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Corona: Auslieferung in Corona-Zeiten, oder: Covid-19 rechtfertigt Aussetzung der Überstellung nach Italien

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Die zweite Entscheidung hat dann auch mit „Corona“ bzw. der COVID-19-Pandemie zu tun. Es handelt sich um den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.03.2020 – Ausl 301 AR 47/20.

An dem Aktenzeichen erkennt man, dass der Beschluss im Auslieferungsverfahren ergangen ist. Das OLG hat in dem Beschluss über die (Aussetzung der) sog. Überstellungsfristen entschieden. Ergangen ist der Beschluss in einem Auslieferungsverfahren, in dem ein albanischer Staatsangehöriger nach Italien ausgeliefert werden sollte.

Das OLG meint/sagt: Die COVID-19-Pandemie stellt einen außergewöhnlichen Umstand dar, welcher bei einer Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls die Aussetzung von Überstellungsfristen rechtfertigen kann. Der Verfolgte hatte seiner Auslieferung nach Italien zur Strafvollstreckung zugestimmt, weshalb die Generalstaatsanwaltschaft diese am 23.03.2020 bewilligt hat. Sie hat jedoch keinen Termin zur Übergabe vereinbart, sondern mitgeteilt, dass aufgrund der weltweiten Pandemielage die Überstellung des Verfolgten bis zum 30.04.2020 aufgeschoben sei und danach die Lage neu zu bewerten wäre.

Das OLG „segnet“ das – zunächst – ab:

Die nach §§ 24, 26 IRG von Amts wegen durchzuführende Haftprüfung führt zur Anordnung der Fortdauer der vorläufigen Auslieferungshaft.

1. Zwar ist nach der Bewilligung der Auslieferung mit dem ersuchenden Mitgliedstaat grundsätzlich sogleich ein Termin zur Übergabe des Verfolgten zu vereinbaren, wobei der Übergabetermin spätestens zehn Tage nach der Entscheidung über die Bewilligung liegen soll (§ 83 c IRG i.V.m. Art. 23 Abs. 2 Rb-EuHB). Allerdings kann in Fällen, in welchen die Einhaltung des Termins aufgrund von Umständen unmöglich ist, die sich dem Einfluss des ersuchenden Mitgliedstaates entziehen, ein neuer Übergabetermin innerhalb von zehn Tagen vereinbart werden. Kann ein solcher erster Termin zur Übergabe und auch ein Folgetermin nicht vereinbart werden, ist der Verfolgte aus der Auslieferungshaft zu entlassen (§ 83 d IRG). Jedoch kann die Vereinbarung eine solchen Übergabetermins im Hinblick auf eine gegen den Verfolgten im Geltungsbereich dieses Gesetzes laufende strafrechtliche Verfolgung oder Vollstreckung oder aus schwerwiegenden humanitären Gründen aufgeschoben werden (§ 83d Abs. 4 Satz 4 IRG).

Vorliegend hat die Generalstaatsanwaltschaft allerdings mit den italienischen Justizbehörden überhaupt keinen Übergabetermin vereinbart oder zu vereinbaren versucht, sondern lediglich mitgeteilt, dass aufgrund der weltweiten Pandemielage die Überstellung des Verfolgten bis zum 30.04.2020 aufgeschoben und danach die Lage neu zu bewerten sei.

2. Diese Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden und rechtfertigt die Aufhebung der Haftanordnung nicht, denn bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände müssen die in § 83 c IRG aufgeführten Fristen nicht eingehalten werden, vielmehr hat in diesen Fällen die Bundesregierung Eurojust von diesem Umstand und von den Gründen der Verzögerung in Kenntnis zu setzen (§ 83 c Abs. 5 IRG). Solche besonderen Umstände liegen hier vor.

