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AG: Aktenversendungspauschale als Servicepauschale, oder: VerfGH: Nein, das ist willkürlich

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Heute dann RVG-Entscheidungen. Einmal geht es um „ganz viel“ Honorar, einmal nur um ein paar Euro.

Ich beginne mit den „paar Euro“. Dazu äußert sich der VerfGH Berlin, Beschl. v. 18.5.2022 – VerfGH 91/21. Es geht um die Erstattung der Aktenversendungspauschale Nr. 9003 VV GKG. Ich hatte an sich gedacht, dass das eine Problematik ist, die erledigt ist. Aber es scheint immer noch wieder Verwaltungsbehörden und/oder Gerichte zu geben, die mit der Pauschale Probleme haben. So auch hier:

Der Polizeipräsident Berlin hatten gegen die Betroffene einen Bußgeldbescheid erlassen. Deren Verteidiger hat Einspruch eingelegt und Akteneinsicht durch Übersendung eines Ausdrucks der Verfahrensakte beantragt. Der Polizeipräsident hat dem Antrag entsprochen und von dem Verteidiger eine Aktenversendungspauschale von 12,- EUR erhoben. Der Verteidiger hat diese dann der Betroffene der Betroffenen zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung gestellt. Nach Eingang der Einspruchsbegründung hat der Polizeipräsident den Bußgeldbescheid aufgehoben, das Verfahren eingestellt und angeordnet an, dass die Betroffene ihre notwendigen Auslagen zu tragen hat. Auf den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat das AG der Landeskasse die notwendigen Auslagen der Betroffenen auferlegt.

Im Rahmen der Kostenerstattung hat der Verteidiger auch die Erstattung der Aktenversendungspauschale in Höhe von 12,- EUR zuzüglich Umsatzsteuer beantragt. Deren Erstattung hat der Polizeipräsident abgelehnt. Das AG hat den Antrag der Betroffenen zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Aktenversendungspauschale könne nicht erstattet werden. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde der Betroffenen, mit der diese geltend gemacht hat, die Verweigerung der Erstattung der Aktenversendungspauschale sei willkürlich, hatte beim VerfGH Berlin Erfolg. Das geht von einem Willkürverstoß des AG aus:

„So liegt der Fall hier. Die mit der Verfassungsbeschwerde allein angegriffene Versagung der Erstattung der Aktenversendungspauschale durch den Beschluss vom 27. April 2021 verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführerin auf eine willkürfreie Entscheidung gemäß Art. 10 Abs. 1 VvB. Der Beschluss ist insoweit, gemessen an seiner Begründung, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar. Die Entscheidung über die Erstattung der Aktenversendungspauschale musste sich daran orientieren, ob es sich dabei um Auslagen der Beschwerdeführerin in dem genannten Verfahren handelte und ob diese notwendig waren. Das ergibt sich aus der amtsgerichtlichen Kostengrundentscheidung, die die Staatskasse zur Tragung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin in dem gegen sie geführten Ordnungswidrigkeitenverfahren verpflichtet hatte. Zu diesem der Entscheidung über die Erstattung der Aktenversendungspauschale zugrunde zulegenden Maßstab weist die Begründung des Amtsgerichts, die Aktenversendungspauschale sei eine Servicepauschale, die der Verteidiger dafür bezahle, dass er sich eine Akteneinsicht bei der Behörde oder eine Mitnahme der Akte erspare, keinen sachlichen Bezug mehr auf. Weder nimmt das Argument des Amtsgerichts der Aktenversendungspauschale offenkundig die Eigenschaft als Auslage der Beschwerdeführerin, noch lässt es deren Notwendigkeit offensichtlich entfallen. Eine Konkretisierung des abstrakten rechtlichen Entscheidungsmaßstabes, die einen sachlichen Bezug zwischen den Begriffen Auslage und Notwendigkeit einerseits und der Begründung des Beschlusses herstellen könnte, hat das Amtsgericht nicht ausgeführt.

