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Haftung, wenn umfallender E-Scooter Pkw beschädigt, oder: Gefährdungs- und/oder Verschuldenshaftung?

entnommen wikimedia.org – gemeinfrei

Im Kessel Buntes heute dann zwei AG-Entscheidungen aus Berlin, einmal Zivilrecht und einmal OWi-/Verwaltungsrecht. Die Klammer? In beiden Entscheidungen geht es um einen E-Scooter.

Ich beginne hier mit dem AG Berlin-Mitte, Urt. v. 09.05.2023 – 151 C 60/22. Gestritten wird um Schadensersatz nach dem Umsturz eines E-Scooters auf einer Straße in Berlin. Die Beklagte hatte den E-Scooter auf dem Gehweg der pp. Straße abgestellt. Unter im Einzelnen zwischen den Parteien streitigen Umständen kam es gegen 19:30 Uhr durch den Umsturz des E-Scooters zu einer Kollision mit dem Klägerfahrzeug. Dabei wurde das fahrzueg beschädigt. Der Kläger verlangt Ersatz der Reparaturkosten u.a.

Der Kläger hat behauptet, durch den Umsturz des von der Beklagten unsachgemäß abgestellten E-Scooter sei es zu Beschädigungen seines Fahrzeugs gekommen, was die Beklagte gegenüber einer auch eingeräumt habe. Er ist der Ansicht, die Beklagten treffe bereits eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung. Die §§ 7, 18 StVG seien auf Elektrokleinstfahrzeuge jedenfalls entsprechend anzuwenden, da der Gesetzgeber ihre Erfassung offensichtlich vergessen habe. Anderenfalls liefe die Haftung von Versicherungen für die bei ihnen versicherten Elektrokleinstfahrzeugen faktisch ins Leere.

Die Beklagten haben behauptet, die Beklagte habe den E-Scooter ordnungsgemäß am Rand des Gehwegs abgestellt, sodass weder Fußgänger noch andere Verkehrsteilnehmer durch den E-Scooter behindert oder gefährdet worden seien. Die Beklagten sind ferner der Ansicht, die §§ 7, 18 StVG seien aufgrund der Regelung des § 8 Nr. 1 StVG nicht anwendbar, sodass der Kläger ein Verschulden der Beklagten positiv darlegen und beweisen müsse. Dieser Nachweis sei dem Kläger nicht gelungen.

Das AG hat die Klage abgewiesen:

„1.) Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, Abs. 2 und 18 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 VVG. Ein solcher Anspruch scheitert im vorliegenden Falle bereits an der fehlenden Anwendbarkeit der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung nach § 7 StVG.

Gemäß § 8 Nr. 1 StVG gilt die Vorschrift des § 7 StVG nicht, wenn der Unfall durch ein Kraftfahrzeug verursacht wurde, das auf ebener Bahn mit keiner höheren Geschwindigkeit als 20 km/h fahren kann. Der an dem Unfall beteiligte E-Scooter verfügte aber unstreitig über eine Zulassung nach der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV). Gemäß § 1 eKFV sind Elektrokleinstfahrzeuge Kraftfahrzeuge mit elektrischem Antrieb und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h. Dass der am Unfall beteiligte E-Scooter entgegen seiner Zulassung (etwa aufgrund sog. Tunings) schneller als 20 km/h fahren konnte ist von der Klägerseite weder dargelegt, noch bewiesen. Entsprechend findet § 7 StVG auf den am Unfall beteiligten E-Scooter keine Anwendung (ebenso LG Münster, Urt. v. 09.03.2020 – 8 O 272/19; AG Frankfurt, Urt. v. 22.04.2021 – 29 C 2811/20; Höke in Buschbell/Höke, MAH Straßenverkehrsrecht, 5. Aufl., 2020, § 59, Rn. 10).

Entgegen der Ansicht des Klägers kommt auch keine analoge Anwendung des § 7 StVG in Betracht (im Ergebnis ebenso AG Frankfurt, a.a.O., Rn. 19, zitiert nach juris). Nach allgemeiner Ansicht wäre hierfür das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage Voraussetzung. Dies scheitert nach der Überzeugung des Gerichts im vorliegenden Falle aber bereits an der Planwidrigkeit einer etwaigen Regelungslücke. Denn die entscheidungserhebliche Reglung in § 8 Nr. 1 StVG wurde durch den Gesetzgeber zuletzt durch das Gesetz zur Haftung bei Unfällen mit Anhängern und Gespannen im Straßenverkehr vom 10.07.2020 (BGBl. I S. 1653) sowie das Gesetz zum autonomen Fahren vom 12.07.2021 (BGBl. I S. 3108) geändert. Die eKFV dagegen wurde bereits am 06.06.2019 (BGBl. I S. 756) erlassen und trat am 15.06.2019 in Kraft. Dem Gesetzgeber waren die mit dem Betrieb von E-Scootern einhergehenden besonderen Gefahren und deren Auswirkungen in Praxis also durchaus bewusst. Dennoch hat er es – anders als etwa im Bereich des autonomen Fahrens – nicht für erforderlich erachtet, vom der Regelung des § 8 Nr. 1 StVG zugrunde liegenden Gedankens einer geringeren Betriebsgefahr bei langsamen Kraftfahrzeugen (BT-Drucks. 14/7752, S. 31) für den Fall von Elektrokleinstfahrzeugen abzuweichen. Die Frage, ob dieser Gedanke insgesamt überholt ist oder nicht (vgl. zur Kritik m.w.N. etwa Walter in BeckOGK BGB, 2022, § 8 StVG, Rn. 2 ff.), obliegt dagegen der Beurteilung durch den Gesetzgeber und nicht der Gerichte.

