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Pflichti I: Grds. Pflichtverteidiger bei Berufung der StA, oder: Aber nicht bei vorläufiger Einstellung

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Den Reigen der für heute vorgesehenen Pflichtverteidigungsentscheidung eröffne ich mit dem OLG Naumburg, Beschl. v. 23.05.2019 – 1 Ws (s) 173/19, den mir der Kollege T. Reulecke aus Wernigerode geschickt hat. Das OLG hat mit dem LG die Bestellung des Kollegen als Pflichtverteidiger abgelehnt:

Mit Urteil vom 06.08.2018 hat das Amtsgericht Aschersleben den Angeklagten vom Vorwurf der umweltgefährdenden Abfallbeseitigung freigesprochen. Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft Magdeburg Berufung eingelegt. In der Berufungsverhandlung hat der Verteidiger des Angeklagten beantragt, dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Diesen Antrag des Angeklagten hat der Vorsitzende der Berufungskammer mit der Begründung abgelehnt, dass die Sach- und Rechtslage nicht schwierig sei. Anschließend ist das Verfahren im allseitigen Einverständnis der Verfahrensbeteiligten – Angeklagter, Verteidiger und die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft – vorläufig gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 300,– €, nach § 153 a Abs. 2 StPO, eingestellt worden.

Gegen die Ablehnung der Beiordnung hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 01.04.2019 Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Naumburg zur Entscheidung belegt.

Die Beschwerde des Angeklagten ist nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig. Auch wenn die Entscheidung im Rahmen der Berufungshauptverhandlung getroffen wurde, so ist sie dennoch mit der Beschwerde gemäß § 304 StPO anfechtbar, weil es sich nach zutreffender Auffassung nicht um eine der Urteilsfällung im Sinne von § 305 Satz 1 StPO vorausgehende Entscheidung handelt (vgl. Meyer Goßner/Schmidt, Strafprozessordnung, 62. Aufl., § 141 Rn. 10 a). Die Beschwerde ist auch nicht im Hinblick auf die Einstellung des Verfahrens nach § 153 a StPO unzulässig. Es fehlt weiterhin an einem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens, weil das Verfahren derzeit gemäß § 153 a StPO lediglich vorläufig eingestellt worden ist.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Da die Voraussetzungen nach § 140 Abs. 1 StPO nicht vorliegen und auch die Schwere der Tat i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO die Mitwirkung eines Verteidigers nicht erforderlich erscheinen lässt, kommt die Bestellung eines Pflichtverteidigers nur nach Maßgabe des § 140 Abs. 2 StPO unter dem Gesichtspunkt der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage in Betracht.

Vorliegend gebietet jedoch weder die Schwierigkeit der Sachlage noch die Schwierigkeit der Rechtslage die Bestellung eines notwendigen Verteidigers. Zwar wird dem Angeklagten in der Regel ein Verteidiger beizuordnen sein, wenn die Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes Urteil Berufung mit dem Ziel der Verurteilung des Angeklagten eingelegt hat. Hier ist indessen ein Ausnahmefall gegeben. Zweck der Beiordnung ist es, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Angeklagte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensabschluss gewährleistet ist. Dessen bedarf es vorliegend jedoch nicht. Der Angeklagte hat es selbst in der Hand, mit der Zahlung der Geldauflage eine endgültige Einstellung des Verfahrens zu bewirken. Eine Verurteilung droht derzeit nicht. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass das Verfahren nach Erfüllung der Auflage durch den Angeklagten endgültig eingestellt wird. Erst dann, wenn eine endgültige Einstellung des Verfahrens wegen Nichterfüllung der Auflage nicht erfolgt und das Berufungsverfahren fortgesetzt wird, bestünde gegebenenfalls Anlass, eine Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 2 StPO zu bestellen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 05.09.2017 – 1 Ws 411/17 – zitiert nach juris, Rn. 4).

Eine „bemerkenswerte“ Argumentation.

Pflichti III: Einstellung des Verfahrens, oder: Nachträgliche Beiordnung

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Und die dritte Entscheidung, der LG Magdeburg, Beschl. v. 26.03.2019 – 22 Qs 467 Js 21065/18 (161/19), behandelt ebenfalls eine Dauerproblematik im Recht der Pflichtverteidigung, nämlich die Frage der Zulässigkeit der nachträglichen Beiordnung des Rechtsanwalts, hier mal wieder nach Einstellung des Verfahrens nach § 154 StPO. Das LG ordnet bei:

„1. Die gem. § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde ist zulässig und erweist sich der Sache nach auch als begründet.

