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Schneckenpost aus dem Schloßbezirk

© Thomas Jansa - Fotolia.com

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Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich (hoffentlich)? Es geht um den BVerfG, Beschl. v. 08.12.2015 – 1 BvR 99/11. Ergangen auf die Verzögerungsrüge des Betroffenen in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren, das sich gegen Entscheidungen des OLG Hamm und Köln aus dem Jahr 2010 gerichtet hat. In dem Verfahren hatte das BVerfG durch den BVerfG, Beschl. v. 13. 05. 2015 – 1 BvR 99/11 entschieden. Es hat die Verfassungsbeschwerde in dem 12 (!!) Zeilen langen Beschluss zurückgewiesen. So weit, nicht so gut, sondern so schlecht. Denn es kommt noch besser/schlechter. Der Betroffene hatte nämlich eine Verzögerungsrüge erhoben, mit der die Dauer seines abgeschlossenen Verfassungsbeschwerdeverfahrens – immerhin 4 Jahre 10 Monate – als unangemessen lang gerügt hatte. Und über die Verzögerungsrüge hat das BVerfG dann jetzt im BVerfG, Beschl. v. 08.12.2015 – 1 BvR 99/11, Vz 1/15 entschieden.

Nun, es wird dann vielleicht doch nicht überraschen, wenn das BVerfG dem Betroffenen mitteilt: Alles (fast) gut. Hat zwar lange gedauert, aber wir, vor allem der Berichterstatter, hatte andere wichtigere Dinge zu tun. Da haben wir dich hintenan gestellt und als es dann wieder ging, ging es dann ja auch zügig. Im Übrigen kann nach § 97b Abs. 1 Satz 4 BVerfGG die Verzögerungsrüge frühestens zwölf Monate nach Eingang des Verfahrens beim BVerfG erhoben werden kann. Eine Verfahrensdauer von einem Jahr ist also keinesfalls unangemessen lang. Aber 4 Jahre und 10 Monate – für einen 12 Zeilen langen Beschluss. Für mich grenzt das an Rechtsverweigerung. Und liest sich m.E. auch nicht gut im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz, den das BverfG in Haftsachen den Instanzgerichten ja immer gern unter die Nase reibt. Wie hatte der Kollege Vetter zu der Entscheidungg so schön geschrieben: Bundesverlangsamungsgericht. Ist an sich zu milde: „Bundesrechtszögerungsgericht“ würde auch passen.

Aber: Warum soll sich das BVerfG beeilen oder etwa der Gesetzgeber tätig werden? So lange nämlich die zögerlichen Entscheidungen bzw. langen Verfahren vom EGMR abgesegnet werden, ist das doch alles ohne Gefahr. Exemplarisch verweise ich dazu auf das EGMR (V. Sektion), Urt. v. 04.09.2014 – 68919/10 (Peter/Deutschland). Da waren es beim BVerfG allerdings nur rund 4 1/2 Jahre. Der EGMR hat es „gehalten“ und das BVerfG zitiert dann im Beschluss vom 08.12.2015 den EGMR, schöne „runde Sache“. Und besonders „pikant“. Der EGMR braucht dafür, wenn ich richtig gerechnet habe, auch gut vier Jahre. Da ist dann im September 2014 also ein Verfahren entschieden, dass im Jahr 2002 (!!!) begonnen hat. Das zur Beschleunigung.

„Die Rechtsansicht des BVerfG …. wird hier nicht praktiziert“… so schreibt die Amtsinspektorin in Kassel

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Und nach dem Beitrag OVG Münster zickt, oder: Rüffel für das BVerfG aus Münster zum OVG Münster, Beschl. v. 26.11.2015 – 16 E 648/15 ein Posting, das man beim BVerfG sicherlich nicht gern liest (ist natürlich im übertragenen Sinn gemeint, da ich nicht davon ausgehe, dass man beim BVerfG dieses Blog liest 🙂 ). Es geht zurück auf die Zuschrift eines Kollegen, der in seinem Anschreiben das Gefühl geäußert hat, „dass die Kostenschraube bei der Erstattung von Pflichtverteidigergebühren/Auslagen immer weiter angezogen wird.“ Und als „als krönendes Beispiel aus jüngster Zeit“ hat er mir dann ein Schreiben der Justizbehörden Kassel vom 08.12.2015 übersandt.

