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Der „sozialkonforme“ Betroffene und das drohende Fahrverbot

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Bei manchen Beschlüssen/Urteilen ist man über die ein oder andere Formulierung erstaunt. So ich beim AG Landstuhl, Urt. v. 11.5. 2015 – 2 OWi 4286 Js 1077/15, in dem es im Zusammenhang mit der Ablehnung des Absehens von einem Fahrverbot u.a. heißt:

„Selbst wenn jedoch die Abwägung der Einschränkungen des Betroffenen in die Nähe der Unverhältnismäßigkeit hätte geraten können, wäre diesem im vorliegenden Fall wegen eigenverantwortlichen Herbeiführens der Situation der Unverhältnismäßigkeit der Wegfall des Fahrverbots nicht zugute gekommen (Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 3. Aufl., 2014, S. 388, spricht von „Vorverschulden“). Denn der Betroffene hatte nach Erlass des Bußgeldbescheids am 20.10.2014 bei Tatzeit im November 2013 zuerst die Möglichkeit, in der Nebensaison seiner Baufirma zwischen November und März das Fahrverbot anzutreten. Diese hat er nutzlos verstreichen lassen. Und selbst nachdem die Hauptverhandlung schon terminiert war hat der Betroffene den bereits genannten zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt absolviert, den er problemlos mit einem Urlaub von 14 Tagen hätte kombinieren können, um das Fahrverbot zu absolvieren. Wer solche Gelegenheiten verstreichen lässt, kann sich nicht später auf eine Unverhältnismäßigkeit des Fahrverbots berufen. Denn der Betroffene muss ab Erhalt des Bußgeldbescheides Vorbereitungen dafür treffen, das Fahrverbot sozialkonform zu absolvieren (OLG Hamm, NZV 2005, 495; Krumm, NZV 2007, 561). Tut er dies – wie hier – nicht, kann dies im Rahmen der Abwägung nicht zu einem für ihn günstigen Ergebnis führen.“

So weit, so gut. Und es ist zutreffend, dass der angeführte OLG Hamm, Beschl. in NZV 2005, 495 dem Betroffenen aufgibt, seine Urlaubsplanung dem Grund nach auf ein drohendes Fahrverbot einzustellen. Nun, was heißt denn jetzt aber „sozialkonform“. Mit dem Begriff kann ich in dem Zusammenhang nichts anfangen. Und das AG scheint mir auch weit über das hinauszugehen, was das OLG Hamm gefordert hat, nämlich einstellen bei der Urlaubsplanung. Daraus wird dann gleich: Kombination eines Krankenhausausenthaltes mit einem 14 tägigen Urlaub. Als ob man, wenn es ins Krankenhaus geht, keine andere Gedanken hätte als das drohende Fahrverbot.

Im Übrigen: Ob der Verweis auf die fehlende Vorbereitung nun wirklich zieht? Ich habe da so meine Zweifel. Passen kann der Verweis, wenn der Betroffene – wie beim AG Landstuhl – seinen Einspruch auf die Rechtsfolgen beschränkt hat. Schwieriger wird die Rechtslage allerdings, wenn der Betroffene die ihm zur Last gelegte Ordnungswidrigkeit bestreitet. Denn dann bestand aus seiner Sicht überhaupt kein Anlass, sich auf ein Fahrverbot vorzubereiten. Dann wird man ihm aber auch nicht zur Last legen dürfen, wenn er das nicht getan hat. Oder?

