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Absprache III: Der Umfang der Urteilsaufhebung, oder: Aufhebung auch des rechtsfehlerfreien Schuldspruchs

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Und als letzte Entscheidung dann noch einmal etwas vom BGH, und zwar das zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehene BGH, Urt. v. 23.11.2022 – 5 StR 347/22.

Das LG hat den Angeklagten wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und eine Einziehungsanordnung getroffen. Das LG hat im Urteil eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten angenommen. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil zuungunsten des Angeklagten Revision eingelegt und die mit der Sach- und einer Verfahrensrüge begründet. Während sie mit der Rüge der Verletzung formellen Rechts keinen Erfolg hatte, hatte die Sachrüge Erfolg.

Der BGH hat aber nicht nur den Strafausspruch wegen Rechtsfehlern bei der Anwendung des § 21 StGB aufgehoben, sondern das Urteil insgesamt. Dazu führt der BGH im Hinblick auf § 353 StPO und auf das vom im Rahmen einer Verständigung abgelegte Geständnis aus:

„2. Der Rechtsfehler bei der Strafbemessung zwingt hier in Abweichung von dem revisionsrechtlichen Regelungskonzept zu einer umfassenden Aufhebung des Urteils.

Nach § 353 Abs. 1 StPO ist ein angefochtenes Urteil zwar nur insoweit aufzuheben, als die Revision für begründet erachtet wird; die Feststellungen unterliegen nur der Aufhebung, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden (§ 353 Abs. 2 StPO). Gemessen daran wäre lediglich der Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und der von dem Rechtsfehler nicht betroffene Schuldspruch würde in Rechtskraft erwachsen.

Hat eine zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft allein zum Strafausspruch Erfolg, gebietet der Grundsatz des fairen Verfahrens aber, abweichend von § 353 Abs. 1 StPO auch den Schuldspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben, wenn dieser – wie hier – auf einem im Rahmen einer Verständigung nach § 257c StPO abgelegten Geständnis des Angeklagten beruht. Das ergibt sich aus Folgendem:

a) Nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht ist das zur Entscheidung berufene Tatgericht nicht an eine Verständigung gebunden, die in der Vorinstanz zustande gekommen war. Zwar ist der Wegfall der Bindungswirkung ausdrücklich nur in den Fällen vorgesehen, in denen rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, der in Aussicht gestellte Strafrahmen sei nicht mehr tat- oder schuldangemessen, oder in denen das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist (§ 257c Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO). Die Bindungswirkung einer Verständigung gilt nach § 257c StPO aber nur für das Gericht, das die der Verständigung zugrunde liegende Prognose abgegeben hat; das nach Zurückverweisung zuständige (neue) Tatgericht ist nach dem Willen des Gesetzgebers nicht an die Verständigung gebunden (vgl. BT-Drucks. 16/12310, S. 15). Dies findet seine Rechtfertigung darin, dass andernfalls Richter, die an einer Verständigung nicht beteiligt waren und eine solche mit dem Inhalt auch nicht getroffen hätten, bei ihrem Urteilsspruch gebunden werden könnten. Es entspricht daher sowohl der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als auch der ganz überwiegenden Auffassung in der Literatur, dass nach Aufhebung und Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht das neue Tatgericht nicht an die in der Vorinstanz getroffene Verständigung gebunden ist (vgl. BGH, Urteile vom 1. Dezember 2016 – 3 StR 331/16, NStZ 2017, 373, 374; vom 26. Mai 2021 – 2 StR 439/20, StV 2022, 291, 292; Beschluss vom 17. Februar 2021 – 5 StR 484/20, BGHSt 66, 37; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 257c Rn. 27c; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, 8. Aufl., § 257c Rn. 26; SSW-StPO/Ignor/Wegener, 4. Aufl., § 257c Rn. 88; LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 257c Rn. 64; BeckOK StPO/Eschelbach, 45. Ed., § 257c Rn. 30a; MüKo-StPO/Jahn/Kudlich, § 257c Rn. 148; HK-StPO/Temming, 6. Aufl., § 257c Rn. 32; ebenso für die Berufungsinstanz OLG Karlsruhe NStZ 2014, 294, 295 mwN; aA Kuhn StV 2012, 10, 11 f.; siehe auch SK-StPO/Velten, 5. Aufl., § 257c Rn. 29).

