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AG/LG – Deckungsgleiche Taten?

Die Tat, über die das LG im Berufungsverfahren entscheidet sollte schon die sein, die auch Gegenstand des amtsgerichtlichen Urteils gewesen ist. Zu Abweichungen ist es da beim AG Hameln/LG Hannover gekommen:

  • Das AG geht von einem Führen ohne Fahrerlaubnis am 26.10.2010 aus.
  • Das LG geht von einem Führen ohne Fahrerlaubnis am 27.102.2010 aus.

Ergebnis des Revisionsverfahrens beim OLG Celle: Einstellung des Verfahrens wegen der Tat vom 27.10.2010 und Zurückverweisung an das LG. Der OLG Celle, Beschl. v. 28.03.2012 – 32 Ss 36/12 – geht von fehlender Tatidentität aus:

Gemäß § 264 Abs. 1 StPO ist Gegenstand der Urteilsverkündung allein die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt. Wenn sich das Urteil nicht auf die Tat erstreckt, die Gegenstand der Anklage gewesen ist, so führt dies zu einem absoluten Verfahrenshindernis, das vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten ist (vgl. OLG Hamm, NStZ?RR 1997, 139 m. w. N.).

Dies ist hier der Fall. Es fehlt an der Identität der Tat, die Gegenstand des angefochtenen Urteils war, mit derjenigen, die durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Hameln vom 10.06.2010 und dem erstinstanzlichen Urteil des Amtsgerichts Hameln vom 27.07.2010 bezeichnet ist. Im Strafbefehl wird der Tatort mit „H.“ und die Tatzeit mit dem 26.01.2010 angegeben, im Berufungsurteil bleibt der Tatort offen („der Angeklagte wollte das Fahrzeug nach H. zurückführen“), die Tatzeit wird auf den 27.01.2010 datiert.

Die Gründe des angefochtenen Urteils lassen damit nicht erkennen, ob es sich bei der dort festgestellten Tat um diejenige handelt, die Gegenstand des Strafbefehls und des erstinstanzlichen Urteils war. Zwar kann im Einzelfall auch bei einer Abweichung  der Angaben von Anklageschrift und Urteil zur Tatzeit und/oder zum Tatort die prozessuale Tat noch hinreichend individualisiert werden, dies setzt aber voraus, dass jedenfalls bestimmte Merkmale die Tat weiterhin als einmaliges unverwechselbares Geschehen kennzeichnen und trotz der Abweichungen deutlich wird, dass es sich um dasselbe Geschehen handelt (vgl. BGH NStZ 2002, 659, Rdnr. 6 nach juris; Senat, Urteil vom 12.06.1997, 22 Ss 110/97, NStZ?RR 1997, 367). Jedoch liefern die Feststellungen des angefochtenen Urteils abgesehen vom Tattag, dem Kennzeichen des Kleintransporters sowie der Tatsache, dass der Angeklagte beim Führen dieses Fahrzeugs von der Polizei angehalten wurde, keine weiteren Details. Weder teilt das Urteil mit, ob das Fahrzeug die F. Straße in H. befahren hat, noch, an welcher Stelle der Angeklagte angehalten wurde, als er das Fahrzeug nach H. zurückführen wollte.

Somit bleibt es allein bei dem Kennzeichen des benutzten Fahrzeuges als übereinstimmende Angabe zur Tat im Strafbefehl, im erstinstanzlichen Urteil und im Berufungsurteil. Aus der Angabe dieses Kennzeichens lässt sich unter den konkreten Umständen die Tat aber nicht hinreichend individualisieren. Der Angeklagte ist tätig als Auslieferungsfahrer und bei dieser Gelegenheit soll er die ihm vorgeworfene Tat begangen haben. Ohne nähere Feststellungen liegt deshalb die Annahme fern, er habe das Tatfahrzeug nur ein einziges Mal, nämlich bei der konkreten Tat, benutzt.

Die Argumentation zum Aushilfsfahrer kann mann ggf. auch in anderen Fällen nutzen.

