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Geschwindigkeitsmessung, oder: Kombination aus konkretem und abstraktem Toleranzabzug gibt es nicht

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Im Moment habe ich reichlich Material in meinem Blogordner hängen, um es hier in Postings zu verarbeiten. Da passt es dann ganz gut, wenn man mehrere Entscheidungen zusammen fassen kann. Und das geht beim OLG Hamm, Beschl. v. 24.01.2017 – 4 RBs 11/17 – und beim AG Landstuhl, Urt. v. 13.03.2017 – 2 OWi 4286 Js 777/17.

Es geht in beiden Entscheidungen u.a. um Geschwindigkeitsmessungen mit einem standardisierten Messverfahren. In beiden Fällen geht es um eine vom Betroffene erstrebte Kombination von konkretem und abstrakten Toleranzabzug bei dem ermittelten Messwert. Das gibt es nicht, hat das OLG Hamm gesagt:

„Ergänzend zu diesen zutreffenden Ausführungen, denen sich der Senat anschließt, bemerkt der Senat, dass es schon zweifelhaft ist, ob die Behauptung, dass es bei dem konkreten Messverfahren zu Messungenauigkeiten von „bis zu 2 km/h“ kommen könne – ungeachtet der hier fehlenden konkreten Darlegung einer solchen Fehlerquelle – jedenfalls dann dem Tatgericht keinen für die Rechtsbeschwerde relevanten konkreten Anhaltspunkt für eine erörterungsbedürftige Fehlerquelle gibt, wenn die behauptete Messungenaugkeit weniger als der vorgenommene  Toleranzabzug beträgt und die Fehlerquelle von Seiten des Betroffenen behauptet wird. Die Vornahme eines Toleranzabzuges im Rahmen eines standardisierten Messverfahrens verfolgt, ebenso wie die amtliche Zulassung von Geräten und Methoden den Zweck, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalls freizustellen. Möglichen Fehlerquellen wird durch die Berücksichtigung von Messtoleranzen Rechnung getragen (BGH, Beschl. v. 19.08.1993 – 4 StR 627/92 –juris). Käme man im vorliegenden Fall aufgrund einer konkreten Überprüfung des Messverfahrens (etwa im Rahmen eines Sachverständigengutachtens) dazu, dass die gemessene Geschwindigkeit von 74 km/h um 2 km/h (oder weniger) zu hoch gemessen wurde, so wäre andererseits für einen – hier vom Gericht vorgenommenen – Toleranzabzug von 3 km/h kein Raum mehr, denn es wäre ja dann die Fehlerquelle konkret – und nicht lediglich im Rahmen eines pauschalen Sicherheitsabschlages – berücksichtigt worden. Allenfalls wäre dann noch darüber nachzudenken, ob ein einprozentiger Sicherheitsabschlag (oder ein solcher von 1 km/h bei Geschwindigkeiten bis 100 km/h) vorzunehmen wäre, um etwaigen sonstigen Messungenauigkeiten Rechnung zu tragen, denn einem Teil der Messungenauigkeiten wurde ja dann schon durch die konkrete Berechnung des Messfehlers Rechnung getragen und insgesamt ist bei Lasermessungen wie der vorliegenden ein Toleranzabzug von 3 km/h (bzw. bei Geschwindigkeiten von mehr als 100 km/h von 3%) als ausreichend anerkannt (vgl. nur: König in: Hentschel/u.a., Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 3 StVO Rdn. 61). Der Betroffene stünde sich dann aber nicht besser als bei einem Toleranzabzug von 3% von vornherein.“

Und dem hat sich das AG Landstuhl dann angeschlossen:

„Darüber hinaus entbehrte der Beweisantrag bezüglich der konkret behaupteten anderen Geschwindigkeit jeglicher Begründung, die das Gericht zu einer Annahme der aufgestellten Tatsachenbehauptung hätte veranlassen können. Denn der Verteidiger hat zwar vorgerichtlich ein für das Gericht nicht maßgebliches Privatgutachten vorgelegt. Dieses hat er aber in der Hauptverhandlung nicht ordnungsgemäß eingeführt. Eine genauere (schriftliche) Begründung des Beweisantrags ist ebenso wenig erfolgt. Bezüglich der hier offenbar angestrebten Kombination von konkretem und abstraktem Abzug von Werten hat sich das OLG Hamm, dessen Entscheidung sich das hier entscheidende Gericht anschließt, eindeutig ablehnend geäußert (OLG Hamm, Beschl. v. 24.01.2017 – 4 RBs 11/17 – juris): eine Akkumulation von konkreten Abzügen und Toleranzpauschale ist unzulässig. Werden konkrete Messfehler vorgetragen, besteht kein Bedarf für den allgemeinen Toleranzabzug. Werden konkrete Messfehler behauptet, die innerhalb der pauschalen Toleranzgrenze liegen, bedarf es ebenfalls keiner weiteren Beweisaufnahme. So läge der Fall auch hier, wenn es auf den Beweisantrag angekommen wäre.“

OWi III: „Teufelskreis hoch 2“, oder: Wir wollen nicht….

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Und dann die dritte „Owi-Entscheidung“. Es ist der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.04.2016 – IV-1 RBs 83/16 – in meinen Augen eine „Teufelskreis“ Entscheidung. Das OLG verwirft einen Zulassungsantrag des Betroffenen gegen ein amtsgerichtliches Urteil, das eine Geldbuße von nicht mehr 100 € festgesetzt hatte. Begründung:

„2. Soweit der Zulassungsantrag Verfahrensrügen enthält, ist der Zulassungs­grund der Versagung rechtlichen Gehörs nicht gegeben.

Die Verfahrensrügen einer unzulässigen Ablehnung eines Beweisantrags und in diesem Zusammenhang ferner einer Verletzung der gerichtlichen Auf­klärungspflicht sind mangels vollständiger Angabe der „den Mangel enthalten­den Tatsachen“ (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) bereits nicht in zulässiger Weise erhoben. Es fehlen Angaben dazu, aufgrund welcher konkreten Tatsachen sich das Gericht zu weiterer Aufklärung des Sachver­halts in dieser Richtung hätte gedrängt sehen müssen (vgl. KG NZV 2002, 335: Die Beiziehung der „Lebensakte“ eines Messgeräts ist nur zum Beweis einer bestimmten Tatsache bzw. bei konkreten Anhaltspunkten für eine Ein­schränkung der Gerätefunktion geboten). Zudem fehlt es an der Benennung eines bestimmten zu erwartenden Beweisergebnisses (zu diesem Erfordernis vgl BGH NStZ 2001, 425).

Soweit der Betroffene eine mangels Beiziehung der „Lebensakte“ unzurei­chende Akteneinsicht und damit eine unzulässige Beschränkung der Verteidi­gung geltend machen will, kann dahinstehen, ob die Rüge angesichts der an die Darlegung entfalteter Bemühungen um Akteneinsicht gegenüber der Ver­waltungsbehörde gestellten Anforderungen (vgl. hierzu OLG Hamm Beschluss vom 3. September 2012 — 111-3 RBs 235/12 m.w.N. <juris>) zulässig erhoben ist.“

In meinen Augen Teufelskreis. Denn wie soll ich zur Aufklärungspflicht des Gerichts Stellung nehmen, wenn ich die näheren Umstände der Messung nicht kenne. Die OLG machen es aber inzwischen fast alle so wie das OLG Düsseldorf. M.E. aber falsch.

Und wenn das nicht hilft, nun dann wird der Rettungsanker an anderer Stelle geworfen. Dann war die Ablehnung des Beweisantrages des Betroffenen eben nicht willkürlich und damit liegt dann keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor:

„Hiernach hat die Tatrichterin den als Beweisantrag ausgelegten Antrag des Betroffenen — in Anwendung des gesetzlich normierten Ablehnungsgrundes des § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG — zurückgewiesen, weil sie die Beiziehung der Unterlagen aus im Einzelnen dargelegten Erwägungen zur Erforschung der Wahrheit nicht für erforderlich gehalten hat. Gründe für einen willkürlichen Charakter dieser Entscheidung sind weder vorgetragen noch aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ersichtlich. Dass sich im Rahmen der amtsgerichtlichen Beweisaufnahme tatsächlich Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit des Messgeräts oder eichrelevante Reparaturen im Zeit­raum zwischen Eichung und Messung im hier vorliegenden konkreten Einzel­fall ergeben hätten, ist dem Vorbringen des Betroffenen nicht zu entnehmen.“

Das ist dann „Teufelskreis hoch 2“ 🙂 .