Zwar folgt die Kammer der überwiegenden Ansicht (vgl. hierzu Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, 61. Aufl., StPO, § 141, Rn. 8), dass nach dem endgültigen Abschluss eines Strafverfahrens die nachträgliche Beiordnung eines Verteidigers nicht mehr in Betracht kommt und ein darauf gerichteter Antrag unzulässig ist. Dies gilt auch für den Fall der Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO, die der Sache nach mit einer endgültigen Einstellung verbunden ist, die die gerichtliche Anhängigkeit beendet. Allerdings hält die Kammer in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung vieler Landgerichte eine rückwirkende Bestellung für zulässig, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gem. § 140, Abs. 1, 2 StPO vorlagen und die Entscheidung durch gerichtsinterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte (vgl. Landgericht Magdeburg, Beschluss vom 11. Oktober 2016, 23 Qs 18/16; Landgericht Hamburg, StV 2005, 207; Landgericht Saarbrücken, StV 2005, 82; Landgericht Itzehoe StV 2010, 562; Landgericht Neubrandenburg StV 2017, 724 mit zahlreichen Rechtssprechungs-nachweisen).

Die Voraussetzungen für eine nachträgliche Beiordnung liegen hier vor. Der Verteidiger hat rechtzeitig vor der Einstellung des Verfahrens den Antrag auf Beiordnung gestellt, indem er mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2018 seine Beiordnung beantragte. Das Amtsgericht Bernburg hat erst mit Einstellungs-beschluss vom 19. Februar 2019 eine Entscheidung über das Beiordnungs-begehren getroffen.

Schließlich lagen zum Zeitpunkt der Antragstellung die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO vor. Danach bestellt der Vorsitzende auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger, wenn wegen der Schwere der Tat oder Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Zwar erforderte hier nicht die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers, allerdings lagen die Voraussetzungen für eine Beiordnung aufgrund der Schwere der Tat vor. Die Schwere des Tatvorwurfs beurteilte sich vorliegend vor allem nach den vom Angeschuldigten zu erwartenden Rechtsfolgen. Nicht schon jede zu erwartende Freiheitsstrafe, aber eine Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe sollte in der Regel Anlass zur Beiordnung eines Verteidigers geben (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, 61. Aufl., StPO, § 140 Rn. 23 m. w. N.). Dahin stehen kann, ob angesichts der Verurteilung des Angeschuldigten durch das Amtsgericht Bernburg am 6. Dezember 2018 wegen unerlaubten Anbaues und Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen und eines weiteren anhängigen Strafverfahrens vor dem Amtsgericht Helmstedt (Geschäftsnummer: 10 Ds 211 Js 12776/18) wegen Diebstahls die hiesige Verurteilung – möglicherweise im Wege der nachträglichen – Gesamtstrafenbildung zu einer Verurteilung geführt hätte, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bei über einem Jahr Gesamtfreiheitsstrafe gelegen hätte. Allerdings drohten dem Angeschuldigten noch weitere sonstige schwerwiegende Nachteile, die er in Folge einer Verurteilung zu befürchten hatte, weil er die ihm vorgeworfene Tat innerhalb der aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Bernburg vom 22. Februar 2018 bestandenen Bewährungszeit begangen haben sollte. Angesichts des wegen der im hiesigen Verfahren dem Angeschuldigten vorgeworfenen Tat drohenden Bewährungswiderrufes der im Urteil des Amtgerichts Bernburg vom 22. Februar 2018 verhängten zehnmonatigen Freiheitsstrafe wäre im Falle der Verurteilung mit einer Straferwartung von mehr als einem Jahr zu verbüßende Freiheitsstrafe zu rechnen gewesen.

Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 28. Dezember 2018 war auch mit einer Verfahrenseinstellung – wie sich aus dem Akteninhalt ergibt – noch nicht zu rechnen, denn das Amtsgericht hat erst am 30. Januar 2019 die Sache mit der Bitte um Prüfung eine Einstellung gern. § 154 Abs. 2 StPO an die Staatsanwaltschaft übersandt, die zudem selbst in der Anklageschrift beantragt hat, dem Angeschuldigten einen Pflichtverteidiger gern. § 140 Abs. 2 StPO zu bestellen, Erst im Ergebnis der durch das Amtsgericht angeregten Einstellung des Verfahrens beantragte die Staatsanwaltschaft dies auch unter dem 7. Februar 2019.“

„Erfolgreiches“ SV-Gutachten im Bußgeldverfahren, oder: Erstattung aus der Staatskasse

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Ein (kleiner) Lichtblick in der Diskussion um die Akteneinsicht im Bußgeldverfahren und einem darauf beruhenden Sachverständigengutachten ist der AG Senftenberg, Beschl. v. 23.02.2017 – 50 OWi 1092/15, den mir der Kollege C. Pahlke aus Dresden übersandt hat. Der Kollege hatte in dem Bußgeldverfahren wegen einer Geschindigkeitsüberschreitung für den Betroffenen ein Sachverständigengutachten eingeholt. Dieses Gutachten hatte dann zur Einstellung des Verfahrens geführt. Die Kostend es Gutachtens sind im Rahmen der Kostenfestsetzung geltend gemacht worden. Und das AG sagt: Sie sind zu erstatten:

„Der nicht verurteilte Beschuldigte hat gemäß § 464 a Abs. 2 StPO nur Anspruch auf Erstattung der Auslagen, wenn diese im Sinne des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO notwendig waren. Grundsätzlich sind Kosten für ein Gutachten, welches vom Beschuldigten in Auftrag gegeben wurde, nicht als notwendige Auslagen gemäß § 464 a Abs. 2 StPO zu erstatten. Dies ergibt sich daraus, dass das Gericht und die Ermittlungsbehörden grundsätzlich zur Sachaufklärung verpflichtet sind.

In Ausnahmefällen kann jedoch die Erstattung der Gutachterkosten erfolgen,

  1. wenn das Gutachten zur Abwehr des Anklagevorwurfs unbedingt notwendig war ( OLG Koblenz Rechtspfleger 1978, 148)
  2. sich die Prozesslage des Beschuldigten andernfalls alsbald verschlechtert hätte ( OLG Düsseldorf NStZ 1997, 511)‘
  3. c.) der Beschuldigte damit rechnen musste, dass ein solches Gutachten keinesfalls erhoben wird (OLG Hamm NStZ 1989, 588)
  4. entsprechende Beweisanträge in der Vorinstanz abgelehnt wurden ( LG Braunschweig StraFo 2011, 377)
  5. bei komplizierten technischen Sachverhalten, wenn das Privatgutachten das Verfahren gefördert hat ( OLG Düsseldorf NStZ 1991, 353)

Erforderlich ist weiterhin die Notwendigkeit des Gutachtens zur zweckentsprechenden Prozessführung. Sie ist zu bejahen, wenn sich die Partei aufgrund fehlenden Sachkenntnisse oder wegen eines besonderen Schwierigkeitsgrades zu sachgerechtem Vortrag nicht in der Lage sieht und daher befürchten muss, ihrer Darlegungs- und Substantiierungslast nicht genügen, einen gebotenen Beweis nicht antreten oder Angriffe des Gegners nicht abwehren zu können. (BGHZ 153, 235 (238 f.), NJW 2003, 1398 (1399 f.) ; OLG Hamm NJW-RR 1996, 830 (831).

Auch der Gesichtspunkt der Waffen- und Chancengleichheit kann die Einholung eines Privatgutachtens notwendig erscheinen lassen.

Im vorliegenden Verfahren wurde durch die Anwaltskanzlei pp. ein Privatgutachten in Auftrag gegeben. Durch diese Kanzlei wurde dann mit Datum vom 22.09.2016 die Kostenerstattung beantragt.

Dem Bezirksrevisor wurde rechtliches Gehör gegeben, dieser verneint die Kostenerstattung des in Auftrag gegebenen Privatgutachtens.