Fahren ohne Fahrerlaubnis: BMW oder Mercedes Vito kann entscheidend sein

Angeklagt war der Angeklagte wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 25 Fällen des Fahrens mit einem Pkw der Marke BMW. Verurteilt wird der Angeklagte wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 25 Fällen, jedoch nur sechsmal wegen Fahrens mit dem BMW und 19 mal wegen Fahrens mit einem Mercedes Vito. Die Fälle des Fahrens mit dem Mercedes Vito hat der BGH im Beschl. v. 30.03.2011 – 4 StR 42/11 eingestellt und wegen der weiteren 19 Fälle BMW frei gesprochen. Begründet wird das wie folgt:

Der Tatbegriff des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO entspricht demjenigen des § 264 Abs. 1 StPO. Er umfasst daher alle individualisierenden Merkmale der vorgeworfenen Tat, die erforderlich sind, um diese zur Erfüllung der Umgrenzungsfunktion der Anklage von anderen Lebenssachverhalten abzugrenzen. Dabei lässt die Rechtsprechung zwar eine Herabsetzung der Anforderungen an die Individualisierung zu, wenn anders die Verfolgung und Aburteilung strafwürdiger Taten nicht möglich wäre. Dies ist jedoch als Ausnahme auf Fälle beschränkt worden, in denen typischerweise bei einer Serie gleichartiger Handlungen einzelne Taten etwa wegen Zeitablaufs oder wegen Besonderheiten in der Beweislage nicht mehr genau voneinander unterschieden werden können (vgl. BGH, Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 12. Januar 2011 – GSSt 1/10).

Auf dieser Grundlage waren vorliegend die dem Angeklagten zur Last gelegten Taten durch die Angabe des Zeitraums, in dem er die Fahrten unternommen haben soll, und das dabei von ihm benutzte Fahrzeug (noch) ausreichend konkretisiert. Jedoch war – da weitere die Taten kennzeichnende Merkmale nicht angegeben wurden – die Bezeichnung des Fahrzeugs unerlässlich, um die Taten ausreichend zu individualisieren. Nur Fahrten mit dem Pkw BMW waren dem Angeklagten zur Last gelegt, zumal sonstige die Tatvorwürfe kennzeichnende Merkmale auch im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen nicht erwähnt sind. Die 19 Fahrten mit dem Pkw Mercedes, auf den das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen ebenfalls keine Hinweise enthält, waren dagegen von der Anklage nicht erfasst. Sie durften daher von der Strafkammer nicht abgeurteilt werden.“

Also: BMW oder Mercedes kann auch im Strafverfahren entscheidend sein. Mit einem rechtlichen Hinweis dürfte es anders ausgegangen sein.

Ein oder zwei Taten – das ist beim Fahren ohne Fahrerlaubnis häufig die Frage

Nicht selten stellt sich in der Praxis beim Fahren ohne Fahrerlaubnis die Frage: Eine oder zwei Taten, und zwar dann, wenn der Angeklagte eine Fahrt ohne Fahrerlaubnis unterbrochen hat.

Und zu der Problematik ist die Entscheidung des BGH v. 30.09.2010 – 3 StR 294/10 ganz interessant. Mal keine Unterbrechung der Fahrt, um Zigaretten zu holen oder einen Brief einzuwerfen, sondern auszugehen war von folgenden Feststellungen:

„Nach den Feststellungen griff der Angeklagte den Zeugen S. in dessen Wohnung mit einem Besenstiel an, um bei ihm vermutete 500 € Bargeld zu erlangen. Er versetzte ihm mit dem Gegenstand zunächst Schläge gegen den Kopf und in den Nacken, wodurch der Zeuge eine Prellung und eine Platzwunde erlitt, und drückte sodann einen abgebrochenen Teil des Stiels mit beiden Händen gegen die Kehle des Zeugen. Während des Würgens entnahm die Angeklagte Z. auf Aufforderung des Angeklagten D. das in der Hosentasche befindliche Portemonnaie des Zeugen. Dieses enthielt zwar kein Bargeld, aber zwei Bankkarten. Durch weiteres Würgen wurde der Zeuge gezwungen, die zu den Bankkarten gehörenden PIN zu nennen, die die Angeklagte Z. notierte. Die Konten, für die die Karten ausgestellt waren, wiesen jedoch kein Guthaben auf, so dass Bargeldabhebungen nicht möglich waren.“

