1) in ihrer informatorischen Anhörung ein. Sie schilderte aber glaubhaft, zumindest von einem ordnungsgemäßen Abstellen ausgegangen zu sein; der Ständer sei sicher eingerastet.

Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht des Klägers, spricht für ein Verschulden der Beklagten zu 1) auch nicht der Beweis des ersten Anscheins. Voraussetzung hierfür wäre ein sog. typischer Geschehensablauf, also ein sich aus der Lebenserfahrung bestätigender gleichförmiger Vorgang, durch dessen Typizität es sich erübrigt, die tatsächlichen Einzelumstände eines bestimmten historischen Geschehens nachzuweisen (unter vielen BGH, Urt. v. 10.04.2014 – VII ZR 254/13, juris, Rn. 9; BGH, Urt. v. 26.03.2013 – VI ZR 109/12, juris, Rn. 26 ff.; m.w.N. auch Prütting in MünchKomm ZPO, 6. Aufl., 2020, § 286, Rn. 50; Sanger in Saenger, ZPO, 9. Aufl., 2021, § 286, Rn. 41 ff.; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl., 2023, § 286, Rn. 23 ff.). Erforderlich ist indes, dass die Typizität gerade so wahrscheinlich ist, dass sie die (volle) richterliche Überzeugung i.S.d. § 286 ZPO tragen kann (vgl. etwa BGH, Urt. v. 107.06.1997 – X ZR 119/94, juris, Rn. 12); dass von mehreren alternativen Ursachen eine wahrscheinlicher ist, reicht für die Annahme eines Anscheinsbeweises nicht aus (BGH, Urt. V. 17.02.1988 – IV a ZR 277/86 = NJW-RR 88, 789).

Gemessen an diesen Grundsätzen kann im Falle des Umfallens eine E-Scooters nicht im Wege eines Anscheinsbeweises der Rückschluss auf ein unsachgemäßes Abstellen oder sonstiges Verschulden des Abstellenden geschlossen werden (ebenso LG München, Beschluss v. 19.07.2021 – 17 S 14062/20, juris, Rn. 6). Sofern ein solcher Anscheinsbeweis im vorliegenden Falle nicht ohnehin schon allein durch die Standzeit bis zum Eintreffen des Klägerfahrzeugs widerlegt sein sollte, scheidet seine Annahme jedenfalls aus dem Grunde aus, dass das Umfallen eines E-Scooters – insbesondere in Großstädten – nach der Lebenserfahrung gerade nicht zwingend auf ein unsachgemäßes Abstellen hinweist. Vielmehr kommen aus Sicht des Gerichts mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit auch das fahrlässige oder vorsätzliche Umstoßen durch Dritte sowie der Einfluss starker Witterungsverhältnisse in Betracht. Hierbei hält das Gericht im Übrigen auch die zum ungeklärten Umkippen von ordnungsgemäß abgestellten Motorrädern ergangene und eine Haftung überwiegend ablehnende Rechtsprechung für übertragbar.

Schließlich stellt auch das Abstellen eines E-Scooters auf dem Gehweg an sich keinen Verstoß gegen eine Verkehrssicherungspflicht dar. Unabhängig davon, dass ein Parkverbot auf dem Gehweg ohnehin nicht den parkenden Verkehr, sondern den ungehinderten Fußgängerverkehr auf dem Gehweg schützt (m.w.N. LG München, a.a.O., Rn. 5), gelten für das Abstellen von Elektrokleinstfahrzeugen gemäß § 11 Abs. 5 eKFV die für Fahrräder geltenden Parkvorschriften entsprechend. Das Abstellen des E-Scooters auf dem Gehweg ist damit für sich betrachtet nicht pflichtwidrig. Darüber hinaus kann aber auch keine allgemeine Verkehrssicherungspflicht dahingehend angenommen werden, E-Scooter stets so abzustellen bzw. zu sichern, dass auch bei einem Umstoßen durch Dritte keinerlei Schäden entstehen können. Denn dann bestünden im innerstädtischen Raum nahezu keine Abstellmöglichkeiten mehr, da selbst beim Abstellen direkt an einer Hauswand natürlich Schäden an der Fassade nicht ausgeschlossen werden können (AG München, Urt. v. 09.10.2020 – 345 C 4693/20, juris, Rn. 37). Insbesondere bestand für die Beklagte zu 1) im hiesigen Fall gerade keine Pflicht, neben der Prüfung des ordnungsgemäßen Einrastens ihres Ständers, auch eine Prüfung aller nur denkbaren Fallradien vorzunehmen, um so eventuelle Schäden an erst künftig neben dem abgestellten E-Scooter geparkten Fahrzeugen sicher auszuschließen.

