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Immer wieder falsche Bezugnahmen

Die Bezugnahmen auf Feststellungen/Ausführungen in aufgehobenen Urteilen durch das neu entscheidende Tatgericht beschäftigen den BGH immer wieder. Gerade in dem Bereich werden auch häufig Fehler gemacht, in dem Bezug genommen wird, wo es so bzw. in dem Umfang nicht zulässig ist. Wenn man dazu in den BGH-Beschlüssen liest, ist man dann schon manchmal erstaunt, wie „sorglos“ die Tatgerichte an der Stelle doch sind. So heißt es im Beschl. des BGH v. 25.11.2010 – 3 StR 431/10:

Das Landgericht hat zur Begründung der verhängten Jugendstrafe lediglich Folgendes ausgeführt:

„Grundlage der Strafzumessung hinsichtlich des Angeklagten sind die vom Bundesgerichtshof grundsätzlich nicht beanstandeten Ausführungen im Urteil des Landgerichts vom 3.3.2009 unter der dortigen Ziff. V., soweit es um die zu Ziff. II. 1 und 2 des Urteils festgestellten Taten geht…. Da bei der Strafzumessung die Tat zu Ziff. II. 3. des vorgenannten Urteils [der gemäß § 154 Abs. 2 StPO ausgeschiedene Vorwurf des Wohnungseinbruchsdiebstahls] nicht zu berücksichtigen ist, somit der dem Angeklagten zur Last zu liegende Unrechtsgehalt seiner Taten wesentlich geringer ist, konnte es bei der Bemessung der Einheitsjugendstrafe mit zwei Jahren sein Bewenden haben.“

Der BGH begründet die Aufhebung des Strafausspruchs:

Damit hat die Strafkammer zur Begründung der Jugendstrafe ausschließlich auf die Strafzumessungserwägungen des früheren Urteils Bezug genommen. Diese Bezugnahme ist indes unzulässig, weil der Strafausspruch jenes Urteils und damit die ihn tragenden Erwägungen – anders als die ihm zu Grunde liegenden tatsächlichen Feststellungen – durch die Entscheidung des Senats vom 25. November 2009 aufgehoben worden ist (BGH, Beschluss vom 26. Mai 2004 – 4 StR 149/04). Die Strafzumessungserwägungen aus dem früheren Urteil sind deshalb nicht mehr existent und können daher auch nicht Gegenstand einer Bezugnahme sein. Damit fehlt es an einer tragfähigen Begründung der festgesetzten Jugendstrafe.

Und ergibt einen freundlichen Hinweis :-), was alles zu tun ist:

„Der neue Tatrichter wird auf der Grundlage der aufrechterhaltenen Feststellungen aus dem ersten Urteil und ergänzenden Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten, die in der neuen Hauptverhandlung getroffen werden, eigenständige und neue Erwägungen zur gesamten Strafzumessung, mithin auch zur Frage der Anwendbarkeit von Jugendstrafrecht (vgl. zum Verbot der Schlechterstellung Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 331 Rn. 14) anzustellen haben.“

Hat die Rechtsbeschwerde eine Chance? Bei diesem leicht „schlampigen“ Urteil schon…

Eine Kollegin, die vor einiger Zeit bei mir im Fachanwaltskurs war, hat mir ein Urteil des AG Köln geschickt mit der Frage, ob eine dagegen ein gelegte Rechtsbeschwerde eine Chance habe. Die Kollegin hält in dem Urteil v. 16.07.2010 – 814 OWI 147/10 die Beweiswürdigung für falsch.

Na ja, zu dem letzteren konnte ich, da ich die Sache nicht kenne nichts Konkretes sagen, sondern musset die Kollegin auf den allgemeinen Satz verweisen, dass die Beweiswürdigung ureigenste Aufgabe des Tatrichters ist und sie mit der Rechtsbeschwerde/Revision nur angegriffen werden kann, wenn sie z.B. lückenhaft oder widersprüchlich ist. Dass der Tatrichter die Beweise anders als der Verteidiger würdigt, ist kein Fehler und da kommt man auch mit dem Rechtsmittel

Das Urteil des AG Köln bietet m.E. aber andere Angriffspunkte, die ein wenig zu dem Post vom 10.09.2010 – „Warum tun Tatrichter das, oder: Die geschriebene Lücke“ passen; mit lückenhaften Urteilsgründen befassen sich auch die Kollegen Siebers und Feltus

Ansatzpunkte in dem Urteil sind:

1. Wo liegt der Tatort = in welcher Stadt? Das teilt das Urteil nicht mit, was m.E. allein schon aus diesem Grund zur Aufhebung führen müsste. Auch der sog. Gesamtzusammenhang führt da nicht weiter.

