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StGB I: Voraussetzung für räuberische Erpressung, oder: (Objektbezogener) Erzwungener Gewahrsamswechsel

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Wir beginnen den heutigen StGB-Tag zum Warmwerden mit einem (kleinen) BGH-Beschluss, und zwar dem BGH, Beschl. v. 2 StR 139/24.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung und versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung verurteilt. Die Revision hatte teilweise Erfolg:

1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit ihn das Landgericht des Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung, der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und der versuchten räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung für schuldig befunden hat. Dagegen hält der Schuldspruch der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall II.4. der Urteilsgründe wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung verurteilt hat.

a) Nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts betrat der Angeklagte auf der Suche nach Geld oder anderen stehlenswerten Gegenständen am Morgen des durch die unverschlossene Tür ein zu diesem Zeitpunkt noch nicht geöffnetes Restaurant in Frankfurt-Sachsenhausen. Dabei war er auch bereit, im Restaurant anwesenden Personen Bargeld oder andere Wertgegenstände wegzunehmen oder diese gewaltsam zur Herausgabe solcher Gegenstände zu veranlassen. Im Restaurant durchsuchte der Angeklagte zunächst erfolglos den Gastraum, bevor er sich in Richtung der Sanitärräume begab, wo er auf die als Reinigungskraft tätige Geschädigte traf. Er forderte diese auf, ihm ihr Geld auszuhändigen, und schlug ihr, um seine Forderung zu unterstreichen, mit der flachen Hand ins Gesicht. Nachdem der Geschädigten – ohne dass es zu einer Herausgabe von Geld gekommen wäre – die Flucht gelungen war, verließ der Angeklagte das Restaurant durch den Gastraum. Dort entdeckte er auf dem Tresen ein zum Inventar des Restaurants gehörendes Mobiltelefon im Wert von 400 €, das er an sich nahm.

b) Diese Feststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch wegen räuberischer Erpressung nicht. Zwar ermöglichte die Flucht der Geschädigten dem Angeklagten, das im Gastraum des Restaurants liegende Mobiltelefon an sich zu nehmen. Allerdings belegen die Feststellungen der Strafkammer nicht, dass die Gewaltanwendung des Angeklagten gegenüber der Geschädigten (auch) der erstrebten Überlassung des zum Inventar des Restaurants gehörenden Mobiltelefons diente. Der Angeklagte wollte die Geschädigte vielmehr zur Herausgabe von Bargeld nötigen, was ihm jedoch durch deren Flucht misslang. Den konkreten Tatentschluss zur Wegnahme des sich im Gastraum befindlichen Mobiltelefons fasste der Angeklagte erst nach der Flucht der Geschädigten, sodass es – entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts – an der notwendigen Verknüpfung zwischen Raubmittel und Wegnahme fehlt (vgl. MüKo-StGB/Sander, 4. Aufl., § 249 Rn. 8). Feststellungen zu einem erzwungenen Gewahrsamswechsel gerade im Hinblick auf das entwendete Mobiltelefon hat die Strafkammer nicht getroffen. Die Tat stellt sich daher als versuchte räuberische Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung (in Bezug auf das Handeln des Angeklagten gegenüber der Geschädigten) und mit Diebstahl (durch Wegnahme des Mobiltelefons) dar.“

StGB III: Ausreichende Feststellungen beim Diebstahl, oder: Wenn im Urteil nichts drin steht

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Und dann habe ich hier noch etwas vom BayObLG.

Das hat im  BayObLG, Beschl. v. 03.06.2024 – 203 StRR 172/24 – zu den erforderlichen Feststellungen beim Diebstahl (§ 242 StGB) Stellung genommen, und zwar wie folgt:

Beschränkt sich die Feststellung des erstinstanzlichen Tatrichters darauf, dass der Angeklagte am Tattag in den Geschäftsräumen eines Verbrauchermarkts Lebensmittel im Wert von 34.00 Euro entwendete, um diese ohne Bezahlung für sich zu behalten, erweist sich in der Revision die Beschränkung der Berufung auf die Rechtsfolgen als unwirksam, sofern nicht das Berufungsgericht eigene weitere Feststellungen zum Tatablauf getroffen hat.

Verkehrsrecht III: Tanken, ohne bezahlen zu wollen, oder: Diebstahl oder Betrug?

