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Verkehrsrecht III: Zeitablauf nach FE-Entziehung, oder: Zwei Jahre und ein Monat unvertretbar

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Und dann zum Schluss noch etwas zur (vorläufigen) Entziehung der Fahrerlaubnis

Gegen den Angeschuldigten ist ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung anhängig. In dem ist die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen worden. Das AG hat jetzt im AG Bad Homburg, Beschl. v. 12.08.2024 – 7a Ds 117/24 – aufgehoben. Grund: Unverhältnismäßig:

„Die Beschwerde des Verteidigers vom 23. Juni 2024 (BI. 264 ff. d.A.) war, nachdem nunmehr Anklage erhoben worden ist, umzudeuten in einen Antrag auf Aufhebung der Maßnahme nach § 111a StPO.

Dem zulässigen Antrag des Verteidigers auf Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis war stattzugeben. Zwar liegt nach Aktenlage nach wie vor der von § 111a Abs. 1 StPO geforderte dringende Tatverdacht hinsichtlich der fahrlässigen Tötung bzw. der Gefährdung des Straßenverkehrs vor. Jedoch gebieten der Beschleunigungsgrundsatz sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis.

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist wie alle strafprozessualen Zwangsmaßnahmen verfassungsrechtlichen Schranken unterworfen, die sich besonders im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und in dem Beschleunigungsgebot konkretisieren. Die Belastung aus einem Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich eines Beschuldigten muss in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen stehen. Dieses Übermaßverbot kann im Einzelfall nicht nur der Anordnung und Vollziehung, sondern auch der Fortdauer einer strafprozessualen Maßnahme zeitliche Grenzen setzen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2005 — Az. 2 Ws 15/05 mwN).

Diese zeitliche Grenze ist im vorliegenden Fall nunmehr erreicht.

Zwischen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis vom 6. Juli 2022 und dem heutigen Tag liegen zwei Jahre und ein Monat. Der zeitliche Abstand zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis ist mittlerweile derart groß, dass unter Berücksichtigung der übrigen Umstände des Einzelfalls eine Fortdauer der vorläufigen Fahrererlaubnisentziehung nicht mehr vertretbar erscheint. Hierbei wurde maßgeblich berücksichtigt, dass der Angeschuldigte zwischenzeitlich weder strafrechtlich- noch straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist und er in der Zeit vom 12. Dezember 2022 bis 17. April 2023 an einer verkehrspsychologischen Intensivmaßnahme beim TÜV teilgenommen hat.

Angesichts dieser Umstände ist trotz des fortbestehenden Vorliegens eines von § 111a StPO geforderten dringenden Tatverdachts die Aufhebung des Beschlusses über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis geboten.“

Entziehung der FE II: Vortrag aus dem Strafverfahren, oder: Achtung – BGH-Rechtsprechung gilt nicht

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Und dann habe ich hier das VG Karlsruhe, Urt. v. 18.01.2024 – 4 K 4372/22. Auch in dem Verfahren geht es um die Entziehung der Fahrerlaubnis, und zwar im Einzelnen um die Frage der Verwendung des  Vortrag des Verteidigers aus dem Strafverfahren.

Folgender Sachverhalt: Mit Schreiben vom 20. 07.2022 informierte das Polizeipräsidium K. das Landratsamt K. darüber, dass bei einer Mobilfunkauswertung auf dem Mobiltelefon des Klägers diverse Chatverläufe festgestellt worden seien, aus welchen hervorgehe, dass der Kläger im Zeitraum vom 27.03.2021 bis 01.12. 2021 insgesamt ca. 10,5 Gramm Kokain zum Preis von ca. 840 Euro erworben und offensichtlich auch selbst konsumiert habe. Aufgrund der Menge sei davon auszugehen, dass der Kläger einen unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln betreibe. Im Rahmen der am 07.07.2022 durchgeführten Durchsuchung in der Wohnung des Klägers seien jedoch keine neuen Ermittlungsansätze gewonnen und der Tatverdacht des Handeltreibens sei nicht untermauert worden. Das Verfahren werde an die Staatsanwaltschaft Karlsruhe abgegeben.

