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StPO III: Bindungswirkung an Geständnis I. Instanz, oder: Zumindest Fair-Trial beim Landgericht

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Und zum Tagesschluss etwas vom OLG Naumburg. Das hat im OLG Naumburg, Beschl. v. 24.09.2024 – 1 ORs 112/24 – zur „Bindungswirkung“ an ein erstinstanzliches Geständnis in den Verständigungsfällen Stellung genommen.

„Das AG hatte den Angeklagten, gestützt auf dessen geständige Einlassung, u.a. wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil haben sich der Angeklagte mit zunächst unbeschränkter Berufung sowie die Staatsanwaltschaft mit einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung gewendet. Im Berufungshauptverhandlungstermin beim LG beschränkte der Angeklagte seine Berufung ebenfalls auf den Rechtsfolgenausspruch. Daraufhin änderte das LG unter Annahme einer beiderseitigen wirksamen Beschränkung der Berufung den Rechtsfolgenausspruch des AG-Urteils ab und verurteilte den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Angeklagten. Diese hatte mit der Sachrüge Erfolg:

„Die Revision des Angeklagten hat bereits mit der Sachrüge Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils.

Die Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch war nicht wirksam, so dass das Landgericht nicht über alle Teile des amtsgerichtlichen Urteils entschieden hat, die seiner Prüfungskompetenz unterlagen.

Die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung hatte der Senat von Amts wegen im Freibeweis zu prüfen (vgl. KG Berlin, Urteil vom 17. August 2022 – (3) 161 Ss 129/22 (44/22) – , Rn. 14; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 16. Juni 2021 – 206 StRR 226/21 – , Rn. 4, 8; OLG Celle, Beschluss vom 23. November 2020 – 3 Ss 48/20 – , Rn. 23; jeweils zitiert nach juris; Paul in Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Auflage, § 318 Rn. 11 m. w. N).

Aufgrund der substanziierten Angaben des Angeklagten in seiner Revisionsbegründungsschrift, denen die Staatsanwaltschaft nicht entgegengetreten ist, der mit der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft mitgeteilten Erklärung des erstinstanzlichen Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, die mit den Angaben des Angeklagten (jedenfalls soweit es die Absprache der Verhängung einer Gesamtstrafe unter Einbeziehung von Vorstrafen betrifft) in Einklang steht, sowie der im Protokoll festgehaltenen Vorgänge in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung geht der Senat davon aus, dass vor der erstinstanzlichen Hauptverhandlung zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten eine – wenn auch informelle und damit unzulässige – Verständigung jedenfalls dahingehend getroffen worden ist, dass für den Fall eines Geständnisses des Angeklagten unter Einbeziehung der Strafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Köthen vom 3. Mai 2023 und vorn 19. Oktober 2022 eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr und neun Monaten verhängt wird.

Die Staatsanwaltschaft war durch die vorangegangene Verständigung nicht an der Einlegung der Berufung gehindert (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 22. November 2017 – 111-1 RVs 79/17 -, Rn. 16; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, vor § 312 Rn. 1e).

Jedoch hat die Staatsanwaltschaft ausweislich der Berufungsbegründung mit ihrer Berufung das Ziel verfolgt, die verhängten Einzelstrafen zu erhöhen und von der Gesamtstrafenbildung mit den erwähnten Strafen aus den vorangegangenen Urteilen abzusehen. Dieses verfolgte Ziel bedeutete für den Angeklagten in jedem Fall eine Überschreitung des Verständigungsstrafrahmens. Denn mit dem Urteil des Amtsgerichts Köthen vom 3. Mai 2023 war unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Köthen vom 19. Oktober 2022 eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verhängt worden. Selbst bei Beibehaltung der erstinstanzlich verhängten beiden Einzelstrafen von vier und fünf Monaten hätte aus diesen zwingend eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet werden müssen, mit der sich ohne die Bildung einer Gesamtstrafe mit den Strafen aus den genannten Vorverurteilungen die Gesamthöhe der Strafen gegenüber der nach dem Inhalt der Verständigung höchstmöglichen, aus allen Strafen gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe erhöht.

Das erstinstanzlich aufgrund einer getroffenen Verständigung erfolgte Geständnis des Angeklagten darf in der Berufungsinstanz aber jedenfalls dann nicht verwertet werden, wenn – wie hier – das Berufungsgericht den Angeklagten zu einer Strafe über der erstinstanzlich vereinbarten Strafobergrenze verurteilten will. Denn der Schutz des Angeklagten, welcher in dem Grundsatz des fairen Verfahrens (Art 6 Abs. 1 S. 1 EMRK) manifestiert ist, verlangt, dass ein verständigungsbasiertes Geständnis bei einer fehlgeschlagenen Verständigung unverwertbar ist, weil er dieses im Vertrauen auf die Einhaltung der vereinbarten Strafobergrenze abgelegt hat (BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 – 5 StR 484/20 BGHSt 66, 37-48, Rn. 20; OLG Hamm, Beschluss vom 22. November 2017 – 111-1 RVs 79/17 Rn. 19; OLG Naumburg, Urteil vom 16. März 2017 2 Rv 3/17 -, Rn. 7; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Oktober 2010 – 111-4 RVs 60/10 -, Rn. 12; jeweils zitiert nach juris; Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O.).

