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„..die lichtvollen Ausführungen … hat die Kammer dankbar ….. zur Kenntnis genommen“, oder: Muss das sein?

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Bei manchen Entscheidungen frage ich mich: Was soll das eigentlich bzw. musste das sein? Da geht es dann aber häufig nicht um die entschiedene Rechtsfrage, also den rechtlichen Inhalt der Entscheidung, sondern meist um Formulierungen in der Entscheidung. So war es beim OLG Rostock, Beschl. v. 17.11.2015 – 21 Ss OWi 158/15 betreffend die Zulässigkeit der Auswertung einer Geschwindigkeitsmessung durch einen privaten Dienstleister (vgl. dazu Ring frei III: OLG Rostock zur Auswertung von Messungen durch Private, oder: Alles in allem – unschön). Da hatte mich der in meinen Augen schon harsche Rüffel des Amtsrichters durch den Einzelrichter des OLG erstaunt/geärgert.

Und so ist es auch mit einem Beschluss der LG Augsburg, der mir in den vergangenen Tagen „zugespielt“ worden ist. Ergangen ist der Beschluss in einem Haftprüfungsverfahren. Das AG Augsburg hat gegen den Beschuldigten Haftbefehl erlassen – der Vorwurf und die Haftgründe tun hier jetzt nichts zur Sache. Gegen diesen Beschluss legt der Verteidiger beim Amtsgericht Haftbeschwerde ein. Und da er damit beim AG Augsburg schon mal leidvolle Erfahrung gemacht hat – das Haftgericht hatte früher, alledings ein anderer als der jetzt zuständige Ermittlungsrichter, mal eine Haftbeschwerde 11 Tage liegen lassen, bevor die dem Beschwerdegericht vorgelegt wurde -, hat er in seiner Haftbeschwerde unter „6“. wie folgt formuliert/ausgeführt:

„Nach allem ist der Haftbefehl aufzuheben.

Hilfsweise ist er gegen geeignete Auflagen außer Vollzug zu setzen.

Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich das Gericht ausdrücklich darauf hinweisen muss, dass über die Beschwerde binnen drei Tagen entschieden werden muss oder unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen ist.

Ich verweise auf § 306 Abs. 2 HS. 2 StPO. Die inzwischen als Mindermeinung anzusehende Ansicht, dass es sich hier um eine reine Sollvorschrift handele, die lediglich „nach Möglichkeit anzuhalten sei“ verkennt, dass die Vorschrift unmittelbarer Ausfluss des zu beachtenden Beschleunigungsgebotes in Haftsachen ist (so ausdrücklich OLG Naumburg NStZ-RR 2011, 123 f. = StraFo 2010, 464 f. = StRR 2011, 34 = StV 2011, 39; ebenso bereits früher OLG Hamm StV 2006, 91; OLG Hamm StV 2002, 492; OLG Hamm StV 2000, 153). Eine Verzögerung kann und darf deshalb nicht hingenommen werden. Die Frist darf nicht nur zur Formalie mutieren. Konsequenz eines Verstoßes muss deshalb die Aufhebung des Haftbefehls sein. Ich verweise zum ganzen auf Herrmann in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 2. Auflage 2016, § 117 Rn. 46.

Die Staatsanwaltschaft wurde unmittelbar informiert. Ich habe ihr eine Kopie der Haftbeschwerde per Telefax zugeleitet und um Vorlage der Akten an das Haftgericht gebeten.

Ich darf das Gericht dennoch bitten, die Frist zur Entscheidung über die Haftbeschwerde vorzumerken.

Sollte die Staatsanwaltschaft nicht rechtzeitig die Akte vorlegen, dann müsste ohne Akten entschieden werden.

