Schlagwort-Archive: Erstattungsfähigkeit

Entstehen und Erstattungsfähigkeit der Hebegebühr, oder: Die Nr. 1009 VV RVG führt ein Schattendasein

Bild von PublicDomainPictures auf Pixabay

Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den LG Frankfurt/Main, Beschl. v. 07.04.2022 – 2-15 0 74/20. Er behandelt die Hebegebühr Nr. 1009 VV RVG, die – jedenfalls im Strafverfahren – ein verstecktes Dasein führt, obwohl man ggf. auch mit der  Gebühr ein paar zusätzliche Euro verdienen kann.

In dem vom LG Frankfurt/Main entschiedenen Fall hatte die Klägerin nach einem Zivilrechtsstreit der Beklagten Kosten erstattet. Die Beklagte hatte u.a. auch die die Festsetzung einer Hebegebühr in Höhe von 84,06 EUR netto (70,05 EUR gem. Nr. 1009 VV RVG, 14,01 EUR Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG) für die Weiterleitung eines Betrages beantragt. Das LG hat diese Gebühren festgesetzt. Dagegen hat sich die Klägerin mit der Erinnerung gewendet, der der Rechtspfleger nicht abgeholfen hat. Das LG – Einzelrichter – hat die Erinnerung dann verworfen:

„2. Die Erinnerung hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der Rechtspfleger hat die Hebegebühr und die Auslagenpauschale zu Recht festgesetzt.

a) Die Hebegebühr in Höhe von € 70,05 ist entstanden. Eine Hebegebühr entsteht nach Nr. 1009 Anm. Abs. 1 VV RVG, wenn der Anwalt vereinnahmte Gelder weiterleitet und hierzu beauftragt war. Der Beklagtenvertreter war hier aufgrund der vorliegenden Prozessvollmacht gemäß § 81 ZPO zur Empfangnahme der von der Klägerin zu erstattenden Kosten bevollmächtigt und beauftragt. Er hat die an ihn gezahlten Kosten in Höhe von € 13.021,06 an die Beklagte weitergeleitet.

Die Klägerin hat die Hebegebühr zu erstatten. Die Hebegebühr ist erstattungsfähig, wenn der Schuldner, ohne vom Gläubiger oder dessen Anwalt dazu aufgefordert zu sein, an den Rechtsanwalt des Gläubigers zahlt (vgl. Gerold/Schmidt/Mayer, 25. Aufl. 2021, RVG VV 1009 Rn. 20 m.w.N.). Dies war hier der Fall.

Der Erstattungsfähigkeit der Hebegebühr steht auch nicht entgegen, dass es sich bei der Zahlung nicht um die Hauptsache, sondern um die zu erstattenden Kosten handelte. Zwar entsteht die Hebegebühr gemäß Nr. 1009 Anm. Abs. 5 VV RVG nicht, so weit eingezogene Kosten an den Auftraggeber abgeführt werden. Dies gilt aber nur, wenn der Rechtsanwalt die Kosten eingezogen, also aufgrund einer Kostenentscheidung eingefordert hat (vgl. AnwK-RVG/N. Schneider, 7. Aufl. 2014, Nr. 1009 VV RVG Rn. 39). Demgemäß fällt die Hebegebühr mangels Einziehung an, wenn der Rechtsanwalt nicht verbrauchte Gerichtskosten in Empfang nimmt und an den Mandanten weiterleitet (vgl. AnwK-RVG/N. Schneider, 7. Aufl. 2014, Nr. 1009 VV RVG Rn. 39; Gerold/Schmidt/Mayer, 25. Aufl. 2021, RVG VV 1009 Rn. 12; a.A. HK-RVG/Hans Klees, 8. Aufl. 2021, RVG VV 1009 Rn. 16). Gleiches gilt, wenn der Gegner die zu erstattenden Kosten an den Rechtsanwalt zahlt, ohne dass dieser die Kosten zuvor zur Zahlung an sich eingefordert hätte.

Die Hebegebühr ist auch im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff. ZPO festsetzbar (vgl. Gerold/Schmidt/Mayer, 25. Aufl. 2021, RVG VV 1009 Rn. 20).

b) Die Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von € 14,01 ist ebenfalls entstanden und erstattungsfähig. Die Zahlung an den Rechtsanwalt stellt immer eine selbständige Angelegenheit dar und zwar auch dann, wenn der Rechtsanwalt der Mandanten auch darüber hinaus vertritt und bereits Gebühren nach Nr. 2300 VV RVG oder Nr. 3100 VV RVG verdient hat (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 25. Aufl. 2021, RVG VV 7001 Rn. 26).“

Erstattungsfähigkeit privater SV-Kosten, oder: Wann werden die im Bußgeldverfahren erstattet?

