Und dann machen ich in dieser Woche bei den RVG-Entscheidungen/-Postings mit dem Gegenstandswert weiter. Also heute dazu wieder zwei Entscheidungen, in dieser Woche aber zur Nr. 4142 VV RVG – also Einziehung und was damit zu tun hat.
Zunächst kommt hier der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 22.11.2024 – 12 KLs 506 Js 609/22. Der Verteidiger der freigesprochenen Angeklagten hat Kostenfestsetzung und in dem Rahmen die Wertfestsetzung gem. § 33 Abs. 1 und 2 RVG im Hinblick auf ein gegen seine Mandantin durchgeführtes Arrestverfahren beantragt. Dem liegt zugrunde:
Die Staatsanwaltschaft verfolg-te die ehemalige Angeklagte – neben weiteren Beschuldigten – wegen Betrugs. In diesem Zu-sammenhang erließ das AG auf Antrag der Staatsanwaltschaft am 21.3.2022 einen Vermö-gensarrest über 1.858.364,80 EUR gegen sie, der in der Folgezeit vollzogen wurde. Am 31.3.2022 bestellte das AG den Antragsteller als Pflichtverteidiger für die Freigesprochene. Dieser legte gegen den Arrest Beschwerde ein, woraufhin das LG den Arrestbetrag auf 1.772.095,46 EUR ermäßigte. Das OLG reduzierte auf weitere Beschwerde den Arrestbetrag weiter auf 912.686,14 EUR. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach dem mittlerweile erreich-ten Ermittlungsstand habe die ehemalige Angeklagte diese Summe aus Betrugstaten erlangt. Nach dem Freispruch der ehemaligen Angeklagten ist der gegen sie fortbestehende Arrest auf-gehoben worden.
Der Verteidiger hat in seinem Kostenfestsetzungsantrag ausgeführt, der Vollzug des Arrestes habe das Unternehmen der ehemaligen Angeklagten. Die kreditfinanzierten Betriebs-Lkw seien an die finanzierenden Firmen zurückgegeben worden, die Arbeitnehmer der ehemaligen Ange-klagten hätten gekündigt und sie lebe aktuell von Sozialleistungen. Wegen dieser Folgen könne nicht nur ein Bruchteil – beispielsweise ein Drittel – der Arrestsumme für die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren angesetzt werden, sondern der volle (ursprüngliche) Arrestbetrag. Die Halbierung des Arrestbetrages durch das OLG habe nicht mehr helfen können, da die ehemali-ge Angeklagte da bereits vermögenslos gewesen sei. Das alles zeige, dass sich die an sich vor-läufige Regelung des Arrestes für die Mandantin als endgültig – weil existenzvernichtend – er-wiesen habe.
Das LG hat den Gegenstandswert auf 233.333,33 EUR festgesetzt.
„1. Bei einem Vermögensarrest ist das wirtschaftliche Interesse des Betroffenen an der Abwehr der Arrestforderung maßgebend für die Wertfestsetzung, wobei die konkrete wirtschaftliche Situation in den Blick zu nehmen ist (§ 23 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 RVG). Beträge, deren Durchsetzbarkeit nicht ernstlich in Betracht kommt und die deshalb eher fiktiven Charakter haben, bleiben unberücksichtigt. Nur soweit der zu sichernde Anspruch werthaltig ist und eine Befriedigung des Arrestgläubigers erwarten lässt, ist er im Rahmen der Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG der Bemessung des Gegenstandswerts zu Grunde zu legen. Damit geht das für die Wertberechnung gem. § 2 Abs. 1 RVG maßgebliche Interesse des Betroffenen an der Abwehr des Arrests nicht weiter, als Vermögenswerte vorhanden sind, auf die im Wege der Arrestvollziehung zugegriffen werden kann. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt, zu dem der Verteidiger tätig wird. Dabei können die in Vollziehung des Arrests erfolgten Pfändungen Anhaltspunkte dafür liefern, inwieweit eine durchsetzbare Verfallsanordnung in Betracht kommt. Da es sich bei dem Arrest um eine vorläufige Maßnahme handelt, ist auf den so geschätzten Wert ein Abschlag auf – regelmäßig – ein Drittel vorzunehmen (BGH, Urteil vom 08.11.2018 – III ZR 191/17; OLG Nürnberg, Beschluss vom 21.12.2021 – Ws 1149/21; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 20.06.2024 – 18 KLs 104 Js 10095/22; Burhoff, ZWH 2022, 123, 126 mwN).