Mit Schreiben vom 11.08.2022 gab der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegenüber der Staatsanwaltschaft Karlsruhe folgende Verteidigererklärung ab:

„Wie aus der Chatkorrespondenz erkennbar ist, handelt es sich vorliegend um die Versorgung und den Konsum jeweils zum Eigenbedarf. Aufgrund der im Chat genannten Preise und der Umstände des Erwerbs ist davon auszugehen, dass es sich hier um gestreckte Betäubungsmittel von eher minderer Qualität bzw. geringem Wirkstoffgehalt handelte. Mein Mandant gibt hierzu an, dass er seinerzeit bei pp. gearbeitet hatte. Das Arbeitsverhältnis verlief völlig unbefriedigend. Der vom Arbeitgeber ausgeübte Druck war für meinen Mandanten deutlich zu hoch. Das Arbeitsverhältnis wurde deshalb zum 31.12.2021 mit Aufhebungsvertrag beendet. Auch wenn mein Mandant dann bis zum 30.06.2022, mit Ausnahme einer 1½-monatigen Übergangsstelle, arbeitssuchend war, hat sich die Lebenssituation deutlich verbessert. Noch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei pp. hat er den Konsum vollständig eingestellt. Bei der Durchsuchung wurden keine auf einen Konsum hindeutenden Gegenstände gefunden. Herr pp. befindet sich in einer gefestigten Lebenslage. Er ist verheiratet und seit 01.07.2022 in einem festen Arbeitsverhältnis im kaufmännischen Versand. Er erzielt ein Nettoeinkommen von durchschnittlich € 2.100. Schulden gibt es keine. Wegen der weiteren Vorgehensweise hält die Verteidigung ein Rechtsgespräch für sinnvoll. Eine fernmündliche Kontaktaufnahme durch den Unterzeichner wird angekündigt.“

Das Landratsamt hat dann im September 2022 dem Kläger, nachdem der wegen unerlaubten Erwerbs von BtM verurteilt worden war, die Fahrerlaubnis für alle ihm erteilten Klassen entzogen. Dagegen Widerspruch und  Klage. Die blieb ohne Erfolg:

„….

(2) Gemessen an diesen Maßstäben hat der Beklagte die Nichteignung des Klägers zum Führen eines Kraftfahrzeugs zu Recht angenommen. Der Konsum einer „harten Droge“ durch den Kläger steht angesichts der im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gesammelten Chatprotokolle, der dort abgegebenen Verteidigererklärung des Prozessbevollmächtigten des Klägers und des daraufhin ergangenen Strafbefehls sowie unter Berücksichtigung seiner eigenen Angaben im Rahmen der behördlichen Anhörung zur Überzeugung des Gerichts fest (§ 108 Abs. 1 VwGO).

So ergibt sich aus den im Rahmen des polizeilichen Ermittlungsverfahrens gesammelten Chatprotokollen und deren Auswertung durch die Polizei sowie dem rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Ettlingen vom 8. September 2022 (pp.), dass der Kläger im Zeitraum vom 27. März 2021 bis 1. Dezember 2021 insgesamt ca. 10,5 Gramm Kokain zum Preis von ca. 840 Euro erworben hat. Dies hat der Kläger bis heute nicht substantiiert in Abrede gestellt oder gar eine andere Interpretation dieser Chatverläufe dargelegt. Angesichts des Inhalts der Chatverläufe deutet, entsprechend der Auswertung durch die Polizei, alles darauf hin, dass der Kläger das Kokain – jedenfalls teilweise – auch selbst konsumiert hat. So schrieb er dort unter anderem: „Brauche dringend Zucker“, „ich würde mir gleich ein kleines Dessert holen gehen“, „ich brauch auch garnicht viel – ist wieder Überbrückung“, „sollen wir eins teilen?“, „zwei kleine Nachtische“, „glaub ich muss mir übel geben – Ja hab nur Schiss das du einpennst – Und ich am Ende nix hab“, „brauch erstmal ein Brett“.

