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Erstattungsfähigkeit privater SV-Kosten, oder: Wann werden die im Bußgeldverfahren erstattet?

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In der zweiten Entscheidung des Tages, dem LG Bielefeld, Beschl. v. 19.12.2019 – 10 Qs 425/19 – geht es auch um die Kostentragungspflicht, hier aber andersherum. Entschieden hat das LG nämlich die Frage, ob der Betroffene in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren nach Einstellung des Verfahrens auf Kosten der Landeskasse auch die Kosten eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachten erstattet bekommt. Das AG hatte das zugunsten der Staatskasse abgelehnt. Das LG hat auf die Beschwerde hingegen festgesetz, dabei ging es immerhin um rund 2.000 EUR:

„2. Im vorliegenden Fall sind die entstandenen Kosten für die Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens als notwendige Auslagen im Sinne der §§ 46 Abs. 1 OWiG, 464 a Abs. 2 StPO anzusehen und somit festzusetzen.

a) Im Ausgangspunkt zutreffend geht die angefochtene Entscheidung davon aus, dass die Aufwendungen des Betroffenen für eigene Ermittlungen oder Beweiserhebungen nur in Ausnahmefällen notwendig und damit erstattungsfähig sind (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62, Aufl. 2019, § 464 a Rn. 16; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, § 464 a Rn. 7 m.w.N.). Dies folgt daraus, dass die Ermittlungsbehörden von Amts wegen zu ermitteln und die Beweise auch zugunsten des Beschuldigten zu erheben haben, Die Interessen des Betroffenen sind im Grundsatz ausreichend durch das Prinzip der allseitigen Aufklärung, des Rechts zur Stellung von Beweisanträgen und den Zweifelssatz geschützt (KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2019, § 105 Rn. 69).

Demgegenüber sind Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens ausnahmsweise aber dann als notwendige Kosten anzuerkennen, wenn schwierige technische Fragestellungen zu beurteilen sind oder wenn aus Sicht des Betroffenen ex-ante ein privates Sachverständigengutachten erforderlich ist, da ansonsten eine erhebliche Verschlechterung der Prozesslage zu befürchten wäre (KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, § 464 a Rn. 7 m.w.N.; LG Wuppertal, Beschl. v. 08.02.2018 – 26 Qs 214/17, BeckRS 2018, 2186). In Rechtsprechung und Literatur wird teilweise darüber hinaus angenommen, dass Erstattungsfähigkeit gegeben sei, wenn sich die Einholung eines Gutachtens zwar nicht ex-ante betrachtet als notwendig dargestellt, aber ex-post tatsächlich entscheidungserheblich zugunsten des Betroffenen ausgewirkt hat (LG Dresden, Beschl. v. 07.10.2009 – 5 Qs 50/07, NStZ-RR 2010, 61; w. Nachw. bei KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2019, § 105 Rn. 69).

b) Im der hier zu beurteilenden Konstellation ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens jedenfalls ex-ante betrachtet aus Sicht des Betroffenen notwendig gewesen.

Insofern ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich bei den Fragen, wie ein Lasermessdystem zur Geschwindigkeitsüberwachung überhaupt funktioniert, wie es einzurichten ist und ob darauf fußend tatsächlich eine ordnungsgemäße Messung stattgefunden hat, um schwierig zu beurteilende technische Sachverhalte handelt.

Hinzu kommt, dass die Gründe, auf denen die Beschränkung der Erstattungsfähigkeit der Kosten für private Sachverständigengutachten beruhen, nämlich, dass der Betroffene darauf vertrauen kann, dass von Amts wegen alle erforderlichen Ermittlungen erfolgen und er im Übrigen das Recht und die Pflicht hat, Beweisanträge zu stellen, in Fällen wie dem vorliegenden nur eingeschränkt zur Geltung kommen (LG Wuppertal, Beschl. v. 08.02.2018 – 26 Qs 214/17, BeckRS 2018, 2186). Im Bußgeldverfahren sind nämlich dann, wenn eines standardisierten Messverfahrens zum Einsatz gekommen ist, die Anforderungen an die Darlegung einer Fehlmessung, die weitere Beweiserhebung durch das Gericht nach sich ziehen würde, erhöht. Hier müssen von Seiten der Verteidigung konkrete Anhaltspunkte für einen. Messfehler vorgebracht werden, um eine weitergehende Aufklärungspflicht des Gerichts zu begründen. Insofern ist die Amtsermittlungspflicht eingeschränkt (Krenberger/Krumm, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 77 Rn. 48 m.w.N.).