Sollte die Staatsanwaltschaft eine Stellungnahme zur Sache abgeben, dann bitte ich, mir diese bekannt zu machen. Ich beanspruche für meinen Mandanten insofern rechtliches Gehör. Um die Sache nicht zu verzögern bitte ich um Übersendung per Telefax.“

Und er bekommt eine Haft(fortdauer)entscheidung des LG Augsburg, in der seine Beschwerde zurückgewiesen wird; auch die dafür angeführten Gründe tun hier nichts zur Sache. In der Entscheidung heißt es dann am Schluss:

„Die lichtvollen Ausführungen am Ende der Beschwerdeschrift (unter Punkt 6) hat die Kammer dankbar und voller Interesse zur Kenntnis genommen.“

Ja, das steht da wirklich so. Da frage ich mich nun wirklich, was soll das? Hat eine Strafkammer es nötig, so auf in der Darstellung neutrale und m.E. in keiner Weise zu beanstandenden Vortrag eines Verteidigers zu reagieren? Es ist ja schön und zu begrüßen, wenn die  Kammer den hinter diesen Ausführungen des Verteidigers stehenden Streit in Rechtsprechung und Literatur kennt. Dann nehme ich diesen Vortrag zur Kenntnis, kommentiere ihn aber nicht, jedenfalls nicht so. Kannte die Kammer den Streit nicht, dann sollte sie wirklich „dankbar“ sein über die „lichtvollen Ausführungen“. Jedenfalls liegen für mich die Ausführungen neben der Sache. Sind sie arrogant und/oder überheblich, sind sie nur – aus welchem Grund – spöttisch, oder auch zynisch? Das mag jeder für sich entscheiden. Jedenfalls zeigen sie mir ein doch – gelinde ausgedrückt – recht eigenartiges richterliches Selbstverständnis. Also: Muss das sein? Und: Man mag sich auch mal Gedanken darum machen, welchen Eindruck solche Formulierungen bei dem Beschuldigten hinterlassen…..

Karlheinz Schreiber kommt nun doch mal erst nicht frei

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Am Dienstag/Mittwoch war berichtet worden, dass das LG Augsburg den den Haftbefehl gegen den früheren Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber wegen gesundheitlicher Probleme gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt hat. Zu lesen u.a. bei der LTO, wie folgt:

.Schreiber muss eine Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000 Euro in bar hinterlegen und außerdem seinen Personalausweis und seinen Reisepass abgeben.

Die 10. Strafkammer des Landgerichts (LG) hat den Haftbefehl gegen den 78-Jährigen auf Antrag der Verteidigung aufgehoben. Der zu acht Jahren Gefängnis verurteilte Schreiber steht von nun an unter Hausarrest. Die Kammerentscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Schreiber hatte im März in seiner Gefängniszelle einen Herzinfarkt erlitten. Es bestünden erhebliche Zweifel an Schreibers Haft- und Verhandlungsfähigkeit, erklärte der Sprecher. Sein Hausarrest beinhalte, dass er sich einmal täglich bei der Polizeiinspektion Landsberg meldet.

Den Angaben zufolge darf Schreiber zudem sein Grundstück nicht ohne vorherige gerichtliche Genehmigung verlassen. Mit den Auflagen soll verhindert werden, dass der frühere Waffenlobbyist flüchtet. Er war nach jahrelangen juristischen Verfahren erst im August 2009 von Kanada ausgeliefert worden, wohin er sich abgesetzt hatte.

Nach Justizangaben hat die Staatsanwaltschaft gegen die Freilassung Schreibers Rechtsmittel eingelegt. Darüber muss das Oberlandesgericht München entscheiden.

Schreiber war im Mai 2010 wegen Steuerhinterziehung von 7,3 Millionen Euro zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Im September 2011 verwies der Bundesgerichtshof den Fall an das LG Augsburg zurück. Die Richter sollen unter anderem prüfen, ob die Schlüsselfigur der CDU-Spendenaffäre zur Tatzeit vor allem in Kanada lebte – und damit kanadische Steuerbehörden zuständig wären.“

Inzwischen meldet die SZ, dass man die Freilassung erst mal gestoppt hat, um das Ergebnis des Rechtsmittels der StA abzuwarten, die Beschwerde eingelegt hat. Die „SZ“ spricht von „Verwirrung im Fall Schreiber“. Nun ja,  wieso Verwirrung. Ist der normale Gang der Dinge.

