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„Eins und Eins, das macht Zwei“ – aber nicht beim Fahrverbot

© Gina Sanders - Fotolia.com

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„Eins und Eins, das macht Zwei“ – so hieß ein Song von Hildegard Knef, dessen Aussage für das „Liebesleben“ seine Richtigkeit haben mag, nicht aber im Recht des Fahrverbots. Denn ein verwirkter Monat Fahrverbot und noch ein weiterer Monat machen eben nicht „zwei Monate“. So zutreffend der KG, Beschl. v.12.12.2014 – 3 Ws (B) 601/14. Das AG hatte wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung – mehr als 31 km/h innerorts – und Vorliegen eines beharrlichen Verstoßes gemäß § 4 Abs. 2 BKatV ein zweimonatiges Fahrverbot verhängt, das aber nur mit dem Hinweis auf die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 BKatV begründet. „So geht es nicht“, sagt das KG:

Diese Begründung hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Vorbelastung mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung hat bereits dazu geführt, dass das Amtsgericht zutreffend von einem beharrlichen Verstoß gemäß § 4 Abs. 2 BKatV ausgegangen ist. Soweit daneben auch das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung gemäß § 4 Abs. 1 BKatV i V. m. Tabelle 1 c) laufende Nr. 11.3.6 indiziert ist, führt dies ebenfalls nicht zu einer Addition der Regelfahrverbote.

„Bei der Erfüllung zweier Tatbestände der Bußgeldkatalogverordnung, die ein Regelfahrverbot vorsehen, durch eine Handlung ist bei Vorliegen des Regelfalls die Dauer der Regelfahrverbote nicht zu addieren (vgl. OLG Stuttgart NZV 1996, 159 m. w. N). Dem Ordnungswidrigkeitenrecht ist – ebenso wie dem Strafrecht – bei Tateinheit die Addition von Rechtsfolgen grundsätzlich fremd. Auch wenn die Vorschrift des § 4 BKatV den Fall der tateinheitlichen Verwirklichung mehrerer Bußgeldtatbestände mit Regelfahrverbot nicht behandelt, ist kein Grund ersichtlich, warum dies bei der Bemessung des Regelfahrverbots anders sein soll. § 19 Abs. 2 Satz 2 OWiG sieht im Übrigen bei Tateinheit keine Addition der im Gesetz angedrohten Nebenfolgen vor. Dies stünde auch in systematischen Widerspruch zu § 19 Abs. 2 Satz 1 OWiG. Das Fahrverbot soll den Betroffenen warnen und ihm nachhaltig seine Pflichten als Führer eines Kraftfahrzeugs bewusst machen. Diese spezialpräventive Wirkung verlangt eine Gesamtbetrachtung der abzuurteilenden Tat.

Die Erhöhung des Fahrverbots über die Dauer eines Monats hinaus kommt daher lediglich dann in Betracht, wenn gewichtige, für den Betroffenen nachteilige Umstände vorliegen, die erkennen lassen, dass ein Fahrverbot von einem Monat nicht ausreicht, um ihn nachhaltig zu beeindrucken. Diese Gründe sind im Urteil darzulegen (vgl. OLG Brandenburg NStZ-RR 2011, 153; OLG Stuttgart, a. a. O., jeweils m. w. N.). An der Darlegung derartiger Gründe fehlt es im angefochtenen Urteil. Diese sind auch nicht ersichtlich. Der Betroffene hat die vorliegende Tat lediglich fahrlässig begangen und es ist bisher auch noch kein Fahrverbot gegen ihn verhängt worden.“

Das KG hat dann aus den zwei Monaten einen Monat gemacht. Ein „Absehen“ schied nach seiner Auffassung aus: „Hierfür ist insbesondere nicht ausreichend, dass der Betroffene als Rechtsanwalt regelmäßig Gerichtstermine außerhalb Berlins wahrzunehmen hat. Allein das berufliche Angewiesensein auf eine Fahrerlaubnis rechtfertigt ein Absehen von der Auferlegung eines Fahrverbots nicht (vgl. KG, Beschluss vom 23. Januar 2013 – 3 Ws (B) 33/13 – m. w. N.). Ausnahmen davon können lediglich vorliegen, wenn dem Betroffenen infolge der Länge des Fahrverbots Arbeitsplatz- oder sonstiger wirtschaftlicher Existenzverlust droht und diese Konsequenz nicht durch zumutbare Vorkehrungen abgewendet oder vermieden werden kann, mithin ein Härtefall ganz außergewöhnlicher Art vorliegt (vgl. KG, a. a. O., m. w. N.). Das ist vorliegend nicht ersichtlich.“ Ob „ein Härtefall ganz außergewöhnlicher Art“ vorliegen muss, wage ich zu bezweifeln, denn wir haben es hier mit einem Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG zu tun und da reichen m.E. „erhebliche Härten“.