In diesem Fall wurde dem Beschuldigten aufgrund Geschwindigkeitsüberschreitung ein Bußgeld in Höhe von 120,- Euro mit Datum vom 21.09.2015 in Rechnung gestellt. Die Messung wurde mittels eines standardisierten Messverfahrens vorgenommen. Der hier mit der Entscheidung betraute Richter konnte und musste auf die Richtigkeit des Messverfahrens vertrauen, die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das Gericht war somit nicht erforderlich. Zweifel an der Richtigkeit der Messung waren nicht gegeben, da es sich wie gesagt um ein standardisiertes Messverfahren handelt und der Richter sofort und ohne Gutachten entscheiden kann. Auch ein Beweisantrag durch den Beschuldigten hätte keine andere Vorgehensweise durch den Richter bewirkt. Nach Rücksprache mit dem zuständigen Richter wäre der Beschuldigte verurteilt worden mit der Folge, dass der Bußgeldbescheid Rechtskraft erlangt hätte.

Erst durch das vom Beschuldigten in Auftrag gegebene Privatgutachten wurde die Richtigkeit der Messung angezweifelt und daraufhin vom Gericht die Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens zur Überprüfung und Entscheidungsfindung in Auftrag gegeben. Dieses vom Gericht in Auftrag gegebene Gutachten bestätigte dann auch die Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit der Messung. Das Verfahren wurde deshalb eingestellt.

Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich somit, dass der Beschuldigte ohne sein in Auftrag gegebenes Gutachten zweifellos zur Zahlung des Bußgeldes verurteilt worden wäre und somit einen Nachteil erlitten hätte. Ohne dieses Privatgutachten hätte sich die Prozesslage für den Beschuldigten verschlechtert, insbesondere durch Kenntnis der Tatsache, dass ein Sachverständigengutachten durch. das Gericht nicht in Auftrag gegeben worden wäre. Das Privatgutachten war für den Freispruch des Beschuldigten ursächlich. Es sind somit die Ausnahmefälle hinsichtlich der Erstattung des Gutachtens eingetreten. Die Kosten sind daher als notwendige Auslagen einzuschätzen und damit zu erstatten.

Mal schauen, ob die Staatskasse das „schluckt“. Im Zweifel nicht.

LG Hagen: Die Unschuldsvermutung gilt auch im Adhäsionsverfahren, oder: Steine statt Brot

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Ist/war ein Adhäsionsverfahren anhängig, stellt sich, wenn das Strafverfahren z.B. nach § 153a StPO eingestellt wird, die Frage: Wer trägt eigentlich die dem Adhäsionskläger entstandenen Kosten und Auslagen? Ausgangspunkt für die Antwort ist § 472a StPO. Was bei seiner Anwendung zu beachten ist, ergibt sich noch einmal aus dem LG Hagen, Beschl. v. 09.01.2017 – 44 Qs 6/17 – mit folgendem Sachverhalt:

Gegen die Angeklagten war ein Strafverfahren anhängig, das vom AG nach vollständiger Auflagenerfüllung gem. § 153a Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Von der Entscheidung über einen anhängigen Adhäsionsantrag wurde gem. § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO abgesehen. Den Angeklagten wurden die durch den Adhäsionsantrag des Geschädigten entstandenen gerichtlichen Auslagen und die durch den Adhäsionsantrag angefallenen Auslagen des geschädigten Adhäsionsklägers als Gesamtschuldner auferlegt. Zur Begründung hat das AG angeführt, dass die Angeklagten der Einstellung des Verfahrens zugestimmt hätten und der Angeklagte zu 1) den dem Adhäsionskläger entstandenen Schaden wieder gut gemacht habe und die Angeklagten sich dadurch letztlich freiwillig in die Rolle der Unterlegenen im Adhäsionsverfahren begeben hätten. Daher erscheine es angemessen, den Angeklagten die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Adhäsionsklägers aufzuerlegen. Das gegen diese Kostenentscheidung gerichtete Rechtsmittel der Angeklagten hatte keinen Erfolg.