Beate Zschäpe kommt nicht frei – BGH verwirft Haftbeschwerde – Zusammenstellung der bisherigen Ermittlungen zum Nachlesen

Der BGH meldet gerade mit einer PM, dass der 3. Strafsenat in BGH, Beschl. v. 28.02.2012 – StB 1/12 die Haftbeschwerde von Beate Zschäpe verworfen hat.

M.E. verwundert das nicht. Der BGH-Beschl. enthält auch keine neuen Erkenntnisse zu U-Haft-Fragen, aber eine anschauliche Zusammenstellung des bisherigen Ermittlungsergebnisses. Von daher vielleicht lesenswert.

Kennen eigentlich AG und LG § 306 Abs. 2 StPO nicht? – oder: Bewegung/Eile tut Not, vor allem auch in Haft(beschwerde)sachen…

Da habe ich mal eine schöne Haftentscheidung, die einen Bericht lohnt, und zwar der Beschluss des OLG Naumburg vom 21.07.2010 – 1 Ws 398/10, den mir der Verteidiger gerade zugeschickt hat. Die Entscheidung – noch der Vorwurf des Diebstahl mit einem Beutewert von unter 200 € –  lässt sich etwa in folgenden Leitsätzen zusammenfassen:

  1. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit in U-Haft-Sachen ist nur auf die Tat abzustellen, die Gegenstand des Haftbefehls ist.
  2. Je nach Sachlage kann in Haftsachen eine Verzögerung von drei Monaten zu beanstanden sein, wobei schon eine vermeidbare Verfahrensverzögerung von rund zwei Monaten mit dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen unvereinbar sein kann.
  3. Insbesondere in Haftsachen ist die Vorlagefrist des § 306 Abs. 2 StPO besonders zu beachten.

Bemerkenswert und von allgemeinem Interesse ist m.E der Punkt 3.  Dzu heißt es im Beschluss wörtlich:

Der Senat sieht sich ferner veranlasst, darauf hinzuweisen, dass auch im Beschwerdeverfah­ren Verfahrensverzögerungen verursacht worden sind. Zunächst ist auf § 306 Abs. 2 StPO hinzuweisen, wonach die Beschwerde sofort, spätestens vor Ablauf von drei Tagen dem Be­schwerdegericht vorzulegen ist. Vorliegend hat das Beschwerdegericht trotz des dortigen Akteneingangs am 25. März 2010 erst am 20. April 2010 über die Haftbeschwerde vom 17. März 2010 und trotz des Akteneingangs am 22. Juni 2010 erst am 01. Juli 2010 über die Haftbeschwerde vom 18. Juni 2010 entschieden, wodurch insgesamt eine vermeidbare Ver­fahrensverzögerung von mehr als 1 Monat verursacht worden ist.“

Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen, außer: Das OLG Hamm hatte die Problematik der zögerlichen/verzögerten Vorlage der Akten beim Beschwerdegericht gerade auch für Haftsachen schon in der Vergangenheit mehrfach beanstandet (vgl. OLG Hamm StV 2000, 153; 2002, 492; 2006, 91) und darauf hingewiesen, dass eine Verletzung der Vorlagefrist des § 306 Abs. 2 StPO zu einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes führen können. In die Richtung geht nun auch das OLG Naumburg.

Verteidiger sollten die Einhaltung dieser Frist anmahnen und Verletzungen als rechtswidrig beanstanden. Im Übrigen: Ich habe während meiner richterlichen Tätigkeit nie verstanden, warum Informationen an Richter, wie z.B. über die Änderungen von Beihilfevorschriften, durch Sonderwachtmeister transportiert/zugetragen werden, Haftsachen aber auf „normalen Wegen“. Die Väter/Mütter der StPO sind jedenfalls – und das unter Berücksichtigung der Transportverhältnisse bei Erlass der StPO im Jahr 1870 (?)1877 – davon ausgegangen, dass die Akten in drei Tagen beim Beschwerdegericht sein können.

