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„Hier läuft etwas schief., oder: Wenn der Angeklagte mit einem eigenen Wiedereinsetzungsantrag zu lange wartet…

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Urheber Ulfbastel

Nach dem BVerfG, Beschl. v. 16.12.2016 – 2 BvR 2422/16 (dazu  Etwas (zu) schnell war das OLG Dresden mit der Verwerfung, oder: Das BVerfG richtet es…..) eine weitere obergerichtliche Entscheidung, die Wiedereinsetzungsfragen zum Gegenstand hat, und zwar der BGH, Beschl. v. 21.02.2017 – 3 StR 551/16. Der BGH hat Wiedereinsetzung nicht gewährt. Dieses Mal aber nicht wegen eines vom Verteidiger unzureichend begründeten Antrags, sondern, weil den Angeklagten an der verspäteten Antragstellung selbst ein Verschulden (§§ 44, 45 StPO) traf, obwohl Ausgnagspunkt schon schlampige Arbeit des Verteidigers ist.

Das LG hatte den Angeklagten am 14.04.2016 verurteilt, dagegen hatte der Angeklagte mit einem am 22.04.2016 beim LG eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers Revision eingelegt. Das LG hat die Revision durch Beschluss vom 11.05.2016 als unzulässig verworfen. Der Beschluss ist dem Verteidiger am 07.06. 2016 zugestellt worden. Mit einem dann am 01.11.2016 beim LG eingegangenen Schreiben hat der Angeklagte selbst Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision beantragt.Dazu der BGH:

„Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat er ausgeführt:

Er habe am 13. Mai 2016 von dem Verwerfungsbeschluss des Landgerichts vom 11. Mai 2016 Kenntnis erlangt. Er habe sich noch am selben Tag mit seinem Verteidiger in Verbindung gesetzt. Dieser habe ihm erklärt, dass er Rechtsmittel gegen den Beschluss einlegen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen werde. In den folgenden Monaten habe sein Verteidiger ihm auf seine Nachfragen immer wieder gesagt, alle nötigen Schritte eingeleitet, insbesondere Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt zu haben; seiner wiederholten Bitte, ihm Abschriften der Schriftsätze zukommen zu lassen, sei der Verteidiger nicht nachgekommen. Erst nachdem er mit Schreiben vom 21. Oktober 2016 bei der Staatsanwaltschaft nachgefragt habe, habe er durch deren Antwort, die ihm am 27. Oktober 2016 zugegangen sei, erfahren, dass sein Verteidiger nie einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt habe.

Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 28. Dezember 2016 dazu ausgeführt:

„Der Wiedereinsetzungsantrag bleibt ohne Erfolg. Er ist nicht innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO gestellt, da der Angeklagte nach seinem Vortrag bereits am 13. Mai 2016 von dem Beschluss des Landgerichts Lüneburg vom 11. Mai 2016, mit welchem die Revision gem. § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen wurde, Kenntnis hatte.

Auch mit seinem Vorbringen, er sei davon ausgegangen, dass sein Verteidiger rechtzeitig Weidereinsetzungsantrag in die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gestellt und er erst durch das Schreiben der Staatsanwaltschaft am 27.10.2016 davon Kenntnis erlangt hatte, dass dies nicht der Fall war, dringt der Antragsteller nicht durch. Soweit hierin ein Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung der Frist nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO zu sehen ist, war der Antragsteller ausweislich der von ihm vorgelegten schriftlichen Unterlagen jedenfalls nicht ohne sein eigenes Verschulden im Sinne des § 44 Abs. 1 StPO an einer Antragstellung vor dem 1. November 2016 gehindert. Aus dem Whats-App-Verkehr mit dem Verteidiger ergibt sich, dass der Antragsteller bereits am 26. September 2016 den Schriftsatz über den Wiedereinsetzungsan-trag anforderte. Gleiches geschah mit E-Mails vom 28. September und 4. Oktober 2016 an den Verteidiger, ohne dass dieser den erbetenen Schriftsatz zum Wiedereinsetzungsantrag bzw. zur Revision in dieser Sache vorlegte. In dem Whats-App-Chat vom 13. Oktober 2016 an den Verteidiger äußerte der Angeklagte in Bezug auf die von ihm angeforderten Schriftsätze und namentlich die hier vorliegende Strafsache: ‚Hier läuft doch etwas total schief!!‘. Daraus ergibt sich, dass der Antragsteller bereits wesentlich vor dem Datum der Stellung des Wiedereinsetzungsantrags vom 1. November 2016 Zweifel an der Zuverlässigkeit des Verteidigers haben musste und spätestens bis Mitte Oktober 2016 zur Vermeidung eines eigenen Verschuldens einen Antrag auf Wiedereinsetzung entweder selber hätte stellen müssen oder durch einen zuverlässigen Verteidiger hätte einreichen lassen müssen.“