Die angefochtene Entscheidung beruht, soweit sie die Erstattung der Aktenversendungspauschale betrifft, auch auf diesem Verstoß gegen das Willkürverbot, da sie keine selbstständig tragende verfassungskonforme Alternativbegründung enthält und sich bei methodisch korrekter Anwendung des einschlägigen Fachrechts auch nicht als einzig in Betracht kommende Entscheidung darstellt. Die verfahrensgegenständliche Aktenversendungspauschale kann als Auslage der Beschwerdeführerin angesehen werden. Auslagen sind Vermögenswerte, d.h. in Geld messbare Aufwendungen eines Verfahrensbeteiligten, die bei der Rechtsverfolgung bzw. der Geltendmachung prozessualer Rechte entstanden sind. Aufwendungen eines Dritten sind als Auslagen des Beteiligten anzusehen, wenn ihm der Beteiligte zum Ersatz verpflichtet ist (vgl. Gieg, Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, § 464a StPO Rn. 6). Die Verpflichtung zur Zahlung der Aktenversendungspauschale ist gegenüber dem Verteidiger der Beschwerdeführerin durch deren Verteidigung gegen den verfahrensgegenständlichen Ordnungswidrigkeitenvorwurf entstanden. Die Beschwerdeführerin ist ihrem Verteidiger insoweit auch aus dem mit ihm bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrag zum Ersatz verpflichtet.

Die Aktenversendungspauschale kann auch als notwendige Auslage angesehen werden. Notwendig ist eine Auslage, wenn sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder zur Geltendmachung prozessualer Rechte erforderlich war (vgl. Gieg, a. a. O.). Das kann schon dann anzunehmen sein, wenn der vernünftige und besonnene Verfahrensbeteiligte sie für geboten halten durfte. Angesichts des Umstandes, dass die einzige andere Möglichkeit, Akteneinsicht zu erlangen, vorliegend eine Einsichtnahme in die elektronisch geführte Verfahrensakte an einem Bildschirm in den Räumen des Polizeipräsidenten in Berlin war, dürfte dies auch naheliegen. Denn diese Möglichkeit der Akteneinsicht stellt sich gegenüber der von dem Verteidiger der Beschwerdeführerin erbetenen Übersendung eines Ausdrucks der Verfahrensakte zweifellos als die deutlich zeit- und kostenaufwändigere Alternative dar.

Ob die angegriffene Entscheidung die Beschwerdeführerin auch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 15 Abs. 1 VvB verletzt, kann danach dahinstehen.“

Ich frage mich bei solchen Entscheidungen immer, was das eigentlich soll.  Ich meine, die Einordnung des Aktenversendungspauschale als erstattbare Auslage sollte zum Allgemeinwissen eines Amtsrichters gehören und man, wozu allerdings auch die Verwaltungsbehörden zählen, sollte an der Stelle nicht wieder „Fass aufmachen“, das durch die obergerichtliche Rechtsprechung seit längerem geschlossen ist. Denn das führt nur zu an sich unnötigen Rechtsmitteln, die erhebliche Zeitaufwand verursachen – und Zeit hat die Justiz ja angeblich nicht – und auch Kosten, die erheblich über dem Betrag liegen, um den gestritten wird, nämlich 12 EUR.

Entstehen und Erstattungsfähigkeit der Hebegebühr, oder: Die Nr. 1009 VV RVG führt ein Schattendasein

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den LG Frankfurt/Main, Beschl. v. 07.04.2022 – 2-15 0 74/20. Er behandelt die Hebegebühr Nr. 1009 VV RVG, die – jedenfalls im Strafverfahren – ein verstecktes Dasein führt, obwohl man ggf. auch mit der  Gebühr ein paar zusätzliche Euro verdienen kann.