Na also, Haftbeschwerde Kachelmann hat Erfolg: Kein dringender Tatverdacht

Das OLG Karlsruhe meldet gerade in einer PM:

„Jörg Kachelmann: Haftbeschwerde hat Erfolg

Der dritte Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat mit Beschluss vom heutigen Tage der Haftbeschwerde des vor dem Landgericht Mannheim angeklagten Meteorologen Jörg Kachelmann stattgegeben und seine umgehende Freilassung aus der Justizvollzugsanstalt Mannheim angeordnet.

Jörg Kachelmann wurde aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Mannheim vom 25.02.2010 wegen des Vorwurfs, die Nebenklägerin in der Nacht vom 08. auf den 09.02.2010 unter Einsatz eines Messers vergewaltigt und sich deshalb der besonders schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gemacht zu haben, am 20.03.2010 festgenommen und befand sich danach bis heute ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Nachdem die Staatsanwaltschaft Mannheim am 17.05.2010 Anklage zum Landgericht Mannheim erhoben hatte, wies die dort zuständige Strafkammer am 01.07.2010 einen Antrag des Angeschuldigten auf Aufhebung des Haftbefehls zurück und ordnete die Haftfortdauer an. Der noch am selben Tag über seinen Verteidiger erhobenen Haftbeschwerde des Angeschuldigten half das Landgericht am 02.07.2010 nicht ab und legte die Akten dem Oberlandesgericht Karlsruhe zur Entscheidung über das Rechtsmittel vor. Dieses hat Erfolg.

Vor dem Hintergrund der am 09.07.2010 erfolgten Eröffnung des Hauptverfahrens und der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung durch die zuständige Strafkammer des Landgerichts Mannheim hat der 3. Strafsenat im Rahmen der Beschwerdeentscheidung zunächst auf den Unterschied zwischen dem nach § 203 StPO für die Eröffnung des Hauptverfahrens genügenden hinreichenden Tatverdacht, der auch die besseren Aufklärungsmöglichkeiten in der Hauptverhandlung in Rechnung zu stellen habe, und dem für die Untersuchungshaft nach § 112 Absatz 1 Satz 1 StPO erforderlichen dringenden Tatverdacht hingewiesen, der einen stärkeren Verdachtsgrad erfordere.

Der 3. Strafsenat hat sodann ausgeführt, dass jedenfalls im derzeitigen Stadium des Verfahrens kein dringender Tatverdacht mehr bestehe. Zur Begründung hat der Senat insbesondere darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf den den Tatvorwurf bestreitenden Angeklagten und die Nebenklägerin als einzige Belastungszeugin die Fallkonstellation der „Aussage gegen Aussage“ vorliege. Die Nebenklägerin, bei der Bestrafungs- und Falschbelastungsmotive nicht ausgeschlossen werden könnten, habe zudem bei der Anzeigeerstattung und im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens zu Teilen der verfahrensgegenständlichen Vorgeschichte und des für die Beurteilung des Kerngeschehens (dem Vergewaltigungsvorwurf) bedeutsamen Randgeschehens zunächst unzutreffende Angaben gemacht. Hinsichtlich der Verletzungen der Nebenklägerin könne derzeit aufgrund der bisher durchgeführten Untersuchungen und Begutachtungen neben einer Fremdbeibringung auch eine Selbstbeibringung nicht ausgeschlossen werden.

Im Hinblick auf den aktuell nicht mehr bestehenden dringenden Tatverdacht könne ferner – so der 3. Strafsenat – dahinstehen, ob in der Person des Angeklagten derzeit noch der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gegeben sei.

Aufgrund der zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr bestehenden gesetzlichen Voraussetzungen für die Untersuchungshaft hat der 3. Strafsenat im Ergebnis die Haftfortdauerentscheidung des Landgerichts Mannheim vom 01.07.2010 sowie den ihr zugrunde liegenden Haftbefehl des Amtsgerichts Mannheim vom 25.02.2010 aufgehoben und die Freilassung des Angeklagten angeordnet.“

Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 29. Juli 2010 (3 Ws 225/10)“

Stellungnahme: sehr selten, dass ein OLG zum dringenden Tatverdacht Stellung nimmt.