Darüber hinaus hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers in seiner Verteidigererklärung vom 11. August 2022 gegenüber der Staatsanwaltschaft auf eben jene Chatverläufe Bezug genommen und angegeben, dass aus der Chatkorrespondenz erkennbar sei, dass es sich vorliegend um die Versorgung und den Konsum jeweils zum Eigenbedarf gehandelt habe. Aufgrund der im Chat genannten Preise und der Umstände des Erwerbs sei davon auszugeben, dass es sich hier um gestreckte Betäubungsmittel von eher minderer Qualität bzw. geringem Wirkstoffgehalt gehandelt habe. Noch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei pp. zum 31. Dezember 2021 habe der Kläger den Konsum vollständig eingestellt. Die Verteidigererklärung bezieht sich eindeutig auf sämtliche erworbenen Betäubungsmittel und damit auch auf das Kokain, dessen Erwerb durch den Kläger rechtskräftig feststeht. Es kommt daher für den Aussagegehalt der Erklärung vom 11. August 2022 entgegen dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht darauf an, dass der Begriff „Kokain“ dort nicht enthalten ist. Vielmehr hat er in seiner Verteidigererklärung auf die genannten Chatverläufe Bezug genommen und den dort dokumentierten Erwerb von Kokain mit Eigenkonsum gerechtfertigt. Damit wurde der Konsum der „harten Droge“ Kokain eingeräumt.

Angesichts des stimmigen Gesamtbildes aus der Verteidigererklärung und der dort in Bezug genommenen Chatverläufe genügt es im vorliegenden Verfahren nicht, einfach später einen eigenen Konsum pauschal zu bestreiten. Insbesondere spricht nichts dafür, dass die Angaben in der Verteidigererklärung unzutreffend sind. Soweit der Kläger darauf hinweist, dass bei der Wohnungsdurchsuchung im Juli 2022 keine Hinweise auf Betäubungsmittel gefunden worden seien, so kann hieraus nichts für den Zeitraum bis Dezember 2021, auf den der Beklagte bezüglich des Konsums alleine abstellt, abgeleitet werden. Auch die Verteidigererklärung räumt lediglich einen Konsum bis Dezember 2021 ein, steht mithin nicht im Widerspruch zu dem Ergebnis der Wohnungsdurchsuchung. Selbst wenn unterstellt würde, dass die in der Verteidigererklärung gemachten Angaben falsch oder zumindest missverständlich gewesen wären, wäre von einem um seine Glaubwürdigkeit im anschließenden Fahrerlaubnisentziehungsverfahren bemühten Betroffenen zu erwarten gewesen, so bald wie möglich die gemachten Angaben zu korrigieren und richtig zu stellen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Juli 2016 – 10 S 1880/15 – juris, Rn. 27).