In dem vom LG Frankfurt/Main entschiedenen Fall hatte die Klägerin nach einem Zivilrechtsstreit der Beklagten Kosten erstattet. Die Beklagte hatte u.a. auch die die Festsetzung einer Hebegebühr in Höhe von 84,06 EUR netto (70,05 EUR gem. Nr. 1009 VV RVG, 14,01 EUR Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG) für die Weiterleitung eines Betrages beantragt. Das LG hat diese Gebühren festgesetzt. Dagegen hat sich die Klägerin mit der Erinnerung gewendet, der der Rechtspfleger nicht abgeholfen hat. Das LG – Einzelrichter – hat die Erinnerung dann verworfen:

„2. Die Erinnerung hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der Rechtspfleger hat die Hebegebühr und die Auslagenpauschale zu Recht festgesetzt.

a) Die Hebegebühr in Höhe von € 70,05 ist entstanden. Eine Hebegebühr entsteht nach Nr. 1009 Anm. Abs. 1 VV RVG, wenn der Anwalt vereinnahmte Gelder weiterleitet und hierzu beauftragt war. Der Beklagtenvertreter war hier aufgrund der vorliegenden Prozessvollmacht gemäß § 81 ZPO zur Empfangnahme der von der Klägerin zu erstattenden Kosten bevollmächtigt und beauftragt. Er hat die an ihn gezahlten Kosten in Höhe von € 13.021,06 an die Beklagte weitergeleitet.

Die Klägerin hat die Hebegebühr zu erstatten. Die Hebegebühr ist erstattungsfähig, wenn der Schuldner, ohne vom Gläubiger oder dessen Anwalt dazu aufgefordert zu sein, an den Rechtsanwalt des Gläubigers zahlt (vgl. Gerold/Schmidt/Mayer, 25. Aufl. 2021, RVG VV 1009 Rn. 20 m.w.N.). Dies war hier der Fall.

Der Erstattungsfähigkeit der Hebegebühr steht auch nicht entgegen, dass es sich bei der Zahlung nicht um die Hauptsache, sondern um die zu erstattenden Kosten handelte. Zwar entsteht die Hebegebühr gemäß Nr. 1009 Anm. Abs. 5 VV RVG nicht, so weit eingezogene Kosten an den Auftraggeber abgeführt werden. Dies gilt aber nur, wenn der Rechtsanwalt die Kosten eingezogen, also aufgrund einer Kostenentscheidung eingefordert hat (vgl. AnwK-RVG/N. Schneider, 7. Aufl. 2014, Nr. 1009 VV RVG Rn. 39). Demgemäß fällt die Hebegebühr mangels Einziehung an, wenn der Rechtsanwalt nicht verbrauchte Gerichtskosten in Empfang nimmt und an den Mandanten weiterleitet (vgl. AnwK-RVG/N. Schneider, 7. Aufl. 2014, Nr. 1009 VV RVG Rn. 39; Gerold/Schmidt/Mayer, 25. Aufl. 2021, RVG VV 1009 Rn. 12; a.A. HK-RVG/Hans Klees, 8. Aufl. 2021, RVG VV 1009 Rn. 16). Gleiches gilt, wenn der Gegner die zu erstattenden Kosten an den Rechtsanwalt zahlt, ohne dass dieser die Kosten zuvor zur Zahlung an sich eingefordert hätte.

Die Hebegebühr ist auch im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff. ZPO festsetzbar (vgl. Gerold/Schmidt/Mayer, 25. Aufl. 2021, RVG VV 1009 Rn. 20).

b) Die Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von € 14,01 ist ebenfalls entstanden und erstattungsfähig. Die Zahlung an den Rechtsanwalt stellt immer eine selbständige Angelegenheit dar und zwar auch dann, wenn der Rechtsanwalt der Mandanten auch darüber hinaus vertritt und bereits Gebühren nach Nr. 2300 VV RVG oder Nr. 3100 VV RVG verdient hat (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 25. Aufl. 2021, RVG VV 7001 Rn. 26).“

Erstattungsfähigkeit privater SV-Kosten, oder: Wann werden die im Bußgeldverfahren erstattet?