Das Verbot, das Geständnis zu verwerten, führt hier dazu, dass Schuldspruch und Rechtsfolgenausspruch rechtlich und tatsächlich nicht mehr selbstständig beurteilt werden können (vgl. OLG Hamm a. a. O. Rn. 20; OLG Naumburg a. a. O. Rn. 8; KG Berlin, Beschluss vom 7. Oktober 2020 – (4) 161 Ss 121/20 (166/20) – , Rn. 9; zitiert nach juris; Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O.). Dem fair-trial-Grundsatz widerspräche es, wenn Gericht, Staatsanwaltschaft und Angeklagter sich – sei es unter den Voraussetzungen des § 257c StPO oder im Rahmen einer unzulässigen informellen Absprache – auf einen bestimmten Strafrahmen verständigt hätten, der Angeklagte mit Rücksicht darauf ein Geständnis abgibt, das Gericht absprachegemäß verurteilt, die Staatsanwaltschaft sodann aber gegen das Urteil Rechtsmittel mit dem Ziel einer höheren Bestrafung einlegt, welche dann – letztlich auf der Grundlage des erstinstanzlichen Geständnisses – erfolgt (OLG Düsseldorf a. a. O.).

Wegen der fehlenden Trennbarkeit von Schuld- und Rechtsfolgenausspruch war daher die Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam.

Das Landgericht hätte daher nicht von der Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft ausgehen dürfen und das erstinstanzliche Urteil umfassend im Schuldspruch mit eigenen Feststellungen überprüfen müssen.

Daran ändert in der vorliegenden Konstellation auch nichts, dass es in der Berufungshauptverhandlung ebenfalls zu einer – diesmal formal ordnungsgemäßen -Verständigung der Verfahrensbeteiligten nach § 257c StPO gekommen ist. Diese Verständigung hatte zum Inhalt, dass bei Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen neun Monaten und einem Jahr, ausgesetzt zur Bewährung, verhängt wird, woraufhin der Angeklagte seine Berufung entsprechend beschränkt hat. Zu einem Geständnis, das zur Grundlage der Überprüfung des Schuldspruches hätte gemacht werden können, kam es aufgrund der Verständigung bereits nicht. Ferner hätte ein solches Geständnis aufgrund der vom Landgericht angenommen wirksamen Beschränkung der Berufungen auf den Rechtsfolgenausspruch auch keine Bedeutung für die Entscheidungsfindung betreffend den Schuldspruch mehr entfalten können (vgl. OLG Düsseldorf a. a. O. Rn. 15). Nur wenn das Berufungsgericht den Schuldspruch auch tatsächlich überprüft, kann eine aufgrund der neu zu treffenden Verständigung abgegebene geständige Einlassung des Angeklagten Grundlage für eine Verurteilung sein (s. a. OLG Hamm a. a. O. Rn. 22).“

Im Ergebnis richtig. Bei der Begründung ist mir nicht so ganz klar, ob das OLG auf § 257c Abs. 4 und 5 StPO abstellt, zumindest „konkludent“ 🙂 . Das wäre m.E. aber nicht richtig. Denn die vom OLG entschiedene Frage ist (zunächst) keine Problematik des § 257c Abs. 4 und 5 StPO, der die Bindungswirkung bei einer formellen Absprache regelt. Denn eine formelle Absprache nach § 257c hat hier beim AG nicht vorgelegen. Im Übrigen wäre das LG aber auch an eine solche Absprache nicht gebunden gewesen, da die Bindungswirkung nur bei dem Gericht besteht, bei dem die Absprache zustande gekommen ist. Und das war das AG. Das OLG argumentiert hier daher ja auch mit dem fair-trial-Grundsatz, was letztlich nicht zu beanstanden ist, obwohl sich das OLG nicht mit der Frage der Bindungswirkung der informellen Absprache befasst.

Und zur Bindungswirkung kann man nachlesen <<Werbemodus an“ bei vgl. Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 11. Aufl., 2025, Rn 305 ff. m.w.N.).; das Werk kann man hier bestellen. <<Werbemodus aus>>.

Einiges Neues zur Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: Bindung, Mischkonsum, Demenz, unsichere Fahrweise

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Heute dann mal wieder ein Ausflug in die Abteilung „Verwaltungsrecht“. Ich stelle in diesem Posting zunächst einige Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG vor, allerdings jeweils nur die Leitsätze. Und das sind:

Ein Strafurteil entfaltet keine Bindungswirkung gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde entfaltet, wenn es lediglich die strafrichterliche Feststellung enthält, der Fahrerlaubnisinhabe habe sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Denn dann fehlt es an einer eindeutigen und bestimmten und durch § 267 Abs. 6 Satz 2 StPO gebotenen Eignungsbeurteilung durch den Strafrichter. Ohne diese Feststellung beschränken sich die Urteilsgründe auf die Verhängung eines Fahrverbots, ohne dann mit einem Wort darauf einzugehen, dass und weshalb der Strafrichter ggf. von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen hat. Ob er die Fahreignung geprüft hat, ist dann völlig unklar.

1. Ist aufgrund der Umstände des Einzelfalls davon auszugehen, dass der Antragsteller gelegentlich Cannabis konsumiert hat und ihm aufgrund einer festgestellten Mischkonsums von Alkohol und Cannabis die Fahreignung fehlt, rechtfertigt das die Entziehung der Fahrerlaubnis ohne weiteres und ist die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung entbehrlich.

2. Ein nicht im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehender Mischkonsum von Cannabis und Alkohol rechtfertigt jedenfalls dann die Annahme einer mangelnden Fahreignung, wenn er die Aufgabe der Trennungsbereitschaft möglich erscheinen lässt und eine Teilnahme am Straßenverkehr unter Wirkung der Rauschmittel hinreichend wahrscheinlich ist. Das ist der Fall, wenn er in zeitlicher und mengenmäßiger Hinsicht zu einer kombinierten Rauschwirkung führen kann.

Zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen unsicherer Fahrweise und Anhaltspunkten für eine altersbedingte psychische Erkrankung (Demenz) und zur unzureichende Mitwirkung bei der Aufklärung.

VR I: Verurteilung wegen verbotenen Rennens, oder: Der BGH hebt zum zweiten Mal auf, auf in die 3. Runde

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Heute ist dann ein Verkehrsrechtstag, den ich mit einer Entscheidung des BGH eröffne.

Im BGH, Beschl. v. 27.03.2024 – 4 StR 493/23 – geht es mal wieder um ein Kraftfahrzeugrennen (§ 315d StGB). „Mal wieder“ passt auch noch aus einem anderen Grund. Denn die Sache war schon einmal beim BGH. Der hatte das erste LG-Urteil mit Urteil v. v. 18.08.2022 (4 StR 377/21)  aufgehoben. Im zweiten Rechtsgang hat das LG den Angeklagten dann erneut verurteilt. Dagegen dann erneut die Revision des Angeklagten, die wieder Erfolg hatte. Ich stelle hier dann auch mal die doch recht umfangreichen Feststellungen des LG mit ein. Der BGH führt aus:

„1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen als bindend angesehen: Am 20. Oktober 2019 befuhr der 22-jährige Angeklagte mit seinem BMW M4 kurz nach 23:00 Uhr die Bundesautobahn 9 bei Ingolstadt. Sein Fahrzeug verfügte – auch aufgrund von mittels einer für den Off-road-Betrieb bestimmten Tuning-App vorgenommenen technischen Veränderungen – über 575 PS, 850 Nm Drehmoment und eine theoretische Höchstgeschwindigkeit von 330 km/h. Wegen der durch die Veränderungen und weitere Umbauten bedingten Verschlechterung der Geräusch- und Abgasemissionen war die Betriebserlaubnis des BMW erloschen. Der von dem Angeklagten befahrene geradlinig und eben verlaufende Streckenabschnitt der A 9 verfügt über drei nicht beleuchtete Spuren mit separatem Standstreifen. Aus Lärmschutzgründen ist die Geschwindigkeit ab 1.400 m vor der tatgegenständlichen Unfallstelle in der Zeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr auf 120 km/h beschränkt, ab 750 m vor dieser auf 100 km/h. Das Verkehrsaufkommen war moderat, die Sicht war gut und die Fahrbahn trocken. Es befanden sich von Zeit zu Zeit Fahrzeuge auf allen drei Spuren. Auch die linke Spur wurde regelmäßig für Überholvorgänge genutzt.

Bereits innerhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 km/h überholte der links fahrende Angeklagte einen mit ca. 100 km/h auf der mittleren Fahrspur befindlichen Pkw, wechselte vor diesem zunächst auf die mittlere Spur, dann auf die rechte Spur und ließ sich anschließend hinter den Pkw zurückfallen, so dass der Pkw wieder an ihm vorbeifuhr. Anschließend wechselte er über die mittlere Spur auf die linke Spur, setzte zu einer massiven Beschleunigung an und passierte den weiterhin auf der mittleren Fahrspur fahrenden Pkw erneut mit hoher, nicht mehr näher feststellbarer Geschwindigkeit. Das gesamte Fahrmanöver nahm er in der Absicht vor, eine möglichst schnelle Beschleunigung und die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und die Leistungssteigerung seines Fahrzeugs „auszuleben“. Dabei ignorierte er die ihm bekannten Geschwindigkeitsbegrenzungen auf 120 km/h und 100 km/h, weil er „seinen Geschwindigkeitsrausch ausleben wollte“. Wenige Sekunden später schloss er zu einem vor ihm auf der linken Fahrspur fahrenden Pkw auf und ging leicht vom Gas. Nachdem der Fahrer dieses Pkw, der den mit hoher Geschwindigkeit sich nähernden BMW bemerkt hatte, auf die mittlere Spur gewechselt war, gab der Angeklagte wieder stark Gas, überholte den Pkw mit weit überhöhter Geschwindigkeit und beschleunigte weiter auf mindestens 233 km/h.

Noch im Sichtbereich des Fahrers des zuvor überholten Pkw nahm der Angeklagte erst im letzten Augenblick den mit eingeschaltetem Abblendlicht vor ihm mittig auf der linken Spur fahrenden Audi A4 des Geschädigten wahr. Obwohl er noch eine Vollbremsung einleitete und weitest möglich nach links auswich, fuhr er mit 207 km/h auf das Heck des Audi auf. Der Geschädigte, der angeschnallt mit ca. 120 km/h auf der mittleren Spur gefahren war, hatte etwa 4,2 Sekunden vor der Kollision seinen linken Blinker gesetzt und war sodann auf die linke Spur gewechselt, um ein vor ihm mit ca. 100 km/h fahrendes Wohnwagengespann, das seinerseits einen mit etwa 85 km/h auf der rechten Fahrspur fahrenden Lkw passierte, zu überholen. Als der Geschädigte den Blinker setzte, war der Angeklagte noch 125 m entfernt. Der Geschädigte hätte zu diesem Zeitpunkt die Lichter des BMW im Rück- und Seitenspiegel erkennen und den Spurwechsel unterlassen können. Eine zutreffende Einschätzung der Position des BMW und dessen hoher Geschwindigkeit war dem Geschädigten allerdings nur eingeschränkt und nur mit hoher Fehlertoleranz möglich. Der Unfall wäre vermeidbar gewesen, wenn der Angeklagte höchstens 197 km/h gefahren wäre.