Hier war dem Kläger bereits aufgrund des Anhörungsschreibens vom 26. August 2022 bekannt, dass ihm eine auf die Annahme des Beklagten, dass er Kokain konsumiert habe, gestützte Fahrerlaubnisentziehung drohen könnte. In Kenntnis dieses Umstands hat der Kläger in seiner Stellungnahme vom 8. September 2022 aber lediglich angegeben, dass „die Anschuldigungen“ bereits über neun Monate zurücklägen und er für seinen neuen Job auf die Fahrerlaubnis angewiesen sei. Er sei bereit, einen Nachweis über seine Abstinenz zu liefern. Auch diese Einlassungen sprechen deutlich für einen Konsum des Klägers, zumal die zeitlichen Angaben zu den „Anschuldigungen“ mit denen der Verteidigererklärung zu dem Konsum übereinstimmen und das Angebot eines „Abstinenznachweises“ ebenfalls auf einen früheren, zwischenzeitlich beendeten Konsum hindeutet. Jedenfalls aber hat es der Kläger nicht für nötig erachtet, irgend-etwas Substanzielles vorzutragen, was geeignet gewesen wäre, den von der Fahrerlaubnisbehörde angenommenen und konkret beschriebenen Konsum auch nur ansatzweise in Zweifel zu ziehen, geschweige denn die Angaben in der Verteidigererklärung richtig zu stellen. Dieses Zögern lässt nur den Schluss zu, dass es nichts gab, was hier richtiggestellt hätte werden können. Es reicht, um den gegenüber den Strafverfolgungsbehörden – nach den Gesamtumständen – eindeutig eingeräumten eigenen Konsum von Kokain als nicht zutreffend hinzustellen, nicht aus, wenn ein solcher Konsum – wie hier erstmals in der Widerspruchsbegründung vom 27. Oktober 2022 – ohne erkennbaren Grund erst Monate später und dann auch nur weitgehend unsubstantiiert als nicht erwiesen dargestellt wird. Die von dem Kläger in seiner Klagebegründung gemachten Ausführungen sind insgesamt nicht geeignet, den vorherigen Nachweis des Eigenkonsums zu erschüttern. Er hat sich maßgeblich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gestützt, ohne im konkreten Fall darzulegen, was die Motivation für eine Falschangabe in der Verteidigererklärung gegenüber der Staatsanwaltschaft gewesen sein sollte, wie die Chatverläufe sonst zu interpretieren sein könnten und was er mit dem erworbenen Kokain gemacht haben will, außer dieses selbst zu konsumieren. In der vorliegenden Konstellation hätte es dem Kläger aber oblegen, die in seine eigene Sphäre fallenden Umstände hinreichend detailliert, in sich schlüssig und auch im Übrigen glaubhaft vorzutragen, so dass ein abweichender Geschehensablauf als ernstlich möglich hätte in Betracht gezogen werden können. Denn gerade dann, wenn sich ein Beteiligter – wie hier – nicht klar und eindeutig zu Geschehnissen äußert, die seine eigene Lebenssphäre betreffen und über die er besser als der Verfahrensgegner Bescheid wissen muss, darf ein Gericht im Rahmen der sich aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebenden Befugnis zur freien Beweiswürdigung das prozessuale Erklärungsverhalten des Beteiligten berücksichtigen (vgl. zu den Anforderungen an die Darlegung von Lebenssachverhalten aus der eigenen Sphäre: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Juli 2016 – 10 S 1880/15 – juris, Rn. 28; VG Würzburg, Beschluss vom 28. Februar 2014 – W 6 S 14.103 – juris, Rn. 27 f. m.w.N.). Die Klagebegründung behauptet aber nicht einmal ausdrücklich, dass der Kläger kein Konsument von Kokain war, sondern bezweifelt nur den Nachweis des Konsums.

Die von dem Kläger angeführte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu der Bedeutung von Verteidigererklärungen führt hier zu keiner abweichenden Beurteilung. Demnach handele es sich bei einer schriftlichen Verteidigererklärung grundsätzlich um eine Prozesserklärung des Verteidigers, die dieser aus eigenem Recht und in eigenem Namen abgebe, und nicht um eine Sacheinlassung des Angeklagten. Ihrer Bedeutung nach sei sie einem Parteivorbringen im Zivilprozess vergleichbar. Bei einer Einlassung mittels Verteidigererklärung habe das Gericht daher zu berücksichtigen, dass dieser von vornherein nur ein erheblich verminderter Beweiswert zukomme, da es sich um schriftliches, situativ häufig nicht hinterfragbares Verteidigungsvorbringen handele (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2020 – 2 StR 69/19 – juris).