Nach Mitteilung des Bundesministeriums der Justiz vom 27.03.2020 gilt in Italien derzeit (Stand: 23.03.2020) aufgrund der aktuellen Krankheitswelle mit der COVID-19-Pandemie eine Notfallverordnung, welche auch für aus dem Ausland einreisende Personen gilt (vgl. hierzu auch die Hinweise des Auswärtigen Amtes unter: https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/italiennode/italiensicherheit/211322. Diese Beschränkungen wirken sich auch auf den Auslieferungsverkehr mit Italien aus, weshalb Sirene Italien aufgrund der aktuellen Entwicklungen in Zusammenhang mit COVID-19-Pandemie verpflichtet wurde, alle Einlieferungen nach Italien zu verschieben, um jegliches Risiko für die Passagiere, die Verfolgten und die eingesetzten Beamten zu vermeiden. Aus diesem Grund hat SIRENE Italien die zuständigen deutschen Behörden um grundsätzliche Verschiebung geplanter Überstellungen nach Italien und somit um Verlängerung der Frist zur Übergabe um mindestens 30 Tage ersucht.

Wie sich aus der zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ergänzend heranzuziehenden Vorschrift des Art. 23 Abs. 4 RB-EuHB ergibt kommen als solche außergewöhnlichen Umstände vor allem schwerwiegende humanitäre Gründe in Betracht, wobei sich aus der dort nur beispielhaft erfolgten Erwähnung der Gefahren für Leib und Leben des Verfolgten selbst ergibt, dass die eine fristgemäße Überstellung des Verfolgten entgegenstehenden schwerwiegenden humanitären Gründe nicht auf seine Person beschränkt sein müssen, sondern auch – wie vorliegend – mit der in Zusammenhang mit der COVID-19-Epedemie verbundenen allgemeinen Ansteckungsgefahren begründet sein können (a.A. Böse in: Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Auflage 2012 § 83 c Rn. 10: Gründe in der Person des Verfolgten). Für eine solche Auslegung spricht auch der Umstand, dass vorliegend weder der ersuchende noch der ersuchte Staat die derzeit nicht mögliche Überstellung zu vertreten haben, sondern es sich um ein unabwendbareres Ereignis handelt (vgl. hierzu Hackner in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Auflage 2020, § 83 c Rn. 8).

3. Zwar führt eine bloße Fristüberschneidung mit Ausnahme der Sonderregelung des § 83 d IRG für sich gesehen nicht zu einer Haftentlassung des Verfolgten (so. Hackner, a.a.O, § 83 c Rn. 1), es ist jedoch stets zu prüfen, ob es zu vermeidbaren Verzögerungen bei der Überstellung gekommen ist und insbesondere ob die Fortdauer der vorläufigen Auslieferungshaft noch verhältnismäßig ist (ebenso Böse, a.a.O., Rn. 1; Böhm in: Alhlbecht/Böhm/Esser/ Eckelmanns, Internationales Strafrecht, 2 Auflage 2018, Rn. 772), Letzteres ist in Anbetracht des schwerwiegenden Tatvorwurfs der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung und der deshalb durch das Gericht in A./Italien am 05.10.2016 verhängten Haftstrafe von zwölf Jahren ersichtlich der Fall.

Allerdings weist der Senat auf die Zwei-Monats-Frist des § 16 Abs. 2 Satz 1 IRG hin, so dass es ggf. der Vorlage des Europäischen Haftbefehls bedarf, wenn bis dahin weiterhin eine Überstellung des Verfolgten nach Italien nicht möglich sein sollte. Insoweit hat der Senat Termin zur Haftprüfung auf den 11.05.2020 bestimmt.

U-Haft II: Auslieferung aufgrund Europäischen HB, oder: Keine Auswirkungen auf U-Haft?

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Als zweite Entscheidung des Tages stelle ich dann den OLG München, Beschl. v. 13.06.2019 -2 Ws 587/19 – ein/vor, den mir der Kollege T. Scheffler aus Bad Kreuznach übersandt hat.

Im Beschluss geht es u.a. um Haftfortdauer. Das OLG München hat – was mich nicht wirklich überrascht – keine Probleme, bei einer noch zu verbüßenden Reststrafe von noch neun Monaten weiterhin Fluchtgefahr zu bejahen. Die Begründung überlasse ich der Selbstlektüre. Sie enthält nichts Besonderes. Das haben wir alles schon mal so oder ähnlich gelesen.

Einstellen will ich hier die Ausführungen des OLG München zu den Auswirkungen der Entscheidung des EUgH v. 27.05.2019 – Stichwort: deutsche Staatsanwaltschaft ist keine „ausstellende Justizbehörde“. Dazu bzw. zu den Auswirkungen der Entscheidung führt das OLG aus.

