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Wenn man nicht kommen will, muss man das sagen

© Aleksandar Radovanov – Fotolia.com

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Wenn der Betroffene zur Hauptverhandlung im Bußgeldverfahren nicht kommen und von seiner Anwesenheitspflicht entbunden werden will (§ 73 Absa. 2 OWiG) muss er das ausdrücklich und deutlich sagen. Das ist das Fazit, das man aus dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 09.07.2013 – 4a Ss 186/13 – ziehen kann. Da hatte der Betroffene rumgeeiert. Zunächst war beantrag worden, im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG zu entscheiden. Das Gericht wollte aber in die Hauptverhandlung und hat das auch mitgeteilt und angefragt, ob ein Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen gestellt werde. Der Verteidiger beantragte in Beantwortung der gerichtlichen Mitteilung nochmals die Entscheidung im schriftlichen Verfahren und führte zugleich aus, „ein Antrag auf Entbindung des Betroffenen von der persönlichen Teilnahme an der gerichtlichen Hauptverhandlung erübrigt sich damit.“ Daraufhin wurde (nochmals) mitgeteilt, dass das Gericht eine Hauptverhandlung für erforderlich halte und der Hauptverhandlungstermin aufrecht erhalten bleibe.Als dann weder der Betroffene noch sein Verteidiger zum Hauptverhandlungstermin erschienen sind, hat das AG nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen.

Das OLG Stuttgart sagt: Zu Recht, denn:

„Zutreffend ist das Gericht davon ausgegangen, dass der Betroffene von der Pflicht zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung nicht entbunden war. Eine solche Entbindung setzt notwendigerweise einen entsprechenden Antrag des Betroffenen voraus; ohne Antrag ist dem Gericht eine Prüfung, ob die weiteren Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen, verwehrt. Zwar kann in dem Ersuchen um Entscheidung im schriftlichen Verfahren grundsätzlich ein Antrag nach § 73 Abs. 2 OWiG gesehen werden (vgl. BayObLG, NZV 1999, 139); vorliegend hat der Betroffene auf klarstellende Nachfrage des Gerichts jedoch mitgeteilt, „es verbleibt bei dem Antrag, gemäß § 72 OWiG eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren zu treffen“ und „ein Antrag auf Entbindung … erübrigt sich damit“. Auch nachdem das Gericht ihm daraufhin mitgeteilt hatte, dass es eine Hauptverhandlung weiterhin für erforderlich erachte, hat der Betroffene einen Antrag nach § 73 Abs. 2 OWiG nicht gestellt, sondern ist vielmehr eigenmächtig der Verhandlung ferngeblieben.“

 

Der nächste „Vollmachtstrick“ (?) – die selbst unterzeichnete Vertretungsvollmacht

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Nach dem gestrigen Posting über die Blankovollmacht – Blankovollmacht – immer wieder schön, immer wieder erfolgreich – und den vom Kollegen Handschuhmacher erstrittenen AG Neuruppin, Beschl. v. 18.03.2013 – 84.1 OWi 3107 Js-OWi 31314/12 (239/12) – zu dem Posting natürlich ein zu erwartender Kommentar mit dem Hinweis auf das „Organ der Rechtspfleger“ – dann heute gleich noch eine Vollmachtsfrage. Nämlich den KG, Beschl. v. 12.06.2013 – 3 Ws (B) 202/13 – 122 Ss 62/13 /12, den ich mir nicht habe beim Kollegen Hoenig besorgen müssen, sondern den mir der Kollege Handschuhmacher direkt zugesandt hat.

Im Verfahren geht/ging es um die nachträgliche Entbindung des Betroffenen von seiner Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung des Bußgeldverfahrens. Diese hatte der Verteidiger erst in der Hauptverhandlung, als der Betroffene nicht erschienen war, beantragt. Er hatte dabei zwar die – erforderliche – Vertretungsvollmacht vorgelegt, diese war aber nicht vom Betroffenen, sondern vom Verteidiger selbst unterzeichnet. Geht, sagt das KG – ebenso übrigens vor kurzem das OLG Dresden (vgl. Vertretungsvollmacht – selbst unterzeichnet, das ist kein “Vollmachts-Trick”). Das KG begründet:

Der Verteidiger war auch entsprechend § 73 Abs. 3 OWiG legitimiert und hat seine Vertretungsbefugnis durch Vorlage einer schriftlichen Vollmacht nachgewiesen.-Dass der Betroffene diese Vollmacht nicht selbst unterzeichnet hat, ist unschädlich. Insoweit ist zwischen der Erteilung der Vollmacht und dem Nachweis durch Vorlage einer entsprechenden Urkunde zu unterscheiden. Die Erteilung der umfassenden Vertretungsvollmacht bedarf keiner besonderen Form und kann auch mündlich erteilt werden. In ihr kann zugleich die Ermächtigung enthalten sein, eine etwa erforderliche Vollmachtsurkunde im Namen des Vollmachtgebers zu unterzeichnen [vgl. BayObLG NStZ 2002, 277; OLG Dresden StRR 2013, 261). So liegt der Fall hier. Der Betroffene hatte, so die Begründung der Rechtsbeschwerde, seinen Verteidiger umfassend bevollmächtigt. Diese Erklärung schließt die Ermächtigung des Verteidigers ein, die Vollmachtsurkunde im Namen des Betroffenen zu unterschreiben. Dass der Verteidiger dies gleichwohl in seinem eigenen Namen tat, steht dem nicht entgegen, denn der Wortlaut der Vollmachtsurkunde, wie ihn die in der Rechtsbeschwerde zitierten Urteilsgründe wiedergeben, ist insoweit eindeutig. Damit war der Verteidiger des Betroffenen berechtigt, für den Betroffenen Erklärungen zu Sache abzugeben und einen Antrag auf Entbindung von der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung zu stellen.“

Ich bin gespannt: Kommentar mit „Organ der Rechtspflege“? Passt hier dann wohl kaum.

Bin dann mal auf einem Hilfstransport – kann deshalb nicht Schöffe sein (?)

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Die Frage, ob die „richtigen“ Schöffen an der Hauptverhandlung teilgenommen haben, ist für die Frage nach dem gesetzlichen Richter und damit in der Revision für das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 1 StPO von Bedeutung. Deshalb sind die Gerichte in der Regel bei der Entbindung von Schöffen für einzelne Sitzungstage (§ 54 GVG) besonders vorsichtig, zumal in § 54 Abs. 1 Satz 2 GVG von „unabwendbaren Umständen“ die Rede ist.

Nach Auffassung des BGH (vgl. BGH, Beschl. v. 11.10.2012 – 2 StR 204/12) war man in der Frage beim LG Gera dann aber wohl ein wenig zu großzügig, aber letztlich noch nicht so großzügig, dass die erfolgte Entbindung des Schöffen als „objektiv willkürlich“ anzusehen war. Da hatte der Schöffe seinen Entbindungsantrag offenbar (nur) mit der Teilnahme an einem Hilfstransport begründet. dazu der BGH:

Die vom Angeklagten R. erhobene Verfahrensrüge einer Verletzung von § 338 Nr. 1 StPO ist – abweichend von der Ansicht des Generalbundesanwalts – zulässig erhoben. Sie ist aber unbegründet. Allerdings begegnet die Auslegung des Begriffs der Verhinderung im Sinne von § 54 Abs. 1 GVG durch das Landgericht Bedenken. Dessen Annahme, der Schöffe sei wegen seiner notwendigen Mitwirkung an einem Hilfstransport verhindert, kann aber nach den konkreten Umständen des vorliegenden Falles noch nicht als objektiv willkürlich angesehen werden (vgl. BGHSt 31, 3, 5).

Leider teilt der BGH die „konkreten Umständen des vorliegenden Falles “ nicht mit, so dass man nicht beurteilen kann, welche Maßstäbe in solchen Fällen anzulegen sind. Jedenfalls dürfte allein die Mitteilung des Schöffen: Bin dann mal auf einem Hilfstransport.., nicht ausreichend sein.

 

Bußgeldverfahren: Auch der Heranwachsende kann von der Anwesenheitspflicht entbunden werden

Nach h.M. muss das Amtsgericht den Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbinden, wenn dieser seine Fahrereigenschaft eingeräumt und im übrigen angekündigt hat, sich in der Haupt­verhandlung nicht weiter zur Sache zu äußern.Das führt (noch einmal) der OLG Frankfurt, Beschl. v. 08.03.2012 – 2 Ss OWi 181/12 – aus. Insoweit nichts Besonderes, da h.M. der OLG.

Interessant allerdings deshalb – zumindest ein wenig, weil das nach Auffassung des OLG auch gilt, wenn es sich bei dem Betroffenen um einen Heranwachsenden handelt.

Entbindung von der Schweigepflicht – Vorsicht!!!!