Mit dem Porsche Cabrio auf dem Nürburgring, oder: Haftungsquote und Nutzungsausfall

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei verkehrszivilrechtliche Entscheidungen, und zwar zwei LG-Entscheidungen.

Hier zunächst das LG Koblenz, Urt. v. 03.11.2022 – 10 O 39/20 -, das mir der Kollege Nugel aus Essen geschickt hat. Gestritten worden ist in dem Verfahren um den Schadensersatz nach einem Unfall auf dem Nürburgring. Dem urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger hatte eine sog. Touristenfahrt auf dem Nürburgring unternommen. Bei dem ihm vorausfahrenden Fahrzeug trat ein Betriebsmittelverlust auf. Aufgrund dieses Betriebsmittelbverlustes kam der Kläger mit seinem Porsche Cabrio bei der nachfolgenden Fahrt auf der Nordschleife des Nürburgrings bei der Durchfahrt einer Kurve von der Fahrbahn ab. Dadurch wurde sein Fahrzeug erheblich beschädig.

Der Kläger hat nun die Kfz-Haftpflichtversicherung des vor ihm befindlichen Kfz auf Schadensersatz in Anspruch. Gestritten haben die Parteien über die entsprechende Haftungsquote und einen vom Kläger begehrten Nutzungsausfall. Durch ein eingeholtes Sachverständigengutachten kontte dem Kläger frei von Zweifeln ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot nicht nachgewiesen werden.

Ich stelle hier nur die Ausführungen des LG zur Haftungsquote ein. Das LG geht dabei von 75 % zu 25 % zu Lasten des Beklagten aus:

„1. Sowohl die Beklagten als auch der Kläger haben grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß §§ 7, 17 Abs. 1, 2 StVG iVm § 115 VVG einzustehen, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Unabwendbar ist ein Ereignis nach § 17 Abs. 3 StVG nur dann, wenn es auch durch äußerste Sorgfalt – gemessen an den Anforderungen eines Idealfahrers – nicht abgewendet werden kann. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne von § 276 BGB hinaus (BGH, Urteil vom 18.01.2005 – VI ZR 115/04). Die besondere Sorgfalt des Idealfahrers muss sich im Übrigen nicht nur in der konkreten Gefahrensituation, sondern auch bereits im Vorfeld manifestieren. Denn der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnde Unfall wird nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) „ideal“ verhält (jurisPK Straßenverkehrsrecht, § 17 StVG, Rn. 15; zu § 7 Abs. 2 StVG a.F.: BGH, Urteil vom 13.12.2005 – VI ZR 68/04). Nach diesen Maßstäben war der Unfall für keinen der Beteiligten unabwendbar. Dass der Unfall für den Beklagten zu 1) unabwendbar gewesen wäre, hat dieser nicht vorgetragen. Eine Unabwendbarkeit lässt sich auch für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs nicht darstellen. Hierzu hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2022 ausgeführt, dass eine Vermeidbarkeit für den Fahrer des klägerischen Pkws nicht festgestellt werden könne. Dennoch ergibt sich nicht, dass der Unfall für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs unabwendbar gewesen wäre. Denn ein Idealfahrer hat auf der Nordschleife des Nürburgrings immer mit Verunreinigungen der Fahrbahn durch Betriebsmittel zu rechnen. Ein vorsichtiger Fahrer hätte seine Fahrweise hierauf eingerichtet. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass ein Idealfahrer den Unfall nicht hätte vermeiden können.

2. Die nach § 17 Abs. 1, 2 StVG danach vorzunehmende Haftungsabwägung führt zu einer Haftungsverteilung von 75 % (Beklagtenseite) zu 25 % (Klägerseite). Denn aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass der Unfall des Klägerfahrzeugs durch Wegrutschen auf der vom Beklagtenfahrzeug verursachten Betriebsmittelspur allein verursacht worden ist. Jedoch ist aufgrund der Erkennbarkeit der Betriebsmittelspur auf der Strecke auf Klägerseite eine Mithaftung in Höhe von 25 % zu berücksichtigen.

Dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs allein aufgrund der – unstreitig von dem Beklagten-fahrzeug verursachten – Betriebsmittelspur von der Fahrbahn abgekommen und mit der Leitplanke kollidiert ist, steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der nachvollziehbaren und überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. pp.. Dieser hat in seinem Gutachten vom 12.08.2021 ausgeführt, dass wenn ein Fahrzeug allein infolge einer der Streckenführung nicht angepassten Geschwindigkeit zur kurvenäußeren Seite von der Fahrbahn abkommt, die Abkommensbewegung in der Regel nahe dem Kurvenende beginnt und häufig auch verbunden ist mit einer zunehmenden Querstellung der Fahrzeuglängsachse gegenüber der Schwerpunktrichtung. Im vorliegenden Fall habe die Abkommensbewegung des klägerischen Fahrzeugs von der Fahrbahn bereits nahe des Kurvenbeginns eingesetzt und das Fahrzeug habe bis zur im Wesentlichen streifenden Leitplankenberührung keine ausgeprägte Winkelstellung seiner Längsachse gegenüber der Schwerpunktrichtung eingenommen. Daher sei nicht zu bestätigen, dass das Klägerfahrzeug allein wegen einer für die Streckenführung nicht angepassten, zu hohen Geschwindigkeit von der Fahrbahn angekommen war. Weiterhin konnte der Sachverständige eine Geschwindigkeit von 120 km/h in der Abkommenssituation ausschließen und feststellen, dass als realistisch vielmehr ein Geschwindigkeitsbereich von rund 60 bis annähernd 80 km/h zum Zeitpunkt des Abkommens von der Fahrbahn in Betracht komme. Zudem hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2022 nochmals erläutert, dass es ganz untypisch für einen Kontrollverlust wegen überhöhter Geschwindigkeit sei, wenn ein Fahrzeug zum Kurveneingang von der Fahrbahn abkomme. Vielmehr handele es sich vorliegend allein um ein Abkommen von der Fahrbahn aufgrund der verunreinigten Fahrbahnoberfläche. Das Gericht schließt sich den Ausführungen des Sachverständigen an und macht sie sich vollständig zu eigen. Zur Überzeugung des Gerichts steht damit fest, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs nicht aufgrund einer überhöhten Geschwindigkeit von der Fahrbahn abgekommen ist, sondern vielmehr aufgrund der verunreinigten Fahrbahn – wobei die Verursachung der Verunreinigung an sich zwischen den Parteien unstreitig ist.

Allerdings ist eine Mithaftung des Klägers in Höhe von 25 % anzunehmen.

Zwar kann dem Kläger kein Verstoß des Fahrers gegen das Gebot Fahren auf Sicht zur Last gelegt werden. Hierzu hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2022 ausgeführt, dass ein Verstoß gegen das Gebot Fahren auf Sicht dem klägerischen Fahrzeug nicht nachgewiesen werden kann. Hierzu führt der Sachverständige in seinem Gutachten vom 12.08.2021 überdies aus, dass wenn das klägerische Fahrzeug aus einer Geschwindigkeit von 77 km/h im Mittel mit einer Verzögerung von 7,5 m/s2 bis zum Stillstand abbremst, ein Bremsweg von 30,2 m erforderlich sei und sich selbst bei einer nur unterdurchschnittlichen Vorbremsung von 1 s ein Anhalteweg von rechnerisch rund 52 m ergebe. Zudem konnte der Sachverständige feststellen, dass sowohl die bildliche Darstellung des Streckenverlaufs im Bereich der Rechtskurve in welcher das klägerische Fahrzeug von der Fahrbahn abgekommen war, als auch das Videomaterial (vom streitgegenständlichen Unfall, insoweit wird Bezug genommen auf den zur Akte gereichten USB-Stick, Retent) abschätzen lasse, dass auch im Kurvenverlauf eine Sicht über diese Strecke auf die Fahrbahn versperrende Hindernisse zulasse. Es lasse sich daher rechnerisch nicht nachweisen, dass der Fahrer des klägerischen Pkws bis zum Abkommen von der Fahrbahn bei annähernd 80 km/h nicht auf Sicht gefahren sei.