„Der Haftbefehl des Amtsgerichts München vom 06.06.2018 und der Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts München I vom 15.05.2019 sind auch nicht deshalb aufzuheben, weil der Angeklagte aufgrund des von der Staatsanwaltschaft München I ausgestellten Europäischen Haftbefehls vom 20.06.2018 am 16.07.2018 in Bulgarien festgenommen und nach Bewilligung der Auslieferung am 09.08.2019 nach Deutschland überstellt wurde.

Zwar hat der EuGH mit Urteil vom 27.05.2019 entschieden, dass die Staatsanwaltschaften eines Mitgliedstaats, die – wie die deutschen Staatsanwaltschaften – der Gefahr ausgesetzt sind, im Rahmen des Erlasses einer Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive, etwa eines Justizministers, unterworfen zu werden, nicht unter den Begriff „ausstellende Justizbehörde“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl fallen (EuGH Urt. v. 27.5.2019 – C-508/18, C-82/19 PPU, BeckRS 2019, 9722). Die deutschen Staatsanwaltschaften sind danach nicht zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls befugt. Europäische Haftbefehle sind künftig von deutschen Gerichten auszustellen.

Die Entscheidung des EuGH vom 27.05.2019 steht dem Vollzug der Untersuchungshaft des An-geklagten nach bewilligter und vollzogener Auslieferung aus Bulgarien jedoch nicht entgegen. Grundlage der Untersuchungshaft ist der Haftbefehl des Amtsgerichts München vom 06.06.2018 und nicht der Europäische Haftbefehl der Staatsanwaltschaft München I vom 20.06.2018. Die Wirksamkeit des Haftbefehls des Amtsgerichts München vom 06.06.2018 bleibt auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH unberührt.

Es besteht auch kein Hindernis, den Haftbefehl des Amtsgerichts München vom 06.06.2018 zu vollziehen. Die Auslieferung erfolgte aufgrund der rechtskräftigen Bewilligungsentscheidung durch Urteil des Kreisgerichts Pazardzhik vom 25.07.2018. Der Angeklagte hat nach Belehrung seine Zustimmung zur Auslieferung erklärt und kein Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt. Diese Entscheidung bleibt auch wirksam, wenn das bulgarische Auslieferungsverfahren fehlerbehaftet gewesen sein sollte. Die Überprüfung der Auslieferungsbewilligung ist allein Sache der bulgarischen Behörden. Eine Überprüfung im Inland erfolgt nicht. Im Rahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, und hierzu zählen auch die Regelungen in Folge des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, gilt das sog. Trennungsmodell. Hiernach ist dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat Rechtsschutz zu gewähren, von dem der angegriffene Hoheitsakt erlassen wurde. Dies hat auch Auswirkung auf den Umfang der Nachprüfung durch die nationalen Gerichte, da die Rechtsschutzgarantie es grundsätzlich nicht gebietet, einen ausländischen Hoheitsakt (inzident) auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen (Böse in Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Auflage, 26. Lfg. Juni 2012, Vor § 78 IRG Rn. 35). Daher unterliegen etwa mittels Rechtshilfe eines ausländischen Staates gewonnene Beweise trotz Nichteinhaltung der maßgeblichen rechtshilferechtlichen Bestimmungen keinem Beweisverwertungsverbot, wenn die Beweise auch bei Beachtung des Rechtshilferechts durch den ersuchten und den ersuchenden Staat hätten erlangt werden können. Ist die Rechtshilfe durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union geleistet worden, darf bei der Beurteilung der Beweisverwertung im Inland nur in eingeschränktem Umfang geprüft werden, ob die Beweise nach dem inner-staatlichen Recht des ersuchten Mitgliedstaates rechtmäßig gewonnen wurden (BGH, Beschl. v. 21.11.2012 – 1 StR 310/12, NStZ 2013, 596).