© Gina Sanders – Fotolia.de

In der zweiten Entscheidung des Tages, dem LG Bielefeld, Beschl. v. 19.12.2019 – 10 Qs 425/19 – geht es auch um die Kostentragungspflicht, hier aber andersherum. Entschieden hat das LG nämlich die Frage, ob der Betroffene in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren nach Einstellung des Verfahrens auf Kosten der Landeskasse auch die Kosten eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachten erstattet bekommt. Das AG hatte das zugunsten der Staatskasse abgelehnt. Das LG hat auf die Beschwerde hingegen festgesetz, dabei ging es immerhin um rund 2.000 EUR:

„2. Im vorliegenden Fall sind die entstandenen Kosten für die Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens als notwendige Auslagen im Sinne der §§ 46 Abs. 1 OWiG, 464 a Abs. 2 StPO anzusehen und somit festzusetzen.

a) Im Ausgangspunkt zutreffend geht die angefochtene Entscheidung davon aus, dass die Aufwendungen des Betroffenen für eigene Ermittlungen oder Beweiserhebungen nur in Ausnahmefällen notwendig und damit erstattungsfähig sind (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62, Aufl. 2019, § 464 a Rn. 16; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, § 464 a Rn. 7 m.w.N.). Dies folgt daraus, dass die Ermittlungsbehörden von Amts wegen zu ermitteln und die Beweise auch zugunsten des Beschuldigten zu erheben haben, Die Interessen des Betroffenen sind im Grundsatz ausreichend durch das Prinzip der allseitigen Aufklärung, des Rechts zur Stellung von Beweisanträgen und den Zweifelssatz geschützt (KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2019, § 105 Rn. 69).

Demgegenüber sind Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens ausnahmsweise aber dann als notwendige Kosten anzuerkennen, wenn schwierige technische Fragestellungen zu beurteilen sind oder wenn aus Sicht des Betroffenen ex-ante ein privates Sachverständigengutachten erforderlich ist, da ansonsten eine erhebliche Verschlechterung der Prozesslage zu befürchten wäre (KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, § 464 a Rn. 7 m.w.N.; LG Wuppertal, Beschl. v. 08.02.2018 – 26 Qs 214/17, BeckRS 2018, 2186). In Rechtsprechung und Literatur wird teilweise darüber hinaus angenommen, dass Erstattungsfähigkeit gegeben sei, wenn sich die Einholung eines Gutachtens zwar nicht ex-ante betrachtet als notwendig dargestellt, aber ex-post tatsächlich entscheidungserheblich zugunsten des Betroffenen ausgewirkt hat (LG Dresden, Beschl. v. 07.10.2009 – 5 Qs 50/07, NStZ-RR 2010, 61; w. Nachw. bei KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2019, § 105 Rn. 69).

b) Im der hier zu beurteilenden Konstellation ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens jedenfalls ex-ante betrachtet aus Sicht des Betroffenen notwendig gewesen.

Insofern ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich bei den Fragen, wie ein Lasermessdystem zur Geschwindigkeitsüberwachung überhaupt funktioniert, wie es einzurichten ist und ob darauf fußend tatsächlich eine ordnungsgemäße Messung stattgefunden hat, um schwierig zu beurteilende technische Sachverhalte handelt.

Hinzu kommt, dass die Gründe, auf denen die Beschränkung der Erstattungsfähigkeit der Kosten für private Sachverständigengutachten beruhen, nämlich, dass der Betroffene darauf vertrauen kann, dass von Amts wegen alle erforderlichen Ermittlungen erfolgen und er im Übrigen das Recht und die Pflicht hat, Beweisanträge zu stellen, in Fällen wie dem vorliegenden nur eingeschränkt zur Geltung kommen (LG Wuppertal, Beschl. v. 08.02.2018 – 26 Qs 214/17, BeckRS 2018, 2186). Im Bußgeldverfahren sind nämlich dann, wenn eines standardisierten Messverfahrens zum Einsatz gekommen ist, die Anforderungen an die Darlegung einer Fehlmessung, die weitere Beweiserhebung durch das Gericht nach sich ziehen würde, erhöht. Hier müssen von Seiten der Verteidigung konkrete Anhaltspunkte für einen. Messfehler vorgebracht werden, um eine weitergehende Aufklärungspflicht des Gerichts zu begründen. Insofern ist die Amtsermittlungspflicht eingeschränkt (Krenberger/Krumm, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 77 Rn. 48 m.w.N.).