Wenn es darum geht, einen sog. Berufsgeheimnisträger von der Schweigepflicht zu entbinden, ist immer besondere Vorsicht geboten. Nicht nur, dass dann auch dessen Angestellte, also z.B. bei einem Arzt die Praxishelferinnen kein Zeugnisverweigerungsrecht mehr haben. Zu beachten ist darüber hinaus auch, dass alles, was der Berufsgeheimnisträger nach der Entbindung ausgesagt hat, in das Verfahren eingeführt werden kann, auch wenn die Entbindung von der Schweigepflicht nachträglich widerrufen worden ist. Dazu (noch einmal) der BGH, Beschl. v. 20.12.2011 – 1 StR 547/11: § 252 StPO gilt nicht, und zwar auch nicht – insoweit bringt der Beschluss Neues – für Angaben in einer polizeilichen Vernehmung.

aa) Zwar ist die Vorschrift des § 252 StPO grundsätzlich auch auf Berufsgeheimnisträger i.S.v. § 53 StPO anwendbar (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 1962 – 5 StR 462/62, BGHSt 18, 146; Beschluss vom 24. September 1996 – 5 StR 441/96, StV 1997, 233). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, an der der Senat festhält, darf aber der Ermittlungsrichter über den Inhalt der Aussage eines gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Arztes vernommen werden, die dieser vor dem Ermittlungsrichter gemacht hat, wenn der Arzt bei dieser Aussage gemäß § 53 Abs. 2 StPO von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden war; § 252 StPO ist dann nicht anwendbar (BGHSt 18, 146; BGH StV 1997, 233; glA Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl.,  § 53 Rn. 49 und § 252 Rn. 3; Diemer in KK-StPO, 6. Aufl., § 252 Rn. 6; Ignor/Bertheau in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 53 Rn. 83; Neubeck in KMR-StPO § 53 Rn. 41; Sander/Cirener in Löwe/Rosenberg, 26. Aufl., § 252 Rn. 4; aA OLG Hamburg, NJW 1962, 689, 691; Geppert, Jura 1988, 305, 311 f.; Eb. Schmidt JR 1963, 267).

Grund hierfür ist, dass in einem solchen Fall der Pflichtenwiderstreit, auf den das Verwertungsverbot des § 252 StPO Rücksicht nimmt, nicht auftreten kann (zutr. Diemer aaO). Denn durch das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 StPO wird der Berufsgeheimnisträger geschützt und nicht diejenige Person, die ihn von der Schweigepflicht entbinden kann. Ihr Recht beschränkt sich darauf, darüber zu entscheiden, ob sie den Berufsgeheimnis-träger von der Schweigepflicht entbindet oder nicht. Sie hat indes keinen Anspruch darauf, dass der Berufsgeheimnisträger die Aussage verweigert und das Gericht nicht verwertet, was er gleichwohl ausgesagt hat (BGHSt 18, 146, 147). War der Berufsgeheimnisträger zum Zeitpunkt seiner Aus-sage vor dem Ermittlungsrichter von der Schweigepflicht befreit, befand er sich nicht in einem Pflichtenwiderstreit zwischen Wahrheitspflicht und Schweigepflicht.

bb) Für die hier vorliegende Fallkonstellation, dass der zunächst von der Schweigepflicht entbundene Berufsgeheimnisträger im Ermittlungsverfahren seine Angaben nicht vor einem Ermittlungsrichter, sondern im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung gemacht hat, führt ebenfalls nicht zum Vor-liegen eines Verwertungsverbots gemäß § 252 StPO. Denn die Verwertbarkeit der Angaben der Vernehmungsperson ergibt sich im Fall der Vernehmung einer jedenfalls zu diesem Zeitpunkt von der Schweigepflicht entbundenen Person nicht erst aus der besonderen Bedeutung der richterlichen  gegenüber einer sonstigen Vernehmung (vgl. dazu BGHSt 49, 72, 77; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 252 Rn. 14 mwN), sondern bereits dar-aus, dass die Vorschrift des § 252 StPO mangels der von ihr vorausgesetzten Pflichtenkollision des bei seiner Vernehmung im Ermittlungsverfahren von seiner Schweigepflicht entbundenen Berufsgeheimnisträgers von vorn-herein nicht anwendbar ist (vgl. BGH StV 1997, 233). Die vom Zeugen Dr. S. nach Entbindung von seiner ärztlichen Schweigepflicht im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung gemachten Angaben durften daher auch nach Widerruf der Entbindungserklärung seitens des Geschädigten durch Vernehmung der polizeilichen Vernehmungsbeamtin.

Man kann also den Berufsgeheimnisträger nicht nachträglich wieder sperren.