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Und dann zum Tagesschluss der BGH, Beschl. v. 08.11.2022 – 5 StR 318/22. Schon etwas älter, aber ich bin erst jetzt auf ihn gestoßen.

Wie gesagt: Heute Entscheidungen mit „verkehrsrechtlichem Einschlag“. Da passt dann auch die, und zwar wegen der Ausführungen des BGH zur Abgrenzung von Betrug und Diebstahl beim Tanken, ohne bezahlen zu wollen. Ja, ja, ich weiß…… 🙂 .

Das LG hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung und wegen Diebstahls verurteilt. Der BGH hat die dagegen eingelegte Revision nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen, aber den Schuldspruch geändert:

„1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der Angeklagte fuhr am Abend des 11. Januar 2019 gemeinsam mit den zwei gesondert Verfolgten K. und M. an eine Autobahntankstelle. Sie hatten verabredet, den Pkw zu betanken, ohne den Kraftstoff zu bezahlen, und die Tankstelle unter Verwendung eines Messers zu überfallen. Der Angeklagte ließ die beiden gesondert Verfolgten im Bereich der Toiletten aussteigen. Danach fuhr er zu einer nur wenige Meter entfernten Zapfsäule und tankte um 20 Uhr für 56,24 Euro, wobei er den Kopf gesenkt hielt und sich bemühte, sein Gesicht verdeckt zu halten; zuvor hatte er das Kennzeichen abgedeckt. Der Tankstellenmitarbeiter D. bemerkte den Tankvorgang nicht.

b) Nach der Beendigung des Tankvorgangs stellte der Angeklagte das Auto um 20.02 Uhr fluchtbereit vor den Toiletten ab und betrat nur wenige Sekunden später gemeinsam mit K.  und M. den Verkaufsraum der Tankstelle. Der Angeklagte stellte sich an den Kassentresen, sodass der Tankstellenmitarbeiter annahm, einen zahlungswilligen Kunden vor sich zu haben. Tatsächlich diente dieses Vorgehen der Umsetzung des Überfallplans. Der Angeklagte lenkte D.  nun mit einer Frage nach Zigaretten ab. Der gesondert Verfolgte K. nutzte dies aus, um hinter den Verkaufstresen zu gehen und dem Tankstellenmitarbeiter ein Messer an den Hals zu halten. Auf Aufforderung des Angeklagten und der gesondert Verfolgten öffnete D.  die Kasse, aus der M. 650 Euro entnahm. Anschließend flüchteten sie mit dem Auto des Angeklagten. Die Beute teilten sie untereinander auf.

2. Auf Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bedarf der Schuldspruch der Korrektur.

a) Der Generalbundesanwalt hat mit Recht darauf hingewiesen, dass derjenige, dessen Bestreben beim Tanken von Anfang an darauf gerichtet ist, das Benzin an sich zu bringen, ohne den Kaufpreis zu entrichten, sich nicht – wie vom Landgericht angenommen – des Diebstahls (oder der Unterschlagung), sondern des Betruges gemäß § 263 StGB schuldig macht. Wird der unter Vorspiegelung der Zahlungsbereitschaft durchgeführte Tankvorgang – wie hier – nicht vom Tankstellenpersonal bemerkt, ist der Täter wegen versuchten Betruges zu verurteilen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2012 – 4 StR 632/11, NJW 2012, 1092 f.; vom 9. März 2021 – 6 StR 74/21). Seine Bemühungen, unentdeckt zu bleiben, ändern an dieser rechtlichen Beurteilung nichts.

b) Zutreffend haben sowohl der Generalbundesanwalt als auch der Beschwerdeführer ausgeführt, dass sich der Angeklagte nach dem für die rechtliche Bewertung des vermögensschädigenden Verhaltens maßgeblichen äußeren Erscheinungsbild nicht wegen einer besonders schweren räuberischen Erpressung strafbar gemacht hat; er ist stattdessen des besonders schweren Raubes nach § 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2 Nr. 1, § 25 Abs. 2 StGB schuldig (vgl. BGH, Urteile vom 22. Oktober 2009 – 3 StR 372/09, NStZ-RR 2010, 46, 48; vom 12. August 2021 – 3 StR 474/20).