Das ist dem Kollegen in einem Strafverfahren zugegangen. Der Mandant sitzt ein in der JVA Kassel, der Kollege ist/war Pflichtverteidiger. Der Kollege wurde diesem am 07.09.2015 beigeordnet, nachdem er ihn zuvor u.a. am 24.08.2015 und 01.09.2015 in der JVA Kassel aufgesucht hatte. Bei diesen Besuchen wurde er jeweils von einer Dolmetscherin begleitet. In Kenntnis der herrschenden Rechtsprechung hat der Kollege, wie erschreibt – sich „natürlich nicht damit aufgehalten, das Gericht zunächst um die Genehmigung dieser Dolmetscherkosten zu bitten.“ Im Regelfall mache er die Erstattung entsprechender Dolmetscherkosten später geltend. In diesem Falle habe der die Dolmetscherrechnungen für die Besuche vom 24.08.2015 und 01.09.2015 mit Schreiben vom 06.12.2015 bei dem AG Kassel eingereicht.

Und dann ereilt ihn das Schreiben der Anweisungsstelle vom 08.12.2015. Das muss man sich nun wahrlich auf der „Zunge zergehen lassen“:

„Sehr geehrte Damen und Herren Rechtsanwälte,

auf ihren Antrag vorn 6.12.2015 wird mitgeteilt, dass der Anspruch auf Zahlung der Dolmetscherleistung bzgl. der Termine erloschen ist, da er nicht binnen drei Monaten bei Gericht geltend gemacht wurde.

Ihr Entschädigungsantrag ist daher abzulehnen. Das hiesige Schreiben vom heutigen Tag an die Dolmetscherin, Frau ppp.         wird beigefügt.

Auf § 2 Abs. 2 JVEG wird hingewiesen.

In einem anderen Strafverfahren liegt Ihre Erinnerung z.Z. der Bezirksrevisorin vor.

Im Übrigen wird bei der Justiz in Kassel für die Abrechnung eines Dolmetschergespräches auf Kosten der Staatskasse ein Beschluss gem. Art. 6 MRK benötigt. Die Rechtsansicht des Bundesverfassungsgerichts von 2001 wird hier nicht praktiziert.

Für den Beschluss gem. Art. 6 MRK vom 14.08.2015 für ein Dolmetschergespräch wurde die Dolmetscherrechnung vom 5.11.2015 (Termin vom 5.11.2015) abgerechnet.

Mit freundlichen Grüßen

pppppp.

Amtsinspektorin“

Aber hallo, das wird das BVerfG aber freuen, dass die „Amtsinspektorin“ mitteilt, dass die Rechtsprechung der BVerfG in Kassel „nicht praktiziert wird“ = in Kassel nicht interessiert. Bisher hatte ich gedacht, dass an sich doch nur Bayern ggf. ein anderer Rechtskreis ist :-), nun der LG-/AG-Bezirk Kassel aber offenbar auch. § 31 Abs. 1 BVerfGG gilt in Kassel also nicht.

Im Übrigen ist das Ausgeführte m.E. auch – mit Verlaub – Unfug und widerspricht nicht nur der Rechtsprechung des BVerfG, sondern auch der anderer Obergerichte. Ich erinnere nur an BGHSt 46, 178 und die OLG-Rechtsprechung.

Und was – liebe Frau Amtsinspektorin – soll der Hinweis auf § 2 Abs. 2 JVEG? Das ist ganz großer Unfug. Wir sind nicht im JVEG, sondern in § 46 RVG. Und da geht es nur wegen der Höhe in § 46 Abs. 2 Satz 2 RVG nach dem JVEG. Alles andere ist „Kassler Landrecht“.