Diese zum Strafprozessrecht ergangene Rechtsprechung kann jedoch nicht ohne Weiteres auf das Verwaltungsverfahren und den Verwaltungsgerichtsprozess übertragen werden. Da die Fahrerlaubnisbehörde präventiv zum Schutz hochrangiger Rechtsgüter wie Gesundheit, Leben und Eigentum einer Vielzahl anderer Verkehrsteilnehmer handelt, darf sie nach § 24 LVwVfG im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens alles, was ihr zur Kenntnis gelangt, heranziehen, um die Allgemeinheit vor Gefahren durch ungeeignete Kraftfahrer zu schützen. Mit dem Anspruch der Allgemeinheit auf vorbeugende Maßnahmen zur Abwehr von Risiken für die Verkehrssicherheit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn die Fahrerlaubnisbehörden an der Berücksichtigung strafprozessual gewonnener Erkenntnisse gehindert wären. § 2 Abs. 12 Satz 1 StVG begründet dementsprechend die umfassende Pflicht der Polizei, der Fahrerlaubnisbehörde Informationen über Tatsachen zu übermitteln, die auf nicht nur vorübergehende Mängel hinsichtlich der Eignung oder auf Mängel hinsichtlich der Befähigung einer Person zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen lassen, soweit dies für die Überprüfung der Eignung oder Befähigung aus der Sicht der übermittelnden Stelle erforderlich ist. Es ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Gefahrenprognose aufgrund von Feststellungen aus Ermittlungsergebnissen der Polizei und der Staatsanwaltschaft getroffen wird, sofern diese Fakten einer eigenständigen, nachvollziehbaren Bewertung unterworfen werden. Dabei können die gegenüber einer staatlichen Stelle erfolgten eigenen Bekundungen des Betroffenen zu seinem Betäubungsmittelkonsum selbst bei einem etwaigen Verstoß gegen strafprozessuale Bestimmungen grundsätzlich im Rahmen des Fahrerlaubnisentziehungsverfahrens berücksichtigt werden und unterliegen keinem Verwertungsverbot (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Juli 2016 – 10 S 1880/15 – juris, Rn. 25 f., m.w.N.).

Diese zu eigenen Einlassungen des Beschuldigten entwickelte Rechtsprechung lässt sich nach Auffassung der Kammer angesichts ihrer tragenden Begründung, die Fahrerlaubnisbehörde handele präventiv zum Schutz hochrangiger Rechtsgüter wie Gesundheit, Leben und Eigentum einer Vielzahl anderer Verkehrsteilnehmer und habe daher alle verfügbaren Erkenntnisquellen – auch aus dem Strafverfahren – heranzuziehen, auf eine entsprechende Verteidigererklärung, die – wie hier – im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens für den Kläger abgegeben wird, übertragen, weshalb sich dieser grundsätzlich an deren Inhalt festhalten lassen muss und diesen allenfalls durch substantiiertes Vorbringen erschüttern kann. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn die Verteidigererklärung – wie hier – im strafrechtlichen Verfahren durch den dort Beschuldigten unwidersprochen geblieben und auf dieser Grundlage eine rechtskräftige Verurteilung – hier durch den Strafbefehl – erfolgt ist. Denn mit rechtskräftigem Abschluss des Straf(befehls)verfahrens hat der Beschuldigte die durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eröffnete Möglichkeit, der Verteidigererklärung zu widersprechen, ungenutzt gelassen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass ein strafprozessual beachtliches Verwertungsverbot für die Verteidigererklärung nicht festzustellen ist und im Übrigen auch der Bundesgerichtshof nicht von einem Verwertungsverbot oder einer „Wertlosigkeit“ der Verteidigererklärung, sondern „lediglich“ von deren vermindertem Beweiswert ausgeht.“

Verkehrsrecht II: Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter, oder: Ist die Entziehung der Fahrerlaubnis die Regel?

entnommen wikimedia.org – gemeinfrei

Vor gut drei Wochen ist in der Presse und auch im Internet über das LG Osnabrück, Urt. v. 17.08.2023 – 5 NBs 59/23 – berichtet worden. Thematik der Entscheidung: Entziehung der Fahrerlaubnis nach einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter. Darüber habe ich hier ja auch schon öfters berichtet, und zwar zuletzt über den LG Lüneburg, Beschl. v. 27.06.2023 – 111 Qs 42/23 und das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 08.05.2023 – 1 Ss 276/22.