OWi II: Messwerteüberprüfung durch Private zulässig? – Ja, aber..

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Nach dem Posting OWi I: Ich weiß etwas, was du nicht weiß, oder: Dienstliches Wissen zum OLG Naumburg, Beschl. v. 24.02.2016 – 2 Ws 9/16 – die zweite OWi-Entscheidungen aus dem vollen Fundus der Geschwindigkeitsmessungen, und zwar der OLG Frankfurt, Beschl. v. 03.03.2016 – 2 Ss-OWi 1059/15 – zur Frage der Zulässigkeit der Auswertung von Messungen durch Private. Das AG hatte den Betroffenen frei gesprochen und das damirt begründet, dass die dem Geschwindigkeitsverstoß zugrunde liegenden Messbilder nicht verwertbar seien, „weil sie unter Mitwirkung von Privatpersonen erlangt worden seien, ohne dass die Verwaltungsbehörde Herrin des Verfahrens geblieben sei. Insoweit bestünden sowohl ein Beweiserhebungs- als auch ein Beweisverwertungsverbot. Die Feststellung von Ordnungswidrigkeiten sei eine typische Hoheitsaufgabe aus dem Kernbereich staatlichen Handelns, weshalb eine Mitwirkung von Privatpersonen nur sehr eingeschränkt möglich sei; in jedem Fall müsse sichergestellt sein, dass die Verwaltungsbehörde Herrin des Verfahrens bleibe. Der Umfang der Beteiligung des Mitarbeiters der Firma B verstoße gegen Nr. 2.2 des die Verkehrsüberwachung durch örtliche Ordnungsbehörden und Polizeibehörden betreffenden Erlasses des Hessischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 06. Januar 2006 (Staatsanzeiger vom 30.01.2006, S. 286 ff), wonach die Auswertung der Einsatzfilme/elektronischen Aufzeichnungen in jedem Fall ausschließlich durch die örtliche Ordnungsbehörde zu erfolgen habe. Mangels Verbleibes von Rohmessdaten bei der Gemeinde sei vorliegend eine erneute Auswertung ohne Beteiligung der Privatfirma nicht möglich, und es könne auch keine Überprüfung dahin erfolgen, ob die ursprüngliche Datei der Messanlage nach der Vorauswertung verändert worden sei.“

Das OLG sieht es anders und meint: So einfach geht es nicht, denn:

Die hier vorgenommene Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach § 47 Abs. 1 OWiG gehört als typische Hoheitsaufgabe zum Kernbereich staatlicher Hoheitsaufgaben, für die speziell im Fall von Verkehrsordnungswidrigkeiten gemäß § 26 Abs. 1 StVG Behörden oder Bedienstete der Polizei zuständig sind. Eine eigenverantwortliche Wahrnehmung dieser Aufgaben durch Privatpersonen scheidet damit aus. Das schließt allerdings nicht aus, dass die Verwaltungsbehörde sich technischer Hilfe durch Privatpersonen bedient. Voraussetzung ist in derartigen Fällen aber, wie in Nr. 2.2 des Erlasses des Hessischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 06. Januar 2006 (Staatsanzeiger vom 30.01.2006, S. 286 ff) betreffend die Verkehrsüberwachung durch örtliche Ordnungsbehörden und Polizeibehörden festgelegt, dass die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Einsatz technischer Hilfsmittel auch in Fällen der Hilfe durch Privatpersonen bei der örtlichen Ordnungsbehörde verbleibt. Diese ist deshalb dafür verantwortlich, dass die bei der amtlichen Überwachung der Beachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit verwendeten Geschwindigkeitsüberwachungsgeräte und die Auswertung von deren Daten den gesetzlichen Regelungen, vorliegend § 16 EO 1988 und den PTB-Anforderungen 18.11 (Dezember 2013), entsprechen. Sie muss schließlich auch Herrin über die Entscheidung bleiben, ob und gegen wen sie ein Bußgeldverfahren einleitet (vgl. Senat, Beschluss vom 03.09.2014, 2 Ss-OWi 655/14 m. N.).

Daran fehlt es vorliegend.