Die von dem klägerischen Pkw ausgehende Betriebsgefahr tritt jedoch nicht vollständig hinter dem groben Verschulden des Beklagten zu 1) zurück. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs die Verunreinigung auf der Straße und die davon ausgehenden Gefahren hätte erkennen können. Zwar hat der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs glaubhaft bekundet, er habe von der Ölspur im Fahrzeug nichts mitbekommen; die Ölspur habe er im Auto nicht wahrnehmen können. Allerdings hat der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten in überzeugender und nachvollziehbarer Weise feststellen können, dass bei der abgebildeten Intensität der Fahrbahnverschmutzung diese bei sorgfältiger Beobachtung der Fahrbahnoberfläche im Abstand von einer Größenordnung von 50 m vor dem Fahrzeug – möglicherweise auch wenig abgeschwächt – wahrnehmbar gewesen sein kann.

Dies rechtfertigt eine Mithaftung des Klägers in Höhe von 25 %.“

Die Ausführungen des LG zum Nutzungsausfall überlasse ich dem Selbstleseverfahren im verlinkten Volltext. Dazu passt folgender Leitsatz:

Wird ein Porsche Cabrio nur als Sommerfahrzeug genutzt, trifft den Geschädigten eine sekundäre Darlegungslast bei dem Einwand, dass ihm ein zweites Fahrzeug zur Verfügung steht und daher ein Nutzungsausfall für den zeitweisen Gebrauchsverlust bei diesem Sportwagen ausscheidet.

Regulierung eines Verkehrsunfall in Großbritannien, oder: Anwendbares Recht, Haftung, Schadenshöhe

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Und als zweite Entscheidung, dann mal etwas Außergewöhnliches, nämlich die Regulierung eines Verkehrsunfalls in Großbritannien, und zwar in Saint Albans, Großbritannien an einem Kreisverkehr. Die Klägerin macht u.a. Gutachterkosten,  Reparaturkosten, Vorhaltekosten und eine allgemeine Auslagenpauschale geltend.

Gestritten wird um den Unfallhergang und die Höhe des Schadens. Die Klägerin trägt vor, dass der Zeuge S zum Unfallzeitpunkt mit dem ihrem Lkw MAN, auf dem Kreisverkehr auf der linken Spur fuhr, als Herr pp. mit einem bei der Beklagten versicherten Pkw von der rechten auf die linke Spur überwechselte. Dabei kam es zum Zusammenstoß zwischen dem klägerischen Fahrzeug vorne rechts und dem Beklagtenfahrzeug. Weiter trägt die Klägerin vor, dass der Unfall für den Zeugen S unvermeidbar gewesen sei.

Die Klage war teilweise begründet. Das AG führt im AG Schweinfurt, Urt. v. 07.06.2021 – 3 C 1314/19 – u.a. aus:

„I. Das AG Schweinfurt ist örtlich zuständig. Der Geschädigte kann bei einem Verkehrsunfall im Ausland an seinem Wohnsitzgericht eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer der Gegenseite erheben, da eine Direktklage gern. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG im deutschen Recht zulässig ist und der Versicherer im Hoheitsgebiet eines europäischen Mitgliedsstaates ansässig war, BGH NJW 2008, 2343 (VI ZR 200/05), EuGH VersR 2008, 111 (C.463/06, FBTO Schadeverzekeringen NV./. Odenbreit).

Das Amtsgericht Schweinfurt ist gem. den §§ 1 ZPO, 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG auch sachlich zu-ständig.

II. Anwendbares Recht:

Vorliegend ist materiell rechtlich das Recht des Vereinigten Königreichs, insbesondere Englisches Recht, maßgebend (Deliktsstatut).

Gem. Art. 4 Rom II-VO ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind (Tatortregel).

Haben der Ersatzpflichtige und der Verletzte ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in demselben Staat, unterliegen Ansprüche aus Straßenverkehrsunfällen gemäß Abs. 1 dem Recht des Unfall-orts, vgl. Junker in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 4 Rom II-VO Rn. 96.