Mich machen solche Entscheidungen „fassungslos“. Das wird für einen ganz Gerichtsbezirk die Rechtsprechung des BVerfG, des BGH und der OLG negiert. Man „praktiziert“ sie nicht. Der Kollege wollte an den LG-Präsidenten und das BVerfG schreiben. Ich habe ihm geraten, das zu lassen. Was soll es bringen, beide werden sich nicht in das Verfahren einklinken? Obwohl: Vielleicht wäre es mal für das BVerfG interessant zu erfahren, was man so von seiner Rechtsprechung hält.

Ich habe dem Kollegen vielmehr geraten, das auf keinen Fall hinzunehmen, sondern ins Rechtsmittel zu gehen. Er wird berichten. Und ich dann auch.

OVG Münster zickt, oder: Rüffel für das BVerfG aus Münster

© helmutvogler - Fotolia.com

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Ich hatte vor einiger Zeit über den BVerfG, Beschl. v. 28.06.2014 – 1 BvR 1837/12 berichtet (vgl. Verkehrsrechtler aufgepasst – BVerfG: „erhebliche Bedenken“, wenn man den Richtervorbehalt „flächendeckend aushebelt…“). In dem hatte das BVerfG Bedenken geäußert, das „bei der Entziehung von Führerscheinen offenbar generell die Verwertung von Erkenntnissen akzeptiert wird, die auf Blutentnahmen beruhen, welche unter Verstoß gegen den einfachgesetzlichen Richtervorbehalt in § 81a Abs. 2 StPO gewonnen wurden. Auch wenn der in § 81a Abs. 2 StPO gesetzlich angeordnete Richtervorbehalt nicht auf einer zwingenden verfassungsrechtlichen Vorgabe beruhen mag (vgl. BVerfGK 14, 107 <113>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2011 – 2 BvR 1596/10 -, EuGRZ 2011, S. 183 <185>), bestehen doch aus rechtsstaatlicher (Art. 20 Abs. 3 GG) wie auch grundrechtlicher (Art. 2 Abs. 2 GG) Sicht erhebliche Bedenken gegen eine Praxis, die den gesetzlichen Richtervorbehalt für den Bereich verwaltungsbehördlicher Eingriffsmaßnahmen durch eine großzügige Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel (vgl. zu Beweisverwertungsverboten BVerfGE 65, 1 <43 ff.>; 106, 28 <48 ff.>; 113, 29 <61>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. März 2006 – 2 BvR 954/02 -, NJW 2006, S. 2684 <2686>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. November 2010 – 2 BvR 2101/09 -, NJW 2011, S. 2417 <2419>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2011 – 2 BvR 1596/10 und 2 BvR 2346/10 -, juris, Rn. 18) flächendeckend aushebelt.

Dazu zickt 🙂 nun das OVG Münster, das im OVG Münster, Beschl. v. 26.11.2015 – 16 E 648/15 -, in dem es einen PKH-Antrag ablehnt zur Frage der Verwertung ggf. kontaminierter Beweismittel des Strafverfahren im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren Stellung nimmt und dazu die OVG-Rechtsprechung wiederholt, wonach die Frage anders zu entscheiden sei als im Strafverfahren. Bei der Gelegenheit bekommt das BVerfG dann einen Rüffel – so ein bisschen wie: Hausaufgaben nicht gemacht -, wenn das OVG ausführt:

„Der Senat hält an diesen Grundsätzen fest und sieht sich hieran auch nicht durch die Bedenken gehindert, die das Bundesverfassungsgericht in einem Kammerbeschluss gegen die verwaltungsgerichtliche Praxis geäußert hat, Erkenntnisse, die unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt nach § 81a Abs. 2 StPO gewonnen wurden, bei der Entziehung von Führerscheinen zu verwerten. Vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. Juni 2014 ? 1 BvR 1837/12 ?, NJW 2015, 1005 = juris, Rn. 13.