Durch den Zusammenprall schleuderte der Audi A4 über die mittlere und rechte Spur ins Bankett und überschlug sich. Der Geschädigte erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und verstarb an der Unfallstelle. Der BMW des Angeklagten geriet ebenfalls ins Schleudern, kollidierte mit dem auf der mittleren Spur fahrenden Wohnwagengespann und überschlug sich. Aufgrund der Sicherheitsausstattung seines Fahrzeugs erlitt der Angeklagte nur leichte Verletzungen. An beiden Fahrzeugen entstand Totalschaden. An weiteren Fahrzeugen wurden hohe Sachschäden verursacht.

2. Zur subjektiven Tatseite hat das Landgericht zusätzlich festgestellt: Der Angeklagte hielt den Eintritt einer kritischen Verkehrssituation durch einen Spurwechsel anderer Verkehrsteilnehmer direkt vor ihn auf seine Fahrspur für möglich und fand sich hiermit ab. Er ging dabei jedoch ernsthaft davon aus, sein Fahrzeug auch bei hohen Geschwindigkeiten sicher beherrschen und so einen Unfall ggf. im letzten Moment verhindern zu können. Er vertraute hierdurch auf das Ausbleiben einer Kollision und eines damit einhergehenden tödlichen Erfolges.

II.

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Der Schuldspruch wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge nach § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und 5 StGB weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zu seinen Lasten auf. Denn die von dem hier maßgeblichen Grundtatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB geforderte Rennabsicht des Angeklagten ist nicht festgestellt.

1. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft keine Feststellungen zu der für den hier einschlägigen Grundtatbestand des sog. Alleinrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB erforderlichen Absicht des Angeklagten getroffen, mit seinem Fahrzeug eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erzielen. Vielmehr hat es in seinem Urteil wiederholt ausgeführt, dass eine solche Absicht nach dem Urteil des Senats bereits bindend feststehe. Dies trifft nicht zu. Die Strafkammer hat die Reichweite der Aufhebung und damit auch den Umfang der Bindungswirkung von Feststellungen verkannt.

Der Senat hat das im ersten Rechtsgang angefochtene Urteil „mit den Feststellungen zur subjektiven Tatseite“ aufgehoben (vgl. § 353 StPO). Diese Formulierung erfasst sämtliche Feststellungen zur inneren Tatseite, ohne dass der Senat Teile hiervon ausgenommen hätte. Aus dem Umstand, dass er in den Entscheidungsgründen die im Ersturteil festgestellte Absicht des Angeklagten, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, als rechtsfehlerfrei festgestellt bezeichnet hat, lässt sich diesbezüglich nichts Gegenteiliges ableiten. Diese Ausführungen waren ohnehin lediglich der gebotenen Prüfungsreihenfolge bei der hier auf dem Grundtatbestand nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB aufbauenden Qualifikation nach § 315d Abs. 2 und 5 StGB geschuldet. Im maßgeblichen Tenor der Senatsentscheidung (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2007 – 2 StR 62/07 Rn. 5; Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135, 137) haben sie hingegen keinen Niederschlag gefunden. Auch in deren Gründen findet sich im Rahmen der Ausführungen zum Aufhebungsumfang keine entsprechende Einschränkung, so dass sich schon deshalb die Frage einer Auslegung des Tenors im Sinne des landgerichtlichen Verständnisses nicht stellt.

2. Das Fehlen von Feststellungen zur Tat, hier zur subjektiven Tatseite des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, ist ein sachlich-rechtlicher Mangel, der auf die allgemeine Sachrüge zu beachten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2007 – 2 StR 62/07 Rn. 8 mwN). Da sich die Strafkammer für die Rennabsicht des Angeklagten an die Feststellungen des ersten Rechtsgangs gebunden sah, sind entsprechende Feststellungen auch der Gesamtheit der Urteilsgründe nicht zu entnehmen. Zudem beruht das Urteil auf dem Rechtsfehler (§ 337 StPO). Der Schuldspruch unterliegt daher – zugleich wegen des tateinheitlich verwirklichten Delikts (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 2023 – 2 StR 308/22 Rn. 20) – der Aufhebung. Dasselbe gilt für die Folgeentscheidungen. Der Senat hebt auch die Entscheidung zur Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung auf; das neue Tatgericht wird insoweit ohnehin den gesamten (auch weiteren) Verfahrensablauf zu berücksichtigen haben.

Die vom Landgericht im zweiten Rechtsgang getroffenen Feststellungen zum Gefährdungsvorsatz des Angeklagten (bei zugleich fehlendem Tötungsvorsatz) sind von dem Rechtsfehler ebenfalls betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO). Denn das Landgericht hat den ansonsten rechtsfehlerfrei bejahten Gefährdungsvorsatz des Angeklagten auch damit begründet, dass er ein „Alleinrennen“ gefahren habe. Diese Erwägung des Landgerichts knüpft an die zu Unrecht als bindend angesehene Rennabsicht des Angeklagten an. Der Senat hebt vor diesem Hintergrund alle im zweiten Rechtsgang neu getroffenen Feststellungen ebenfalls auf.

III…..

IV.

Das im dritten Rechtsgang erkennende Tatgericht wird aufgrund eigener Beweiserwägungen Feststellungen zur subjektiven Tatseite aller in Betracht kommenden Delikte (Grund- und Qualifikationstatbestände) zu treffen haben. Dies betrifft namentlich die Rennabsicht und den Gefährdungsvorsatz des Angeklagten, die weiteren subjektiven Voraussetzungen von § 315d Abs. 1 Nr. 3, § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) StGB (vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315c Rn. 18) und den Tötungsvorsatz.