Bei dem hier zum Einsatz gekommenen System TraffiStar S350 handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (OLG Schleswig, Beschl, v. 11.11.2016 – 2 SsOWi 161/16, BeckRS 2016, 111324).

Somit musste der Betroffene davon ausgehen, dass keine Beweiserhebung zur Ordnungsgemäßheit der Messung erfolgen würde, wenn er keine konkreten Anhaltspunkte für einen Messfehler vorbringt. Da nicht ersichtlich ist, dass solche vor Beauftragung des Gutachtens vorgelegen hätten, waren aus der maßgeblichen ex-ante Sicht des Betroffenen ohne die Einholung eines privaten Gutachtens seine Verteidigungsmöglichkeiten deutlich eingeschränkt.

Tatsächlich hat er auch durch das Gutachten erstmals Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung an die Hand bekommen. Dies insofern, als sich aus diesem ergibt, dass es sich bei der im Messprotokoll angegeben Gebrauchsanweisung um die des Vor-Vorgängermodells des Messsystems handelt und das Protokoll auch insofern unrichtig ist, als die dort angegebene Software-Version S350.SC4.B14021114 nicht verwandt wurde, sondern die Version S350.SC4.D.16051207.

c) An dieser Beurteilung ändert auch der Umstand nichts, dass im Messprotokoll und dem der Verteidigerin übermittelten Begleitblatt zum Messsystem unterschiedliche Software-Versionen genannt sind. Selbst wenn dies bemerkt worden wäre, hätte der Betroffene nicht davon ausgehen können, dass dies dem Gericht Anlass gegeben hätte, über die Ordnungsgemäßheit der Messung oder diesbezüglicher Teilbereiche Beweis zu erheben. Dies zum einen deshalb, da der allgemein gehaltene Hinweis des Herstellers im Begleitblatt zu den Besonderheiten des Betriebes des Systems mit einer bestimmten Software-Version keinesfalls den Schluss zulässt, dass das System nur mit dieser Software hätte betrieben werden dürfen oder können und deshalb entweder eine nicht zugelassene Version zum Einsatz gekommen oder das Protokoll unrichtig wäre.

Vor diesem Hintergrund durfte der Betroffene bei verständiger Würdigung auch unter Berücksichtigung der dargestellten Aktenlage davon ausgehen, dass dieser vermeintliche Widerspruch das Amtsgericht nicht als konkreter Anhaltspunkt für einen Messfehler genügen und zu weiterer Beweiserhebung bewegen würde.

d) Gleiches gilt im Hinblick darauf, dass der erkennenden Richterin ausweislich der auf Anfrage des Rechtspflegers gefertigten Stellungnahme aus Parallelverfahren „die Problematik“ bereits bekannt gewesen sein soll. Abgesehen davon, dass nicht klar ist, welche Problematik insofern gemeint ist, ist nicht ersichtlich, dass dem Betroffenen die entsprechenden Erkenntnisse weitergegeben worden wären, so dass er ex-ante ein privates Sachverständigengutachten nicht mehr für notwendig hätte halten dürfen.

e) Darauf, ob das Gutachten darüber hinaus auch tatsächlich entscheidungserheblich zugunsten des Betroffenen gewirkt hat, kommt es somit nicht mehr an.“

Übernachtungskosten, oder: Wann darf der Rechtsanwalt anlässlich einer Terminswahrnehmung übernachten?

Bild von ming dai auf Pixabay

Und als zweite Entscheidung des Tages dann ein Beschluss des LG Memmingen zu Übernachtungskosten. Zwar handelt es sich „nur“ um einen Kostenfestsetzungsbeschluss, aber ich stelle ihn dennoch vor. Denn für den Kollegen Sorge aus Germersheim, der mir den Beschluss geschikct hat, ist damit die erste Hürde schon mal übersprungen.