Bei dem hier zum Einsatz gekommenen System TraffiStar S350 handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (OLG Schleswig, Beschl, v. 11.11.2016 – 2 SsOWi 161/16, BeckRS 2016, 111324).

Somit musste der Betroffene davon ausgehen, dass keine Beweiserhebung zur Ordnungsgemäßheit der Messung erfolgen würde, wenn er keine konkreten Anhaltspunkte für einen Messfehler vorbringt. Da nicht ersichtlich ist, dass solche vor Beauftragung des Gutachtens vorgelegen hätten, waren aus der maßgeblichen ex-ante Sicht des Betroffenen ohne die Einholung eines privaten Gutachtens seine Verteidigungsmöglichkeiten deutlich eingeschränkt.

Tatsächlich hat er auch durch das Gutachten erstmals Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung an die Hand bekommen. Dies insofern, als sich aus diesem ergibt, dass es sich bei der im Messprotokoll angegeben Gebrauchsanweisung um die des Vor-Vorgängermodells des Messsystems handelt und das Protokoll auch insofern unrichtig ist, als die dort angegebene Software-Version S350.SC4.B14021114 nicht verwandt wurde, sondern die Version S350.SC4.D.16051207.

c) An dieser Beurteilung ändert auch der Umstand nichts, dass im Messprotokoll und dem der Verteidigerin übermittelten Begleitblatt zum Messsystem unterschiedliche Software-Versionen genannt sind. Selbst wenn dies bemerkt worden wäre, hätte der Betroffene nicht davon ausgehen können, dass dies dem Gericht Anlass gegeben hätte, über die Ordnungsgemäßheit der Messung oder diesbezüglicher Teilbereiche Beweis zu erheben. Dies zum einen deshalb, da der allgemein gehaltene Hinweis des Herstellers im Begleitblatt zu den Besonderheiten des Betriebes des Systems mit einer bestimmten Software-Version keinesfalls den Schluss zulässt, dass das System nur mit dieser Software hätte betrieben werden dürfen oder können und deshalb entweder eine nicht zugelassene Version zum Einsatz gekommen oder das Protokoll unrichtig wäre.

Vor diesem Hintergrund durfte der Betroffene bei verständiger Würdigung auch unter Berücksichtigung der dargestellten Aktenlage davon ausgehen, dass dieser vermeintliche Widerspruch das Amtsgericht nicht als konkreter Anhaltspunkt für einen Messfehler genügen und zu weiterer Beweiserhebung bewegen würde.

d) Gleiches gilt im Hinblick darauf, dass der erkennenden Richterin ausweislich der auf Anfrage des Rechtspflegers gefertigten Stellungnahme aus Parallelverfahren „die Problematik“ bereits bekannt gewesen sein soll. Abgesehen davon, dass nicht klar ist, welche Problematik insofern gemeint ist, ist nicht ersichtlich, dass dem Betroffenen die entsprechenden Erkenntnisse weitergegeben worden wären, so dass er ex-ante ein privates Sachverständigengutachten nicht mehr für notwendig hätte halten dürfen.

e) Darauf, ob das Gutachten darüber hinaus auch tatsächlich entscheidungserheblich zugunsten des Betroffenen gewirkt hat, kommt es somit nicht mehr an.“

Erstattung der SV-Kosten im Bußgeldverfahren, oder: Was man als Verteidiger auf jeden Fall tun sollte….

Zu dem vorhin vorgestellten LG Wuppertal, Beschl. v. 06.11.2018 – 26 Qs 210/18 (dazu Gebühren für Einsicht im Bußgeldverfahren, oder: An Lächerlichkeit nicht zu überbieten) passt thematisch ganz gut der LG Aachen, Beschl. v. 12.07.2018 – 66 Qs-509 Js-OWi 2524/16-31/18. Auch in ihm geht es um die die Kostenerstattung für ein vom Betroffenen im Bußgeldverfahren eingeholtes privates Sachverständigengutachten. Die Erstattungsfähigkeit war vom AG verneint worden. Das LG stimmt dem zu:

„Zutreffend ist, dass hiervon Ausnahmen anerkannt werden. Abgesehen von der Konstellation, in der das Privatgutachten tatsächlich ursächlich für den Freispruch oder die Einstellung des Verfahrens geworden ist, wird es ausnahmsweise z.B. dann als erstattungsfähig angesehen, wenn es ein abgelegenes und technisch schwieriges Sachgebiet betrifft (LG Wuppertal, Beschluss v. 08.02.2018 – 26 Qs 214/17 = DAR 2018, 236 m.w.N.). Auch wird darauf abgestellt, ob die Behörden den Beweisanregungen oder -anträgen der Verteidigung nachkommen und ob ohne die private Ermittlung sich die Prozesslage des Betroffenen verschlechtern würde (vgl. KG Berlin, Beschluss v. 20.02.2012 – 1 Ws 72/09 = BeckRS 2012, 12353 m.w.N.).

Nach Auffassung der Kammer folgt aus dem das Bußgeldwie auch das Strafverfahren beherrschenden Grundsatz der Amtsermittlung, dass allein die Entlegenheit der Materie die Einholung eines Privatgutachtens grundsätzlich nicht erstattungsfähig macht. Anders als im Zivilprozess, in dem die Natur des Parteiprozesses ein (zweites) Privatgutachten zur Herstellung von „Waffengleichheit“ erforderlich machen kann, weil zum Beispiel dann, wenn die Gegenseite ihren Vortrag auf ein eigenes Privatgutachten stützen kann, der eigenen Substantiierungspflicht sonst nicht genügt werden kann, bietet die Verpflichtung des Gerichts und nach dem Gesetz auch der Anklagebehörde zur umfassenden Sachaufklärung zunächst Gewähr für die umfassende Objektivität auch eines amtswegig beauftragten Gutachtens.

Richtigerweise kann ein Privatgutachten ex ante nur, aber auch immer dann notwendig sein, wenn objektivierbare Mängel vorliegen, die zur Einholung des Gutachtens drängen. Exante notwendig und damit erstattungsfähig kann ein Privatgutachten sowohl zur Überprüfung eines Erstgutachtens wie auch sonst zur ergänzenden Aufklärung also nur sein, wenn die bisher geführten Ermittlungen unzureichend sind. Allerdings ist es dem Betroffenen auch dann zuzumuten, die Behebung solcher Ermittlungslücken durch das Gericht zu beantragen. Zweite Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit von Gutachterkosten ex-ante ist es daher, dass dem Betroffenen andernfalls eine wesentliche Verschlechterung seiner Prozesslage droht. Dies kommt – von eher theoretischen Fällen unmittelbar drohenden Beweisverlustes abgesehen – nur dann in Betracht, wenn die Ermittlungsbehörde bzw. das Gericht einem Beweisantrag nicht nachkommt und ein Zuwarten bis zur Hauptverhandlung nicht zumutbar ist.

Im Bußgeldverfahren ist es nach Auffassung der Kammer dem Betroffenen stets zumutbar, auch ex-ante notwendig erscheinende Ermittlungen erst dann selbst zu veranlassen, wenn das in der Hauptsache zuständige Gericht diese abgelehnt hat (so auch Beschluss der Kammer vom 14.10.2016 – 66 Qs 50/16, nicht veröffentlicht). Ob dies im Strafverfahren jedenfalls in den Fällen eines nicht ganz unerheblichen Tatvorwurfs anders ist und dort bereits das Ziel, eine öffentliche Hauptverhandlung abzuwenden, die private Veranlassung sachlich angezeigter Ermittlung rechtfertigt, kann in diesem Zusammenhang offenbleiben. Im Ergebnis trägt also der Betroffene im Bußgeldverfahren in der Regel das volle Kostenrisiko für die Einholung eines Privatgutachtens. Wenn allerdings ein Privatgutachten in diesem Sinne ex-ante ausnahmsweise notwendig war, kommt es auf die Relevanz für den späteren Freispruch ex-post nicht mehr an. Wenn dann aber zunächst auf eigenes Kostenrisiko veranlasste private Ermittlungen sich tatsächlich entscheidungserheblich zugunsten des Betroffenen auswirken, sind die Kosten hierfür stets zu erstatten.