Auch eine Verurteilung des Angeklagten wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, sollte sich das neue Tatgericht von seinem Tötungsvorsatz überzeugen können, verböte sich nicht. Einer derartigen Verschärfung des Schuldspruchs stünden weder das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) noch die Bindung des neuen Tatgerichts an die Aufhebungsansicht des Senats (§ 358 Abs. 1 StPO) entgegen, die sich hierüber nicht verhält. Das neu zuständige Schwurgericht wird jedoch das Verschlechterungsverbot hinsichtlich der gegen den Angeklagten zu verhängenden Rechtsfolgen zu beachten haben, denn die Urteilsaufhebung ist nunmehr allein zu seinen Gunsten erfolgt (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 1991 – 2 StR 288/91, BGHSt 38, 66, 67; Gericke in KK-StPO, 9. Aufl., § 358 Rn. 18 mwN).

Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass mangels damaliger Aufhebung auch die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten aus dem ersten Rechtsgang bindend sind. Sie können widerspruchsfrei ergänzt werden.“

Dann darf als die nächste Strafkammer ihr Glück versuchen. Vielleicht klappt es ja.

FE-Entziehung II: Bindungswirkung an Strafurteil, oder: Wenn das Strafgericht (nur) ein Fahrverbot verhängt

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Bei der zweiten „Entziehungsentscheidung“ handelt es sich um den OVG Saarland, Beschl. v. 09.08.2023 – 1 B 75/23 – zur Bindungswirkung eines strafgerichtlichen Urteils hinsichtlich der Kraftfahreignung (§ 3 Abs. 4 Satz 1 StVG).

Folgender Sachverhalt: Der Antragsgegner hat dem Antragsteller mit für sofort vollziehbar erklärter Verfügung vom 21.11.2022 die Fahrerlaubnis unter Verweis auf § 3 Abs. 1 StVG, §§ 11 Abs. 8 und 46 FeV entzogen (Ziffer 1) und ihn unter Androhung der Ersatzvornahme aufgefordert, seinen Führerschein abzugeben (Ziffer 2). Der Antragsteller sei mit Urteil des Amtsgerichts S vom 10.09.20091 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr (2,31 ‰) verurteilt worden. Die Tat sei verwertbar. Die Tilgungsfrist sei noch nicht abgelaufen (§ 29 Abs. 5 StVG). Zwar sei dem Antragsteller im Dezember 2012 nach „bestandener“ medizinisch-psychologischer Untersuchung2 die Fahrerlaubnis wieder erteilt worden. Jedoch ergebe sich aus dem Urteil des Amtsgerichts V vom 17.06.20213 (Tat vom 08.10.2019), dass er erneut unter Alkoholeinfluss (0,59 ‰) am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen habe. Das Gericht habe ihn wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt und ihm zugleich die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen. Das Urteil sei nach Maßgabe des Urteils des Landgerichts S vom 17.11.20214 (das den Schuldspruch bestätigt, das amtsgerichtliche Urteil jedoch dahingehend geändert hat, dass anstelle der Entziehung der Fahrerlaubnis nebst Sperrfrist ein Fahrverbot für drei Monate nach § 44 StGB verhängt wurde) rechtskräftig. Aufgrund dieser wiederholten Auffälligkeiten habe die Fahrerlaubnisbehörde erhebliche Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers gehegt und ihn daher mit Schreiben vom 10.02.2022 unter Verweis auf § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. b FeV aufgefordert, sich einer medizinisch-psychologischen Fahrtauglichkeitsprüfung zu unterziehen. Da der Antragsteller dieser Aufforderung nach Verlängerung der Vorlagefrist nicht nachgekommen sei, sei der Schluss nach § 11 Abs. 8 FeV auf die fehlende Kraftfahreignung angezeigt. Nachdem er zudem mit Urteil vom 09.08.20225 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt worden sei, weise „sein“ Fahrerlaubnisregister drei verkehrsbezogene Straftaten (und – Stand: 23.09.2022 – fünf Punkte) auf. Es werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Anknüpfungspunkt der Fahrerlaubnisentziehung nicht der Vorfall vom 8.10.2019 sei, sondern die Entscheidung nach § 11 Abs. 8 FeV. Da der Antragsteller als Berufskraftfahrer in größerem Umfang als ein üblicher Fahrzeugführer am Straßenverkehr teilnehme, bestehe ein erhebliches öffentliches Interesse an einer zeitnahen Durchsetzung der Entscheidung.

Der Atragsteller hat Widerspruch eingelegt und Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt. Der hatte beim VG keinen Erfolg, beim OVG dann aber doch. Das OVG führt zur „Bindungswirkung“ aus (Achtung: Das OVG arbeitet mit Fußnoten; die sind nur im Volltext enthalten):

„4. Denn zu Recht macht die Beschwerde geltend, dass das Landgericht S die Kraftfahreignung des Antragstellers in dem wegen der Tat vom 8.10.2019 geführten Strafverfahren mit Urteil vom 17.11.2021 geprüft (und bejaht) hat. Die Bindungswirkung dieser strafgerichtlichen Beurteilung (§ 3 Abs. 4 Satz 1 StVG) schließt es fallbezogen aus, dass die Fahrerlaubnisbehörde den Vorfall vom 8.10.2019 als Anlass für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Fahreignungsbegutachtung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. b) FeV nimmt.