Da die Auslieferung des Angeklagten nach Deutschland vorliegend durch die bulgarischen Behörden auf der Grundlage des dortigen Rechts bewilligt wurde, ist dem Trennungsgebot folgend die Nichtberücksichtigung der mangelnden Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft München I hinsichtlich der Ausstellung des Europäischen Haftbefehls vom 20.06.2018 durch das Kreisgericht Pazardzhik für die Wirksamkeit des nationalen Haftbefehls und den Vollzug der Untersuchungshaft gegen den Angeklagten unbeachtlich. Zwar erfährt das Trennungsgebot Einschränkungen durch den ordre-public-Vorbehalt oder andere Vollstreckungshindernisse im Rahmen des Rechtshilfeverfahrens. Aber auch derartiges ist hier nicht erkennbar. Denn nach der Entscheidung des EuGH vom 27.05.2019 wurde der Europäische Haftbefehl lediglich durch eine nicht zuständige, aber doch immerhin durch eine Justizbehörde erlassen. Es liegt auch kein arglistiges Verhalten der Staatsanwaltschaft München I vor, da es bis zur Entscheidung des EuGH allgemeine Ansicht war, dass deutsche Staatsanwaltschaften befugt sind, Europäische Haftbefehle aus-zustellen. Auch aus der oben genannten Entscheidung des BGH vom 21.11.2012 ergibt sich, dass die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls durch eine unzuständige Staatsanwaltschaft und die daraufhin durch eine ausländische Behörde bewilligte und vollzogene Auslieferung nicht zu einem Verfolgungshindernis im Inland führt.“

Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls, oder: Zu geringe Höchststrafe im ersuchenden Staat

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Die zweite auslieferungsrechtliche Entscheidung kommt dann mit dem KG, Beschl. v. 12.03.2019 – (4) 151 AuslA 28/19 (29/19) – aus Berlin. Es geht um die Problematik der Mindesthöchststrafe bei Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls, und zwar:

„Die österreichischen Behörden haben durch Übermittlung eines Europäischen Haftbefehls und Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) um die Festnahme des Verfolgten zum Zwecke der Auslieferung zur Strafverfolgung ersucht. Der Verfolgte ist am 14. Februar 2019 in Berlin gemäß § 19 IRG vorläufig festgenommen worden. Bei seiner am folgenden Tag durchgeführten richterlichen Vernehmung nach den §§ 22, 28 IRG hat er die Begehung der ihm zur Last gelegten Straftaten pauschal bestritten, sich mit der vereinfachten Auslieferung (§ 41 IRG) nicht einverstanden erklärt und auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes (Art. 27 RbEuHb) nicht verzichtet. Der Senat hat mit Beschluss vom 20. Februar 2019 die Auslieferungshaft gegen den Verfolgten angeordnet. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Berlin erklärt er die Auslieferung des Verfolgten für (überwiegend) zulässig (§ 29 Abs. 1 IRG).

1. Der Europäische Haftbefehl der Staatsanwaltschaft K. vom 13. Februar 2019 – 3 ST 37/17t – entspricht den Anforderungen des § 83a Abs. 1 IRG. Er weist aus, dass gegen den Verfolgten zum selben Aktenzeichen eine gerichtlich bewilligte Festnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft K. vom 6. April 2017 besteht, mit welcher dem Verfolgten Vergehen des Gebrauchs fremder Ausweise, des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls, des versuchten schweren gewerbsmäßigen Diebstahls, des schweren Betruges und der Urkundenunterdrückung zur Last gelegt werden. Ihm wird folgendes vorgeworfen:

a) Am 6. März 2017 soll er in W.einen fremden Ausweis, nämlich den auf die Personalie V R lautenden belgischen Personalausweis mit der Nummer xx, dadurch im Rechtsverkehr gebraucht haben, als wäre er für ihn ausgestellt, dass er ihn anlässlich des Eincheckens in das Hotel „E“ und der Eintragung in das Gästebuchblatt dem Hotelpersonal vorwies.

…..