b) Die bloße Anwendung von § 353 StPO auf einen solchen Fall würde zudem zu einem nicht tragfähigen Ergebnis führen: Der Schuldspruch würde rechtskräftig, der Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Das Verschlechterungsverbot (§§ 331, 358 Abs. 2 StPO) gälte nicht, weil die Staatsanwaltschaft die Revision zuungunsten des Angeklagten eingelegt hatte. Das neue Tatgericht wäre nicht an die in der Vorinstanz zustande gekommene Verständigung gebunden und könnte gegen den Angeklagten deshalb eine Strafe verhängen, die über die im ersten Rechtsgang zugesagte Strafobergrenze hinausginge. Ohne Belang bliebe danach, dass der Schuldspruch (auch) auf einem Geständnis beruht, das der Angeklagte im Vertrauen auf diese Zusage abgegeben hatte. Im Ergebnis würde hiernach ein im Hinblick auf eine zustande gekommene Verständigung abgegebenes Geständnis verwertet, obwohl diese keinen Bestand hat. Dies wäre unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht mit dem verfassungsrechtlich abgesicherten Grundsatz des fairen Verfahrens vereinbar. Im Einzelnen:

aa) Der Gesetzgeber hat der Geltung dieses Grundsatzes mit der Regelung des § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO für das Verständigungsverfahren ausdrücklich Rechnung getragen (BT-Drucks. 16/12310, S. 14). Danach darf ein im Hinblick auf eine Verständigung abgegebenes Geständnis nicht verwertet werden, wenn die Bindung des Gerichts an die Verständigung entfällt. Zwar ist das gesetzliche Verwertungsverbot in einer wie der hier gegebenen Konstellation nicht unmittelbar anwendbar, weil es nach seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung nur eingreift, wenn sich das Gericht aus einem der in § 257c Abs. 4 Sätze 1 und 2 StPO genannten Gründe von der Verständigung gelöst hat. Ebenso wenig kommt eine entsprechende Anwendung des § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO in Betracht (so indes OLG Düsseldorf StV 2011, 80, 81), da es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 – 5 StR 484/20, BGHSt 66, 37 mwN). Die Geltung des Grundsatzes des fairen Verfahrens beschränkt sich im Zusammenhang mit Verständigungen im Sinne des § 257c StPO jedoch nicht auf die der Regelung des § 257c Abs. 4 StPO zugrunde liegende Konstellation. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit der Normierung des Verwertungsverbots dem Grundsatz eines auf Fairness angelegten Strafverfahrens allgemein „Rechnung getragen“ (BT-Drucks. 16/12310, S. 14); dieser Grundsatz stellt ein dem gesamten Strafverfahren und mithin auch dem gesamten Verständigungsverfahren übergeordnetes Leitprinzip dar (vgl. MüKo-StPO/Jahn/Kudlich, § 257c Rn. 172).

bb) Davon ausgehend ist die obergerichtliche Rechtsprechung und die Literatur – teils allerdings unter entsprechender Anwendung von § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO – überwiegend der Auffassung, dass ein in der ersten Instanz im Hinblick auf eine Verständigung abgegebenes Geständnis unverwertbar ist, wenn sich das Berufungsgericht von einer in der ersten Instanz erzielten Verständigung lösen will (vgl. OLG Karlsruhe NStZ 2014, 294, 295; OLG Hamm, Beschluss vom 22. November 2017 – III-1 RVs 79/17 Rn. 20; OLG Naumburg NStZ 2018, 238, 239; OLG Düsseldorf StV 2011, 80, 81; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 257c Rn. 29b; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, 8. Aufl., § 257c Rn. 26; SSW-StPO/Ignor/Wegener, 4. Aufl., § 257c Rn. 116; LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 257c Rn. 88; BeckOK StPO/Eschelbach, 45. Ed., § 257c Rn. 37; aA HK-StPO/Temming, 6. Aufl., § 257c Rn. 32). Die Beschränkung eines zuungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft auf den Strafausspruch wird dann überwiegend für unwirksam erachtet (vgl. OLG Hamm aaO; OLG Düsseldorf aaO, 82; OLG Naumburg aaO; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 318 Rn. 17; LR/Stuckenberg, aaO; SSW-StPO/Ignor/Wegener, aaO Rn. 126; BeckOK StPO/Eschelbach, aaO, § 318 Rn. 23; Schneider NZWiSt 2015, 1, 4; offen gelassen von OLG Nürnberg NStZ-RR 2012, 255, 256; siehe auch Wenske NStZ 2015, 137, 143).