Nach § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG gilt: Will die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, so kann sie zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich (unter anderem) auf die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht.

a) Mit dieser Vorschrift soll die sowohl dem Strafgericht (§ 69 StGB) als auch der Verwaltungsbehörde (§ 3 Abs. 1 StVG) eingeräumte Befugnis, bei fehlender Kraftfahreignung die Fahrerlaubnis zu entziehen, so aufeinander abgestimmt werden, dass Doppelprüfungen unterbleiben und die Gefahr widersprechender Entscheidungen ausgeschaltet wird. Der Vorrang der strafrichterlichen vor der behördlichen Entscheidung findet seine Rechtfertigung darin, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Strafgericht als Maßregel der Besserung und Sicherung keine Nebenstrafe, sondern eine in die Zukunft gerichtete, aufgrund der Sachlage zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung zu treffende Entscheidung über die Gefährlichkeit des Kraftfahrers für den öffentlichen Straßenverkehr ist. Insofern deckt sich die dem Strafgericht übertragene Befugnis mit der Ordnungsaufgabe der Fahrerlaubnisbehörde.

Allerdings ist die Verwaltungsbehörde an die strafrichterliche Eignungsbeurteilung nur dann gebunden, wenn diese auf ausdrücklich in den schriftlichen Urteilsgründen getroffenen Feststellungen beruht und wenn die Behörde von demselben und nicht von einem anderen, umfassenderen Sachverhalt als das Strafgericht auszugehen hat. Die Bindungswirkung lässt sich nur rechtfertigen, wenn die Fahrerlaubnisbehörde den schriftlichen Urteilsgründen sicher entnehmen kann, dass überhaupt und mit welchem Ergebnis das Strafgericht die Fahreignung beurteilt hat (vgl. § 267 Abs. 6 Satz 2 StPO). Deshalb entfällt die Bindungswirkung, wenn das Strafurteil überhaupt keine Ausführungen zur Kraftfahreignung enthält oder wenn jedenfalls in den schriftlichen Urteilsgründen unklar bleibt, ob das Strafgericht die Fahreignung eigenständig beurteilt hat. In diesen Fällen wäre es mit der Ordnungsaufgabe, die der Fahrerlaubnisbehörde im Interesse der Verkehrssicherheit übertragen wurde, nicht zu vereinbaren, ihr die Möglichkeit zu nehmen, Klarheit über die zweifelhaft gebliebene Eignung des verurteilten Kraftfahrers zu schaffen. § 3 Abs. 4 StVG darf im Ergebnis nicht dazu führen, dass in keinem der beiden Verfahren die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ordnungsgemäß überprüft und beurteilt wird.12

b) Nach diesem Maßstab entfaltet das landgerichtliche Berufungsurteil vom 17.11.2021 entgegen der erstinstanzlichen Einschätzung Bindungswirkung zugunsten der Kraftfahreignung des Antragstellers.

Zwar ist die Tatsache, dass ein Strafgericht anstelle einer in Betracht kommenden Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) ein Fahrverbot (§ 44 StGB) verhängt, regelmäßig nicht schon für sich genommen Ausdruck einer stillschweigenden Prüfung (und Bejahung) der Fahreignung, so dass nicht bereits deswegen eine Bindungswirkung entsteht.13 Es fragt sich aber, ob hier etwas anderes zu gelten hat. Denn wie sich aus den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils zweifelsfrei ergibt, war Ziel des Berufungsverfahrens – und Schwerpunkt der landgerichtlichen Prüfung – gerade die „Abwehr“ der erstinstanzlich verhängten Maßregel der Besserung und Sicherung nach § 69 StGB. Vor diesem Hintergrund könnte einiges dafürsprechen, dass (ausnahmsweise) schon die Entscheidungsformel – Änderung der in erster Instanz ausgesprochenen Fahrerlaubnisentziehung in eine Entscheidung nach § 44 StGB – Ausdruck einer im Sinne des § 3 Abs. 4 StVG hinreichenden Prüfung der Kraftfahreignung des Antragstellers sein könnte, zumal Fahrverbot und Fahrerlaubnisentziehung sich gegenseitig grundsätzlich ausschließen,14 § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB die Entziehung der Fahrerlaubnis seinem Wortlaut nach zwingend15 vorschreibt, sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen – unter anderem die fehlende Kraftfahreignung – gegeben sind16, und eine allzu „kleinteilige“ Betrachtung das Ziel des § 3 Abs. 4 StVG, Doppelprüfungen zu vermeiden, konterkarieren könnte.

Diese Frage kann aber auf sich beruhen. Denn aus der niedergelegten Begründung des Berufungsurteils vom 17.11.2021 wird hinreichend klar, dass das Landgericht die Kraftfahreignung des Antragstellers auf Grundlage der im Strafverfahren getroffenen Feststellungen eigenständig geprüft (und bejaht) hat.

Die Berufungskammer hält auf S. 3 des Urteils zunächst fest, sie habe „im Wesentlichen dieselben Feststellungen [wie das Amtsgericht] getroffen“ und führt auf dieser Grundlage aus, es sei nicht festzustellen, dass der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei. Die Tat, die kein Regelbeispiel des § 69 Abs. 2 StGB erfülle, sei bereits im Oktober 2019 geschehen, ohne dass es zu einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis gekommen wäre. Seither habe der Antragsteller sich in psychologischer Beratung befunden und ohne Auffälligkeiten am Straßenverkehr teilgenommen. Unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Antragstellers sei, so das Landgericht weiter, anstelle einer Entziehung der Fahrerlaubnis ein Fahrverbot ausreichend.