Gem. Art. 15 Rom II-VO ist das nach dieser Verordnung auf außervertragliche Schuldverhältnis-se anzuwendende Recht insbesondere maßgebend

a) für den Grund und den Umfang der Haftung einschließlich der Bestimmung der Personen, die für ihre Handlungen haftbar gemacht werden können;

b) die Haftungsausschlussgründe sowie jede Beschränkung oder Teilung der Haftung;

c) das Vorliegen, die Art und die Bemessung des Schadens oder der geforderten Wiedergutmachung,

Das angerufene Gericht hat die Schadensberechnung auch sonst in derselben Weise vorzunehmen wie ein Gericht im Staat der lex causae. So wie bei Rechtsgeschäften nicht zwischen einem Vornahmestatut und einem Wirkungsstatut zu trennen ist, erfolgt auch bei unerlaubten Handlungen keine kollisionsrechtliche Trennung von Haftungsgrund und Haftungsfolgen, vgl. Junker in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2021, Art. 15 Rom II-VO Rn. 14.

Im engeren Sinne ist englisches Recht anwendbar, da jede Gebietseinheit des vereinigten Königreichs als eigener Staat gilt. Der Unfall hat in England stattgefunden, somit ist englisches Recht anwendbar. Dies ergibt sich aus den Ausführungen des Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, dem sich das Gericht aus eigener Überzeugung anschließt.“

Zur Haftung und zur Schadenshöhe dann bitte selbst weiterlesen.

Wenn das „Sonderschutzfahrzeug“ beim Rückwärtsfahren umfällt, oder: Haftung?

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Die zweite Entscheidung stammt auch vom OLG Celle. Das hat im OLG Celle, Urt. v. 10.06.2020 – 14 U 218/19 – über folgendes Unfall geschehen entschieden:

„Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Unfall, der sich am 14. März 2015 gegen 10.50 Uhr auf dem Betriebsgelände der Klägerin in G., L. Str. ereignet hat. Die Führung des Betriebes hatte die Klägerin der Firma G. mbH übertragen, die ihrerseits die Beklagte zu 1) mit der Erbringung von Sicherheitsleistungen betraut hatte. Die Klägerin war Eigentümerin des Sonderschutzfahrzeugs Mercedes Benz G-Guard, das der Beklagte zu 2) – ein Mitarbeiter der Beklagten zu 1) – auf dem Werksgelände steuerte, um eine Streifenfahrt zur Bewachung durchzuführen. Ihn begleitete als Beifahrer der Zeuge D. Im Rahmen eines Wendemanövers in Rückwärtsfahrt stürzte das klägerische Fahrzeug auf die rechte Seite und erlitt einen wirtschaftlichen Totalschaden. Die Klägerin hat die Beklagten auf Schadensersatz in Höhe von 111.567,09 EUR (vor allem Mietwagenkosten) nebst Feststellung der zukünftigen Schadensersatzpflicht (Erhöhung der Versicherungsprämie) in Anspruch genommen, weil der Beklagte zu 2) ein rasantes und überflüssiges Fahrmanöver ohne Anlass in Kenntnis der erleichterten Kippgefahr des Fahrzeugs durchgeführt und so den Schaden verschuldet habe. Die zur Zahlung aufgeforderte Beklagte zu 1) hat eine Schadensregulierung verweigert, da ein vertraglich vereinbarter Haftungsausschluss auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit greife, der hier zu bejahen sei, weil der Beklagte zu 2) ein normales Wendemanöver durchgeführt habe und mit einem Umstürzen des Fahrzeugs nicht habe rechnen müssen. Die Beklagte zu 1) treffe auch kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden hinsichtlich des Beklagten zu 2), der zuverlässig und besonnen sei. Die Schadenshöhe haben die Beklagten bestritten, insbesondere die Notwendigkeit des Zeitraums der Mietwagenkosten; es hätte ein Interimsfahrzeug beschafft werden können. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (Bl. 445R – 447R d. A.).“

Das LG hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen.Die Berufung dagegen hatte beim OLG Celle keinen Erfolg.

Hier der Leitsatz der OLG-Entscheidung:

„Der Fahrer eines Sonderschutzfahrzeugs, das wegen seiner Aufpanzerung beim zügigen Rückwärtsfahren mit eingeschlagener Lenkung schon nach wenigen Metern umkippt, handelt nicht fahrlässig (§§ 276 Abs. 2, 823 Abs. 1 BGB), weil diese Gefahr nicht vorhersehbar war, insbesondere auch nicht allgemein bekannt gemacht worden ist. „