cc) Der Bundesgerichtshof hat sich aus den gleichen Gründen für ein Verbot der Verwertung des im Hinblick auf eine Verständigung in der ersten Instanz abgegebenen Geständnisses ausgesprochen, wenn das Urteil auf eine Revision der Staatsanwaltschaft aufgehoben wird und das nach Zurückverweisung zur Entscheidung berufene Tatgericht sich nicht von sich aus an die vom Erstgericht zugesagte Strafobergrenze binden will (vgl. BGH, Urteile vom 1. Dezember 2016 – 3 StR 331/16, NStZ 2017, 373, 374; vom 26. Mai 2021 – 2 StR 439/20, StV 2022, 291, 292; Beschluss vom 17. Februar 2021 – 5 StR 484/20, NStZ 2021, 568, 570 f.; abweichend BGH, Urteil vom 28. Februar 2013 – 4 StR 537/12, NStZ-RR 2013, 373).

dd) Diesen dem Gebot eines fairen Verfahrens geschuldeten Grundsätzen kann das Revisionsgericht unter den hier gegebenen Umständen nur dadurch gerecht werden, dass es abweichend von § 353 Abs. 1 StPO nicht nur den Strafausspruch, sondern auch den Schuldspruch aufhebt und die Sache insgesamt zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverweist. Nur so kann das schützenswerte Vertrauen des Angeklagten in das Gegenseitigkeitsverhältnis seines Geständnisses und der zugesagten Strafobergrenze einerseits mit dem Umstand der fehlenden Bindungswirkung des neuen Tatgerichts an die Verständigung andererseits in Einklang gebracht werden. Denn hätte das neue Tatgericht lediglich noch über den Strafausspruch zu entscheiden, könnte es mangels Bindung an die erstinstanzliche Verständigung über die zugesagte Strafobergrenze hinausgehen, obwohl das im Vertrauen auf den Bestand der Verständigung abgegebene Geständnis des Angeklagten infolge der Rechtskraft des Schuldspruchs faktisch die Grundlage für diese Entscheidung bilden würde. Dies wäre aber ebenso wie in den vorgenannten Konstellationen nicht mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens vereinbar. Dass das Geständnis in der hier gegebenen Konstellation durch das neue Tatgericht nicht nach § 261 StPO verwertet, sondern infolge der revisionsrechtlichen Regelungen der §§ 353, 354 Abs. 2 StPO und der sich daraus ergebenden Teilrechtskraft bei der Entscheidung über den Strafausspruch ohne weiteres zur Geltung kommen würde, ist für die Frage, ob der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt ist, nicht von entscheidender Bedeutung.

3. Zu der mit derselben Zielrichtung erhobenen Verfahrensrüge bemerkt der Senat:

Hält das Gericht trotz veränderter Beurteilungsgrundlage an einer zuvor getroffenen Verständigung fest, kommt ein Verfahrensverstoß gegen § 257c Abs. 4 StPO nur dann in Betracht, wenn der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Bei der Beantwortung dieser Frage kommt dem Gericht – wie auch sonst bei Wertungsakten im Rahmen der Strafzumessung – ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Dieser ist erst überschritten, wenn der zugesagte Strafrahmen nicht mehr mit den Vorgaben des materiellen Rechts in Einklang zu bringen ist und sich damit als unvertretbar erweist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 StR 623/11, BGHSt 57, 273, 280). So liegt der Fall indes nicht. Nach der vom Landgericht angenommenen Milderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB sah der gesetzliche Strafrahmen die Verhängung einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren bis zu elf Jahren und drei Monaten vor; der zugesagte von vier Jahren und sechs Monaten bis zu fünf Jahren und sechs Monaten hielt sich in diesem Rahmen.“

Zu dem vom Angeklagten im Rahmen der Verständigung nach § 257c StPO abgelegten Geständnis merkt er noch an:

„1. Das in der ersten Hauptverhandlung abgelegte Geständnis des Angeklagten darf verwertet werden, wenn das neue Tatgericht den Rahmen der in der ersten Instanz getroffenen Verständigung nicht verlässt, also insbesondere die Strafobergrenze nicht überschreiten will (vgl. BGH, Urteile vom 26. Mai 2021 – 2 StR 439/20, StV 2022, 291, 292; vom 23. Januar 2019 – 5 StR 479/18 Rn. 43; offengelassen BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 – 5 StR 484/20, NStZ 2021, 568, 571). Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der zugesagte Strafrahmen nach dem Inbegriff der neuen Verhandlung mit den Vorgaben des materiellen Rechts in Einklang zu bringen ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 StR 623/11, BGHSt 57, 273, 280; Beschluss vom 25. Oktober 2012 – 1 StR 421/12, StV 2013, 193, 194).“

 

Verkehrsrecht II: Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, oder: Wenn ein „Geständnis“ kein „Geständnis“ ist

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Dreden, Beschl. v. 01.03.2021 – 6 OLG 27 Ss 28/21.

Das AG hat die Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe verurteilt. Das OLG hat auf die Sprungrevision hin aufgehoben. Es stellt einen Mangel in der Beweiswürdigung fest:

„Die Beweiswürdigung hält einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis nicht stand.

1. Die Beweiswürdigung muss eine erschöpfende Würdigung der in der Hauptverhandlung fest-gestellten Tatsachen enthalten, soweit sich aus ihnen bestimmte Schlüsse zu Gunsten oder auch zu Ungunsten der Angeklagten herleiten lassen. Sie darf keine Lücken aufweisen, muss für das Revisionsgericht nachvollziehbar sein und insbesondere erkennen lassen, auf welchem Wege das Gericht zu den Feststellungen gelangt ist, welche Grundlage der Entscheidung geworden sind (vgl. nur BGH, NStZ 1985, 184). Diesen Anforderungen werden die Aus-führungen des Urteils nicht ausreichend gerecht.

2. Die Angeklagte wurde verurteilt ausschließlich auf der Grundlage ihrer eigenen Angaben. Diese enthalten jedoch – soweit sie umfassend dargestellt sein sollten – kein Geständnis. Die Angeklagte soll gesagt haben, sie haben einen Anstoß beim Rückwärtsfahren bemerkt, sei je-doch davon ausgegangen, eine Warnbake angefahren zu haben.

3. Auch wenn die Bemerkung, diese Angaben „dürfte(n) eine Schutzbehauptung darstellen“ im Gesamtzusammenhang als Überzeugung des Gerichts ist und nicht nur eine Mutmaßung verstanden werden kann, ist diese nicht tragfähig begründet.

Das Urteil stützt sich auf die Angabe der Angeklagten, sie habe, nachdem die Polizei bei ihr zu Hause geklingelt habe, gesagt, „dass sie schon wisse, weshalb die Beamten da seien“. Das Amtsgericht hat jedoch vorschnell daraus den Schluss gezogen, dass sie demnach erkannt haben müsse, dass sie „einen nicht unerheblichen Schaden verursacht“ hatte (und also den Anstoß an das Fahrzeug der Geschädigten bemerkt habe) und andere Erklärungsmöglichkeiten nicht erkennbar bedacht. So liegt es etwa bei einer pp.-jährigen, bis dahin mangels entgegenstehender Feststellungen auch verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Angeklagten nicht fern, dass sie schon in einem kleineren Unfall wegen der Beschädigung einer Warnbake hinreichenden Grund für ein Tätigwerden der Polizei gesehen haben könnte.

Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung.

3. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Urteil bzgl. der Feststellung des entstandenen Schadens lediglich pauschal auf ein Sachverständigengutachten „zu Blatt 84 d. A.“ verweist. Bezugnahmen auf Aktenteile, wie beispielsweise Gutachten, sind jedoch unzulässig (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63, Aufl. 2020, § 267 Rdnr. 2 m.w.N.). Die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigengutachtens – das wenn nicht nach § 256 Abs. 1 Nr. 1 lit b) StPO so ggf. mit Einverständnis der Beteiligten nach § 251 Abs. 1 StPO verlesen worden sein dürfte – finden sich im Urteil nicht. Damit kann das Revisionsgericht die Tauglichkeit des Gutachtens für den Beweis des festgestellten Schadens nicht prüfen. Die Beweiswürdigung ist auch insoweit mithin lückenhaft (vgl. insoweit nur BGHSt 34, 29, 31).“

Strafzumessung I: Geständnis und Mittäter, oder: Wie oft denn noch?

