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„Mein Tacho war kaputt“…., bringt das was bei der Geschwindigkeitsüberschreitung?

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„Mein Tacho war kaputt“…., bringt das was bei der Geschwindigkeitsüberschreitung? Die Antwort: Ja, ein defekter Tachometer kann den Handlungsunwert eines Geschwindigkeitsverstoßes herabsetzen mit der Folge, dass der Vorwurf eines groben Pflichtenverstoßes nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG entfällt und deshalb ein Fahrverbot nach einer Geschwindigkeitsüberschreitung nicht verhängt werden darf. Das ist das Fazit aus dem AG Lüdinghausen, Urt. v.07.03.2016 – 19 OWi-89 Js 2669/15-258/15.

Aber auf zwei Punkte ist in Zusammenhnag mit der Entscheidung hinzuweisen:

  1. Der Betroffene hatte sich gegenüber dem Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung dahin eingelassen, dass er bis zu dem Vorfall nicht bemerkt hatte, dass der Tachometer seines Pkw defekt war. Dies hatte er aber durch Vorlage einer Bescheinigung über eine nach dem Verstoß durchgeführte Tachometerüberprüfung nachgewiesen. Das AG ist deshalb von einem herabgesetzten Handlungsunrecht ausgegangen, was dann der Fahrverbotsanordnung entgegenstand. Für die Verteidigung bedeutsam ist in dem Zusammenhang, dass den Betroffenen also nicht allein die Behauptung „Tacho kaputt/fehlerhaft“ „gerettet“ hat, sondern er die Fehlfunktion durch eine Tachoüberprüfung nachgewiesen hat. So einfach ist es also nicht.
  2. Das AG hat zudem darauf hingewiesen, dass dann, wenn der Tachometer trotz des Defektes zur Zeit des Verstoßes eine überhöhte Geschwindigkeit anzeigt, dies nicht den Fahrlässigkeitsvorwurf hinsichtlich der Geschwindigkeitsüberschreitung in vollem Umfange entfallen lässt. Vielmehr bleibt für den festgestellten Geschwindigkeitsverstoß die Regelgeldbuße maßgeblich.

Kleiner Fehler, große Wirkung, oder: Keine Geschwindigkeitsüberschreitung ohne Geschwindigkeit

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Das AG Halle (Saale) verurteilt den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 750 € und setzt ein Fahrverbot von drei Monaten fest. Im Tenor wird die Geschwindigkeitsüberschreitung mit 80 km/h angegeben, im Urteil gibt es keine Feststellungen zu der vom Betroffenen gefahrenen Geschwindigkeit. Die GStA meint, nicht schlimm, greift auf dne Tenor zurück und ermittelt „rechnerisch eine vom Betroffenen gefahrene Geschwindigkeit von 160,00 km/h“. So geht es nicht, meint das OLG Naumburg – kurz und zackig – im OLG Naumburg, Beschl. v. 06.04.2016 – 2 Ws 62/16:

„Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und mit der Sachrüge begründet.

Die Feststellungen tragen eine Verurteilung des Betroffenen nicht. Sie enthalten keine Angaben zu der vom Betroffenen gefahren Geschwindigkeit. Im Urteil wird lediglich dargestellt, dass die Geschwindigkeit an der Messstelle auf 80 km/h reduziert war.

Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft kann zur Bestimmung der vom Betroffenen gefahren Geschwindigkeit nicht ergänzend auf den Tenor zurückgegriffen werden. Hier hatte das Amtsgericht die Geschwindigkeitsüberschreitung mit 80 km/h angegeben. Hieraus hat die Generalstaatsanwaltschaft rechnerisch eine vom Betroffenen gefahrene Geschwindigkeit von 160,00 km/h ermittelt.

Diese Vorgehensweise ist unzulässig. Die festgestellte Geschwindigkeit muss sich aus den Feststellungen selbst ergeben.

Zu Recht kritisiert die Verteidigung weiter, dass den Urteilsgründen mit keinem Wort zu entnehmen ist, dass sich das Gericht der Erforderlichkeit eines Toleranzabzuges bewusst war.“

Ob das ein „kleiner Fehler“ war, kann man auch bezweifeln. Denn ich frage mich: Wie kann man eigentlich eine Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung begründen, ohne die vom Betroffenen gefahrene Geschwindigkeit, von der ja nun alles abhängt, in das Urteil aufzunehmen.