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In der zweiten Entscheidung des Tages, dem LG Bielefeld, Beschl. v. 19.12.2019 – 10 Qs 425/19 – geht es auch um die Kostentragungspflicht, hier aber andersherum. Entschieden hat das LG nämlich die Frage, ob der Betroffene in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren nach Einstellung des Verfahrens auf Kosten der Landeskasse auch die Kosten eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachten erstattet bekommt. Das AG hatte das zugunsten der Staatskasse abgelehnt. Das LG hat auf die Beschwerde hingegen festgesetz, dabei ging es immerhin um rund 2.000 EUR:

„2. Im vorliegenden Fall sind die entstandenen Kosten für die Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens als notwendige Auslagen im Sinne der §§ 46 Abs. 1 OWiG, 464 a Abs. 2 StPO anzusehen und somit festzusetzen.

a) Im Ausgangspunkt zutreffend geht die angefochtene Entscheidung davon aus, dass die Aufwendungen des Betroffenen für eigene Ermittlungen oder Beweiserhebungen nur in Ausnahmefällen notwendig und damit erstattungsfähig sind (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62, Aufl. 2019, § 464 a Rn. 16; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, § 464 a Rn. 7 m.w.N.). Dies folgt daraus, dass die Ermittlungsbehörden von Amts wegen zu ermitteln und die Beweise auch zugunsten des Beschuldigten zu erheben haben, Die Interessen des Betroffenen sind im Grundsatz ausreichend durch das Prinzip der allseitigen Aufklärung, des Rechts zur Stellung von Beweisanträgen und den Zweifelssatz geschützt (KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2019, § 105 Rn. 69).

Demgegenüber sind Kosten für die Einholung eines Privatgutachtens ausnahmsweise aber dann als notwendige Kosten anzuerkennen, wenn schwierige technische Fragestellungen zu beurteilen sind oder wenn aus Sicht des Betroffenen ex-ante ein privates Sachverständigengutachten erforderlich ist, da ansonsten eine erhebliche Verschlechterung der Prozesslage zu befürchten wäre (KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, § 464 a Rn. 7 m.w.N.; LG Wuppertal, Beschl. v. 08.02.2018 – 26 Qs 214/17, BeckRS 2018, 2186). In Rechtsprechung und Literatur wird teilweise darüber hinaus angenommen, dass Erstattungsfähigkeit gegeben sei, wenn sich die Einholung eines Gutachtens zwar nicht ex-ante betrachtet als notwendig dargestellt, aber ex-post tatsächlich entscheidungserheblich zugunsten des Betroffenen ausgewirkt hat (LG Dresden, Beschl. v. 07.10.2009 – 5 Qs 50/07, NStZ-RR 2010, 61; w. Nachw. bei KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2019, § 105 Rn. 69).

b) Im der hier zu beurteilenden Konstellation ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens jedenfalls ex-ante betrachtet aus Sicht des Betroffenen notwendig gewesen.

Insofern ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich bei den Fragen, wie ein Lasermessdystem zur Geschwindigkeitsüberwachung überhaupt funktioniert, wie es einzurichten ist und ob darauf fußend tatsächlich eine ordnungsgemäße Messung stattgefunden hat, um schwierig zu beurteilende technische Sachverhalte handelt.

Hinzu kommt, dass die Gründe, auf denen die Beschränkung der Erstattungsfähigkeit der Kosten für private Sachverständigengutachten beruhen, nämlich, dass der Betroffene darauf vertrauen kann, dass von Amts wegen alle erforderlichen Ermittlungen erfolgen und er im Übrigen das Recht und die Pflicht hat, Beweisanträge zu stellen, in Fällen wie dem vorliegenden nur eingeschränkt zur Geltung kommen (LG Wuppertal, Beschl. v. 08.02.2018 – 26 Qs 214/17, BeckRS 2018, 2186). Im Bußgeldverfahren sind nämlich dann, wenn eines standardisierten Messverfahrens zum Einsatz gekommen ist, die Anforderungen an die Darlegung einer Fehlmessung, die weitere Beweiserhebung durch das Gericht nach sich ziehen würde, erhöht. Hier müssen von Seiten der Verteidigung konkrete Anhaltspunkte für einen. Messfehler vorgebracht werden, um eine weitergehende Aufklärungspflicht des Gerichts zu begründen. Insofern ist die Amtsermittlungspflicht eingeschränkt (Krenberger/Krumm, OWiG, 5. Aufl. 2018, § 77 Rn. 48 m.w.N.).