c) Schließlich hat der Generalbundesanwalt zu Recht durchgreifende Bedenken gegen die konkurrenzrechtliche Beurteilung des Landgerichts geltend gemacht. Der Tankvorgang und der Raubüberfall auf die Tankstelle beruhten auf einem einheitlichen Tatentschluss und spielten sich binnen drei Minuten am selben, lediglich einige Quadratmeter umfassenden Ort ab. Die Handlungen des Angeklagten gingen ohne Zäsur ineinander über. Bei natürlicher Betrachtungsweise stellt sich das gesamte Tätigwerden des Angeklagten auch aus der Sicht eines Dritten als ein einheitlich zusammengefasstes Tun dar (sogenannte natürliche Handlungseinheit) und steht daher im Verhältnis der Tateinheit im Sinne von § 52 StGB zueinander (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 – GSSt 4/17, BGHSt 63, 1, 6).

d) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. Die Vorschrift des § 265 StPO steht nicht entgegen, weil der Angeklagte sich nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.“

Aber – natürlich:

„3. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Bewertung eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte (§ 337 StPO). Die Einsatzstrafe hätte es ebenfalls im Strafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB finden müssen. Die Änderung der konkurrenzrechtlichen Bewertung führt zwar zum Wegfall der gesondert verhängten Einzelfreiheitsstrafe von drei Monaten. Angesichts der Einsatzstrafe von fünf Jahren sowie der einbezogenen Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten ist es auszuschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Rechtsanwendung eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe festgesetzt hätte, zumal die unterschiedliche rechtliche Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses bei wie hier unverändertem Schuldumfang kein maßgebliches Kriterium für die Strafbemessung ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2012 – 2 StR 294/12; vom 21. März 2019 – 3 StR 458/18, NStZ 2020, 232, 233).“

U-Haft III: Unbestrafter Asylbewerber in Erstaufnahme, oder: Fluchtgefahr, ja oder nein?

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Und dann zum Tagesschluss noch der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 26.10.2021 – 12 Qs 75/21 – der sich mit der Frage des Vorliegens von Fluchgefahr, bei einem eines einzelnen Diebstahls (Wert des Diebesguts: 105 EUR) verdächtigen, bislang nicht vorbestraften Beschuldigte, der sich als Asylbewerber gewöhnlich in einer Erstaufnahmeeinrichtung aufhält – in der er keinen Wohnsitz i.S.d. § 7 BGB begründet hat,  befasst. Das LG hat mit dem AG „Fluchtgefahr“ i.S. von § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO verneint:

„Die zulässig erhobene Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Amtsgericht den beantragten Haftbefehl nicht erlassen.

Der von der Staatsanwaltschaft angenommene Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) ist nach Aktenlage nicht gegeben. Fluchtgefahr ist anzunehmen, wenn es aufgrund bestimmter Tatsachen bei Würdigung der Umstände des Falles wahrscheinlicher ist, der Beschuldigte werde sich dem Verfahren entziehen als dass er sich ihm stellen werde (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2014 – 1 StR 726/13, juris Rn. 15; Lind in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 112 Rn. 48 m.w.N.).

1. Nicht weiterführend ist in diesem Zusammenhang allerdings der von der Beschwerde vertiefte Punkt, dass die Beschuldigten in der Erstaufnahmeeinrichtung keinen Wohnsitz i.S.d. § 7 BGB innehaben. Der Wohnsitz wird begründet durch die tatsächliche Niederlassung verbunden mit dem Willen, den Ort zum ständigen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen (BayObLG, Beschluss vom 30. April 1985 – BReg 1 Z 16/85, juris Rn. 18). Das ist bei einer Erstaufnahmeeinrichtung ersichtlich nicht der Fall. Das ist für das Strafverfahren aber auch unerheblich. Erforderlich und ausreichend ist dort vielmehr, dass mit einer zügigen und geordneten Durchführung des Verfahrens gerechnet werden kann. Grundbedingung hierfür ist die Kommunikationsmöglichkeit zwischen Staatsanwaltschaft bzw. Gericht und dem Beschuldigten, wozu etwa gehört, dass Zustellungen an den Beschuldigten ausgeführt werden können. Das verlangt aber nicht ein Maß an Ortsstabilität, wie es bei einem Wohnsitz der Fall wäre. Ausreichend ist, wenn sich der Beschuldigte an einem der Justiz bekannten Ort aufhält und dort zuverlässig kontaktiert werden kann (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 11. Dezember 2015 – 1 Ws 168/15, juris Rn. 19 f.).