Denn der Beschluss des Bundesverfassungsgericht beschränkt sich auf ein obiter dictum, ohne die Bedenken näher zu begründen und ohne sich mit der seit langem gefestigten Rechtsprechung auseinanderzusetzen, die u. a. von verschiedenen Obergerichten eingehend mit der allgemeinen Bedeutung von Beweisverwertungsverboten im Gefahrenabwehrrecht begründet wird. Vgl. zuletzt: OVG Lüneburg, Urteil vom 20. November 2014 – 11 LC 232/13 ?, NVwZ-RR 2015, 336 = juris, Rn. 33 m. w. N.; zustimmend i. Ü. Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 24 Rn. 33.“

Man „zickt“ und wirft dem BVerfG vor: Obiter dictum, ohne sich damit näher auseinander zu setzen. Selbst ist man m.E. aber nicht viel besser, wenn man die Frage in einem PKH-Verfahren entscheidet. Wie war das noch mit den Steinen und dem Glashaus.

„… die Anzeigenerstatterin ist eine „Psychopathin“…“, das ist erlaubt

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Mal wieder wieder „Schmähkritik“ vs. freie Meinungsäußerung. Das war der Streit, den das BVerfG im BVerfG, Beschl. v. 28.10.2015 – 1 BvR 3217/14 – zugunsten der freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG) entschieden hat.

Ausgangspunkt für die Entscheidung ist eine Verurteilung wegen Beleidigung (§ 185 StGB). Der Beschwerdeführer war im Dezember 2012 von seiner Nachbarin wegen Beleidigung und Bedrohung angezeigt worden. Die Anzeigeerstatterin äußerte in diesem Verfahren schriftlich gegenüber der StA, dass der Beschwerdeführer die gesamte Nachbarschaft einschüchtere, aus seiner Wohnung im dritten Obergeschoss eine Person mit einer Flasche beworfen habe sowie auf Tauben geschossen und auf der Straße ein Kind geschlagen habe. Sie regte wegen der möglichen Gefährlichkeit des Beschwerdeführers „eine Durchsuchung beziehungsweise Überprüfung“ an.

Die StA verwies die Anzeigeerstatterin auf den Privatklageweg. Zur Vorbereitung der Privatklage beantragte die einen Sühneversuch gem. § 380 StPO. Der Beschwerdeführer wurde von der für den Sühneversuch zuständigen Behörde zur Stellungnahme hinsichtlich der Beleidigungs- und Bedrohungsvorwürfe aufgefordert und äußerte sich wie folgt:

„die (…) erhobenen Behauptungen weise ich mit aller Entschiedenheit zurück.
Frau … leidet offenkundig an Wahnvorstellungen, die Vorwürfe sind frei erfunden.
Die Behauptung, ich würde aus meiner Wohnung scharf auf Tauben schießen, ist eine Ungeheuerlichkeit. (…)
Die Behauptung, daß Nachbarn dies beobachtet haben sollen, ist eine glatte Lüge und eine unglaubliche Frechheit.
Ebenso unglaublich ist die Behauptung, ich hätte auf einen Menschen eine Flasche aus dem Fenster geworfen und ein Kind geschlagen. Beides ist frei erfunden. Ich hab auch niemanden beleidigt und bedroht. (…)
Die Anregung, aufgrund dieser vorgebrachten „Tatsachen“ meine Wohnung zu durchsuchen ist der Gipfel der Dreistigkeit und beweist, dass Frau … mittlerweile den Bezug zur Realität völlig verloren hat. Nur eine Psychopathin kann auf eine solche Idee kommen. (…)
Die Ursache für die offenkundige psychische Erkrankung ist mir natürlich nicht bekannt, ebenso wenig kann ich beurteilen, ob die Störungen temporär oder dauerhafter Natur sind, deshalb rege ich an, dass Frau … einer psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen und sie gegebenenfalls dauerhaft oder vorübergehend in einer psychiatrischen Einrichtung unterzubringen.“

