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Einmal mehr § 238 Abs. 2 StPO, der BGH weitet Beanstandungspflichten immer weiter aus.

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Der Angeklagte wird vom LG wegen eines Verstoßes gegen das BtMG verurteilt. Dagegen legt er Revision ein, mit der er einen Fairnessverstoß geltend macht. Der greift nicht durch.

Der BGH, Beschl. v. 10.01.2012 – 5 StR 508/11 dazu:

Die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge eines Fairnessverstoßes ist unzulässig. Der erst nach dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft erteilte Hinweis des Landgerichts auf veränderte Konkurrenzen hätte, wenn die Verteidigung ihn als verspätet beanstanden wollte, einen Zwischenrechtsbehelf erfordert: Die als Maßnahme der Verhandlungsleitung unmittelbar danach ergangene Aufforderung an den Verteidiger, den Schlussvortrag zu halten, wäre gemäß § 238 Abs. 2 StPO zu beanstanden gewesen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 238 Rn. 22), anstatt – wie geschehen – widerspruchslos den Schlussvortrag zu halten.

Also: Lieber einmal mehr den Mund aufmachen, auch wenn es dem Gericht nicht immer gefallen wird.

Man könnte auch sagen: Akte nicht gelesen.

Interessant der Beschluss des OLG Dresden v. 19.04.2011 – 2 Ws 96/11. Nicht nur wegen der Rechtsfrage, nämlich der Frage, inwieweit der Angeklagte bzw. sein Pflichtverteidiger einen Anspruch auf Übersetzung der Akte oder von Aktenteilen hat. Da sagt das OLG in Übereinstimmung mit der h.M.: Der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren beinhaltet nicht den Anspruch auf Übersetzung der gesamten Verfahrensakte, sondern nur der Unterlagen, deren Kenntnis zur ordnungsgemäßen Verteidigung erforderlich ist. Für die Frage der Erforderlichkeit einer Übersetzung ist aber maßgeblich auf die ex-ante-Sicht im Zeitpunkt der Auftragserteilung der Übersetzung durch den Pflichtverteidiger abzustellen.

Nicht nur das hatte die Rechtspflegerin anders gesehen, sondern auch im tatsächlichen den Anspruch abgelehnt. Dazu führt das OLG aus:

Die Ablehnungbegründung hält sowohl in sachlicher als auch in rechtlicher Hinsicht einer beschwerderechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. a) Soweit die Rechtspflegerin darauf abstellen möchte, dass sowohl die Vernehmungen der Zeugen vom 17. April 2010 als auch vom 02. August 2010 in Gegenwart des Beschwerdeführers erfolgt sei, weshalb er über den Stand des Verfahrens informiert gewesen sei, wird dies durch den Akteninhalt nicht bestätigt. Der Beschwerdeführer wurde am 17. April 2010 vorläufig festgenommen; die zu seiner Festnahme führende poli­zeiliche Vernehmung des Zeugen (Quellenvernehmung) erfolgte in seiner Abwesenheit. Gleiches gilt für die in Nürnberg durchgeführte Zeugenvernehmung des Zollfahndungsamts München vom 02. August 2010.

b) Unrichtig ist auch die Annahme, die Haftfortdauerentscheidung der Strafkammer vom 21. Mai 2010 sei in seiner Anwesenheit erfolgt. Die Entscheidung erging vielmehr – nach Nichtabhilfe durch den Ermittlungs­richters – im schriftlichen Beschwerdeverfahren ohne erneute Anhörung des Beschuldigten.

c) Soweit schließlich die Erstattung der Übersetzungskosten für das Urteil des Landgerichts Wroclaw mit der Begründung verweigert wird, auch das erkennende Gericht habe dieses Urteil beigezogen und übersetzt, weshalb die Übersetzung durch den Verteidiger über­flüssig gewesen sei, verkennt die Rechtspflegerin den zeitlichen Ablauf des Verfahrens.

Zwar hatte die Staatsanwaltschaft Görlitz bereits am 11. Mai 2010 – drei Wochen nach Verhaftung des Beschuldigten – die polnischen Justizorgane im Wege der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen um die Übersendung von zehn in Polen ergangener Strafurteile – darunter auch das vorliegend streitbefangene – er­sucht. Dem Ersuchen wurde mit Note vom 28. Juni 2010 entsprochen; die sodann in Deutschland veranlasste Übersetzung durch ein berliner Übersetzungsbüro ging allerdings über die Staatsanwaltschaft erst am 26. August 2010 bei der zuständigen Strafkammer ein. Die in dieser Sache erhobene Anklage war jedoch be­reits seit dem 23. Juni 2010 anhängig.