Der Kollege hatte in seinem Kostenfestsetzungsantrag Hotelkosten anlässlich eines Gerichtstermins, den er als Vertreter des Streithelfers wahrgenommen hatte, geltend gemacht. Der Rechtspfleger hat die im LG Memmingen, Beschl. v. 29.01.2020 – 34 0 1272/16 – festgesetzt:

„Übernachtungskosten nach Nr. 7006 VV RVG sind zu erstatten, wenn diese angemessen sind. Dies ist regelmäßig dann gegeben, wenn die Übernachtung zweckmäßig, oder aber, wenn Hin- und Rückreise am selben Tag nicht möglich oder nicht zumutbar sind. Die herrschende Rechtsprechung nimmt dies in Anlehnung an § 758a Abs. IV ZPO dann an, wenn die Hin- und Rückreise nicht im Zeitfenster von 6.00 Uhr bis 21.00 Uhr erfolgen können (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, 7. Auflage 2018, Rn. 3 zu Nr. 7006 VV RVG; Gerold/Schmidt, 22. Aufl., Rdnr. 71-73 zu Nr. 7003-7006 RVG).

Dem Prozessbevollmächtigten des Streithelfers ist vorliegend zur Wahrung der anwaltlichen Sorgfaltspflicht in Form des rechtzeitigen Erscheinens zum Gerichtstermin am 05.09.2019 um 10.00 Uhr zuzugestehen, die Anreise bereits am Vortag angetreten zu haben, weshalb in Folge dessen eine Übernachtung erforderlich wurde.

Hätte der Prozessbevollmächtigte des Streithelfers die Hinreise zum Termin erst am 05.09.2019 angetreten, hätte die Abfahrt bei sorgfältiger Planung der Anreisezeit bereits vor 6.00 Uhr erfolgen müssen um zum terminierten Beginn um 10.00 Uhr anwesend zu sein, mithin zu einem Zeitpunkt, für welchen eine Übernachtung als angemessen zu betrachten ist.

Neben der reinen Fahrtzeit, welche nach dem Routenplaner google.maps vom Sitz der Kanzlei zum Gericht ca. 3 Stunden und 10 Minuten beträgt, wäre eine weitere Pufferzeit vorzuhalten gewesen, um mögliche unvorhergesehene Verzögerungen auszugleichen, welche durch die gegenwärtigen Baumaßnahmen auf der Autobahn A8 zwischen Stuttgart und Ulm jederzeit auftreten können. Ferner ist hierbei zu berücksichtigen, dass bei einer Anreise zum Gericht in der Frühe des Terminstags am 05.09.2019 auch möglichen Verzögerungen durch den Berufsverkehr um Karlsruhe und Stuttgart herum Sorge zu tragen gewesen wäre. Eine Pufferzeit zur reinen Fahrtzeit hinzu von etwa 45 Minuten wäre nach den genannten Unwägbarkeiten in Bezug auf den Verkehrsfluss, aber auch in Anbetracht der Länge der Fahrtstrecke von 250 km sicher einzuplanen gewesen.

Es ergibt sich somit bereits im Hinblick auf die Fahrtzeit neben der Pufferzeit hierfür eine Zeitpanne von knapp 4 Stunden.

Ausgehend vom Terminsbeginn um 10.00 Uhr ergibt sich, dass die Abfahrt um etwa 6.00 Uhr hätte begonnen werden müssen. Ferner wären überdies Zeiten für die Parkplatzsuche nach Ankunft m Gerichtsort, sowie für den Zugang vom Parkplatz zum Gerichtsgebäude einzuplanen gewesen, so dass in jedem Fall die Abreise – wenn auch nur knapp – vor 6.00 Uhr hätte begonnen werden müssen.

Soweit die Klagepartei ausführt, dass die Reise zum Gerichtstermin am 05.09.2019 auch – zur Vermeidung einer Übernachtung – mit der Bahn hätte erfolgen können, kann dem nicht gefolgt werden. Wie im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens dargelegt, wäre die Ankunft am Bahnhof in Memmingen bei einer Abfahrt um 6.43 Uhr um 9.55 Uhr erfolgt. Das Gerichtsgebäude liegt fußläufig nur etwa 5 Minuten vom Bahnhof entfernt und hätte ggf. – die planmäßige Ankunft vorausgesetzt – gerade noch rechtzeitig bis zum Terminsbeginn um 10.00 Uhr erreicht werden können. Einer sorgfältigen Planung des rechtzeitigen Erscheinens zum Terminsbeginn hätte dies jedoch in Anbetracht eines Puffers von 5 Minuten, selbst bei vorausgesetzt pünktlicher Ankunft des Zuges, bis zum Beginn des Gerichtstermins widersprochen.