Schließlich hat der Kläger auch keinen Anspruch gemäß § 18 Abs. 1 StVG gegen die Beklagte zu 1) als Fahrerin des E-Scooters. Auch insoweit steht § 8 Nr. 1 StVG einer Haftung entgegen (vgl. BGH, Urt. v. 17.06.1997 – VI ZR 156/96).

2.) Dem Kläger steht auch kein deliktischer Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB zu.

Ihm ist es nicht gelungen den ihn obliegenden Beweis für eine mindestens fahrlässige Verletzung von Sorgfaltspflichten, die die Beklagte zu 1) in der konkreten Situation getroffen hätten, zu führen. Insbesondere die Vernehmung der vom Kläger angebotenen Zeugin […] blieb im Ergebnis unergiebig. Sie gab an den Umsturz des E-Scooters selbst nicht wahrgenommen, sondern diesen bereits auf bzw. an dem Klägerfahrzeug liegend aufgefunden zu haben. Auch ihre Schilderung eines Gesprächs mit der erst nachträglich eingetroffenen Beklagten zu 1) gibt für ein etwaiges Schuldanerkenntnis keine Anhaltspunkte. Die Beklagte zu 1) soll gegenüber der Zeugin lediglich angegeben haben, den E-Scooter an dieser Stelle abgestellt zu haben. Die Möglichkeit, dass es sich bei dem am Unfall beteiligten E-Scooter um denselben handeln könnte, den die Beklagte zu 1) zuvor auf dem Gehweg abgestellt hatte, räumte auch die Beklagte zu 1) in ihrer informatorischen Anhörung ein. Sie schilderte aber glaubhaft, zumindest von einem ordnungsgemäßen Abstellen ausgegangen zu sein; der Ständer sei sicher eingerastet.

Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht des Klägers, spricht für ein Verschulden der Beklagten zu 1) auch nicht der Beweis des ersten Anscheins. Voraussetzung hierfür wäre ein sog. typischer Geschehensablauf, also ein sich aus der Lebenserfahrung bestätigender gleichförmiger Vorgang, durch dessen Typizität es sich erübrigt, die tatsächlichen Einzelumstände eines bestimmten historischen Geschehens nachzuweisen (unter vielen BGH, Urt. v. 10.04.2014 – VII ZR 254/13, juris, Rn. 9; BGH, Urt. v. 26.03.2013 – VI ZR 109/12, juris, Rn. 26 ff.; m.w.N. auch Prütting in MünchKomm ZPO, 6. Aufl., 2020, § 286, Rn. 50; Sanger in Saenger, ZPO, 9. Aufl., 2021, § 286, Rn. 41 ff.; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl., 2023, § 286, Rn. 23 ff.). Erforderlich ist indes, dass die Typizität gerade so wahrscheinlich ist, dass sie die (volle) richterliche Überzeugung i.S.d. § 286 ZPO tragen kann (vgl. etwa BGH, Urt. v. 107.06.1997 – X ZR 119/94, juris, Rn. 12); dass von mehreren alternativen Ursachen eine wahrscheinlicher ist, reicht für die Annahme eines Anscheinsbeweises nicht aus (BGH, Urt. V. 17.02.1988 – IV a ZR 277/86 = NJW-RR 88, 789).

Gemessen an diesen Grundsätzen kann im Falle des Umfallens eine E-Scooters nicht im Wege eines Anscheinsbeweises der Rückschluss auf ein unsachgemäßes Abstellen oder sonstiges Verschulden des Abstellenden geschlossen werden (ebenso LG München, Beschluss v. 19.07.2021 – 17 S 14062/20, juris, Rn. 6). Sofern ein solcher Anscheinsbeweis im vorliegenden Falle nicht ohnehin schon allein durch die Standzeit bis zum Eintreffen des Klägerfahrzeugs widerlegt sein sollte, scheidet seine Annahme jedenfalls aus dem Grunde aus, dass das Umfallen eines E-Scooters – insbesondere in Großstädten – nach der Lebenserfahrung gerade nicht zwingend auf ein unsachgemäßes Abstellen hinweist. Vielmehr kommen aus Sicht des Gerichts mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit auch das fahrlässige oder vorsätzliche Umstoßen durch Dritte sowie der Einfluss starker Witterungsverhältnisse in Betracht. Hierbei hält das Gericht im Übrigen auch die zum ungeklärten Umkippen von ordnungsgemäß abgestellten Motorrädern ergangene und eine Haftung überwiegend ablehnende Rechtsprechung für übertragbar.