Nach diesen Grundsätzen sind die von dem Beschwerdeführer verauslagten Sachverständigenkosten vorliegend nicht erstattungsfähig. Das von dem Beschwerdeführer eingeholte private Gutachten wurde im hiesigen Verfahren – auch ausweislich des Vermerks der Abteilungsrichterin vom 06.03.2018 (Bl. 104 R d.A.) – weder im Hauptverfahren noch im sich hieran anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren zu irgendeinem Zeitpunkt vorgelegt. Das Gutachten hat bereits nicht zur Entscheidungsfindung beigetragen. Maßgeblich für den erfolgten Freispruch war das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten der Sachverständigen Dipl. Biol. A.

Die Verteidigung beschränkt sich darauf, im Kostenfestsetzungsverfahren eine Rechnung vom 23.06.2017 vorzulegen. Hierdurch wird auch erstmalig vorgetragen, dass der Betroffene privat ein Gutachten eingeholt hatte. Zwar geht aus dieser Rechnung hervor, dass dem Betroffenen die zur Festsetzung beantragten Kosten in Höhe von 856,47 EUR offensichtlich angefallen sind. Weiterhin wird aber auch nicht vorgetragen, zu welcher Sachverständigenfrage und zu welcher Beweisfrage das Gutachten überhaupt in Auftrag gegeben worden war. Aus dem Briefkopf der Rechnung vom 23.06.2017 ergibt sich lediglich, dass über die Vergütung des öffentlich bestellten technischen Sachverständigen G abgerechnet wurde. Abweichend von dem der Entscheidung des Landgerichts Wuppertal zugrunde liegenden Sachverhalt (LG Wuppertal, Beschluss v. 08.02.2018 – 26 Qs 214/17 = DAR 2018, 236), in welchem der Betroffene das privat eingeholte Gutachten zwar ebenfalls zunächst nicht vorgelegt hat, die Frage der Notwendigkeit der Einholung eines Gutachtens aus der ex-ante Sicht des Betroffenen aber beurteilt werden konnte, da der Betroffene dort ein technisches Gutachten zur Frage der Ordnungsgemäßheit einer standardisierten Rotlichtüberwachungsanlage eingeholt hatte, ist im vorliegenden Fall nicht bekannt, zu welchem Tatkomplex das Gutachten überhaupt eingeholt worden war. Ob hier beispielsweise die Frage der Ordnungsgemäßheit der konkreten Messung, ein Umstand am Fahrzeug des Betroffenen, die Messeinrichtung selbst, deren Eichung oder anderweitige Fragestellungen begutachtet und ob aus der ex-ante Sicht des Betroffenen zu diesen Fragen die Einholung eines selbständig beauftragten Gutachtens erforderlich war, ist nicht ersichtlich.

Ferner war zu berücksichtigen, dass die Abteilungsrichterin durch gerichtliche Verfügung vom 01.12.2016 bei dem Verteidiger angefragt hatte, mit welchem Ziel der Einspruch eingelegt worden war und die Einholung gerichtlich beauftragter Sachverständigengutachten in diesem Schreiben ausdrücklich in Aussicht gestellt hatte. Hierauf hatte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 14.12.2016 mitgeteilt, dass die Fahrereigenschaft nicht eingeräumt werden solle. Auf die Übersendung der Ersteinschätzung der durch das Gericht sodann beauftragten Sachverständigen Dipl. Biol. A durch Verfügung vom 07.03.2017 erfolgte eine weitere Reaktion der Verteidigung nicht. Insbesondere folgte eine weitere Beweisanregung oder ein Beweisantrag weder im Vorfeld noch in der Hauptverhandlung. Warum die Einholung eines weiteren Gutachtens sodann nicht jedenfalls angeregt worden war, bevor dieses privat in Auftrag gegeben wurde, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.“

Obwohl sich das LG Aachen auf den LG Wuppertal, Beschl. v. 06.11.2018 – 26 Qs 210/18 – bezieht, sieht es m.E. die Frage der Erstattungsfähigkeit enger als das LG Wuppertal. Allerdings: Hier hatte der Betroffene bzw. sein Verteidiger aber auch nichts unternommen, um ggf. für die Erstattungsfähigkeit zu sorgen, also das Gutachten noch nicht einmal erwähnt, geschweige denn vorgelegt. Aus welchen Gründen auch immer.

Das Bild aus gegebenem Anlass, Stichwort: Preiskracher 🙂 <<Werbemodus an: Zur Bestellung geht es hier. <<Werbemodus aus>>