Allerdings:  Das LG weist zunächst daraufhin, dass die in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerte Unschuldsvermutung, auch für Entscheidungen über Kosten und Auslagen gilt. Vor Schuldspruchreife dürfen sie in keinem Fall ausdrücklich oder sinngemäß auf Erwägungen zur Schuld gestützt werden. Erwägungen zu einem nicht ausgeräumten Tatverdacht berühren die Unschuldsvermutung hingegen grundsätzlich nicht, weil sie nicht mit dem für eine Strafe typischen sozialethischen Unwerturteil verbunden sind. Es sei daher regelmäßig zulässig, einem Beschuldigten unter Hinweis auf einen verbleibenden Tatverdacht die Erstattung eigener Auslagen zu versagen. Für die Auferlegung von Verfahrenskosten oder anderer als eigener Auslagen des Strafverfahrens könne dies indes nicht in gleicher Weise gelten. Die mit Verdachtserwägungen begründete Auferlegung von Kosten oder Auslagen habe vielmehr regelmäßig einen sanktions- und strafähnlichen Charakter, weil sie den Schluss nahelegen kann, die Kostenfolge trete an die Stelle einer Bestrafung. Verdachtserwägungen sind deshalb grundsätzlich nicht geeignet, die Auferlegung von Kosten und anderer als eigener Auslagen zu rechtfertigen.

Dieser Maßstab ist nach Auffassung des LG auch anzuwenden, soweit die StPO die vereinfachte Geltendmachung zivilrechtlicher Entschädigungsansprüche gegen den Beschuldigten nach §§ 403 ff. StPO im Verbund mit dem Strafverfahren ermöglicht und hierzu in § 472a Abs. 2 StPO eine eigenständige Bestimmung über Auslagen enthält. Den Anforderungen an die Beachtung der Unschuldsvermutung werde die angegriffene amtsgerichtliche Auslagenentscheidung auch nicht gerecht. Schon die Begründung des AG, dass sich der Beschwerdeführer freiwillig in die Rolle des Unterlegenen im Adhäsionsverfahren begeben habe, verkenne den Charakter einer Zustimmung zur Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO sowie das Verhältnis von Straf- und Adhäsionsverfahren. Die Zustimmung zur Einstellung des Strafverfahrens enthalte weder ein Eingeständnis strafrechtlicher Schuld noch irgendeine Erklärung zu den im Adhäsionsverfahren verfolgten vermögensrechtlichen Ansprüchen des Verletzten.

Dann heißt es allerdings weiter:

„b) Allerdings können den Beschwerdeführern die Auslagen im Adhäsionsverfahren auferlegt werden, wenn sie einen nachvollziehbaren Anlass für den Adhäsionsantrag gegeben hat. Dabei dürfen aber ebenfalls nur solche Umstände zugrunde gelegt werden, die keiner weiteren Aufklärung bedürfen (vgl. dazu Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, aaO, m.w.N).

Im Rahmen der Hauptverhandlung vom 09.11.2015 haben sich die Angeklagten dahingehend geäußert, dass der Angeklagte pp.1 dem Geschädigten eine Kopfnuss gegeben habe und pp2. beim Losreißen den Geschädigten getroffen haben könnte. Dadurch haben sie zumindest einen nachvollziehbaren Anlass für die Stellung eines Adhäsionsantrages gegeben, so dass den Angeklagten die Auslagen im Adhäsionsverfahren auferlegt werden durften.“

Anzumerken ist: Die Ausführungen zur Geltung der Unschuldsvermutung bei einer Einstellung nach § 153a StPO sind lesenswert und zutreffend. Sie entsprechen vor allem auch der Rechtsprechung des BVerfG (grundlegend BVerfG NJW 1992, 1612). Zutreffend ist es auch, wenn das LG sie auf das Verhältnis Angeklagter/Adhäsionskläger ausdehnt, denn insoweit kann nichts anderes gelten.

Allerdings hat den Angeklagten das hier nichts gebracht. Denn das LG hat dei Einlassung der Angeklagten herangezogen, die es erlaube, den Angeklagten die Auslagen im Adhäsionsverfahren aufzuerlegen. Letztlich gibt die Entscheidung mit diesen Erwägungen m.E. den Angeklagten „Steine statt Brot“. Zwar wird die Bedeutung Unschuldsvermutung betont, aber: Im Ergebnis wird sie dann doch nicht beachtet, wenn die Einlassung der Angeklagten herangezogen wird.

Klassiker: Wenn der Eröffnungsbeschluss fehlt, wird eingestellt….