Soweit zur Beurteilung eines Messergebnisses die Auswertung der dokumentierten Messvorgänge notwendig ist, kann nach den hier zum Tatzeitpunkt geltenden PTB-Anforderungen 18.11 (Dezember 2013) die Übertragung von Mess- und ggfls. Bilddokumentationen zwar durch eine Person in eine Zentrale (mit CD oder ähnlichem Speicher) und dort die weitere Auswertung erfolgen. In diesem Fall müssen die Daten nach Ziffer 3.10 der PTB-Anforderungen 18.11 (Dezember 2013) bei der Datenübertragung durch Signierung geschützt sein, um für Integrität und Authentizität zu sorgen. Die mit den Geschwindigkeitsüberwachungsgeräten auch der Zulassung durch die PTB unterliegenden Auswerteeinheiten, die für die Umwandlung der Falldatei (Messdokumentation) in eine lesbare Darstellung (Messbild), die die Verkehrssituation und den Fahrer mit den dazugehörenden Messdaten (z.B. gefahrene Geschwindigkeit etc.) zeigt, erforderlich sind, bedürfen aber zu ihrer Gerichtsverwertbarkeit noch der Sicherstellung der Authentizität der Falldateien mit ihrer lesbaren Darstellung. Der Akt der Auswertung der Falldaten eines zugelassenen und geeichten Messgerätes durch eine zugelassene und geeichte Auswerteeinheit soll sicherstellen, dass das in der Bußgeldakte befindlichen lesbare und bewertbare Beweismittel aus der dazugehörigen Falldatei stammt. Gerichtliches Beweismittel ist regelmäßig die lesbare Auswertung. Bei konkret begründeten Zweifeln an der Authentizität der Falldatei kann diese aber mit Hilfe ihrer Signierung nachträglich überprüft werden. Die Authentizität des lesbaren Beweismittels wiederum kann durch die Überprüfung der Falldatei verifiziert werden.

Nach diesen Grundsätzen durfte die örtliche Ordnungsbehörde die Originalrohmessdaten nach deren Entnahme aus dem Geschwindigkeitsmessgerät dem Mitarbeiter der Firma B zwar überlassen. Gleichzeitig war sie aber dafür verantwortlich, die Authentizität dieser Rohmessdaten mit den ihr von der Firma B überlassenen Bildauswertungen, also lesbaren Darstellungen, sicherzustellen. Dazu hätte sie zumindest die lesbaren Darstellungen, die sie als Grundlage für den Erlass eines Bußgeldbescheides heranziehen wollte, zuvor noch einmal mit den zugrunde liegenden Falldateien abgleichen müssen. Zu der Frage, ob die örtliche Ordnungsbehörde hier derartige Maßnahmen vorgenommen hat, hat das Amtsgericht keine Feststellungen getroffen. Das wird nachzuholen sein.

Das Messergebnis, auf welches der Erlass des Bußgeldbescheides zurückzuführen war und welches als maßgebliches Beweismittel für die Überführung der Betroffenen in Betracht gekommen wäre, wurde durch die stationäre Geschwindigkeitsüberwachungsanlage des Typs ESO ES 3.0 ermittelt. Die erforderliche Aufbereitung der Messdaten erfolgte vorliegend dergestalt, dass die Mitarbeiterin der Gemeinde, die Zeugin Z1, nach Abschluss der Messung gemeinsam mit dem Mitarbeiter A der Firma B, bei der die Gemeinde Stadt1 das die Messung durchführende Messgerät geliehen hat, die Messrohdaten entnahm und auf einen USB-Stick überspielte. Diesen USB-Stick nahm der Mitarbeiter der Firma B an sich; zu diesem Zeitpunkt verblieben keinerlei Rohdaten der Messung bei der Gemeinde Stadt1. Der Mitarbeiter A der Firma B führte sodann die Bildaufbereitung bzw. Bildauflistung durch und gab nach durchgeführter Arbeit die Messdaten an die Gemeinde Stadt1 zurück, bei der die weitere Auswertung der Messdaten erfolgte.“

Das muss also nachgeholt werden. Und:

„Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat für den Fall, dass sich das Amtsgericht nicht davon überzeugen kann, dass die örtliche Ordnungsbehörde die Authentizität der ihr überlassenen Messbilder überprüft hat, darauf hin, dass mit den noch vorhandenen Falldateien die erforderliche Überprüfung durch die örtliche Ordnungsbehörde noch nachgeholt werden könnte oder die der Betroffenen vorgeworfene Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit mit Hilfe eines Sachverständigen geklärt werden könnte.“