2. Ausgehend von der ursprünglichen Arrestforderung iHv 1.858.364,80 EUR waren tatsächliche Vermögenswerte der Freigesprochenen vorhanden, die auf 700.000 EUR zu schätzen waren.
a) Die Freigesprochene war bei Vollzug des Arrestes Miteigentümerin zur Hälfte des gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Verurteilten P, genutzten Hausgrundstücks (freistehendes Einfamilienhaus in pp.). Insoweit wurde in Vollzug des Arrestes für den Freistaat Bayern eine Höchstbetragssicherungshypothek über 600.000 EUR im Grundbuch eingetragen. Angesichts der sehr hohen Immobilienpreise im Umland von pp. zur Zeit des Arrestvollzugs hält die Kammer diesen Betrag für nicht abwegig, um den hälftigen Grundstückswert abzubilden.
b) Kontenguthaben und Bargeld der Freigesprochenen wurden in Höhe von 70.922,11 EUR gepfändet, weiterhin Schmuck im Schätzwert von 2.000 EUR.
c) Nimmt man schließlich in den Blick, dass auch weiteres Mobiliarvermögen, insbesondere die verschiedenen Jagdwaffen der Freigesprochenen beschlagnahmt wurden oder jedenfalls hätten beschlagnahmt werden können, schätzt die Kammer den Wert des abzuwehrenden Arrestes auf insgesamt 700.000 EUR. Dass weitere Vermögenswerte der Freigesprochenen bestanden, auf die zum Vollzug des Vermögensarrests hätte zugegriffen werden können und die eine höhere Bewertung tragen könnten, war nicht ersichtlich.
d) Soweit der Antragsteller darauf abhebt, dass der nominelle ursprüngliche Arrestbetrag anzusetzen sei, weil das Fuhrunternehmen der Freigesprochenen infolge des Zugriffs der Ermittlungsbehörden den Betrieb habe einstellen müssen, so führt das zu keiner anderen Beurteilung. Das Betriebsvermögen der Freigesprochenen, das im Wesentlichen aus fremdfinanzierten Lkw bestand, die zwischenzeitlich an die Kreditinstitute bzw. an die Leasinggeber zurückgefallen sind, wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht beschlagnahmt und sollte – weil es Fremdeigentum war – von Vornherein auch nicht gepfändet werden. Das letztlich vom Verurteilten P gesteuerte, formell von der Freigesprochenen betriebene Unternehmen lebte vor dem Zugriff der Ermittler von den Aufträgen, die ihm P im Rahmen seiner Korruptionstaten „zugeschanzt“ hatte. Das Fuhrunternehmen diente nach dem Ergebnis der späteren Beweisaufnahme dazu, die als Aufträge deklarierten und abgewickelten Bestechungsgelder zu waschen, wobei die Freigesprochene eine Strohgeschäftsführerin war, die die Vorgänge nicht durchschaute. Das Unternehmen wurde insolvent, als P in Untersuchungshaft genommen wurde und so die Grundlage der Aufträge wegfiel. Diese mittelbare Folge des Ermittlungsverfahrens – insoweit nicht des Arrestes selbst – kommt bei der Bewertung des gegen die Freigesprochene vollzogenen Arrestes nicht in Ansatz.
3. Im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der Anordnung des Vermögensarrests war auf den Arrestwert von 700.000 EUR ein Abschlag von zwei Dritteln vorzunehmen, woraus der Gegenstandswert von 233.333,33 EUR folgt.“
Die Entscheidung ist zutreffend. Zutreffend ist es insbesondere auch, wenn das LG die Vermögenseinbuße durch die (vermeintliche) Existenzvernichtung nicht berücksichtigt hat. Das ist – wenn überhaupt – eine Folge des Arrestes, nicht aber eigentlicher Gegenstand des vom LG angeordneten und vom OLG bestätigten Arrestes. Im Grunde hate die ehemalige Angeklagte insoweit einen Schadensersatzanspruch geltend gemacht. Der wird aber sicherlich nicht von der Nr. 4142 VV RVG erfasst, sondern möglicherweise von § 839 BGB, wenn den beteiligten Justizbehörden ein Schuldvorwurf zu machen ist/wäre.