Das ist bei den beiden Beschuldigten der Fall. Sie halten sich in der Einrichtung nachweislich auf, haben dort Schlafplätze und eigene Spinde. Die Kammer geht aufgrund telefonischer Auskunft der Erstaufnahmeeinrichtung im Übrigen von folgenden tatsächlichen Gegebenheiten aus: Die Bewohner sind dort registriert und bestimmten Zimmern als Wohnplatz zugewiesen. Eingehende Post wird zentral in der Einrichtung gesammelt und erfasst. Bewohner, für die Post eingegangen ist, werden mit Namen in eine aushängende Liste eingetragen. Sie können dann die Post bei der Ausgabe abholen. Wird ein Poststück nach zwei Tagen immer noch nicht abgeholt, sucht der Sicherheitsdienst – gegebenenfalls wiederholt – nach dem Bewohner und informiert ihn persönlich darüber, dass Post für ihn bereitliegt. Wird der Adressat auch nach einer Woche nicht aufgefunden oder angetroffen, geht das Poststück an den Empfänger als unzustellbar zurück.

Ein solcher tatsächlicher Rahmen ist im Ansatz für die genannten Erfordernisse und Zwecke des Strafverfahrens ausreichend, sodass jedenfalls insoweit die Anordnung von Untersuchungshaft nicht geboten erscheint. Ergänzend macht sich die Kammer hier die zutreffenden Ausführungen des Ermittlungsrichters in der Nichtabhilfeentscheidung zu eigen.

2. Jenseits dessen hätte die Kammer allerdings keine durchgreifenden Bedenken, den Haftgrund der Fluchtgefahr anzunehmen, wenn die vorgelegte Akte das, was sie teils nur andeutet, auch belegen würde.

So sind beide Beschuldigte gut einen Monat vor ihrer vorläufigen Festnahme in die Bundesrepublik eingereist. Der Beschuldigte B. ist laut polizeilicher Vorgangsverwaltung seitdem viermal, der Beschuldigte R. einmal wegen Diebstahls in Erscheinung getreten. Allerdings finden sich zu diesen anderen mutmaßlichen Diebstählen keine weiteren Angaben in der Akte. Grundsätzlich können Seriendiebstähle kurz nach Einreise und Asylantragstellung als Indiz dafür gewertet werden, dass es dem Beschuldigten nicht um politischen Schutz, sondern vorrangig um die Gelegenheit zur schnellen rechtswidrigen Bereicherung bis zur allfälligen Abschiebung geht. Bei dieser Ausgangslage gibt es regelmäßig keinen Grund anzunehmen, der Beschuldigte wolle sich dem – das Geschäftsmodell störenden – Strafverfahren stellen, im Gegenteil. Um dies aber für eine Haftentscheidung schlüssig darlegen zu können, bedarf es der Zusammenführung der einzelnen Ermittlungsverfahren wegen der verschiedenen Diebstähle, weil erst so die Gewerbsmäßigkeit (§ 243 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB) und damit der Fluchtanreiz wegen der erhöhten Strafdrohung fassbar werden. Daran fehlt es bislang.

Die fehlenden sozialen Bindungen im Inland führen daher angesichts der derzeit nur geringen tatsächlich belegten Strafdrohung – nämlich allein für den Diebstahl der Kosmetika – dazu, dass von einem ausreichenden Fluchtanreiz gegenwärtig nicht gesprochen werden kann.“

StGB III: Nichtbezahlen an der Selbstbedienungskasse, oder: Diebstahl oder Betrug?

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Und zum Tagesschluss habe ich dann noch eine LG-Entscheidung, und zwar den LG Kaiserslautern, Beschl. v. 26.08.2021 – 5 Qs 68/21 – zur Frage: Diebstahl oder Betrug an der Selbstbedienungskasse, wenn dort die „eingeladene“ ware nicht gezahlt wird.

Ergangen ist der Beschluss in einem Strafbefehlsverfahren. Das AG hatte den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls abgelehnt. Der Angeschuldigten wurde darin Folgendes vorgeworfen: Die Angeschuldigte hatte im Supermarkt verschiedene Waren in ihren Einkaufswagen gelegt und passierte damit, wie von Anfang an geplant, den Einkaufsbereich, ohne einen Teil der Waren im Wert von knapp 60 EUR zuvor an der Selbstbedienungskasse eingescannt und bezahlt zu haben. Bevor die Angeschuldigte den Supermarkt verlassen konnte, wurde sie vom Ladendetektiv gestellt.