Ring frei III: OLG Rostock zur Auswertung von Messungen durch Private, oder: Alles in allem – unschön

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Der OLG Rostock, Beschl. v. 17.11.2015 – 21 Ss OWi 158/15 zur (zulässigen) Auswertung der Geschwindigkeitsmessung durch einen privaten Dienstleister schlägt Wellen. Es ist bereits in Blogs darüber berichtet worden und ich bin inzwischen von so vielen Lesern meines Blogs auf diesen Beschluss hingewiesen worden, dass ich dann mal eine Planänderung vornehme. An sich hatte ich den Beschluss erst für morgen vorgesehen aber. Aber nun dann jetzt schon.

Aufgehoben hat das OLG Rostock ein Urteil des AG Parchim v. 01.04.2015, das ein Beweisverwertungsverbot angenommen hatte, weil die Verwaltungsbehörde die Auswertung von Rohmessdaten einer Geschwindigkeitsmessung, deren Ergebnis dann schließlich zur Einleitung eines Bußgeldverfahrens gegen den Fahrer wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung geführt hatte, in vollem Umfang in die Hände eines privaten Unternehmen gegeben hatte (vgl. dazu auch – ein anderes –  AG Parchim, Urt. v. 01.04.2015 –  5 OWi 2215/14 und dazu Ring frei II: AG Parchim: Der „Landkreis..“ hat „…. zu vertuschen versucht…“. Der Amstrichter hatte frei gesprochen und dabei die Verwaltungsbehörde nicht geschont. Die Staatsanwaltschaft ist in die Rechtsbeschwerde gegangen. Das OLG hat aufgehoben und zwar auf die Aufklärunsgrüge der Staatsanwaltschaft hin.

Da der Beschluss schon an vielen Stellen veröffentlicht ist, erspare ich mir an dieser Stelle Zitate und beschränke mich zunächst auf die Leitsätze des OLG:

1. Die vertraglich vereinbarte Auswertung der mit standardisierten Messverfahren bei behördlichen Verkehrsüberwachungsmaßnahmen ordnungsgemäß erhobenen und bei der Verwaltungsbehörde verbliebenen Rohmessdaten durch einen privaten Dienstleister ist zulässig und führt für sich genommenen zu keinem Beweisverwertungsverbot im weiteren Bußgeldverfahren.

2. Hegt der Tatrichter Zweifel an einer den Vorgaben des Geräteherstellers und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt im Zuge der Zulassung des standardisierten Messverfahrens entsprechenden ordnungsgemäßen Auswertung der Messdaten durch den privaten Dienstleister, gebietet es die richterliche Aufklärungspflicht, die Richtigkeit des Auswertungsergebnisses durch andere sachverständige Stellen überprüfen zu lassen.

Und zu dem Beschluss dann einige erste Anmerkungen/Gedanken:

  • Das OLG hat durch den Einzelrichter entschieden,weil „das Verfahren keinen Anlass [bietet], zu Fragen der richterlichen Sachaufklärungspflicht oder zur Zulässigkeit der von der Staatsanwaltschaft erhobenen Aufklärungsrüge zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung grundsätzliche Ausführungen zu machen (§ 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG). Alle damit im Zusammenhang stehenden Rechtsprobleme sind durch die ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung vielfach und ausreichend geklärt.“ Und was ist mit der Frage des Beweisverwertungsverbotes? Ach so, ja die Frage hat man elegant damit „umschifft“, dass der Einzelrichter darauf die Entscheidung nicht gestützt hat, sondern zu den Fragen nur in einer „Segelanweisung“ Stellung genommen hat.
  • Und damit hat der Einzelrichter dann gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Damit ist dann nämlich auch die Frage der Divergenzvorlage auf jeden Fall vom Tisch: „Eine Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof war aus den von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 12.10.2015 zutreffend aufgeführten Gründen nicht veranlasst, zumal über die Frage eines Beweisverwertungsverbots vom Senats derzeit nicht entschieden werden musste, weil bereits die Aufklärungsrüge durchgreift.“ Und die Frage hätte m.E. im Raum gestanden, da u.a. das OLG Naumburg u.a. auf die „Erlasswidrigkeit“ (s)ein Beweisverwertungsverbot gestützt hatte (vgl. vgl. dazu auch OLG Naumburg, Beschl. v.07.05.2012 – 2 Ss Bz 25/12 und Hilfe von Privaten – Beweisverwertungsverbot für Messergebnisse im Straßenverkehr). Auch andere OLG haben das m.E. anders gesehen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.07.2003 – 2 Ss Owi 388/02).
  • Ob die Auffassung des OLG so richtig ist, wage ich zu bezweifeln. Das OLG argumentiert zum „Erlass“: „Darauf, ob die Verwaltungsbehörde „erlasswidrig“ handelte, als sie die Datenaufbereitung und -auswertung einem privaten Dienstleister übertrug, kommt es entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht an. Selbst wenn diese Einschätzung zutreffen sollte, würde dies für sich genommen nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führen, weil dieser Erlass, der allein dem öffentlichen Interesse der Organisation des Messvorgangs und seiner Auswertung dient, ausschließlich im Binnenverhältnis zwischen Verwaltungs- und Aufsichtsbehörde Bindungswirkung entfaltet, nicht jedoch eine mit der Begründung subjektiver Rechte verbundene Außenwirkung, auf die sich ein Betroffener im Falle der Nichtbeachtung zu seinen Gunsten berufen könnte.“ Dazu würde man gerne man was „von ganz oben hören“, aber: Divergenzvorlage haben wir ja nicht.
  • Mich persönlich stört dann das „Abwatschen“ des Amtsrichters in der Begründung, warum man an eine andere Abteilung zurückverweist: „Der Senat hat es angesichts der auch im schriftlichen Urteil (dort insbesondere Seite 4) geäußerten harschen und in den Vorwurf bewusst rechtsstaatswidrigen Verhaltens gipfelnden Kritik des Tatrichters an den verwaltungsbehördlichen Verfahrens- und Verhaltensweisen, die auch über die Presse gezielt an die Öffentlichkeit getragen wurden, für erforderlich gehalten, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des nunmehr örtlich zuständigen Amtsgerichts Ludwigslust – Zweigstelle Parchim – zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).“ Nun, wenn ich die Schilderung des Verfahrensgangs und des Verhaltens des Verwaltungsbehörde so lese, dann habe ich schon den Eindruck, dass die Verwaltungsbehörde versucht hat, das AG zu „ver……schen“. Und da soll er dann fröhlich bleiben? Wie hatte mir dann auch ein „richterlicher Hinweisgeber“ geschrieben: „So eine Klugscheißerei und dann noch auf den zuvor von der Behörde nach Strich und Faden verarschten Richter draufhauen, das ist unglaublich. Was lernt man daraus? Lieber 47 statt Freispruch…..,
  • Schließlich: Man muss sich als Verteidiger ja immer auch fragen, welche Lehren man aus solchen Entscheidungen zieht. Dem AG sind durch das OLG (weitere) Kontrollaufgaben übertragen/aufgegeben worden: „Ob die Tätigkeit der für derartige Aufgaben herangezogenen Sachverständigen, deren Sachkunde und Verfahrensweisen im konkreten Fall den jeweiligen wissenschaftlichen und technischen Anforderungen genügt, und ob deren Feststellungen und Bewertungen als richtig erscheinen und im weiteren Verfahren verwertbar sind, unterliegt der eigenverantwortlichen Prüfung und Kontrolle des Gerichts ….“ und „Wird die Auswertung von Rohdaten eines Verkehrsüberwachungsvorgangs – wie vorliegend – einem privaten Dienstleister überlassen, wird sich das Gericht und zuvor die Verfolgungsbehörde deshalb im Zweifelsfall davon zu überzeugen haben, dass diese Tätigkeit dort von ausreichend dafür geschulten und regelmäßig hinsichtlich ihrer ordnungsgemäßen Aufgabenerledigung überwachten Mitarbeitern unter Einhaltung der dafür vorgeschriebenen Verfahrensweisen und mittels der im Zuge der Zulassung eines standardisierten Messverfahrens von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt genehmigten Software erfolgt.“ Damit hat der Verteidiger in solchen Fällen m.E. gar keine andere Wahl als durch Beweisanträge zu hinterfragen, ob diese Kontrollen erfolgt sind. Und wenn die Beweisanträge kommen, dann bin ich ja mal gespannt, wie die OLG reagieren, wenn die Amtsrichter die ablehnen und das in der Rechtsbeschwerde dann gerügt wird. Dann war im Zweifel die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich (§ 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Und damit schließt sich dann der Kreis.

