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Warum formulieren Gerichte so? oder: Nicht hinter allem steckt eine böse Absicht…

Die Kollegin Rueber hat vor einiger Zeit in ihrem Blog von einem Mandanten berichtet, der mit der Formulierung im freisprechenden Urteil: „Der Angeklagte musste frei gesprochen werden“ Schwierigkeiten hatte. Die Kollegin findet diese Formulierung zumindest „nicht nett“. Die dazu eingegangenen Kommentare im Blog der Kollegin, haben mich zur „Gewissenserforschung“ veranlasst, vor allem der, die Praxis der Rechtsmittelgerichte anspricht, die häufig formulieren, dass „das Rechtsmittel vorläufig Erfolg“ hat.

Zu letzterem: So habe ich auch häufiger formuliert, allerdings nur so lange bis mich ein alter = erfahrener Vorsitzender noch in der Erprobungszeit (3. Staatsexamen, da hat man so etwas besonders gerne :-)) darauf hingwiesen hat, dass die Formulierung schlicht falsch sei. Denn das Rechtsmittel habe nicht „vorläufig Erfolg“, sondern endgültig, da es zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führe. Was aus dem Verfahren letztlich werde und wie das endgültige Ergebnis aussehe, sei keine Frage, die das Rechtsmittelgericht zu beruteilen habe. Das hatte gesessen. Ich habe die Formulierung danach tunlichst vermieden. Im Übrigen: Wenn sie verwendet wird, wird sie häufig bei Verfahrensfehlern verwendet und das Revisionsgericht will signalisieren, das der materielle Teil wohl in Ordnung ist – wenn das nicht so oder so in der „Segelanweisung“ geschrieben wird.

Zu der Formulierung: „musste frei gesprochen“ werden. In der Tat, hört sich nicht so schön an. Aber ist „war frei zu sprechen“ besser? Natürlich könnte man auch formulieren: „Der Angeklagte ist frei gesprochen worden, und zwar aus folgenden Gründen…“ Aber auch das ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Ich tendiere auch zu „war frei zu sprechen“, kann aber auch mit „musste freigesprochen werden“ leben. Denn m.E. kann man daraus nicht den Schluss ziehen, der Richter sei seiner Verpflichtung, ggf. frei zu sprechen, nur „gezwungen“ nachgekommen. Ds soll damit – i.d.R. – Ausnahmen wird es immer geben – nicht signalisiert bzw. zum Ausdruck gebracht werden.

Alles in allem: I.d.R. sind es Nachlässigkeiten in der Formulierung, die natürlich nicht vorkommen sollten, die sich aber in der Eile des täglichen Geschäfts manchmal einschleichen. Darum: Nicht hinter allen Formulierungen steckt eine böse Absicht :-).

Ich sage es ja immer: Revisionen werden in der Instanz gewonnen…

zumindest aber dort vorbereitet, sonst wird es mit dem Ertfolg nichts.

Ein schönes Beispiel ist m.E. der Beschl. des BGH v. 27.04.2010 – 1 StR 155/10. Zumindest zwei der dort vom BGH angesprochenen vier Punkte gehen auf Versäumnisse in der Hauptverhandlung zurück. Einmal hat der Verteidiger die Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO übersehen, die auch bei dem Streit um ein Auskunftsverweigerungsrecht gilt, und einmal war der Beweisantrag wohl nicht so schön formuliert. Na ja, ob es, wenn der Verteidiger das beachtet hätte, gereicht hätte,…

Nur „fast zynische“ Strafzumessungserwägungen? – oder: Darauf muss man erst mal kommen

Es gibt nichts, was es nicht gibt, habe ich gedacht, als ich den Beschluss des OLG Oldenburg v. 23.04.2010 – 1 Ss 51/10, der gerade über den Newsletter von LexisNexisStrafrecht gelaufen ist, gelesen habe. Da schreibt das LG dem Angeklagten doch tatsächlich in die Strafzumessung:

„Das Landgericht hat bei der Prüfung einer Strafaussetzung u. a. ausgeführt (UA S. 10), die freiheitsentziehende Strafverbüßung werde den Angeklagten in seinen – vagen – Lebensplanungen auch „nicht groß beeinträchtigen“, weil er keine eigenen Einrichtungsgegenstände habe, sondern in einer Wohngemeinschaft lebe und seine Arbeitssituation zur Zeit schlecht sei. seine wohnlichen und beruflichen Verluste hielten sich in Grenzen. familiär sei er nicht so gebunden, dass dort Probleme für die künftige Lebenssituation entstehen würden.“

Ich habe ja schon viel gelesen in Strafzumessungserwägungen, aber so etwas noch nicht. Der Verteidiger hatte m.E. zu recht beanstandet „fast zynisch“, wobei mir das „fast“ zu viel ist. Das OLG hat dann auch recht deutliche Worte gefunden.