2. Die Auslieferung des Verfolgten ist im Wesentlichen zulässig (§ 15 Abs. 2 IRG).

a) Bei den ihm zur Last gelegten Taten handelt es sich – mit Ausnahme der Tat zu a) – um auslieferungsfähige strafbare Handlungen (§§ 3, 81 IRG). Hinsichtlich der Taten zu b) und c) ist die beiderseitige Strafbarkeit gemäß § 81 Nr. 4 IRG nicht zu prüfen, da es sich nach dem Recht des ersuchenden Staates um Katalogtaten im Sinne des Art. 2 Abs. 2 RbEuHb handelt, die mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind. Die dem Verfolgten zur Last gelegten Taten zu a) und d) sind sowohl nach dem Recht des ersuchenden Staates (§§ 229, 231 österreichisches Strafgesetzbuch) als auch nach deutschem Recht (§§ 274, 281 StGB) strafbar; die Urkundenunterdrückung [oben d)] ist nach dem Recht des ersuchenden Staates (§ 229 öStGB) zudem mit einer freiheitsentziehenden Sanktion im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht (§ 81 Nr. 1 IRG).

b) Hingegen ist der Gebrauch fremder Ausweise [oben a)] nach § 231 öStGB nur mit einer Höchststrafe von sechs Monaten bedroht, sodass insoweit die Voraussetzungen des § 81 Nr. 1 IRG nicht vorliegen, der – die Regelung des Art. 2 Abs.1 RbEuHb übernehmend – die Auslieferung an die Androhung einer Höchststrafe von mindestens zwölf Monaten im ersuchenden Staat knüpft. § 3 Abs. 2 IRG, dessen Voraussetzungen gegeben wären, da § 281 Abs. 1 StGB eine Höchststrafe von einem Jahr vorsieht, wird insoweit durch § 81 Nr. 1 IRG eingeschränkt, da zur Bestimmung der Strafhöhe nunmehr einzig auf das Recht des ersuchenden Staates abgestellt wird (vgl. BT-Drucksache 15/1718, S. 16).

Für eine akzessorische Auslieferung (§ 4 IRG) ist entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin kein Raum, da dessen tatbestandliche Voraussetzungen bei einer § 81 Nr. 1 IRG nicht genügenden Strafandrohung im ersuchenden Staat nicht gegeben sind. Anders als Art. 2 Abs. 2 EuAlÜbk sieht auch der RbEuHb keine diesbezügliche Regelung für die akzessorische Auslieferung vor. Einer weiteren Anwendung des Art. 2 Abs. 2 EuAlÜbk auch im Verfahren der Auslieferung nach dem RbEuHb (erwogen in BT-Drucksache 16/7654, S. 5) steht Art. 31 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 RbEuHb in Verbindung mit der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland vom 9. November 2010 (BGBl. II 2011, S. 66) entgegen, wonach das EuAlÜbk im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten nur anwendbar ist, wenn der RbEuHb nicht anwendbar ist. Der Umstand, dass die Auslieferung wegen der Tat vom 6. März 2017 vorliegend nach den Regelungen des RbEuHb nicht zulässig ist, eröffnet nach Auffassung des Senats nicht den nach dieser Erklärung noch verbleibenden Anwendungsbereich des EuAlÜbk, da anderenfalls der RbEuHb umgangen würde. Eine abweichende Verfahrensweise bedürfte eines (europäischen) gesetzgeberischen Aktes und seiner nationalen Umsetzung.“

Der EuGH und der organisierte Betäubungsmittelhandel

In Auslieferungsfragen nach dem Europäischen Haftbefehlgesetz ist der EuGH häufig die letzte Instanz, wenn die OLG sich in der Auslegung des nationalen Rechts in diesem Bereich nicht sicher sind. So das OLG Stuttgart in seinem Beschl. v. 29.06.2009 – 3 Ausl. 175/08, StRR 2010, 158.

Nach dem Sachverhalt bestand gegen den Verfolgten, einen in Deutschland lebenden italienischen Staatsangehörigen, ein Europäischer Haftbefehl des Tribunale di Catania, in dem ihm vorgeworfen wird, Mitglied einer Vereinigung mit dem Zweck unerlaubten Betäubungsmittelhandels gewesen zu sein. Zuvor war er in Italien bereits wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren, 6 Monaten und 20 Tagen verurteilt worden, die er teilweise verbüßt hatte und von der ihm ein Teil aufgrund einer Amnestie erlassen worden war. Für das vorlegende OLG  stellte sich die Frage, ob der Verfolgung nicht der Grundsatz „ne bis in idem“ entgegensteht, da die italienischen Strafverfolgungsbehörden bereits zum Zeitpunkt der vorgenannten Verurteilung hinreichende Beweise hatten, um den Verfolgten auch wegen der im Haftbefehl genannten Anschuldigungen, insbesondere wegen bandenmäßigen Rauschgifthandels, anzuklagen und strafrechtlich zu verfolgen, sie indessen aus ermittlungstaktischen Gründen – um den Rauschgifthandel aufdecken und die weiteren Beteiligten festnehmen zu können – weder die ihnen vorliegenden Informationen und Beweise an die Untersuchungsrichterin weitergeleitet noch seinerzeit um die Verfolgung dieser Taten ersucht haben.