Alles in allem: Unschön.

Mal wieder Poliscan – das OLG Düsseldorf mauert

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Um PoliscanSpeed war hier im Blog längere Zeit Ruhe. Jetzt hat mir vor einigen Tagen ein Kollege mal wieder eine Entscheidung geschickt, die sich mit diesem Messverfahren befasst. Sie kommt vom OLG Düsseldorf, das im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.04.2015 – 3 RBs 15/15 – wie es nicht anders zu erwarten war, „mauert“.  D.h.: Wir erfahren wieder:

„PoliScan Speed ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung aus zutreffenden Gründen (OLG Düsseldorf u.a. VRR 2010, 116, zuletzt umfassend: Beschluss vom 14.7.2014 – IV-1 RBs 50/14, bei juris; KG Berlin DAR 2010, 331; OLG Frankfurt VRR 2010, 203; OLG Stuttgart DAR 2012, 274; OLG Köln Beschluss vom 30 10.2012 – III¬I RBs 277/12,- juris; OLG Bamberg DAR 2014, 38; OLG Schleswig SchIHA 2013, 450; OLG Karlsruhe, etwa Beschluss vom 7.5.2014 – 1 (8) SsBs 223/14; zuletzt NZV 2015, 150 ff.) als sog. standardisiertes Messverfahren anerkannt, weil die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (vgl. dazu allgemein BGHSt 39, 291 und 43, 277). Dies ergibt sich maßgeblich daraus, dass durch die Zulassung zur innerstaatlichen Eichung seitens der PTB die Messgenauigkeit sichergestellt ist. Der Verwertbarkeit von mit PoliScan Speed vorgenommener Geschwindigkeitsmessungen steht danach insbesondere nicht entgegen, dass ein Sachverständiger mangels Zugangs zu patent- und urheberrechtlich geschützten Herstellerinformationen die genaue Funktionsweise des Gerätes anhand hierfür relevanter Daten der Messwertermittlung nicht im Einzelnen nachvollziehen kann (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.7.2014, gerade auch betreffend die vorliegend eingesetzte Softwareversion 1.5.5., .a.a.O; OLG Karlsruhe Beschluss vom 16.4.2014 – 2 (6) SsRs 116114; KG a.a.O; OLG Köln VRS 125, 48; OLG Schleswig a.a.O). Gleiches gilt für die weiteren, hier auch vom Betroffenen gegen die generelle Zuverlässigkeit des Messgerätes erhobenen Einwände — insbesondere, mit der Zulassung des Gerätes verstoße die PTB gegen ihre eigenen Vorgaben nach PTB-A-18.11, Abschnitt 3.5.4. (heute 3.5.3.) und es bestehe die Gefahr einer Fehlzuordnung der Messung zum „richtigen“ Kfz im dichteren Verkehr — (vgl. hierzu ausführlich: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.7.2014, a.a.O, Rn. 11 ff.). Von einer Klärungsbedürftigkeit kann nach alledem nicht ausgegangen werden.“

Na ja, ob das alles so richtig ist, wage ich zu bezweifeln. Vor allem, wenn man das kombiniert mit den Ausführungen der OLG zum rechtlichen Gehör usw. Dann stecken der Betroffene und sein Verteidiger in einem Teufelskreis. Denn man verlangt, dass für ein Sachverständigengutachten konkret Messfehler dargelegt werden. Dafür muss man aber wohl die Bedienungsanleitung einsehen können/dürfen. Und wenn ich endlich so weit bin, dass ich einen Sachverständigen einschalten kann oder selbst einschalte, um das standardisierte Messverfahren zu überprüfen, dann erfährt der mangels Zugang zu sämtlichen Geräteinformationen aber nichts über die genaue Funktionsweise des Geräts, was aber keine Auswirkungen haben soll, da es sich ja um ein standardisiertes Messverfahren handelt. Das will ich bzw. soll der Sachverständige aber doch gerade prüfen.