Damit hat das Strafgericht die gefahrenabwehrrechtliche Dimension des § 69 StGB erkannt und – wenngleich knapp – die Kraftfahreignung des Antragstellers aufgrund der in den Urteilsgründen getroffenen Feststellungen beurteilt.

Die Urteilsgründe lassen demgegenüber keinen Raum für die Annahme, das Landgericht habe die Eignungsfrage nicht hinreichend beurteilt oder gar offengelassen. Die Überlegungen, die das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang angestellt hat, überzeugen letztlich nicht. Abgesehen davon, dass das Vorliegen einer Eignungsbeurteilung und damit der Eintritt der Bindungswirkung nicht durch das isolierte „Abarbeiten“ einzelner Begründungselemente erfolgen darf, sondern vielmehr nach dem Gesamtzusammenhang der Gründe des Strafurteils festgestellt werden muss,17 greifen die Erwägungen des Erstgerichts auch in der Sache nicht durch.

Dass der angefochtene Beschluss (weitere) „Ausführungen zur körperlichen und geistigen Verfassung des Antragstellers“ vermisst, überspannt fallbezogen die Anforderungen des § 3 Abs. 4 StGB. Dass das Strafurteil die Feststellung enthält, der Antragsteller leide „psychisch sehr unter dem Vorfall“, ändert nichts an der ausdrücklich positiven Beurteilung der Kraftfahreignung durch die Berufungskammer. Unzutreffend ist es ferner, wenn das Verwaltungsgericht festhält, das Landgericht habe „maßgeblich“ auf das Nichtvorliegen eines Regelbeispiels des § 69 Abs. 2 StGB abgestellt. Richtig ist vielmehr, dass die Berufungskammer diesen Aspekt als einen unter mehreren in ihre Eignungsbeurteilung hat einfließen lassen. Das dürfte im Übrigen nicht zu beanstanden sein, nachdem Straftaten, die (wie hier) nicht zu den Indiztaten des § 69 Abs. 2 StGB gehören, nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht schon typisierend auf einen „ungeeigneten“ Kraftfahrer deuten, sondern – was das Landgericht geleistet hat – eine Gesamtwürdigung von Tat und der in der Tat hervorgetretenen Täterpersönlichkeit erforderlich machen.18

Der Senat vermag sich ferner nicht der Einschätzung des Verwaltungsgerichts anzuschließen, der Hinweis im Urteil des Landgerichts vom 17.11.2021 auf eine unauffällige Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr seit der Tat vom 8.10.2019 mache deutlich, dass das Strafgericht gerade keine eigenständige Bewertung der Kraftfahreignung vorgenommen habe. Die als Beleg für diese Ansicht angeführten Entscheidungen19 zeichnen sich dadurch aus, dass die dort auf eine Bindungswirkung zu prüfenden strafgerichtlichen Entscheidungen den Zeitablauf als einziges oder doch zumindest schlagendes Argument für das Absehen von einer Entziehung der Fahrerlaubnis anführten.20 Eine solche Anwendung des § 69 Abs. 1 StGB wird den Anforderungen an eine im Lichte des § 3 Abs. 4 StVG hinreichende, die Bindungswirkung auslösende, Eignungsbeurteilung sicher nicht gerecht. So liegt der Fall hier aber nicht, nachdem das Landgericht (wie dargelegt) weitere Umstände in seine Beurteilung hat einfließen lassen. Im Übrigen hat das Landgericht mit seinem Hinweis auf eine unterbliebene vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis fallbezogen die Erkenntnis zum Ausdruck gebracht, dass die in früheren Stadien des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens dazu berufenen Stellen (vgl. § 162 StPO) offenbar (ebenfalls) zumindest keine „dringenden“ Gründe für die Annahme sahen, dem Antragsteller fehle die Kraftfahreignung (§ 111a Abs. 1 Satz 1 StPO, § 69 StGB).

Lediglich ergänzend sei erwähnt, dass der Umstand, dass nach dem Wortlaut des Berufungsurteils (bloß) die fehlende Eignung des Antragstellers nicht habe festgestellt werden können, keine andere Einschätzung gebietet. Eine Unterscheidung zwischen positiver Feststellung der Eignung und Verneinung der Ungeeignetheit ist jedenfalls im Entziehungsverfahren rechtlich ohne Belang. Ist die Ungeeignetheit nicht gegeben, muss der Kraftfahrer im Rechtssinn als (weiterhin) geeignet angesehen werden.21 Im Übrigen korrespondiert die Begründung, die das Landgericht für seine Entscheidung gegeben hat, mit dem Prüfauftrag, den § 69 StGB dem Strafgericht aufgibt. Tatbestandliche Voraussetzung für ein Vorgehen nach dieser Vorschrift ist nämlich (unter anderem), dass sich aus der Tat ergibt, dass der Angeklagte zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Die Feststellung der Eignung ist der Norm hingegen fremd.

c) Anders als das Verwaltungsgericht meint, entfällt die Bindungswirkung nicht deswegen, weil der Antragsgegner fallbezogen einen umfassenderen Sachverhalt zu beurteilen hätte. Im Ansatz zu Recht geht das Gericht zwar davon aus, dass eine strafgerichtliche Eignungsbeurteilung die Fahrerlaubnisbehörde nach § 3 Abs. 4 StVG nicht bindet, wenn die strafrechtliche Untersuchung nur einen Teil des Vorgangs abdeckt, der verwaltungsrechtlich zu beurteilen ist.22 Der Hinweis, das Landgericht habe in Bezug auf die „Alkoholproblematik“ des Antragstellers als Eignungsmangel keine hinreichenden Feststellungen getroffen, geht hier indes fehl. Wie sich aus den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils ergibt, die das Landgericht „im Wesentlichen“ gleichlautend getroffen hat, war die Alkoholisierung des Antragstellers am Tattag Gegenstand des Strafverfahrens. Zudem spricht ausweislich des Verweises auf das amtsgerichtliche Urteil nichts dafür, dass das Landgericht die frühere „Alkoholtat“ des Antragstellers – Urteil des Amtsgerichts S vom 10.9.2009 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr (2,31 ‰) – unberücksichtigt gelassen hätte.23