Schließlich stellt auch das Abstellen eines E-Scooters auf dem Gehweg an sich keinen Verstoß gegen eine Verkehrssicherungspflicht dar. Unabhängig davon, dass ein Parkverbot auf dem Gehweg ohnehin nicht den parkenden Verkehr, sondern den ungehinderten Fußgängerverkehr auf dem Gehweg schützt (m.w.N. LG München, a.a.O., Rn. 5), gelten für das Abstellen von Elektrokleinstfahrzeugen gemäß § 11 Abs. 5 eKFV die für Fahrräder geltenden Parkvorschriften entsprechend. Das Abstellen des E-Scooters auf dem Gehweg ist damit für sich betrachtet nicht pflichtwidrig. Darüber hinaus kann aber auch keine allgemeine Verkehrssicherungspflicht dahingehend angenommen werden, E-Scooter stets so abzustellen bzw. zu sichern, dass auch bei einem Umstoßen durch Dritte keinerlei Schäden entstehen können. Denn dann bestünden im innerstädtischen Raum nahezu keine Abstellmöglichkeiten mehr, da selbst beim Abstellen direkt an einer Hauswand natürlich Schäden an der Fassade nicht ausgeschlossen werden können (AG München, Urt. v. 09.10.2020 – 345 C 4693/20, juris, Rn. 37). Insbesondere bestand für die Beklagte zu 1) im hiesigen Fall gerade keine Pflicht, neben der Prüfung des ordnungsgemäßen Einrastens ihres Ständers, auch eine Prüfung aller nur denkbaren Fallradien vorzunehmen, um so eventuelle Schäden an erst künftig neben dem abgestellten E-Scooter geparkten Fahrzeugen sicher auszuschließen.

Das abgestellt Fahrrad fällt um – und dann?

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Als ich die PM vom 15.07.2013 zum AG München, Urt. v. 11.06.2013, 261 C 8956/13 entdeckt hatte, war meine rster Gedanke: Klar, dass das AG Münster sich mit einer solchen Frage befassen musste – Münster „Weltstadt des Fahrrades“. Bei genauerem Hinsehen, war es aber dann das AG München, das sich mit der Frage nach der Haftung für ein umgefallenes Fahrrad befassen musste.

Das AG München geht davon aus, dass das Parken eines Fahrrades auf dem Gehweg als Gemeingebrauch grundsätzlich zulässig ist, soweit das Rücksichtnahmegebot gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern beachtet wird. Erleide jemand einen Schaden an seinem PKW und geht er davon aus, dass dieser durch ein umgefallenes Fahrrad entstanden ist, habe er das aber zu beweisen. Verschuldensunabhängige Schadensersatzansprüche existieren für abgestellte Fahrräder nicht.

Im entschiedenen Fall hatte eine Münchnerin den BMW Mini ihres Vaters Ende Juni 2012 in der Maximiliansstraße abgestellt. Als sie ein paar Stunden später zurückkam, fand sie dort ein Fahrrad vor, das auf den rechten Kotflügel des PKWs gefallen war. Der Mini wies Kratzer sowie eine Delle am rechten Kotflügel auf. Bei Nachforschungen stellte sich heraus, dass das Fahrrad vorher durch seinen Besitzer auf dem Gehweg abgestellt worden war.

Die Reparatur des BMWs kostete 1745 Euro, die der Eigentümer des Wagens von dem Besitzer des Fahrrades verlangte. Schließlich habe dieser sein Fahrrad so abgestellt, dass es auf sein Auto fallen konnte. Dies sei grob fahrlässig gewesen. Jedes Fahrrad müsse so abgeschlossen werden, dass eine Beschädigung von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen sei. Der Fahrradfahrer hätte einen angemessenen Sicherheitsabstand einhalten müssen.

Der Besitzer des Fahrrades weigerte sich zu zahlen. Er habe sein Fahrrad ordnungsgemäß abgestellt. Was dann passiert sei, wisse er nicht.

Der Mini-Fahrer erhob Klage vor dem Amtsgericht München. Das hat die Klage abgewiesen: Zwar habe der Kläger einen Schaden an seinem PKW erlitten, es fehle aber der Nachweis der schuldhaften Verursachung des Schadens durch den Fahrradfahrer. Das Parken eines Fahrrades auf dem Gehweg sei als Gemeingebrauch grundsätzlich zulässig, soweit das Rücksichtnahmegebot gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern beachtet werde. Verschuldensunabhängige Schadensersatzansprüche existierten für abgestellte Fahrräder nicht. Nachdem das Fahrrad nicht befestigt gewesen sei, könne nicht ausgeschlossen werden, dass es von einem Dritten aus einer zunächst gesicherten Position fortbewegt wurde – etwa um Platz für ein eigenes Fahrrad zu schaffen – und erst so in die das Eigentum des Klägers gefährdende Position gebracht wurde. Ein solches Verhalten eines Dritten wäre dem Fahrradfahrer nicht zuzurechnen. Die Behauptung des Klägers, der Beklagte selbst habe sein Fahrrad so abgestellt, dass es auf sein Auto fallen konnte, habe jener nicht beweisen können. Ein Schadenersatzanspruch sei deshalb nicht gegeben.

 Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.