Wiedereinsetzung I: Wenn „Mutti“ mit dem Briefkastenschlüssel abhaut, muss man was tun

entnommen wikimedia.org Urheber: Sarang

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Heute dann mal ein „Wiedereinsetzungstag“. Dazu zunächst der OLG Hamm, Beschl. v. 03.05.2016 – 4 Ws 103/16, der auch schon in anderen Blogs gelaufen ist – Stichwort: Ehefrau ist mit dem Brifekastenschlüssel abgehauen. In dem Beschluss st die Wiedereinsetzung in die Versäumung der Beschwerdefrist gegen einen Widerrufsbeschluss verweigert worden. Der Verurteilte hatte geltend gemacht, dass seine Ehefrau nach einem Streit am  01.12.2015 die gemeinsame Wohnung verlassen und bis zum 12.12.2015 (einschließlich) ortsabwesend bei Verwandten in Bad Driburg bzw. Pirmasens gewesen sei. Zugestellt worden war am 04.12.2015 . Das OLG hat das nicht gelten lassen:

„Derjenige, der der Wahrnehmung seiner Rechte mit vermeidbarer Gleichgültigkeit gegenübersteht, ist aber nicht schützenswert. Von einem Betroffenen kann verlangt werden, dass er selbst zumutbare Anstrengungen zum “Wegfall des Hindernisses” unternimmt, wenn er dazu Anlass hat und in der Lage ist (BVerfG NJW 1993, 847). Derjenigen, der den Zugang zu seinem Briefkasten zwar unverschuldet verliert, sich aber nicht um einen baldmöglichsten erneuten Zugang kümmert, handelt jedenfalls hinsichtlich einer Fristversäumnis schuldhaft, die bei umgehender Ergreifung von Maßnahmen zur Zugangsverschaffung vermeidbar gewesen wäre. Insoweit ist die Situation nämlich nicht anders, als die, in der jemand aktiv selbst die Zugangsmöglichkeit zu seinem Briefkasten zunichtemacht (etwa durch Zerstören oder Wegwerfen des Schlüssels) oder sich einfach nicht um den Posteingang in seinem Briefkasten kümmert.

Hier ist nicht erkennbar, dass der Verurteilte irgendwelche Anstrengungen unternommen hat, an dem o.g. Zustand, der ihm bekannt war, etwas zu ändern. Aufgrund der ihm bekannten Abwesenheit der Besitzern des einzigen Briefkastenschlüssels, hätte er dazu aber Anlass gehabt. Der Verurteilte handelte mithin in vermeidbar gleichgültiger Weise. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass er seine Ehefrau um Überlassung des Briefkastenschlüssels ersucht oder (ggf. im Einvernehmen mit dem Eigentümer der Briefkastenanlage) eine Öffnung des Briefkastens durch einen Schlüsseldienst versucht hat. Da die Ehefrau die gemeinsame Wohnung unter Mitnahme des Schlüssels bereits am 01.12.2015 (einem Freitag) verlassen hatte, ist nicht ersichtlich, warum es dem Verurteilten nicht möglich gewesen sein sollte, sich spätestens bis zum Tag der Zustellung des Widerrufsbeschlusses am 04.12.2015 (einem Dienstag) oder jedenfalls rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsmittelfrist eine Zugangsmöglichkeit zum Briefkasten zu verschaffen. Dann wäre eine rechtzeitige Rechtsmitteleinlegung problemlos möglich gewesen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Verurteilte mit Zustellungen seitens des Gerichts rechnen musste oder nicht.“

Wiedereinsetzung, eigenes Verschulden, oder: Ohne Auftrag muss der Verteidiger nichts tun.