Nun also noch/auch das LG Osnabrück. Ich habe mir die Entscheidung besorgt und kann daher heuer über den Volltext berichten. Ich habe gern erst den Volltext, bevor ich hier berichte.

Zur Sache: Das AG hatte nach einer Trunkenheitsfahrt mit dem E-Scooter die Fahrerlaubnis nicht entzogen. Dagegen die Berufung der Staatsanwaltschaft, die keinen Erfolg hatte:

„Auch, wenn E-Scooter nach der Rechtsprechung des BGH wie Autos zu behandeln sind, ist damit gleichwohl der Anwendungsbereich des ausnahmsweisen Absehens von Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB bei Nicht-Vorliegen eines „Regelfalls“ eröffnet. Neben den bereits vom Amtsgericht angeführten Umständen ist in der Berufungsinstanz noch weiter in den Blick zu nehmen, dass der Angeklagte mittlerweile ganz alkoholabstinent lebt und dies für den Zeitraum Februar bis Juli 2023 mit entsprechenden Haarprobenanalysen belegt hat. Überdies hat er auch an zwei verkehrspädagogischen Maßnahmen im Juni und Juli 2023 teilgenommen.“

Man sieht, steht nicht viel drin in der Entscheidung. Es handelt sich ja auch um ein wegen der Rechtskräft abgekürztes Urteil. In der vom LG zu der Entscheidung herausgegebenen Pressemitteilung heißt es noch:

„Eine Ausnahme sah das LG in dem hier zu entscheidenden Fall: Der Mann habe lediglich beabsichtigt, 150 Meter mit dem E-Scooter zu fahren. Zudem bereue er die Tat, er habe sich entschuldigt und an einem verkehrspädagogischen Seminar teilgenommen. Auch habe er nachgewiesen, dass er die vergangenen Monate keinen Alkohol getrunken habe. Das LG befand damit die vom Amtsgericht in erster Instanz verhängte Geldstrafe in Verbindung mit einem Fahrverbot von fünf Monaten für ausreichend.“

Das sind dann wohl die „vom Amtsgericht angeführten Umstände“, auf die sich das LG auch bezogen hat. Die stehen aber eben nicht in der LG-Entscheidung. Und darum habe ich lieber immer erstmal den Volltext 🙂 .

 

Verkehrsrecht I: Lebenslange Fahrerlaubnissperre, oder: Erforderlichkeit einer eingehenden Begründung

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Und heute dann drei verkehrsrechtliche Entscheidungen.

Ich mache den Opener mit dem BGH, Beschl. v. 18.07.2023 – 4 StR 42/23. Das LG hatte gegen den Angeklagten eine lebenslange Sperre für die (Wieder)Erteilung der Fahrerlaubnis angeordnet. Dem BGH hat das nicht gefallen:

„Die Anordnung einer lebenslangen Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gemäß § 69a Abs. 1 Satz 2 StGB hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Eine solche bedarf stets besonders sorgfältiger Prüfung und erschöpfender Begründung. Sie setzt voraus, dass eine Sperre von fünf Jahren zur Abwendung der vom Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Bei charakterlichen Mängeln – wie vorliegend – kommt sie in der Regel nur bei Fällen schwerster Verkehrskriminalität in Betracht; so z.B. bei chronischer Trunkenheitsdelinquenz und sonsti-ger auf fest verwurzeltem Hang beruhender Verkehrsdelinquenz, bei mehreren Vorstrafen und mehrfacher Entziehung der Fahrerlaubnis (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 1961 – 4 StR 546/60, BGHSt 15, 393, 398; OLG Hamm, Beschluss vom 22. Januar 2019 – 5 RVs 176/18, SVR 2019, 268, 269 f.; OLG Köln, Be-schluss vom 18. Mai 2001 – Ss 102/01, NJW 2001, 3491, 3492; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 69a Rn. 22 a).

Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Denn sie lassen schon nicht erkennen, ob sich das Landgericht der vorgenannten besonderen Begründungserfordernisse, die an die Verhängung einer lebenslangen Sperre gestellt werden, bewusst war. Auch fehlt eine solche eingehende Begründung. Das Urteil erschöpft sich in der Ausführung, dass wegen der seit Jahren eingeschliffenen und einer therapeutischen Einwirkung kaum zugänglichen dissozialen Einstellungs- und Verhaltensmuster des Angeklagten – auch in der anstehenden mehrjährigen Haftzeit – das Ende seiner fehlenden Eignung innerhalb der gesetzlichen Höchstfrist einer zeitigen Sperre von fünf Jahren nicht ab-sehbar und somit nicht zu erwarten sei, dass die Anordnung der gesetzlichen Höchstfrist zur Abwehr der von ihm drohenden Gefahren ausreichen werde. Indes hätte es angesichts fehlender erheblicher Vorverurteilungen des vergleichs-weise jungen Angeklagten wegen Verkehrsdelikten sowie mangels wiederholter Entziehungen der Fahrerlaubnis insoweit näherer Ausführungen bedurft.“

Fahrerlaubnis : Länge der Fahrerlaubnissperre, oder: Wenn die Sperrfrist falsch berechnet wird….

Und dann Wochenstart. Ich beginne die 34. KW. mit zwei Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach §§ 69, 69a StGB.

Den Opener macht der BGH, Beschl. v. 11.04.2023 – 4 StR 47/23. Nichts Dolles, aber immerhin mal wieder der BGH. Das LG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit räuberischer Erpressung, vorsätzlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Jugendstrafe verurteilt. Ferner hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Fahrerlaubnissperre von vier Jahren verhängt.

Das Rechtsmittel des Angeklagten hat hinsichtlich der Fahrerlaubnissperre aufgehoben.

1. Die Anordnung einer Fahrerlaubnissperre für die Dauer von vier Jahren (§ 69a Abs. 1 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Die Dauer der Sperre hat das Landgericht ? worauf es in den schriftlichen Urteilsgründen ausdrücklich hingewiesen hat ? unter Berücksichtigung der Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis der Klasse T (vgl. § 111a StPO), die seit dem 2. Mai 2019 angeordnet worden ist, bemessen. Dabei ist es davon ausgegangen, dass die Dauer der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung auf die verhängte und mit Eintritt der Rechtskraft des Urteils beginnende Sperre voll eingerechnet wird und hat nicht bedacht, dass gemäß § 69a Abs. 5 Satz 2 StGB nur die Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis eingerechnet wird, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist. Das Landgericht hat die Sperre deshalb zu lange bemessen, so dass die Anordnung schon deshalb der Aufhebung unterliegt.

2. Der Senat hebt ? dem Antrag des Generalbundesanwalts folgend ? auch die angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 Abs. 1 StGB) auf. Zwar ist die Maßregelanordnung rechtsfehlerfrei begründet. Angesichts des Zeitablaufs erscheint es jedoch nicht ausgeschlossen, dass das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht die Frage der charakterlichen Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen von Fahrzeugen der Klasse T abweichend bewerten könnte.

3. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.

Sollte das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht erneut die Entziehung der Fahrerlaubnis anordnen, wird es eine Entscheidung über die Einziehung des Führerscheins des Angeklagten zu treffen haben (vgl. § 69 Abs. 3 Satz 2 StGB). Dies kann noch im zweiten Rechtsgang geschehen. Das Verbot der reformatio in peius (§ 358 Abs. 2 StPO) stünde einer Nachholung dieses Maßnahmenausspruchs nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2019 ? 4 StR 390/19 Rn. 22; Beschluss vom 8. Oktober 2014 ? 4 StR 262/14; Urteil vom 5. November 1953 ? 3 StR 504/53, BGHSt 5, 168, 178 f.).“

Der § 69a Abs. 5 StGB wird häufig übersehen….