Mangelnde Klarheit, auf die sich die „Verteidigung längst hätte einstellen können“, oder: Der Verteidiger (k)ein Hellseher

Eine etwas eigenartige Verfahrenssituation liegt dem BGH, Beschl. v. 06.03.2012 – 1 StR 623/11 zugrunde. Es geht um einen Mordvorwurf – ursprünglich „niedrige Beweggründe“ – und einen rechtlichen Hinweis – ggf. auch „Heimtücke“ – und die sich daraus ergebenden verfahrensrechtlichen Folgen. Der BGH konstatiert, dass schon „Anklage und Eröffnungsbeschluss nicht sehr klar letztlich von unterschiedlichen Sachverhalten – im Anklagesatz einerseits und als Grundlage der rechtlichen Bewertung mit näherer Begründung im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen andererseits – ausgehen. Diese Unklarheit führt unmittelbar zu einer Unklarheit des Hinweises, die sich noch dadurch steigert, dass, so die Strafkammer ergänzend, die geänderte rechtliche Bewertung lediglich „unter Umständen“ Platz greifen soll, ohne zu verdeutlichen, welche dies sein könnten.“ Das Schwurgericht hat einen Aussetzungsantrag des Verteidigers zurückgewiesen. Die Begründung vom BGH beanstandet:

„4. Jedenfalls hält aber die Auffassung rechtlicher Prüfung nicht stand, der Angeklagte (bzw. sein Verteidiger) hätte sich „längst“ auf die Verteidigung gegen einen in der Anklage ausdrücklich verneinten Vorwurf vorbereiten können. Allerdings ist das tatrichterliche Ermessen bei der Entscheidung gemäß  § 265 Abs. 4 StPO vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüfbar (vgl. Radtke in Radtke/Hohmann-StPO, § 265 Rn. 138 mwN). Hier ist jedoch der rechtliche Ansatz fehlerhaft. Auf von der zugelassenen Anklage abweichende Vorwürfe braucht sich der Angeklagte nicht einzustellen; daher ist er ausdrücklich auf eine mögliche Änderung der Beurteilung hinzuweisen. Eine nach einem solchen Hinweis mögliche Folge kann daher nicht deshalb abgelehnt werden, weil der Angeklagte (bzw. sein Verteidiger) den Inhalt des Hinweises nicht vorausgesehen und sich entsprechend hierauf auch nicht vorbereitet hat.

5. Der Schwerpunkt der Vorbereitung der Verteidigung war, so der nahe liegende Revisionsvortrag, auf die letztlich gelungenen Bemühungen gerichtet, die ursprüngliche Annahme niedriger Beweggründe zu entkräften. Die Revision trägt, zumal im Hinblick auf das Gewicht des Tatvorwurfs und die insoweit letztlich zentrale Bedeutung von Heimtücke, auch hinreichend konkret vor, warum im Blick auf die Änderung der Situation, die durch den insgesamt nur sehr knapp erläuterten Hinweis eingetreten ist, eine Aussetzung der Hauptverhandlung oder zumindest deren Unterbrechung noch vor der Vernehmung der Zeu-gin P. angezeigt gewesen wäre.“

Wehret den Anfängen – Eingriff in das Beweisverwertungsverbot des § 252 StPO?

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Jeder Jurist, der sich zumindest ein wenig im Strafverfahrensrecht auskennt, kennt das Beweisverwertungsverbot, das aus § 252 StPO folgt, wenn ein zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge in der Hauptverhandlung das Zeugnis verweigert. Dann darf das sich aus § 252 ergebenden Verlesungs-/Verwertunsgverbot nicht dadurch umgangen werden, dass Vernehmungsbeamte vernommen oder Vernehmungsprotokolle verlesen werden. Nur eine Ausnahme macht man: Der Zeuge ist richterlich vernommen worden. Aber auch dann ist eine Verwertung der früheren Angaben nur unter Einschränkungen möglich/zulässig. Die kennt – natürlich – auch der 1. Strafsenat des BGH. Auf die weist er im BGH, Beschl. v. 21.03.2012 – 1 StR 43/12 – auch ausdrücklich im Hinblick auf eine erfolgte Vernehmung des Ermittlungsrichters hin:

a) Allerdings trifft es zu, dass frühere Vernehmungen eines die Aussage gemäß § 52 StPO verweigernden Zeugen grundsätzlich nicht verwertet werden dürfen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf dann nur das herangezogen werden, was ein vernehmender Richter über die vor ihm gemachten Angaben des über sein Zeugnisverweigerungsrecht ordnungsgemäß belehrten Zeugen aus seiner Erinnerung bekundet. Hierzu darf ihm sein Vernehmungsprotokoll – notfalls durch Verlesen – vorgehalten werden. Dies darf allerdings nicht dazu führen, den Inhalt der Niederschrift selbst für die Beweiswürdigung heranzuziehen. Verwertbar ist vielmehr nur das, was auf den Vorhalt hin in die Erinnerung des Richters zurückkehrt, und es genügt nicht, wenn er lediglich erklärt, er habe die Aussage richtig aufgenommen (BGH, Urteil vom 2. April 1958 – 2 StR 96/58, BGHSt 11, 338, 341; BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 – 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 150; BGH, Urteil vom 30. März 1994 – 2 StR 643/93, StV 1994, 413; BGH, Beschluss vom 4. April 2001 – 5 StR 604/00, StV 2001, 386).

Allerdings hatte das LG diese Grundsätze nicht (vollständig) beachtet. Insoweit stellt der BGH einen Rechtsfehler fest, den im Übrigen der GBA gesehen hatte:

c) Soweit das Landgericht für die vorliegende Fallgestaltung eine diese Erinnerung ergänzende Verwertung der protokollierten Aussage als (zumindest teilweise) zulässig angesehen hat, steht diese Auffassung mit der dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar nicht im Einklang.“

Soweit, aber nicht so gut. Denn dann kommt es. Anders als der GBA, der die Verfahrensrüge hatte durchgreifen lassen, sieht der 1. Strafsenat das anders. Nach seiner Auffassung beruht das Urteil nicht auf diesem Fehler.

Der Senat kann aber ausschließen, dass sich dies auf das gefällte Urteil ausgewirkt hat. Denn das Landgericht hat allenfalls die Darstellung M. H.´, nach dem Stich habe er seine Frau zu Boden gerungen und diese habe sich dann in gebückter Haltung vor ihm befunden (UA S. 12; oben 3. b), und somit einen für die Gesamtwürdigung der Beweise wenig bedeutsamen Umstand dem ermittlungsrichterlichen Vernehmungsprotokoll entnommen.

Dem Urteil liegt eine insgesamt sorgfältige und umfassende Beweiswürdigung zugrunde. Das Landgericht hat alle wesentlichen Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen. Dabei ist es zutreffend von der Einlassung der Angeklagten ausgegangen. Diese hat in ihren Vernehmungen bei der Polizei, beim Ermittlungsrichter und in der Hauptverhandlung sowie gegenüber der Sachverständigen stets eingeräumt, ihren Ehemann mit einem Messerstich verletzt zu haben. Auch das von der Strafkammer festgestellte „Geschehen vor der Tat“ hat sie dabei in den wesentlichen Punkten konstant geschildert (UA S. 15 ff.)….

Angesichts dieser klaren Beweislage besorgt der Senat nicht, dass sich das Nachtatgeschehen maßgeblich auf die landgerichtliche Überzeugungsbildung ausgewirkt hat. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass das Landgericht in diesem Zusammenhang zudem festgestellt hat, M. H. habe wenige Minuten nach der Tat gegenüber der zu Hilfe gekommenen Nachbarin C. M. u.a. geäußert, er habe die Angeklagte nach dem Messerstich „zu Boden gedrückt“ (UA S. 13).

Natürlich setzt der 1. Strafsenat noch einen drauf:

„Ergänzend bemerkt der Senat: Ein zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge wird regelmäßig deshalb durch den Ermittlungsrichter vernommen, weil bei einer späteren – aus welchen Gründen auch immer erfolgten – Zeugnisverweigerung nur die Aussage des Ermittlungsrichters über die Angaben des Zeu-gen verwertbar ist. In derartigen Fällen, erfahrungsgemäß oft Gewalt- und/oder Sexualdelikte zum Nachteil von Frauen oder Kindern, hat der Ermittlungsrichter daher die Pflicht, sich schon während der von ihm durchgeführten Vernehmung intensiv darum zu bemühen, sich den Aussageinhalt einzuprägen. Ausfluss dieser Pflicht des Ermittlungsrichters ist es auch, dann, wenn seine Vernehmung als Zeuge ansteht, die Vernehmungsniederschriften einzusehen, um sich erforderlichenfalls die Einzelheiten ins Gedächtnis zurückzurufen (vgl. hierzu zusammenfassend Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 69 Rn. 8 mwN).“