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Wenn sich das AG nicht sputet, gibt es den Führerschein zurück

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Es entspricht allgemeiner Meinung in der Rechtsprechung, dass Verfahren, in denen dem Beschuldigten die Entziehung der Fahrerlaubnis droht, besonderer Beschleunigung bedürfen: Wird das auf dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beruhende Beschleunigungsgebot verletzt, wird die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben (vgl. dazu schon der LG Stuttgart, Beschl. v. 13.03.2013 – 18 Qs 14/13 und Verfahren kann nicht zeitnah beendet werden – es gibt den Führerschein zurück)

So dann auch im LG Berlin, Beschl. v. 17. 07. 2014 – 525 Cs 74/14. Da hatte das AG erst am 21.10.2013 Hauptverhandlungstermin auf den 20.03.2014 anberaumt, obwohl gegen den erlassenen Strafbefehl bereits am 17.08.2013 Einspruch eingelegt worden war. Dann ist zwar die Hauptverhandlung “geplatzt“, weil der Verteidiger für einen am 23.03.2014 vorgesehenen Fortsetzungstermin nicht zur Verfügung stand, ein neuer Hauptverhandlungstermin ist jedoch erst am 18.06.2014 auf den 05.08.2014 angesetzt worden, obwohl der Verteidiger mit Schriftsätzen vom 24. und 30.04.2014 jeweils um Mitteilung eines neuen Termins gebeten hatte.

Dem LG langt es:

Angesichts dieses Verfahrensganges kann entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft auch nicht damit argumentiert werden, dass das Verfahren längst hätte abgeschlossen sein können, wenn der Verteidiger nicht auf der Aufhebung des Fortsetzungstermins vom 3. April 2014 bestanden hätte. Vielmehr war der angefochtene Beschluss mit der Folge aufzuheben, dass der Führerschein an die Angeklagte freizugeben war.

Verfahren kann nicht zeitnah beendet werden – es gibt den Führerschein zurück

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Folgender Verfahrensablauf in einem Verfahren wegen Straßenverkehrsgefährdung:

04.05.2012 vermeintliche Tat
08.05.2012 Anzeige des Zeugen X und dessen polizeiliche Vernehmung
14.06.2012 Anhörung des Angeklagten
27.09.2012 Eingang des Anzeigevorgangs bei der Staatsanwaltschaft
08.11.2012 Auftrag für Nachermittlungen
06.12.2012 Eingang der Ergebnisse
09./11. 01.2013 Antrag auf Erlass eines StB und für den Fall des Einspruchs die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis
15.01.2013 Erlass des Strafbefehls
21.01.2013 Einspruch eingelegt
07.,02.2013 vorläufige Entziehung der Fahrererlaubnis

Dem LG Stuttgart reicht der Verfahrensablauf nicht (mehr) um die Verhältnismäßigkeit der weiteren Dauer der vorläufigen Entziehung zu bejahen, zumal eine Hauptverhandlung wegen Verhinderung des Tatzeugen erst im Juni 2013, ggf. Ende April 2013 durchgeführt werden kann. Dazu der LG Stuttgart, Beschl. v. 13.03.2013 – 18 Qs 14/13:

…Unbeschadet des fortbestehenden dringenden Tatverdachts und unabhängig von der Frage, ob der mutmaßliche Eignungsmangel im Sinne des § 69 StGB weiter besteht und deshalb – was zu bejahen ist – gemäß § 111 a StPO dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass dem Angeklagten die Fahrerlaubnis zu entziehen sein wird, erscheint die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis vorliegend aber wegen auf einer sachwidrigen Behandlung unter Verletzung des Beschleunigungsgebots beruhenden Verzögerung des Verfahrens unverhältnismäßig (vgl. dazu OLG Karlsruhe, NStZ 2005, 402 f.).