Nach alledem ist nach den Entscheidungsgründen des Urteils vom 17.11.2021 davon auszugehen, dass die Berufungskammer in Ansehung all dieser Umstände und als Ausdruck einer hinreichenden eigenen Prüfung die Kraftfahreignung des Antragstellers bejaht hat. Darüber, ob man diese Einschätzung für „richtig“ oder „falsch“ hält, mag man streiten. Für die Bindungswirkung des § 3 Abs. 4 StVG ist das freilich ohne Relevanz.“

StPO III: Zusage der Verfahrenseinstellung durch StA, oder: Bindungswirkung?

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Und dann als dritte Entscheidung dann noch der BGH, Beschl. v. 13.12.2022 – 1 StR 380/22 – zur Bindungswirkung einer Verfahrenseinstellung gem. § 154 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaf.

Dazu der BGH:

„1. Die – zulässige – Verfahrensrüge, das Landgericht habe dadurch gegen seine Pflicht zur Wahrheitserforschung verstoßen, dass es den Zeugen Rechtsanwalt T. in Anwesenheit der Staatsanwälte R. und S. als Sitzungsvertreter sowie anschließend diese zu demselben Beweisthema, der behaupteten staatsanwaltschaftlichen Zusage der Nichtwiederaufnahme des – mit Abschlussverfügung vor Anklageerhebung im ersten Rechtsgang nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellten – Verfahrens bezüglich acht hier streitgegenständlicher bzw. der Nichtverfolgung zum Zeitpunkt der Gespräche (9. und 26. Juli 2019) bekannter weiterer ebenfalls hier geahndeter drei Steuerstraftaten, vernommen hat (§ 244 Abs. 2, § 58 Abs. 1 StPO; vgl. dazu BGH, Urteil vom 15. April 1987 – 2 StR 697/86 Rn. 18-22), ist unter einem weiteren Gesichtspunkt unbegründet:

Einer solchen staatsanwaltschaftlichen Zusicherung kommt von vornherein nicht die Bindungswirkung einer gerichtlichen Verständigung (§ 257c StPO) zu (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 79; vgl. auch BT-Drucks. 16/12310 S. 13). Durch das „Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren“ vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2353) ist das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. April 1990 – 3 StR 254/88 (BGHSt 37, 10, 13 f.), wonach die staatsanwaltschaftliche Zusage, das Verfahren bezüglich einer Straftat einzustellen bzw. diese nicht zu verfolgen, einen Vertrauenstatbestand als gewichtigen Strafmilderungsgrund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) begründen könne, insoweit überholt (vgl. BVerfGE aaO). Bereits sein vormaliger Verteidiger, der mittlerweile verstorbene Rechtsanwalt H., wies den Angeklagten in seiner E-Mail vom 1. August 2019 (Revisionsbegründung S. 47) auf diesen Gesichtspunkt mit den Worten hin: „Eine rechtliche Bindung ergibt sich hieraus für die Staatsanwaltschaft, hierüber haben wir eingehend gesprochen, allerdings nicht. Die Festschreibung dieser Äußerung ist aber gleichwohl sinnvoll, weil sich hieraus eine psychologische Bindung ergibt.“

Das Urteil des Senats vom 11. November 2020 – 1 StR 328/19 – im ersten Rechtsgang gab wegen der gewichtigen Teilaufhebung einen sachlichen Anlass (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 2022 – 2 BvR 1110/21 Rn. 50; BGH, Beschluss vom 30. April 2009 – 1 StR 745/08, BGHSt 45, 1 Rn. 15), neben den rechtskräftig gewordenen neun Einzelstrafen die (gleichgelagerten) Ertragsteuerhinterziehungsfälle wiederaufzunehmen bzw. zu verfolgen.

Ohnehin hat das Landgericht eine etwaige – freilich mit der E-Mail vom 1. August 2019 nicht zu vereinbarende – vorübergehende „Erwartung“ des Angeklagten, wegen der verfahrensgegenständlichen elf Steuerstraftaten nicht verfolgt zu werden, strafmildernd berücksichtigt (UA S. 67); nach alledem ist der Gesichtspunkt eines Vertrauensschutzes jedenfalls nicht rechtsfehlerhaft zu Lasten des Angeklagten in der Strafzumessung gewürdigt worden.

Eine Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft erzeugt keinen Vertrauenstatbestand derart, dass diese einer späteren Strafverfolgung bezüglich der hiervon umfassten Taten grundsätzlich entgegensteht. Auch erzeugt dieser Umstand bei einer späteren diesbezüglichen Verurteilung keinen gewichtigen Strafmilderungsgrund. Gleichwohl bedarf die spätere Strafverfolgung der von der Einstellung zuvor erfassten Taten eines hinreichend sachlichen Anlasses, der darin liegen kann, dass die Taten, im Hinblick auf deren Verurteilung die Einstellung nach § 154 Abs. 1 StPO erfolgte, nicht zur (rechtskräftigen) Verurteilung gelangen.“