Bei dem hier zum Einsatz gekommenen System TraffiStar S350 handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (OLG Schleswig, Beschl, v. 11.11.2016 – 2 SsOWi 161/16, BeckRS 2016, 111324).

Somit musste der Betroffene davon ausgehen, dass keine Beweiserhebung zur Ordnungsgemäßheit der Messung erfolgen würde, wenn er keine konkreten Anhaltspunkte für einen Messfehler vorbringt. Da nicht ersichtlich ist, dass solche vor Beauftragung des Gutachtens vorgelegen hätten, waren aus der maßgeblichen ex-ante Sicht des Betroffenen ohne die Einholung eines privaten Gutachtens seine Verteidigungsmöglichkeiten deutlich eingeschränkt.

Tatsächlich hat er auch durch das Gutachten erstmals Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung an die Hand bekommen. Dies insofern, als sich aus diesem ergibt, dass es sich bei der im Messprotokoll angegeben Gebrauchsanweisung um die des Vor-Vorgängermodells des Messsystems handelt und das Protokoll auch insofern unrichtig ist, als die dort angegebene Software-Version S350.SC4.B14021114 nicht verwandt wurde, sondern die Version S350.SC4.D.16051207.

c) An dieser Beurteilung ändert auch der Umstand nichts, dass im Messprotokoll und dem der Verteidigerin übermittelten Begleitblatt zum Messsystem unterschiedliche Software-Versionen genannt sind. Selbst wenn dies bemerkt worden wäre, hätte der Betroffene nicht davon ausgehen können, dass dies dem Gericht Anlass gegeben hätte, über die Ordnungsgemäßheit der Messung oder diesbezüglicher Teilbereiche Beweis zu erheben. Dies zum einen deshalb, da der allgemein gehaltene Hinweis des Herstellers im Begleitblatt zu den Besonderheiten des Betriebes des Systems mit einer bestimmten Software-Version keinesfalls den Schluss zulässt, dass das System nur mit dieser Software hätte betrieben werden dürfen oder können und deshalb entweder eine nicht zugelassene Version zum Einsatz gekommen oder das Protokoll unrichtig wäre.

Vor diesem Hintergrund durfte der Betroffene bei verständiger Würdigung auch unter Berücksichtigung der dargestellten Aktenlage davon ausgehen, dass dieser vermeintliche Widerspruch das Amtsgericht nicht als konkreter Anhaltspunkt für einen Messfehler genügen und zu weiterer Beweiserhebung bewegen würde.

d) Gleiches gilt im Hinblick darauf, dass der erkennenden Richterin ausweislich der auf Anfrage des Rechtspflegers gefertigten Stellungnahme aus Parallelverfahren „die Problematik“ bereits bekannt gewesen sein soll. Abgesehen davon, dass nicht klar ist, welche Problematik insofern gemeint ist, ist nicht ersichtlich, dass dem Betroffenen die entsprechenden Erkenntnisse weitergegeben worden wären, so dass er ex-ante ein privates Sachverständigengutachten nicht mehr für notwendig hätte halten dürfen.

e) Darauf, ob das Gutachten darüber hinaus auch tatsächlich entscheidungserheblich zugunsten des Betroffenen gewirkt hat, kommt es somit nicht mehr an.“

Übernachtungskosten, oder: Wann darf der Rechtsanwalt anlässlich einer Terminswahrnehmung übernachten?

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Und als zweite Entscheidung des Tages dann ein Beschluss des LG Memmingen zu Übernachtungskosten. Zwar handelt es sich „nur“ um einen Kostenfestsetzungsbeschluss, aber ich stelle ihn dennoch vor. Denn für den Kollegen Sorge aus Germersheim, der mir den Beschluss geschikct hat, ist damit die erste Hürde schon mal übersprungen.