Die Belastung aus einem Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich muss in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenen Vorteilen stehen. Das gilt bei der Anordnung, Vollziehung und Fortdauer derartiger Maßnahmen, auch bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis….

Ihn auf – aus derzeitiger Sicht – unabsehbare Zeit auf der Grundlage vorläufiger Erkenntnisse ohne Fahrerlaubnis zu belassen, widerspricht jedenfalls vor dem Hintergrund der bereits vor dem 07.02.2013 zögerlichen Sachbehandlung dem Rechtsstaatsgebot.“

Das LG setzt damit Rechtsprechung, die es im Haftrecht gibt, um, ohne es ausdrücklich auszuführen. Nämlich, dass bereits dann, wenn eine Verfahrensverzögerung absehbar ist, der Haftbefehl ggf. aufgehoben werden muss.

Die Beschlagnahme des Emailkontos – nicht länger als nötig

Der Kollege Vetter hat mir dankenswerter Weise den AG Düsseldorf, Beschl. v. 10.09.2012 – 150 Gs 1337/12 – zur Verfügung gestellt, über den er auch schon berichtet hat (vgl. hier). In der Sache ging es um die Frage, ob die Polizei einen Email-Account dauerhaft beschlagnahmen kann/darf. Beim Betroffenen war durchsucht worden und es waren verschiedene Beweismittel sichergestellt worden. Der Betroffene erklärte sein Einverständnis mit der Auswertung seines Emailkontos und gab seine Passwörter bekannt. Die Polizei änderte, was nicht abgesprochen war, die Passwörter und begründete dies damit dass der Beschuldigte ansonsten jederzeit das Passwort hätte wieder ändern und den Zugriff vereiteln können. Dadurch hätten Beweismittel vernichtet werden können. Dagegen dann wohl der Antrag nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO, der zu dem o.a. AG Düsseldorf-Beschluss führt: Das AG führt aus:

Nach Auffassung des Gerichts liegen damit grundsätzlich die Voraussetzungen für eine Beschlagnahme vor. Da jederzeit die Änderung und damit die Vernichtung von Beweismitteln drohte, lag auch Gefahr in Verzug vor. Aus der Akte ergibt sich allerdings nicht, dass die Polizei versucht hat, die Staatsanwaltschaft zu erreichen bevor sie ihre Eilkompetenz in Anspruch nahm.

 Zudem wurde auch keine nachträgliche Genehmigung des Richters eingeholt. Dies berührt aber nicht die Wirksamkeit der Beschlagnahme Meyer-Goßner, § 98 Rn. 14

 Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Beschlagnahme jedenfalls nicht mehr erforderlich und damit aufzuheben. Die Änderung des Passwortes erfolgte am 06.07.2012. Bereits am 26.07.2012 war das Emailkonto ausgewertet worden. Ab diesem Zeitpunkt war eine Beschlagnahme nicht mehr erforderlich, da die Beweismittel bereits gesichert waren.

Also: Grundsätzlich erlaubt, aber nicht beliebig lange und nicht mehr nach Auswertung des Kontos. Ist im Grunde genommen die Umsetzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Beschlangnahme ja, aber nicht mehr und nicht länger als nötig.

Und: Es gilt der Richtervorbehalt.


Ist Schwangerschaft eine Krankheit? Nein, aber…

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Die Frage, ob Schwangerschaft eine Krankheit ist, ist eine Frage, die Strafkammern sicherlich schon häufiger beschäftigt hat. Eine Antwort auf die Frage gab es – so weit ich das übersehe – bisher nicht. Nun gibt es aber den LG Bremen,  Beschl. v. 28.04.2010 – 22 Ks 210 Js 2251/09 -, auf den ich bei openjur gestoßen bin. Da spielte die Frage eben für die zulässige Dauer der Unterbrechung der Hauptverhandlung nach § 229 Abs. 3 StPO eine Rolle. Nämlich für die Frage, ob die Unterbrechungsfrist während der Mutterschutzfrist gehemmt ist, oder nicht. Das LG Bremen hat das bejaht und somit § 229 Abs. 3 StPO entsprechend angewendet.