„Diese Urteilsformulierung, die von der Verteidigung als „fast zynisch“ angesehen wird, verkennt das in einer Freiheitsstrafe liegende Übel in grundlegender und unvertretbarer Weise. Es geht nicht an, den völligen Verlust der persönlichen Freiheit und die massiven Lebenseinschränkungen, die mit einem Strafvollzug verbunden sind, in Hinblick auf Wohn, Eigentums und Lebensverhältnisse eines Angeklagten als „nicht große“ Beeinträchtigung zu bewerten und so zu bagatellisieren.“

Das ist noch vornehm ausgedrückt. Man hätte auch anders formulieren können…

„…Ich weise dich darauf hin, dass du hier als Beschuldigter vor der Polizei keine Angaben machen brauchst…“

… so lautete u.a. eine Beschuldigtenbelehrung, über deren Ordnungsgemäßheit jetzt der BGH in seinem Urteil v. 29.04.2010 – 3 StR 63/10 zu entscheiden hatte.

Das LG hatte die Belehrung als nicht i.S. der §§ 163a, 136 StPO ordnungsgemäß angesehen, weil diese Belehrung den Schluss nahe lege, dass der Beschuldigte zwar vor der Polizei keine Angaben machen müsse, vor einer anderen Stelle, wie der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht aber doch. Die Strafkammer vermochte daher nicht auszuschließen, dass der Entschluss des Beschuldigten, bei der Polizei Angaben zu machen, von der Erwägung beeinflusst gewesen sei, dass er letztlich eben doch Angaben machen müsse.

Der BGH hat das – in der Sache wohl zutreffend – anders gesehen, weil die Auslegung der von dem Polizeibeamten verwendeten Belehrungsformel ergebe, dass Unklarheiten darüber, dass es dem Angeklagten freistand, in der anschließenden polizeilichen Vernehmung Angaben zu machen oder dies zu unterlassen, nicht auftreten konnten. Der Wortlaut sei insoweit eindeutig. Für die Annahme des LG, wegen der – über den Gesetzeswortlaut hinausgehenden – Wendung „hier als Beschuldigter vor der Polizei“ sei die Möglichkeit nicht auszuschließen, der Angeklagte habe dies dahin missverstehen können, in einer späteren Vernehmung durch einen Staatsanwalt oder Richter doch zur Aussage verpflichtet zu sein und aus diesem Grund bereits bei der Polizei Angaben gemacht, bestanden nach Ansicht des BGH auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte.

Trotzdem: Immer aufgepasst, wenn von der Formulierung des Gesetzes bei Belehrungen abgesehen wird.

OLG Hamm 3 Ss OWi 689/09: Lehrbuch für Verteidiger

Der Beschluss des OLG Hamm vom 15. 09. 2009 in der Sache 3 Ss OWi 689/09 zeigt m.E. deutlich, was man als Verteidiger alles falsch machen und er beweist die Richtigkeit des Satzes: Die Revision/Rechtsbeschwerde wird zumindest auch in der Instanz gewonnen. Man kann es auch anders ausdrücken: Was nutzt die schönste Rechtsbeschwerde-/Revisionsbegründung, wenn der „Angriff“ nicht in der Instanz ausreichend vorbereitet worden ist. Daher der Beschluss ist lesenswert, denn er zeigt folgende Fehler/Schwachstellen auf:

  1. Nicht ausreichende Begründung des Beweisantrages
  2. Den Beweisantrag nicht schriftlich als Anlage zu Protokoll gegeben bzw.
  3. Nicht auf eine zutreffende Formulierung des Beweisantrages im Protokoll geachtet
  4. Die Rechtsbeschwerde nicht ausreichend auch mit dem Ablehnungsbeschluss des Gerichts begründet.

Aber: Immerhin nicht nur die Verfahrensrüge erhoben, sondern auch die Sachrüge, so dass Fehler 4 ausgebügelt worden ist.