Wegen dieses Schreiben ergeht ein Strafbefehl wegen Beleidigung. Nach Einspruchseinlegung wird der Angeklagte zu einer Geldstrafe verurteilt. Seine Berufung wird als unzulässig gemäß § 313 StPO verworfen. Die Verfassungsbeschwerde hat dann Erfolg:

„a) Das Amtsgericht verkennt bereits, dass die inkriminierten Äußerungen in den Schutzbereich des Grundrechts der Meinungsfreiheit fallen, da sie durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet und deshalb als Werturteile anzusehen sind (vgl. BVerfGE 7, 198 <210>; 61, 1 <8>; 90, 241 <247>). Meinungen sind durch die subjektive Beziehung zum Inhalt einer Aussage geprägt (vgl. BVerfGE 7, 198 <210>) und genießen den Schutz des Grundrechts, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird (vgl. BVerfGE 90, 241 <247>; 124, 300 <320>). Die polemische und verletzende Formulierung entzieht eine Äußerung grundsätzlich nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.>; 93, 266 <289>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 5. Dezember 2008 – 1 BvR 1318/07 -, NJW 2009, S. 749).

b) Das Landgericht geht in verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Weise vom Vorliegen von Schmähkritik aus. Wegen seines die Meinungsfreiheit schon grundsätzlich verdrängenden Effekts, der dazu führt, dass die Meinungsfreiheit noch nicht einmal in eine Abwägung mit den Rechten der Betroffenen eingestellt wird, hat das Bundesverfassungsgericht den in der Fachgerichtsbarkeit entwickelten Begriff der Schmähkritik eng definiert. Danach macht auch eine überzogene oder ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen. Wesentliches Merkmal der Schmähung ist mithin eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung. Nur dann kann im Sinne einer Regelvermutung ausnahmsweise auf eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verzichtet werden. Aus diesem Grund wird Schmähkritik bei Äußerungen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vorliegen und im Übrigen eher auf die sogenannte Privatfehde beschränkt bleiben (vgl. BVerfGE 82, 272 <283 f.>; 93, 266 <294, 303>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2009 – 1 BvR 2272/04 -, NJW 2009, S. 3016 <3018>).

Aus dem Gesamtzusammenhang ist ersichtlich, dass es dem Beschwerdeführer eben nicht um eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung ging. Der Beschwerdeführer äußerte sich im Rahmen des von einer Behörde durchgeführten Sühneverfahrens zu den Vorwürfen der Anzeigeerstatterin und zieht ihre geistige Gesundheit angesichts der – seiner Ansicht nach – aus der Luft gegriffenen Vorwürfe in Zweifel. Dem Beschwerdeführer ging es hierbei nicht ausschließlich um die Diffamierung der Anzeigeerstatterin, sondern in erster Linie um die Verteidigung gegen die aus seiner Sicht haltlosen und abstrusen Vorwürfe. Es handelt sich zwar um polemische und überspitzte Kritik; diese hat aber eine sachliche Auseinandersetzung zur Grundlage.

c) Beide Gerichte unterlassen zu Unrecht die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Anzeigeerstatterin. Hierbei wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass sich der Beschwerdeführer, der sich gegen die seiner Meinung nach nicht gerechtfertigten Vorwürfe der Anzeigeerstatterin und dabei auch gegen deren Anregung, bei ihm eine Wohnungsdurchsuchung durchzuführen, verteidigte, sich in einer rechtlichen Auseinandersetzung befand. Dabei ist ihm zur plastischen Darstellung seiner Position grundsätzlich erlaubt, auch starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, ohne jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen (vgl. BVerfGE 76, 171 <192>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. Februar 2012 – 1 BvR 2883/11 -, NJW-RR 2012, S. 1002 <1003> m.w.N.).“

Müsste dann auch für den Rechtsanwalt/Verteidiger gelten, der für seinen Mandanten zu einer Strafanzeige Stellung nimmt. Oder?