„Die in § 229 Abs. 3 StPO getroffene Regelung einer Hemmung der Unterbrechungsfristen gilt seit dem 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24.08.2004 (BGBl. I, 2198) nicht nur für Angeklagte, sondern auch für zur Urteilsfindung berufene Personen. Weitere Änderungen wurden durch das Gesetz an dem Absatz 3 nicht vorgenommen. Mit dieser Ausdehnung der Hemmungsregelung sollte vermieden werden, dass Verfahren nach mehreren Verhandlungstagen wegen der Erkrankung von Richtern und Schöffen ausgesetzt werden müssen. Bei mehrtägigen, jedoch nicht langwierigen Verfahren vor dem Landgericht sollte dem Erfordernis einer Neuverhandlung des gesamten Prozesses im Fall des „Ausfall(s) einzelner Mitglieder des Gerichts“ entgegen gewirkt werden. Die Neuregelung sollte sicherstellen, dass die von § 192 GVG vorgesehene Möglichkeit der Bestellung von Ergänzungsrichtern und –schöffen auf die vom Gesetz vorgesehenen Ausnahmefälle beschränkt bleibt (vgl. zu den Begründungen der Entwürfe BTagDrs. 15/1508, 25; 15/999, 25).

Bei dieser Neufassung ging es mithin darum, Neuverhandlungen möglichst zu vermeiden. Der Gesetzgeber hat ersichtlich dabei nicht geprüft, ob es – außerhalb der Krankheit – andere ähnliche Sachlagen geben könnte, auf die der Regelungszweck ebenso zutreffen und der Sachverhalt daher in gleicher Weise geregelt werden könnte. Diese Ähnlichkeit liegt bei einem gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Beschäftigungsverbot nach Entbindung im Fall der zur Entscheidung berufenen Personen offen zu Tage. Im Geltungsbereich der früheren Gesetzeslage, wo die Hemmungsmöglichkeit nur für Angeklagte galt, musste sich der Gesetzgeber hingegen nicht veranlasst sehen, über die Möglichkeit der Hemmung bei Verhandlungen gegen insoweit betroffene Angeklagte zu befinden, da angesichts der völlig anderen prozessualen Stellung niemand auf den Gedanken kommen würde, überhaupt gegen eine hochschwangere Angeklagte eine längere, mehr als 10 Tage dauernde Verhandlung durchzuführen. Anderes galt und gilt bei Vernehmungen von Zeugen und Sachverständigen, die etwa wegen Schwangerschaft nicht zu Gericht erscheinen können, wo § 223 StPO die kommissarische Vernehmung neben den Fällen der Krankheit und Gebrechlichkeit auch bei „andere(n) nicht zu beseitigende(n) Hindernisse(n)“, zu denen die Schwangerschaft zählt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 223 Rz. 6), ermöglicht.

Der Gesetzeszweck zur Vermeidung von Neuverhandlungen erfordert es auch, die Regelung für den Bereich des Beschäftigungsverbotes infolge einer Entbindung anzuwenden. Denn gerade der vorliegende Fall mit all den dargestellten, nicht vorhersehbaren Entwicklungen eines Strafprozesses zeigt, dass ansonsten bei auch nur denkbaren Verhandlungen über längere Zeiten im Fall des Einsatzes von gebärfähigen Frauen im richterlichen Bereich – dieses ist in den letzten Jahren auf Grund der geänderten Einstellungspraxis zunehmend der Fall – bei normaler Entwicklung von Schwangerschaft und Entbindung, also ohne Entwicklungen im Sinne eines krankhaften körperlichen Zustands, regelmäßig die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters gemäß § 192 GVG angeordnet werden müsste. Gerade dieses sollte, wie dargelegt, die Neuregelung aber verhindern.“

Was mich wundert: Zu der Problematik gibt es keine nachfolgende BGH-Entscheidung. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die Verteidiger diese „Steilvorlage“ nicht zum BGH getragen haben. Aber möglicherweise eine der vielen Sachen, in denen der BGH schon auf die Sachrüge hin aufgehoben hat und es somit auf die Verfahrensrüge nicht mehr ankam. Andererseits kann ich mir nun aber auch nicht vorstellen, dass der BGH die Frage unentschieden gelassen hat.