Ich halte die Entscheidung für falsch – Gott sei Dank ja auch der GBA, der einen Aufhebungsantrag gestellt hatte. Sie geht in die falsche Richtung, denn: Über die Beruhensfrage lassen sich Eingriffe in das Beweisverbot gut heilen. Und was die Hellseher beim BGH alles ausschließen können, wissen wir. Auch die gesteigerte Vorbereitungspflicht des Zeugen ist nicht unproblematisch. Bekundet der Zeuge dann in der Hauptverhandlung noch seine Erinnerung oder bekundet er das, was er in den Ermittlungsakten gelesen hat?

Die Revision ist nicht das Ziel – aber man muss immer auch an sie denken

Vor einigen Tagen ist hier eine Diskussion geführt worden, um die Frage, ob und wie der Instanzverteidiger an die Revision denken soll (vgl. hier bei Kanzlei und Recht und hier beim Kollegen Nebgen). Beide sind im Grunde m.E. gar nicht so weit auseinander. Natürlich kann/darf es nicht nur das Ziel der Instanzverteidigung sein, die Revision vorzubereiten, andererseits hat der Instanzverteidiger aber häufig gar keine andere Möglichkeit, als immer auch das Rechtsmittel der Revision im Auge zu behalten und sich zu fragen: Was kann, was muss ich noch tun, um diesen, m.E. gegebenen Verfahrensverstoß in der Revision rügen zu können. Das lässt sich angesichts der Formenstrenge gar nicht vermeiden und ist m.E. Handwerkszeug eines guten Strafverteidigers. Denn, was nützt die schönste Revision, wenn sie verfahrensmäßig nicht ausreichend vorbereitet ist, also z.B. der i.d.R. erforderliche Gerichtsbeschluss (§ 338 Nr. 8 StPO) über § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt worden ist. Die Liste ließe sich noch verlängern; ihre Länge ist sicherlich auch auf die Revisionsrechtsprechung des BGH zurückzuführen.

Also: Die Revision ist nicht das Ziel – aber man muss immer auch an sie denken. Das gilt auch, wenn, wie der Kollege Nebgen meint, „selbst eindeutige Rechtsfehler der Tatgerichte längst nicht mehr sicher zu einer Urteilsaufhebung führen“. Das ist zwar (leider) richtig, darf aber m.E. den Verteidiger nicht davon abhalten, die Verfahrensrüge auf der Grundlage der ihm bis dahin bekannten Revisionsrechtsprechung vorzubereiten. Und: Vielleicht auch noch darüber hinzugehen, nämlich sich immer auch zu überlegen bzw. im Blick zu haben, was denn ggf. noch Neues zu der Frage vom Revisionsgericht kommt. Also: Hellseherische Fähigkeiten zu entwickeln. Leider 🙁

Ich sage es ja immer: Revisionen werden in der Instanz gewonnen…

zumindest aber dort vorbereitet, sonst wird es mit dem Ertfolg nichts.

Ein schönes Beispiel ist m.E. der Beschl. des BGH v. 27.04.2010 – 1 StR 155/10. Zumindest zwei der dort vom BGH angesprochenen vier Punkte gehen auf Versäumnisse in der Hauptverhandlung zurück. Einmal hat der Verteidiger die Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO übersehen, die auch bei dem Streit um ein Auskunftsverweigerungsrecht gilt, und einmal war der Beweisantrag wohl nicht so schön formuliert. Na ja, ob es, wenn der Verteidiger das beachtet hätte, gereicht hätte,…