Eine frühere Ankunft am Bahnhof des Gerichtsorts wiederum hätte eine Abreise vor 6.00 Uhr bedingt und daher ebenfalls eine Übernachtung gerechtfertigt.“

Der im Zivilverfahren ergangene Beschluss hat allgemeine Geltung, denn die Nr. 7006 VV RVG gilt ja in allen Verfahrensarten. Der Beschluss enthält auch nichts bahnbrechend Neues, aber er schreibt die h.M. hinsichtlich der Erforderlichkeit von Übernachtungen in Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Gerichtsterminen fest.

Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Privatgutachtens, oder: „Quasi-fingierter-Unfall“

entnommen wikimedia.org
Author Fotograf: Stefan Lampert

In der zweiten Entscheidung, dem schon etwas älteren LG Hanau, Beschl. v. 28.11.2018 – 3 T 254/18 – wird die Problematik der Erstatung der Kosten eines privaten Sachverständigengutachtens behandelt. Das AG hat in einem selbstständigen Beweisverfahren die Kosten festgesetzt, das LG hat das im Beschwerdeverfahren „gehalten“:

„Nach der Rechtsprechung des BGH sind nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO erstattungsfähige notwendige Kosten solche, die für Maßnahmen anfallen, die eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei als sachdienlich ansehen darf. Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist auf dem Zeitpunkt der Veranlassung der die Kosten auslösenden Maßnahmen abzustellen. Zu den erstattungsfähigen Kosten können ausnahmsweise die Kosten für die Einholung eines Privatsachverständigengutachtens gehören, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind. Die Frage, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme als sachdienlich ansehen durfte, wird in der Rechtsprechung bejaht, wenn die Partei infolge fehlender Sachkenntnis ohne die Einholung des Privatgutachtens nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage wäre. Dazu gehören auch Fälle, in denen die Partei ohne Einholung eines Privatgutachtens ein ihr nachteiliges Gerichtssachverständigengutachten nicht zu erschüttern vermag.

Zwar liegen die vorgenannten Kriterien vorliegend ersichtlich nicht vor, die Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein Privatgutachten werden in der Rechtsprechung aber auch bejaht, bei Verdacht eines fingierten Unfalls bzw. bei der zweifelhaften Echtheit einer Unterschrift (vgl. hierzu Zöller Rn. 13 zu § 91 ZPO m. w. N.).

Der vorliegende Sachverhalt ist jedenfalls mit der Konstellation eines fingierten Verkehrsunfalls vergleichbar.

In der Antragsschrift bezweifelt die Antragstellerin, dass der Antragsgegner überhaupt einen Austauschmotor eingebaut habe bzw. dass dieser Austauschmotor nur 79.000 km gelaufen sei.

Die Antragstellerin wirft dem Antragsgegner mithin betrügerisches Verhalten zu ihrem Nachteil vor. Um diesem Vorwurf zu entgegnen war es auch aus Sicht einer wirtschaftlich vernünftig denkenden Partei sachdienlich, zu diesem Vorwurf ein Gutachten einzuholen, da auch die eigene Sachkunde nicht ausgereicht hätte, einem solchen Vorwurf zu entgegnen. Unabhängig von den vorgenannten Ausführungen besteht eine Erstattungsfähigkeit auch dann, wenn das Privatgutachten ein vom. Gericht benötigtes Gutachten ersparte. Vorliegend hat die Antragstellerin nach Erhalt des Gutachtens den Antrag auf Beweissicherung zurückgenommen, wodurch die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens im weiteren Verlauf des Beweissicherungsverfahrens vermieden worden ist.

Der Vortrag der Antragstellerin, dass die Rücknahme ihres Antrags nichts mit dem Gutachten zu tun gehabt habe, ist im Hinblick auf das Ergebnis des Gutachtens wenig überzeugend.“

Reisekosten des auswärtigen Vertrauensanwalts, oder: Verteidigung durch irgendwen ist ok, Vertrauensanwalt muss nicht sein

© Gina Sanders – Fotolia.com

In der zweiten Gebührenentscheidung geht es um die Reisekosten des auswärtigen Vertrauensanwalts. Das ist auch so ein Thema, bei dem einem manchmal die Haare zu Berge stehen. So für mich auch beim LG Hamburg, Beschl. v. 02.10.2018 – 616 Qs 15/18, der auf der Grundlage folgenden Fakten ergangen ist:

Der ehemalige Angeklagte ist Waffenhändler und betreibt ein Waffenhaus in Hamburg-Eppendorf; er wohnt in Bad Bevensen. Ihm war vorgeworfen worden, einen ihm zur Unbrauchbarmachung anvertrauten Revolver unerlaubt verkauft zu haben. In dem Verfahren wurde der Angeklagte vom Kollegen Nordmann aus Hannover verteidigt, der ihn bereits mehrfach verteidigt hatte. Nach Einspruch gegen einen Strafbefehl ist der Angeklagte freigesprochen worden. Reisekosten gibt es nicht:

„Zu Recht hat das Amtsgericht Hamburg im angegriffenen Beschluss die Erstattung der tatsächlich angefallenen Auslagen abgelehnt. Der Tatvorwurf wiegt nicht derart schwer, dass die Hinzuziehung eines an einem dritten Ort ansässigen Vertrauensanwaltes notwendig gewesen wäre.

„1. Zu den nach § 464a Abs. 2 StPO erstattungsfähigen Auslagen gehören solche, die nach § 91 Abs. 2 ZPO erstattungsfähig sind. Nach den dazu entwickelten Grundsätzen sind Auslagen eines an einem dritten Ort ansässigen Rechtsanwaltes nur in der Höhe der fiktiven Reisekosten eines heimischen Rechtsanwalts erstattungsfähig (BGH NJW 2011, 3520, 3521). Auch ein besonderes, gewachsenes Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Partei rechtfertigt in der Regel keine Ausnahme von diesem Grundsatz (BGH, NJW-RR 2007, 1071). Dies gilt auch für das Strafverfahren. Das besondere Vertrauen kann nur bei schwerwiegenden Vorwürfen, insb. in Verfahren vor dem Schwurgericht, oder bei erheblichen Auswirkungen auf die berufliche und wirtschaftliche Existenz die Wahl eines Verteidigers an drittem Ort notwendig machen (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, § 464 a, Rn. 12 m.w.N.).

2. Nach diesen Grundsätzen war die Hinzuziehung eines Vertrauensanwaltes vorliegend nicht notwendig. Der Vorwurf der Unterschlagung ist nicht schwerwiegend, entsprechend wurde das Verfahren am Amtsgericht vor dem Strafrichter geführt. Daran vermögen auch die möglichen Auswirkungen einer Verurteilung auf die berufliche Existenz nichts zu ändern. Zwar ist es zutreffend, dass der Freigesprochene als Waffenhändler ein erlaubnispflichtiges Gewerbe nach § 21 Abs. 1 S. 1 WaffG führt. Bei einer Verurteilung wegen eines Delikts mit Bezug zu seiner Berufsausübung wäre ein Widerruf der Erlaubnis nach § 45 Abs. 2 WaffG von der zuständigen Behörde zu prüfen gewesen. Dies macht den Vorwurf jedoch nicht zu eine schwerwiegenden. Insofern fehlt es auch unter Berücksichtigung dieser Folgen an er Vergleichbarkeit zu Verfahren vor dem Schwurgericht, in denen die Hinzuziehung notwendig wäre. Denn bereits in Verfahren vor anderen Strafkammern des Landgerichts drohen dem Angeklagten oftmals langjährige Freiheitsstrafen, ohne dass dies die Wahl eines Vertrauensanwaltes rechtfertigen soll. Die dem Freigesprochenen drohenden beruflichen Folgen reichen damit bei einem Tatvorwurf, der ersichtlich nicht in den Bereich der mittleren oder gar schwereren Kriminalität hereinragt, nicht aus. Dies gilt umso mehr, als die beruflichen Folgen bei einem solch n Tatvorwurf keinesfalls zwingend sind. Bereits aus dem Strafbefehl ergibt sich, dass dem Freigesprochenen nur ein Verkauf an einen anderen Waffenhändler vorgeworfen wurde. Dieser geschah zwar gegen den Willen der Eigentümerin der Waffe, war aber unter waffenrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden.“

Den Beschluss kann man – auf der Grundlage der Rechtsprechung der Obergerichte zu dieser Problematik – zusammenfassen unter der Überschrift: Verteidigung durch irgendwen ist ok, Vertrauensanwalt muss nicht sein. Wie gesagt. M.E. und mit den Grundsätzen zum Anwalt des Vertrauens nicht vereinbar, wenn man mit denen Ernst machen wollte. Aber will man das……?