Der Kollege hatte in seinem Kostenfestsetzungsantrag Hotelkosten anlässlich eines Gerichtstermins, den er als Vertreter des Streithelfers wahrgenommen hatte, geltend gemacht. Der Rechtspfleger hat die im LG Memmingen, Beschl. v. 29.01.2020 – 34 0 1272/16 – festgesetzt:

„Übernachtungskosten nach Nr. 7006 VV RVG sind zu erstatten, wenn diese angemessen sind. Dies ist regelmäßig dann gegeben, wenn die Übernachtung zweckmäßig, oder aber, wenn Hin- und Rückreise am selben Tag nicht möglich oder nicht zumutbar sind. Die herrschende Rechtsprechung nimmt dies in Anlehnung an § 758a Abs. IV ZPO dann an, wenn die Hin- und Rückreise nicht im Zeitfenster von 6.00 Uhr bis 21.00 Uhr erfolgen können (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, 7. Auflage 2018, Rn. 3 zu Nr. 7006 VV RVG; Gerold/Schmidt, 22. Aufl., Rdnr. 71-73 zu Nr. 7003-7006 RVG).

Dem Prozessbevollmächtigten des Streithelfers ist vorliegend zur Wahrung der anwaltlichen Sorgfaltspflicht in Form des rechtzeitigen Erscheinens zum Gerichtstermin am 05.09.2019 um 10.00 Uhr zuzugestehen, die Anreise bereits am Vortag angetreten zu haben, weshalb in Folge dessen eine Übernachtung erforderlich wurde.

Hätte der Prozessbevollmächtigte des Streithelfers die Hinreise zum Termin erst am 05.09.2019 angetreten, hätte die Abfahrt bei sorgfältiger Planung der Anreisezeit bereits vor 6.00 Uhr erfolgen müssen um zum terminierten Beginn um 10.00 Uhr anwesend zu sein, mithin zu einem Zeitpunkt, für welchen eine Übernachtung als angemessen zu betrachten ist.

Neben der reinen Fahrtzeit, welche nach dem Routenplaner google.maps vom Sitz der Kanzlei zum Gericht ca. 3 Stunden und 10 Minuten beträgt, wäre eine weitere Pufferzeit vorzuhalten gewesen, um mögliche unvorhergesehene Verzögerungen auszugleichen, welche durch die gegenwärtigen Baumaßnahmen auf der Autobahn A8 zwischen Stuttgart und Ulm jederzeit auftreten können. Ferner ist hierbei zu berücksichtigen, dass bei einer Anreise zum Gericht in der Frühe des Terminstags am 05.09.2019 auch möglichen Verzögerungen durch den Berufsverkehr um Karlsruhe und Stuttgart herum Sorge zu tragen gewesen wäre. Eine Pufferzeit zur reinen Fahrtzeit hinzu von etwa 45 Minuten wäre nach den genannten Unwägbarkeiten in Bezug auf den Verkehrsfluss, aber auch in Anbetracht der Länge der Fahrtstrecke von 250 km sicher einzuplanen gewesen.

Es ergibt sich somit bereits im Hinblick auf die Fahrtzeit neben der Pufferzeit hierfür eine Zeitpanne von knapp 4 Stunden.

Ausgehend vom Terminsbeginn um 10.00 Uhr ergibt sich, dass die Abfahrt um etwa 6.00 Uhr hätte begonnen werden müssen. Ferner wären überdies Zeiten für die Parkplatzsuche nach Ankunft m Gerichtsort, sowie für den Zugang vom Parkplatz zum Gerichtsgebäude einzuplanen gewesen, so dass in jedem Fall die Abreise – wenn auch nur knapp – vor 6.00 Uhr hätte begonnen werden müssen.

Soweit die Klagepartei ausführt, dass die Reise zum Gerichtstermin am 05.09.2019 auch – zur Vermeidung einer Übernachtung – mit der Bahn hätte erfolgen können, kann dem nicht gefolgt werden. Wie im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens dargelegt, wäre die Ankunft am Bahnhof in Memmingen bei einer Abfahrt um 6.43 Uhr um 9.55 Uhr erfolgt. Das Gerichtsgebäude liegt fußläufig nur etwa 5 Minuten vom Bahnhof entfernt und hätte ggf. – die planmäßige Ankunft vorausgesetzt – gerade noch rechtzeitig bis zum Terminsbeginn um 10.00 Uhr erreicht werden können. Einer sorgfältigen Planung des rechtzeitigen Erscheinens zum Terminsbeginn hätte dies jedoch in Anbetracht eines Puffers von 5 Minuten, selbst bei vorausgesetzt pünktlicher Ankunft des Zuges, bis zum Beginn des Gerichtstermins widersprochen.