Das LG war von zwei Fahrten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis ausgegangen, nämlich Hin- und Rückfahrt: Dazu der BGH:

„Die Wertung der Strafkammer, die Rückfahrt des Angeklagten mit dem fahrerlaubnispflichtigen Motorroller von der Bank in A. zur Wohnung des Zeugen S. stelle neben der Fahrt zur Bank eine selbständige Tat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis da, geht fehl. Die Dauerstraftat des Fahrens ohne Fahrerlaubnis endet regelmäßig erst mit Abschluss einer von vorneherein für eine längere Wegstrecke geplanten Fahrt und wird nicht durch kurze Unterbrechungen in selbständige Taten aufgespalten (BGH, Beschluss vom 7. November 2003 – 4 StR 438/03, VRS 106, 214). So verhält es sich hier. Der Angeklagte hatte nach den Urteilsgründen von vorneherein vor, die Fahrt nur für wenige Minuten zu unterbrechen, um an einem Geldautomaten Abhebungen vorzunehmen und sie sodann – wie geschehen – fortzusetzen, um wieder zur Wohnung des Zeugen zurückzukehren.“

Auch der viel beschossene Hase darf (zunächst) weiterfahren…

muss sich nicht nach dem Fortbestand seiner Fahrerlaubnis erkundigen. So das KG in einem Beschl. v. 12.07.2010 – (3) 1 Ss 180/10 (77/10). Das AG war von einem fahrlässigen Verstoß gegen § 21 StVG ausgegangen und hatte eine Erkundigungspflicht angenommen. Das KG führt zur Erkundigungspflicht aus:

Entgegen der Annahme des Tatrichters und der Generalstaatsanwaltschaft Berlin besteht jedoch für den Inhaber einer rechtswirksam erteilten Fahrerlaubnis keine Verpflichtung, sich bei der Verwaltungsbehörde nach deren Fortbestand zu erkundigen. Dies gilt auch, sofern der Verkehrsteilnehmer häufiger verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist. Angesichts der weitgehend unbekannten und unterschiedliche Fristen enthaltenden Tilgungsbestimmungen kann von ihm in aller Regel nicht erwartet werden, dass er einen genauen Überblick über die unter seinem Namen gespeicherten Eintragungen hat. Es bedarf daher konkreter Anhaltspunkte, die die Annahme nahe legen, der Angeklagte habe von dem verwaltungsrechtlichen Entziehungsverfahren und einer unmittelbar bevorstehenden Entscheidung Kenntnis gehabt, deshalb täglich mit der Zustellung eines Bescheides gerechnet und es dennoch an einer Kontrolle seiner Post fehlen lassen. Dies belegen die Urteilsausführungen nicht.

Damit wird die Frage der Erforderlichkeit einer Erkundigung auf ein zumutbares Maß zurückgeführt.

„Führerscheintourismus“ nach dem 19.01.2009 – Vorsicht

Der Führerscheintourismus“ lässt uns auch nach der 3. Führerscheinrichtlinie und den Gesetzesänderungen zum 19.01.2009 nicht los. Deshalb der Hinweis auf die Entscheidung des OLG Stuttgart v. 26.05.2010 – 2 Ss 269/10.

Eigentlich kein direkter Fall des Führerscheintourismus, aber dennoch wohl eine Entscheidung, die der Verteidiger in der Beratungspraxis im Auge haben sollte. Das OLG hat nämlich eine Verurteilung wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nicht beanstandet, wenn ein in Deutschland für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis gesperrter Bürger eine tschechische EU-Fahrerlaubnis (mit eingetragenem tschechischen Wohnsitz) erwirbt, um ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Verkehr in Deutschland zu führen.

Lesens- und beachtenswert.