© fotomek - Fotolia.com

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Wiedereinsetzungsfragen stellen sich im Strafverfahren häufiger. Meist gehen diese Fragen für die Angeklagten aber glimpflich aus, da ihnen ein Verschulden des Verteidigers nur ausnahmsweise zugerechnet wird bzw. die Rechtsprechung nur selten ein eigenes Verschulden des Angeklagten annimmt. Aber das ist nicht immer der Fall, wie der BGH, Beschl. v. 23.09.2015 – 4 StR 364/15 – zeigt.

Da war in einem BtM-Verfahren nach der Urteilsverkündung zwischen dem Angeklagten und dem Verteidiger nicht geklärt, ob denn nun Rechtsmittel eingelegt werden soll oder nicht. Der BGH geht jedenfalls davon aus, dass die Frage der Einlegung eines Rechtsmittels nicht unmittelbar nach der Urteilsverkündung verbindlich durch eine dahingehende Weisung der Angeklagten entschieden worden war und ihr er  Pflichtverteidiger in der Folgezeit dieser Weisung abredewidrig nicht nachgekommen wäre. Vielmehr war die endgültige Entscheidung noch von einer entsprechenden Willensäußerung der Angeklagten abhängig. In der Situation sagt der BGH, dass ein Angeklagter, der die definitive Zusage seines Verteidigers, ein Rechtsmittel einzulegen, noch nicht erhalten hat, während des Laufs der Einlegungsfrist nicht darauf vertrauen kann, dass dies gleichwohl geschieht. Wenn er es tut, liegt eigenes Verschulden vor. Und/denn:

„c) Vor diesem Hintergrund geht auch die Auffassung der neuen Wahlverteidigerin der Angeklagten fehl, ihr damaliger Pflichtverteidiger hätte rein vorsorglich Revision einlegen müssen, da mangels telefonischer Erreichbarkeit der Angeklagten eine definitive Klärung über die Rechtsmitteleinlegung innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht erfolgen konnte. Gerade weil die Frage der Revisionseinlegung noch offen war, war es Sache der Angeklagten, dafür Sorge zu tragen, dass ihr Verteidiger sie für eine Rücksprache erreichen konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 1996 – 2 StR 426/96, NStZ 1997, 95). Dass die Angeklagte, der die Wochenfrist zur Einlegung der Revision ausweislich ihrer eigenen Erklärung bekannt war, angenommen haben könnte, diese Frist sei eine reine Bedenkzeit und umfasse nicht zugleich die für den rein technischen Vorgang der Einlegung des Rechtsmittels erforderliche Zeitspanne, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Zwar war die Absendung des unter dem 12. März 2015 abgefassten, an die Postanschrift der Angeklagten in den Niederlanden gerichteten Schreibens ihres Pflichtverteidigers mit der Aufforderung, sich zur Frage der Einlegung der Revision nunmehr zu erklären, im Hinblick auf die am nächsten Tag ablaufende Frist ersichtlich verspätet und deshalb wenig sachdienlich. Das eigene Verschulden der Angeklagten wird dadurch aber nicht beseitigt (vgl. Senatsbeschluss vom 22. August 2012 – 4 StR 299/12).“

Tja, da kann man nur raten, dass eindeutige Absprachen getroffen werden. Und wenn nicht, nicht erst unmittelbar vor Fristablauf die Mandantin anschreiben :-). Ist „wenig sachdienlich“.

Keine Wiedereinsetzung, oder: Das eigene Verschulden wird zu einem des Verteidigers?

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Es gibt – so finde ich – dann doch recht viele Entscheidungen des BGH zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 44, 45 StPO). Dabei sind die, in denen der BGH dem Verteidiger ein Verschulden an einer Fristversäumung „vorwirft“ i.d.R. für den Angeklagten nicht so fatal, da dem Angeklagten das Verschulden seine Verteidigers nicht zugerechnet wird. „Schlimmer“ sind die, in denen der BGH ein eigenes Verschulden des Angeklagten an der Fristversäumung sieht. Das war es dann nämlich mit dem Rechtsmittel, weil dann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen ist. So jetzt der BGH, Beschl. v. 09.10.20174 – 4 StR 374/14 mit einer in der Praxis sicherlich häufigeren Konstellation:

„1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist bleibt ohne Erfolg, weil der Angeklagte weder dargelegt noch glaubhaft gemacht hat, dass er ohne Verschulden gehindert war, die versäumte Frist einzuhalten (§ 44 Abs. 1 StPO).