Eine frühere Ankunft am Bahnhof des Gerichtsorts wiederum hätte eine Abreise vor 6.00 Uhr bedingt und daher ebenfalls eine Übernachtung gerechtfertigt.“

Der im Zivilverfahren ergangene Beschluss hat allgemeine Geltung, denn die Nr. 7006 VV RVG gilt ja in allen Verfahrensarten. Der Beschluss enthält auch nichts bahnbrechend Neues, aber er schreibt die h.M. hinsichtlich der Erforderlichkeit von Übernachtungen in Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Gerichtsterminen fest.

Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Privatgutachtens, oder: „Quasi-fingierter-Unfall“

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Author Fotograf: Stefan Lampert

In der zweiten Entscheidung, dem schon etwas älteren LG Hanau, Beschl. v. 28.11.2018 – 3 T 254/18 – wird die Problematik der Erstatung der Kosten eines privaten Sachverständigengutachtens behandelt. Das AG hat in einem selbstständigen Beweisverfahren die Kosten festgesetzt, das LG hat das im Beschwerdeverfahren „gehalten“:

„Nach der Rechtsprechung des BGH sind nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO erstattungsfähige notwendige Kosten solche, die für Maßnahmen anfallen, die eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei als sachdienlich ansehen darf. Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist auf dem Zeitpunkt der Veranlassung der die Kosten auslösenden Maßnahmen abzustellen. Zu den erstattungsfähigen Kosten können ausnahmsweise die Kosten für die Einholung eines Privatsachverständigengutachtens gehören, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind. Die Frage, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme als sachdienlich ansehen durfte, wird in der Rechtsprechung bejaht, wenn die Partei infolge fehlender Sachkenntnis ohne die Einholung des Privatgutachtens nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage wäre. Dazu gehören auch Fälle, in denen die Partei ohne Einholung eines Privatgutachtens ein ihr nachteiliges Gerichtssachverständigengutachten nicht zu erschüttern vermag.

Zwar liegen die vorgenannten Kriterien vorliegend ersichtlich nicht vor, die Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein Privatgutachten werden in der Rechtsprechung aber auch bejaht, bei Verdacht eines fingierten Unfalls bzw. bei der zweifelhaften Echtheit einer Unterschrift (vgl. hierzu Zöller Rn. 13 zu § 91 ZPO m. w. N.).

Der vorliegende Sachverhalt ist jedenfalls mit der Konstellation eines fingierten Verkehrsunfalls vergleichbar.

In der Antragsschrift bezweifelt die Antragstellerin, dass der Antragsgegner überhaupt einen Austauschmotor eingebaut habe bzw. dass dieser Austauschmotor nur 79.000 km gelaufen sei.

Die Antragstellerin wirft dem Antragsgegner mithin betrügerisches Verhalten zu ihrem Nachteil vor. Um diesem Vorwurf zu entgegnen war es auch aus Sicht einer wirtschaftlich vernünftig denkenden Partei sachdienlich, zu diesem Vorwurf ein Gutachten einzuholen, da auch die eigene Sachkunde nicht ausgereicht hätte, einem solchen Vorwurf zu entgegnen. Unabhängig von den vorgenannten Ausführungen besteht eine Erstattungsfähigkeit auch dann, wenn das Privatgutachten ein vom. Gericht benötigtes Gutachten ersparte. Vorliegend hat die Antragstellerin nach Erhalt des Gutachtens den Antrag auf Beweissicherung zurückgenommen, wodurch die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens im weiteren Verlauf des Beweissicherungsverfahrens vermieden worden ist.

Der Vortrag der Antragstellerin, dass die Rücknahme ihres Antrags nichts mit dem Gutachten zu tun gehabt habe, ist im Hinblick auf das Ergebnis des Gutachtens wenig überzeugend.“