Verfahrenseinstellung und Auslagenentscheidung, oder: Ermessen, das man hat, muss man auch ausüben

© stockWERK - Fotolia.com

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Innerhalb kurzer Zeit hat das BVerfG erneut zur Ermessensausübung bei der Auferlegung der notwendigen Auslagen nach Verfahrenseinstellung Stellung nehmen müssen. Im BVerfG, Beschl. v. 13.10.2015 – 2 BvR 2436/14 – hatte es sich um eine Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG gehandelt (vgl. dazu Kosten und Auslagen beim Betroffenen? , so einfach geht das nicht mehr….). Im BVerfG, Beschl. v. 29.10.2015 – 2 BvR 388/13 ging es dann um eine Einstellung nach § 206a StPO. In beiden Fällen moniert das BVerfG, dass die befassten Gerichte das ihnen eingeräumte Ermessen nicht ausübt haben.

In dem der Entscheidung vom 29.102.2015 zugrunde liegenden Verfahren hatte das LG Stralsund das ihm in § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO eingeräumte Ermessen offenbar gar nicht erkannt, sondern hatte sich offenbar als verpflichtet angesehen, die notwendigen Auslagen des ehemaligen Angeklagte nicht der Staatskasse aufzuerlegen. Das schließt das BVerfG zutreffend aus der Formulierung des landgerichtlichen Beschlusses, in dem es geheißen hatte: „Die Kammer hat nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon abzusehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen, da er wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.“.

Das ist aber so nicht zutreffend. Vielmehr müssen zum Verfahrenshindernis, das allein der Verurteilung entgegensteht, weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Angeschuldigten die Auslagenerstattung zu versagen. Darüber hat das Einstellungsgericht zu befinden, was das LG Stralsund eben nicht getan hatte.

Der auf die Beschwerde des ehemaligen Angeklagten ergangene Beschluss des OLG Rostock hatte das übrigens nicht „repariert“. Das OLG hatte zwar (zutreffend) darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung gem. § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO eine Ermessensausübung erfordert. Es hatte dann aber die vom LG unterlassene Ermessensausübung nicht nachgeholt, sondern sich, ohne eigene Ermessenserwägungen anzustellen, auf die rechtliche Prüfung der – tatsächlich nicht vorliegenden – „Ermessensentscheidung des Landgerichts“, die es „als fehlerfrei“ erachtet, beschränkt. Eine Praxis, die, da die OLG nicht selten aus den „zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung“ verwerfen, wie man sieht, nicht ungefährlich ist.

Die Entscheidung des BVerfG ändert im Übrigen aber nichts an der Rechtsprechung des BVerfG, wonach es zulässig ist, in einer das Strafverfahren ohne förmlichen Schuldspruch beendenden Entscheidung einen verbleibenden Tatverdacht festzustellen und zu bewerten und dies bei der Entscheidung über die kostenrechtlichen Folgen zu berücksichtigen. Darauf weist das BVerfG ausdrücklich hin. Rechtsfolgen, die keinen Strafcharakter haben, können auch in einer das Verfahren abschließenden Entscheidung an einen verbleibenden Tatverdacht geknüpft werden (BVerfG NJW 1990, 2741; 1992, 1611, 1992, 1612; Beschl. v. 7. 2. 2002 – 2 BvR 9/02). Die Versagung des Auslagenersatzes im Falle einer Verfahrenseinstellung widerspricht also nicht der verfassungsrechtlichen Unschuldsvermutung, solange sich die Entscheidung über die Auslagenerstattung auf Erwägungen zum Tatverdacht stützt und ihre Begründung keine gerichtliche Schuldfeststellung oder -zuweisung enthält. Und: Es muss erkennbar sein, dass das Gericht sich seines Ermessens bewusst war und es auch ausgeübt hat.