Dem Angeklagten war aus dem Schreiben seines früheren Verteidigers vom 5. Juni 2014 bekannt, dass dieser die nur „fristwahrend“ (vgl. den Revisionseinlegungsschriftsatz vom 15. Mai 2014) eingelegte Revision für nicht aussichtsreich hielt und sich dabei im Einvernehmen mit ihm sah. Unter diesen Umständen musste er damit rechnen, dass sein Verteidiger die Revision – ungeachtet einer vorherigen anderslautenden Absprache, für die es zudem an jeder Glaubhaftmachung fehlt – nicht von sich aus begründen würde. Wenn der Angeklagte seine Revision gleichwohl durchführen wollte, hätte er dies seinem früheren Verteidiger ausdrücklich mitteilen, einen anderen Rechtsanwalt beauftragen oder die Revision selbst zu Protokoll der Geschäftsstelle begründen müssen. Da er stattdessen untätig blieb und die Frist zur Begründung der Revision verstreichen ließ, trifft ihn an der Versäumung der Frist ein Verschulden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 1989 – 4 StR 537/89, BGHR StPO § 44 Satz 1 Verhinderung 9; Beschluss vom 13. März 1984 – 4 StR 56/84, Rn. 2; MüKoStPO/Valerius, § 44 Rn. 56).

Was man sich jetzt natürlich fragen kann/muss: Und wie ist es dann jetzt doch mit einem Verschulden des Verteidigers? Muss er nicht ggf. den Mandanten über das, was er nach einem „fristwahrenden Rechtsmittel“ ggf. tun muss ausdrücklich belehren? Und handelt es sich, wenn er es nicht tut, dann nicht doch wieder um ein Verschulden des Verteidigers? Ich würde den Mandanten in diesen Fällen (ausdrücklich) so bzw. darüber belehren, was der BGH wünscht.

So klappt das nicht mit der Wiedereinsetzung…

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Tja, da muss man wohl wirklich am Vortrag des Angeklagten, mit dem er ein Wiedereinsetzungsgesuch begründet hat, zweifeln. Zumindest ist sein Vortrag nicht glaubhaft gemacht, so dass der BGH den Antrag als unzulässig zurückgewiesen hat (vgl. BGH, Beschl. v. 22.08.2012 -4 StR 299/12). Da konnte auch die neue Verteidigerin nichts mehr retten:.

„…
1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig. Der Angeklagte hat zwar behauptet, bereits am 7. Juni 2012, also einen Tag vor Fristablauf, den Brief vom 6. Juni 2012 in der Justizvollzugsanstalt in einem Begleitumschlag für ab-gehende Briefe zur Post gegeben zu haben. Er hat aber diese zur Begründung seines Antrags maßgebliche Tatsache entgegen § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr ist seine Behauptung durch die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 26. Juni 2012 widerlegt, wonach sich die Justizbeamtin K. am 7. Juni 2012 nicht im Dienst befand und am Feiertag von Gefangenen keine Briefpost entgegengenommen wird. Dies steht in Einklang mit der vom Gefangenen selbst auszufüllenden Datumsangabe „8/6/12“ auf dem Begleitumschlag für abgehende Briefe. Durch die Abgabe des Briefes erst am Tage des Fristablaufs hat der Angeklagte die Frist schuldhaft versäumt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Mai 1997 – 1 StR 142/97, BGHR StPO § 44 Verschulden 4). Ebenso wenig hat der Angeklagte die Absendung eines Briefes mit einem Auftrag zur Revisionseinlegung an seinen Verteidiger am 4. Juni 2012 glaubhaft gemacht (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 45 Rn. 9 mwN).

Soweit die neue Pflichtverteidigerin, Rechtsanwältin M. -H. , ein Verschulden der früheren Verteidiger darin sieht, dass sie den Angeklagten erst am 22. Juni 2012 in der Justizvollzugsanstalt besucht haben, ist der Vortrag verspätet (vgl. Meyer-Goßner aaO Rn. 5). Im Übrigen würde dadurch das eigene Verschulden des Angeklagten, seine Verteidiger nicht rechtzeitig mit der Revisionseinlegung beauftragt zu haben, nicht beseitigt (vgl. Meyer-Goßner aaO § 44 Rn. 12b).“