Die StA war von versuchtem Diebstahl, das AG von Betrug ausgegangen. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den AG-Beschluss hatte beim LG Erfolg. Das LG hat zur erneuten Entscheidung an das AG zurückverwiesen:

„1. Die zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern hat in der Sache auch Erfolg.

Nach den bisherigen Ermittlungen besteht gegen die Angeschuldigte ein hinreichender Tatverdacht hinsichtlich der Begehung eines versuchten Diebstahls. Der dem Strafbefehl zu Grunde liegende Sachverhalt ist nach zutreffender Auffassung der Staatsanwaltschaft rechtlich als versuchter Diebstahl zu werten, sodass die Voraussetzungen für den Erlass des beantragten Strafbefehls vorlagen und der Beschluss des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 28.07.2021 auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin aufzuheben war.

Ein hinreichender Tatverdacht betreffend eine versuchte Wegnahme liegt vor, da die Angeschuldigte ohne dass der frühere Gewahrsamsinhaber – der Geschäftsinhaber bzw. Geschäftsführer – hierzu sein Einverständnis erklärt hätte, ohne die Ware vollständig zu scannen, den Supermarkt verlassen wollte. Zwar ist davon auszugehen, dass mit dem Aufstellen von Selbstbedienungskassen durchaus ein generelles Einverständnis in einen Gewahrsamsübergang erklärt werden soll, weil – nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Einsparung von Personalkosten – gerade kein Kassenpersonal zur Verfügung steht, das den einzelnen Kauf- bzw. Zahlvorgang abwickeln soll; die in dem Kassenbereich anwesenden Mitarbeiter dienen allein der Unterstützung bei etwaigen technischen Schwierigkeiten. Jedoch ist unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung und hier namentlich der berechtigten Geschäftsinteressen des Verkäufers zu unterstellen, dass dieser sein Einverständnis nur unter der Bedingung erteilt, dass die Selbstbedienungskasse ordnungsgemäß bedient wird. Hierzu gehört unzweifelhaft das korrekte Einscannen und Bezahlen der tatsächlich zur Selbstbedienungskasse mitgebrachten Ware. Da die Angeschuldigte einen Teil der Waren überhaupt nicht eingescannt hatte, sind die Bedingungen für ein Einverständnis in den Gewahrsamswechsel nicht gegeben (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 08.08.2013 ? III-5 RVs 56/13, NStZ 2014, 275 m. zust. Anm. Fahl; OLG Rostock, Beschl. v. 06.02.2019 – 20 RR 90/18, juris Rn. 45; Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 242 Rn. 36a; MüKoStGB/Schmitz, 4. Aufl., § 242 Rn. 93; BeckOK StGB/Wittig, 50. Ed., § 242 Rn. 22.2). Da die Angeschuldigte zwar die Kassenzone verlassen hatte, jedoch vor Verlassens des Supermarktes von dem Zeugen R. aufgehalten wurde und sich die Gegenstände auch weiterhin im Einkaufswagen befanden, hatte die Angeschuldigte noch keinen neuen Gewahrsam begründet, sodass richtigerweise von einem Versuch auszugehen war.

Eine Täuschungshandlung (durch Unterlassen) ist bereits mangels Getäuschtem – wie von der Staatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt – nicht ersichtlich. Aber auch eine Tathandlung nach § 263a StGB ist vorliegend nicht ersichtlich (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 08.08.2013 ? III-5 RVs 56/13, NStZ 2014, 275; OLG Rostock, Beschl. v. 06.02.2019 – 20 RR 90/18, juris).“

Und wer sich fragt: Warum Zurückverweisung:

„2. Die Sache war an das Amtsgericht zurückzuverweisen, das die Wahl hat den Strafbefehl zu erlassen oder gemäß § 408 Abs. 3 S. 2 StPO zu verfahren, da das Landgericht keine Strafbefehle erlassen kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 408 Rn. 9; BeckOK StPO/Temming, 39. Ed., § 408 Rn. 81). Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass gemäß § 408 Abs. 3 S. 2 StPO bei einer beabsichtigten Abweichung des Richters von dem Strafbefehlsantrag in rechtlicher Hinsicht grundsätzlich, sofern eine Einigung mit der Staatsanwaltschaft nicht zu erreichen ist, gemäß § 408 Abs. 3 S. 2 StPO Termin zur Hauptverhandlung zu bestimmen ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 408 Rn. 13).“