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Der Eröffnungsbeschluss (§ 203 StPO) ist Verfahrensvoraussetzung. Wenn er fehlt, muss das Verfahren (von Amts wegen) eingestellt werden, und zwar auch noch vom Revisionsgericht. Das ruft noch einmal der BGH, Beschl. v. 04.08.2016 –  4 StR 230/16 – in Erinnerung:

„Hinsichtlich der Tat II.1 der Urteilsgründe ist das Verfahren einzustellen, da es insoweit an der Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses fehlt.

1. Wegen der Körperverletzungstat erhob die Staatsanwaltschaft mit Anklageschrift vom 24. Juni 2014 Anklage zum Amtsgericht – Strafrichter – Witten. Nachdem der Strafrichter das Verfahren am 10. September 2014 zur Übernahme vorgelegt hatte, übernahm das Amtsgericht – Schöffengericht – Witten das Verfahren mit Beschluss vom 12. September 2014 und verband es mit dem dort anhängigen Verfahren, welches aufgrund der Anklageschrift vom 29. August 2014 die Tat II.2 der Urteilsgründe zum Gegenstand hatte. Am 12. September und 30. September 2014 ergingen acht weitere Beschlüsse, mit denen das Amtsgericht – Schöffengericht – Witten jeweils die Übernahme von Verfahren hinsichtlich beim Amtsgericht – Strafrichter – Witten erhobener Anklagen und deren Verbindung zu dem beim Amtsgericht – Schöffengericht – Witten anhängigen Verfahren beschloss. Mit Beschluss vom 27. November 2014 ließ das Amtsgericht – Schöffengericht – Witten die Anklage der Staatsanwaltschaft vom 29. August 2014 zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren. Die weiteren Anklagen, einschließlich der Anklage vom 24. Juni 2014 bezüglich der Tat II.1 der Urteilsgründe, finden in dem Eröffnungsbeschluss vom 27. November 2014 keine Erwähnung. Insoweit sind auch später keine Eröffnungsentscheidungen ergangen.

2. Damit fehlt es für die Tat II.1 der Urteilsgründe an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss. Die Eröffnungsentscheidung vom 27. November 2014 bezog sich ausdrücklich nur auf die Anklage vom 29. August 2014 und nicht auf die Anklage vom 24. Juni 2014. Ihr kann, bezogen auf die Anklage vom 24. Juni 2014, auch nicht die Bedeutung einer konkludenten Eröffnung des Hauptverfahrens beigemessen werden. Zur Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 203 StPO genügt zwar eine schlüssige und eindeutige Willenserklärung des Ge-richts, die Anklage nach Prüfung und Bejahung der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zuzulassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Dezember 1999 – 2 StR 376/99, NStZ 2000, 442, 443 mwN; vom 3. Mai 2001 – 4 StR 59/01, bei Becker, NStZ-RR 2002, 68; vom 5. Februar 1998 – 4 StR 606/97, BGHR StPO § 203 Beschluss 4). Dem Beschluss vom 27. November 2014, der sich nach seinem Wortlaut ausschließlich auf die Anklage vom 29. August 2014 bezieht, ist aber mit der erforderlichen Sicherheit nicht zu entnehmen, dass das Amtsgericht – Schöffengericht – Witten hinsichtlich der Anklage vom 24. Juni 2014 die Eröffnungsvoraussetzungen geprüft und angenommen hat. Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass in der im Zusammenhang mit dem Beschluss vom 27. November 2014 ergangenen Terminsverfügung die Ladung von zwei Zeugen zu dem mit Anklage vom 24. Juni 2014 erhobenen Tatvorwurf angeordnet wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 20. No-vember 1987 – 3 StR 493/87, BGHR StPO § 203 Beschluss 1).

Das Fehlen des Eröffnungsbeschlusses stellt ein in diesem Verfahren nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis dar, das die Einstellung des Verfahrens zur Folge hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. September 2011 – 3 StR 280/11, NStZ 2012, 225, 226; vom 9. Januar 1987 – 3 StR 601/86, NStZ 1987, 239; vom 15. Mai 1984 – 5 StR 283/84, NStZ 1984, 520; vom 9. Juni 1981 – 4 StR 263/81, DRiZ 1981, 343; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 207 Rn. 12 mwN; Seidl in KMR, § 203 Rn. 11 ff. [Stand Mai 2012]; Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 207 Rn. 84 ff.).

Im Grunde: Ein Klassiker 🙂 .