Der EuGH hat jetzt in seinem Urt. v. 16.11.2010 – C-261/09 die Frage beantwortet und ein aus Art 3 Nr. 2 des Europäischen Haftbefehl Rahmenbeschlusses herzuleitendes Auslieferungshindernis (vgl. § 83 Nr. 1 IRG) verneint. Der Begriff „dieselbe Tat“ sei autonom dahingehend auszulegen, dass der Betroffene nur dann als wegen derselben Handlung rechtskräftig verurteilt i.S. des Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses anzusehen sei, wenn die Strafklage aufgrund eines Strafverfahrens endgültig verbraucht sei oder die Justizbehörden eines Mitgliedstaats eine Entscheidung erlassen hätten, mit der er von dem Tatvorwurf rechtskräftig freigesprochen worden sei. Ob ein Urteil rechtskräftig i.S. von Art. 3 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses sei, bestimme sich nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem dieses Urteil erlassen worden sei. Daher könne eine Entscheidung, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, der die Strafverfolgung gegen eine Person einleite, die Strafklage auf nationaler Ebene für eine bestimmte Handlung nicht endgültig verbrauche, grundsätzlich nicht als ein Verfahrenshindernis hinsichtlich der etwaigen Einleitung oder Fortführung der Strafverfolgung wegen derselben Handlung gegen den Betroffenen in einem anderen Mitgliedstaat der Union angesehen werden.

Nachzulesen im Volltext – und zwar übersetzt – hier.

Erneut Verfassungsbeschwerde gegen Auslieferung erfolgreich

Der Beschwerdeführer, der die deutsche und die griechische Staatsangehörigkeit besitzt, wehrt sich seit dreieinhalb Monaten gegen seine Auslieferung zur Strafverfolgung, um die griechische Behörden auf der Grundlage von mittlerweile drei Europäischen Haftbefehlen ersuchen.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht bereits im vorigen Monat 2009 (vgl. Pressemitteilung Nr. 101/2009 vom 4. September 2009) entschieden hatte, dass die Bewilligung der Auslieferung auf der Grundlage des ersten Europäischen Haftbefehls Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt hatte, erklärte das OLG München die Auslieferung wegen des
zweiten Europäischen Haftbefehls erneut für zulässig und ordnete Auslieferungshaft an. Die Generalstaatsanwaltschaft entschied wiederum, die Auslieferung zu bewilligen. Gegen beide Entscheidungen wandte sich der Beschwerdeführer mit seiner zweiten Verfassungsbeschwerde.

Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Bewilligungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft und den Beschluss des Oberlandesgerichts München wendet, die Auslieferung des Beschwerdeführers zur Strafverfolgung für zulässig zu erklären. Die Entscheidungen wurden aufgehoben und zur erneuten Entscheidung über die Auslieferung an ein anderes Oberlandesgericht zurückverwiesen. Nach wie vor beanstandet die Kammer nicht prinzipiell die Auslieferung eines  deutschen Staatsangehörigen nach Griechenland auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls, stellt aber fest, dass der Auslieferungsbeschluss des Oberlandesgerichts willkürlich das Grundrecht des Beschwerdeführers auf  Auslieferungsschutz verletzt. Der Beschluss unterschreitet die Mindesterfordernisse an Art und Tiefe der Begründung richterlicher Entscheidungen, weil er – wiederum mit Blick auf Verjährungsfragen – wesentliche Rechtsfragen übergeht und den Sachverhalt nicht hinreichend weit aufgeklärt hat.

Quelle: PM 116/09 v. 12.10.2009