OLG Frankfurt macht das „nächste Faß auf“: Fahrverbot aufgrund einer „hypothetischen Überlegung“?

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Und als dritte OWi-Entscheidung des heutigen Tages(vgl. schon den OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.04.2016 – 4 Ss 212/16 und dazu Aufweichung beim Handyverbot, wirklich?, oder: Neue „Verteidigungsansätze“?  und den OLG Oldenburg, Beschl. v. 18.04.2016 – 2 Ss (OWi) 57/16 und dazu Eine „Zähne und Klauen-Entscheidung aus Oldenburg, oder: Die PTB, die PTB, die PTB hat immer Recht) eine weitere Entscheidung des OLG Frankfurt. Ja, das sind die, die die Geschichte mit dem „antizipierten Sachverständigengutachten“ angefangen haben.

Und das OLG macht im OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 27.01.2016 – 2 Ss-OWi 893/15 – erneut ohne Not das Faß an einer Stelle auf, die bisher in der OLG-Rechtsprechung unbestritten war, meine ich jedenfalls und ich habe – glaube ich – einen ganz guten Überblick.

In dem Beschluss geht es um die Folgen eines Verstoßes gegen Richtlinien zur Verkehrsüberwachung auf ein drohendes Fahrverbot. Auf den ersten Blick scheint in der Entscheidung des OLG nichts Neues zur Auswirkung einer Unterschreitung des in den Verwaltungsrichtlinien vorgeschriebenen Messabstands auf die Anordnung des Fahrverbots zu stecken (vgl. dazu näher Deutscher, in: Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Aufl. 2015, Rn. 1661 ff.). Die Leitsätze des OLG.

1. Die Richtlinien zur Verkehrsüberwachung sind sog. Verwaltungsinnenrecht und entfalten keine unmittelbare Außenwirkung.

2. Für Verkehrsteilnehmer ist eine Geschwindigkeitsbeschränkung ab Bekanntgabe des Verwaltungsaktes (Verkehrsschild) wirksam und zu beachten.

3. Erfolgt die Messung unter einem nicht begründeten Verstoß gegen die Richtlinien zur Verkehrsüberwachung – hier in einem zu geringen Abstand zum Verkehrsschild – ist das für den festgestellten Geschwindigkeitsverstoß und damit für das festzusetzende Bußgeld grundsätzlich unbeachtlich.

4. Nur dann, wenn bei Einhaltung der Richtlinie die Indizwirkung des Fahrverbots entfallen würde, kann das Tatgericht bei entsprechender Begründung, aus Gründen der Gleichheit von der Verhängung eines Fahrverbotes absehen (sog. Wegfall des Handlungsunwerts).

So weit so gut, oder nicht? Nun, wohl nicht, denn das OLG führt (auch) aus:

Ist die Unterschreitung des Abstandes nach den Richtlinien nicht gerechtfertigt, muss das Amtsgericht darlegen, mit welcher Geschwindigkeit der Betroffene bei einer richtlinienkonform durchgeführten Messung – also in entsprechender Entfernung von dem die Geschwindigkeitsregelung ändernden Schild – gemessen worden wäre und ob eine ggfls. festzustellende Geschwindigkeitsüberschreitung den Tatbestand eines Regelfalles erfüllt hätte, der die Erforderlichkeit eines Fahrverbots indiziert.“

Das ist m.E. neu. Denn bisher hat noch kein OLG auf die hier geforderte hypothetische Überlegung zurückgegriffen, mit welcher Geschwindigkeit an derjenigen Stelle gefahren wurde, die dem vorgegebenen Messabstand entsprochen hätte. Danach müsste es – so das OLG – beim Fahrverbot bleiben, wenn die Geschwindigkeit an der hypothetischen Messstelle ihrerseits den Grenzwert für die Anordnung des Fahrverbots überschreitet.

Was soll das denn nun? Und ist das richtig bzw. kann man so vorgehen? M.E. nein, denn:

1. Der Verurteilung zugrunde gelegt werden kann als Tatsache auch bei dieser Überlegung nur der Messwert der vorgabenwidrig durchgeführten Messung vor. Für die „Feststellung“ der im Bereich davor gefahrenen Geschwindigkeit gibt es hingegen  keine Beweismittel. Dies bleibt selbst bei nicht nur geringfügiger Überschreitung des Fahrverbotsgrenzwerts reine Spekulation.