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Ich habe länger keine Entscheidungen mirh zur Strafzumessung gebracht. Heute stelle ich dann mal wieder drei vor.

Zunächst kommt das der BGH, Beschl. v. 20.05.2020 – 2 StR 62/20. Das LG hat den Angeklagten wegen „unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln unter Mitsichführen einer Waffe“ verurteilt. Dagegen legt der Angeklagte Revision ein. Die hat wegen des Schuldspruchs einen Erfolg, aber wegen des Strafausspruchs greift sie durch:

„Rechtlich nicht unbedenklich erscheint bereits die Formulierung, ein Geständnis habe nicht berücksichtigt werden können, weil sich der Angeklagte „nicht eingelassen“ habe. Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2015 – 3 StR 11/15, NStZ 2016, 59). Durchgreifend rechtsfehlerhaft ist die Wertung der Strafkammer zulasten des Angeklagten, er habe „die Tat mit wenigstens einem Mittäter gemeinschaftlich begangen“. Allein der Umstand mittäterschaftlichen Handelns besagt noch nichts über das Maß der Tatschuld des einzelnen Beteiligten (vgl. Senat, Beschluss vom 7. September 2015 – 2 StR 124/15, NStZ-RR 2016, 74; BGH, Beschluss vom 5. April 2016 – 3 StR 428/15, NStZ 2016, 525; SSW-StGB/Eschelbach, 4. Aufl., § 46 Rn. 80).“

Zu beiden Punkten kann man sich nur fragen: Wie oft muss der BGH das eigentlich noch beanstanden?

Bewährungswiderruf wegen erneuter Verurteilung, oder: „Leider nicht rechtskräftig.“

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Und zur Abrundung als dritte Entscheidung dann der AG Dortmund, Beschl. v. 20.09.2018 – 764 AR 16/17 BEW. Es geht noch einmal um den Anforderungen an den Bewährungswiderruf auf der Grundlage einer erneuten Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe.  Hier war der Verurteilte erneut zu einer Freiheitsstrafe – ohne Bewährung – verurteilt worden. Die Verurteilung war aber nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hate aber dennoch schon aufgrund eines angeblich vorliegenden Geständnisses den Widerruf beantragt. Das AG konnte jedoch ein Geständnis des Angeklagten in dem Verfahren nicht feststellen.

„…. Ein Schuldgeständnis kann anerkanntermaßen einen Widerruf wegen erneuter Straffälligkeit auch ohne eine rechtskräftige Verurteilung tragen. Die mit Verfassungsrang versehene Unschuldsvermutung tritt dann zurück. Hier kann das angebliche Geständnis sich angesichts der Urteilsgründe nicht feststellen lassen. Hierin heißt es zu den tatsächlichen Feststellungen:

„Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund des schriftlichen Geständnisses des Angeklagten B, soweit ihm gefolgt werden konnte und dem sich die übrigen Angeklagten angeschlossen haben, darüber hinaus den weiteren Angaben der Angeklagten C, D und E. Des Weiteren stützt das Gericht seine Feststellungen auf die Angaben der Zeugen F, G und H. Schließlich wurden die in der Akte vorhandenen Lichtbilder zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht, die Expertise über die Funkgeräte, die Sicherstellungsprotokolle und die Auszüge aus dem Bundeszentralregister.“

Damit steht überhaupt nicht fest, ob die Verurteilung tatsächlich gerade auf dem Geständnis des Angeklagten beruht und welchen Inhalt das Geständnis gegebenenfalls hatte.