Wie angesichts dieser zeitlichen Abfolge im Verfahrensverlauf angenommen werden kann, der Beschuldigte habe das streitgegenständliche Urteil seinem Vertei­diger zunächst verschwiegen, erschließt sich nicht. Dieser hatte vielmehr die Übersetzung bereits in Auf­trag gegeben, als er von der Beiziehung des Urteils durch die Staatsanwaltschaft noch gar nichts wusste.“

Peinlich, aber da scheint wirklich jemand nicht die Akte gelesen zu haben.

Wenn ich sage, ich komme, aber verspätet…

darf das LG die Berufung nicht verwerfen, sondern hat eine Wartepflicht. So das OLG Brandenburg, Beschl. v. 07.03.2011 – (1) 53 Ss 19/11 (5/11).

Das OLG führt aus: Es verstößt gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens, eine Berufung zu verwerfen, obwohl der Angeklagte telefonisch zutreffend ankündigt, dass er irrtümlich vor dem erstinstanzlichen Gericht erschienen sei und deshalb um 1 Stunde und 15 Minuten verspätet bei der Berufungskammer eintreffen wird. Macht sich der Angeklagte nach Bekanntwerden des Irrtums unverzüglich auf den Weg zur Berufungskammer und spricht dort mit seinem Verteidiger bei der Geschäftsstelle vor, dann ist die Nachlässigkeit bei der Kenntnisnahme von der Terminsladung nicht als grob fahrlässig anzusehen.

Interessant auch, dass das OLG die Frage des Verschuldens des Angeklagten nicht an einer anderen Stelle prüft: Nämlich beim Irrtum darüber, wo die Berufungshauptverhandlung stattfindet.

Dolmetscherkosten beim „Pflichti“ und: OLG liest dem Rechtspfleger die Leviten

Beim ausländischen Beschuldigten stellt sich für den beigeordneten Rechtsanwalt immer auch die Frage der Verständigung und der Übersetzung von Aktenbestandteilen, die er kennen muss, um sie mit dem Mandanten besprechen zu können.

So auch in OLG Dresden, Beschl. v. 19.04.2011 – 2 Ws 96/11. Das OLG sagt: Der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren beinhaltet nicht den Anspruch auf Übersetzung der gesamten Verfahrensakte, sondern nur der Unterlagen, deren Kenntnis zur ordnungsgemäßen Verteidigung erforderlich ist – insoweit wohl h.M.

Für die Frage der Erforderlichkeit einer Übersetzung ist aber – so das OLG – maßgeblich auf die ex-ante-Sicht im Zeitpunkt der Auftragserteilung  an einen Dolmetscher abzustellen. Der Verteidiger hatte nämlich ein Urteil übersetzen lassen, das auch die StA später hatte übersetzen lassen. Das OLG sagt: Sind zu erstatten.

Und: Das OLG liest dem Rechtspfleger, der die Erstattung abgelehnt hatte, die Leviten: Sehr vornehm ausgedrückt heißt das:

„Die Ablehnungsbegründung hält sowohl in sachlicher als auch in rechtlicher Hinsicht einer beschwerderechtlichen Überprüfung nicht stand“.

Der Rechtspfleger hatte die Akten wohl nicht richtig gelesen. 🙂

 

Trau schau, wem… auch Richter können irren

Der Angeklagte hatte dem Richter und der von ihm gegebenen Auskunft zu Form und Frist der Revisionsbegründung geglaubt. Die war falsch – auch Richter können irren. Ergebnis: Die Revision war nicht rechtzeitig begründet worden.

Das OLG Oldenburg, Beschl. v. 31.01.2011 – 1 Ss 7/11 hat von Amts wegen Wiedereinsetzung gewährt. Wenn ein Angeklagter aufgrund einer falschen richterlichen Auskunft Form und Frist der Revisionsbegründung nicht eingehalten habe, so sei ihm zur Sicherung eines fairen Verfahrens Wiedereinsetzung zu gewähren. Dies gelte auch dann, wenn er die versäumte Handlung noch nicht nachgeholt habe. Denn der Angeklagte dürfe nach der falschen Auskunft des Richters darauf vertrauen, alles Erforderliche zur wirksamen Begründung seines Rechtsmittels getan zu haben.