2. Zweitens kann es angesichts der erheblichen Eingriffswirkung eines Fahrverbots rechtlich nur auf die tatsächlich durchgeführte Messung und deren Bewertung ankommen, nicht auf eine an einer anderen Stelle möglicherweise gefahrenen Geschwindigkeit.

Fazit: M.E. falsch, da in diesen Fällen eine Verurteilung wegen einer höheren als der gemessenen Geschwindigkeit aufgrund einer „hypothetischen Überlegung“ erfolgt.

Bezugnahme auf die Daten in einem Messfoto – Geht das?

entnommen wikimedia.org Urheber Jepessen

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Bezugnahme auf die in ein Messfoto eingeblendeten Daten im Urteil – so muss die Frage vollständig lauten – geht das? Die Antwort: Nein, das geht nicht, da die in ein Messfoto eingeblendeten Daten kein Bestandteil einer „Abbildung“ sind, so dass eine Bezugnahme gem. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht möglich ist. Darauf hat noch einmal das OLG Düsseldorf im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.01.2016 – IV- 3 RBs 132/15 hingewiesen.

Die Entscheidung entspricht der der ständigen Rechtsprechung der Obergerichte. Eine Abbildung ist danach eine unmittelbar durch Gesichts- oder Tastsinn wahrnehmbare Wiedergabe der Außenwelt. Dazu gehören Fotos, insbesondere auch Radarfotos. Messprotokolle sind hingegen Urkunden. Um Abbildungen handelt es sich aber selbst dann nicht, wenn die Daten auf einem Messfoto eingeblendet sind (OLG Hamm NStZ-RR 2009, 151).

Folge: Eine Bezugnahme auf das Messfoto ist unzulässig mit der weiteren Folge, dass die entsprechenden Daten dann nicht Gegenstand des Urteils werden. Das Urteil ist dann lückenhaft (§ 267 StPO) und muss deshalb aufgehoben werden (vgl. auch OLG Bamberg zfs 2015, 49; OLG Brandenburg DAR 2005, 97 = StraFo 2005, 120; OLG Hamm VA 2008, 52; 2012, 139; NStZ-RR 2009, 151; OLG Düsseldorf DAR 2013, 82; OLG Schleswig VRR 2014, 270 = zfs 2014, 413). So geschehen jetzt beim OLG Düsseldorf. Also auf ein Neues.

Mit 62 km/h telefonierend durch die Tempo-30-Zone, oder: (dann) Vorsatz, Vorsatz, Vorsatz

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Und, da aller guten Dinge drei sind, gibt es heute dann noch ein owi-rechtliches Posting. Und zwar mal wieder Vorsatz bei der Geschwindigkeitsüberschreitung. Ein Vorsatzverurteilung muss man als Verteidiger auf jeden Fall zu vermeiden versuchen, weil sonst das Absehen vom Fahrverbot schier unmöglich wird. Allerdings war das in dem vom OLG Braunschweig im OLG Braunschweig, Beschl. v. 08.12.2015, 1 Ss (Owi) 163/15 – ein schweres Stück Arbeit für den Verteidiger, was dann ja auch nicht gelungen ist. Allerdings hatte der Betroffene innerorts auch die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h in einer Tempo-30-Zone um satte 32 km/h, also um mehr als 100 % überschritten. Und dabei dann auch noch telefoniert. Das trägt ihm dann eine Geldbuße von 350 € und ein Fahrverbot ein. Das OLG macht es kurz:

„Insbesondere ist die Annahme einer vorsätzlichen Begehungsweise der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht zu beanstanden. Bei einer innerorts erfolgten relativen Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 100 % in einer Tempo-30-Zone ist gegen die Annahme vorsätzlichen Handelns nichts zu erinnern, sofern – wie hier – keine besonderen Umstände vorliegen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 31. Juli 2006 – 2 Ss OWi 401/06, NZV 2007, 263; OLG Braunschweig, Beschluss vom 07. Februar 2011, Ss (OWiZ) 225/10, DAR 2011, 406 und Beschluss vom 13. Mai 2015, 1 Ss (OWiZ) 85/13, juris). Ein Kraftfahrer, der im Straßenverkehr ohne Freisprecheinrichtung telefoniert, nimmt in Kauf, dadurch so abgelenkt zu sein, dass es zu Verkehrsverstößen kommt (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. Mai 2001 – 333 Ss 38/01 OWi, NZV 2001, 354).“

Da war nicht viel zu retten für den Verteidiger.