Weiterhin finden sich in dem Urteil des Amtsgerichts St.Goar im Rahmen der Strafzumessung Ausführungen zu dem angeblichen Geständnis:

„Bei allen vier Angeklagten war zu ihren Gunsten ihr Geständnis zu werten, das teilweise bereits im Ermittlungsverfahren abgegeben wurde. Andererseits war dieses Geständnis nicht von besonderem Wert, weil die Angeklagten ja auf frischer Tat ertappt und identifiziert worden waren. Sie haben der Polizei dadurch kaum Ermittlungsarbeit erspart. Weiter war zu Gunsten der Angeklagten zu berücksichtigen, dass sie Reue zeigten und sich am Ende der Hauptverhandlung entschuldigten.“

Abgesehen davon, dass Ausführungen im Rahmen der Strafzumessungserwägungen, die pauschal mehrere Angeklagte betreffen kaum hinsichtlich eines der Angeklagten als Schuldgeständnis im Sinne der obergerichtlichen Rechtsprechung anzusehen sind, das die Unschuldsvermutung überwinden kann, bleibt es dabei, dass in den tatsächlichen Feststellungen sich vielmehr Formulierungen dahin ergeben, dass es neben einem Geständnis tatsächlich weiterer umfangreicher Beweisaufnahmen erforderte, um den Verurteilten als Täter zu überführen und zu verurteilen. Schließlich sind die Formulierungen auch im Rahmen der Strafzumessungserwägungen derart pauschal, dass das Gericht hierauf einen Widerruf nicht stützen kann.“

Ist so auf der Grundlage der Rechtsprechung des EGMR und des BVerfG zutreffend. Die Formulierung: „Leider nicht rechtskräftig.“ im AG-Beschluss ist allerdings überflüssig.

Das Geständnis beim Polizeibeamten, oder: die List ist erlaubt, die Lüge nicht

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Ich hatte vor einigen Tagen ja schon über den BGH, Beschl. v. 25.10.2016 – 2 StR 84/16 berichtet (vgl. hier Klassiker II: Mal wieder rechtlicher Hinweis nicht erteilt). Auf die Entscheidung komme ich heute wegen eines obiter dictum des BGH bzw. einer Segelanweisung noch einmal zurück. Es geht um die Verwertbarkeit eines Geständnisses des Angeklagten. Der BGh sieht es als unverwertbar an, und zwar:

„Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich auf Folgen-des hin:

Das vom Angeklagten abgelegte polizeiliche Geständnis vom 23. Juli 2014 ist unter Verstoß gegen § 136a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 StPO zustande gekommen und daher unverwertbar. Der Vernehmungsbeamte hatte den Angeklagten in seiner ersten Beschuldigtenvernehmung mehrfach darauf hingewiesen, dass er ihn zwar nicht für einen „Mörder“ halte, dass die Tat aber angesichts der gravierenden Verletzungsfolgen und des Nachtatverhaltens wie ein „richtiger, klassischer Mord“ erscheine, wenn er – der Beschuldigte – dies nicht richtigstelle und sich zur Sache einlasse. Daraufhin äußerte sich der Beschuldigte zur Sache und räumte den äußeren Tatablauf weitgehend ein.

Diese Verfahrensweise war mit § 136a Abs. 1 StPO, der nach § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO auch für Polizeibeamte gilt, nicht zu vereinbaren. Zwar schließt § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO nicht die Anwendung jeder List bei einer Vernehmung aus. Die Vorschrift verbietet aber eine Lüge, durch die der Beschuldigte bewusst irregeführt und in seiner Aussagefreiheit beeinträchtigt wird. Weiß der Vernehmende, dass aufgrund der bisherigen Ermittlungen kein dringender Tatverdacht bezüglich eines Mordes besteht, erklärt aber trotzdem, die vorliegenden Beweise ließen dem Beschuldigten keine Chance, er könne seine Lage nur durch ein Geständnis verbessern, so täuscht er ihn über die Beweis- und Verfahrenslage (BGH, Urteil vom 24. August 1988 – 3 StR 129/88, BGHSt 35, 328). So liegt es hier. Ausweislich des den Verwertungswiderspruch zurückweisenden Beschlusses des Schwurgerichts hatte der Vernehmungsbeamte in seiner Vernehmung glaubhaft erklärt, dass die Polizeibeamten „selbst damals zunächst nicht von Mordmerkmalen ausgegangen seien, sondern von einer spontanen Tat, einer Affekttat oder einer Beziehungstat. Mordmerkmale hätten sich für sie erst nach dem Geständnis des Angeklagten offenbart.“ Damit steht fest, dass der Angeklagte bewusst darüber getäuscht worden ist, dass zureichende Anhaltspunkte für den Tatvorwurf des Mordes bestünden.“

Liest man selten, dass der BGH ein Geständnis als unverwertbar ansieht.