2. Aufgehoben werden müsste das Urteil m.E. zumindest aber im Rechtsfolgenausspruch, da der nur wie folgt begründet wird:

„Die im Bußgeldbescheid gegen den Betroffenen festgesetzten Maßnahmen waren zu bestätigen, da er bereits einige Eintragungen im Verkehrszentralregister aufweist. Diese lauten wie folgt: Es folgen sieben Kopien von Mitteilungen an das VRZ.
Das reicht zur Begründung der festgesetzten Rechtsfolgen nicht aus. Der Amtsrichter hat nicht die Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu „bestätigen“, sondern er muss eine eigene Rechtsfolgenentscheidung treffen und begründen. Daran fehlt es hier völlig. Auch hinsichtlich der Bezugnahmen/an das Hineinkopieren der Eintragungen im VZR habe ich Bedenken, ob das ausreicht, ohne das jetzt aber vertifet geprüft zu haben (vgl. dazu BGH NStZ-RR 1996, 266 und OLG Frankfurt NStZ-RR 2009, 23). Es gibt eine Entscheidung des OLG Hamm, die ich aber im Moment nicht wiederfinde :-(, die das als unzulässig ansieht.

Also: Die Kollegin sollte Rechtsbeschwerde einlegen und die mit der Sachrüge begründen. Aussicht auf Erfolg besteht.

Abschließend: Wie man den Tatort vergessen kann, leuchtet mir nicht ein. 🙂 🙁

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Bitte „Butter bei die Fische“, oder: Du musst mir schon sagen, warum die Aufnahme pornografisch ist?

Das LG hatte den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB in der bis 31. März 2004 geltenden Fassung verurteilt. Nach den landgerichtlichen Feststellungen zog der Angeklagte an einem nicht mehr zu ermittelnden Tag im Jahre 2002 die 1991 geborene Tochter Annemarie seiner Lebensgefährtin in der gemeinsamen Wohnung zu seinem Computer und „zeigte ihr pornographische Aufnahmen“. Als sie weggehen wollte, weil sie die Bilder nicht sehen wollte, „versuchte der Angeklagte, sie festzuhalten, ließ sie dann jedoch gehen, als sie sich dagegen wehrte“.

Das hat dem 3. Strafsenat des BGH nicht gereicht. Er führt in seinem Beschl. v. 22.6.2010 – 3 StR 177/10 aus:

Soweit hier von Belang, setzt der Tatbestand des § 176 Abs. 3 Nr. 3 StGB aF – ebenso wie § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB nF – voraus, dass der Täter durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen auf ein Kind einwirkt. Pornographisch sind Abbildungen oder Darstellungen, die sexualbezogenes Geschehen vergröbernd und ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensäußerungen zeigen (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 184 Rdn. 7). Allein die verallgemeinernde Beschreibung mit „pornographische Aufnahmen“ belegt dies nicht. Zudem verlangt ein Einwirken eine psychische Einflussnahme tiefergehender Art (vgl. BGHSt 29, 29, 30 f.; BGH NStZ 1991, 485; NJW 1976, 1984); auch hierauf kann ohne nähere Feststellungen zum Inhalt der Aufnahmen nicht geschlossen werden. „

Also: Butter bei die Fische und die „pornografischen Aufnahmen“ beschreiben. Wegen der „Einzelheiten“ kann ja gem. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug genommen werden. Dann kan sich das Revisionsgericht die Bilder selbst ansehen. Schöne Vorstellung, wie der BGH-Senat dann in der Beratung vor einem Videorekorder oder Notebook sitzt und sich „pornografische Aufnahmen“ ansieht. Alles rein dienstlich 🙂 :-).

Manchmal versteht man es nicht,…

…wie sorglos doch von Verteidigern mit der Formenstrenge der Revision um gegangen wird.  Anders kann man den Beschl. des BGH v. 14.04.2010 – 2 StR 42/10 – nicht kommentieren, in dem es heißt:

„Es genügt den Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Revisionsvortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) nicht, wenn Aktenbestandteile und Ausschnitte aus dem Hauptverhandlungsprotokoll – wie es in der Revisionsschrift heißt – „der Einfachheit halber in chronologischer Reihenfolge und nicht nach Rügen – getrennt überreicht werden“. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich aus einem Aktenkonvolut denkbare Verfahrensfehler selbst herauszusuchen und den dazu möglicherweise passenden Verfahrenstatsachen zuzuordnen.“

Hat der Verteidiger denn wirklich geglaubt, der BGH würde sich schon das zusammenklauben, was er für die jeweilige Rüge braucht? Und dass ggf. in Kenntnis des Umstandes, wie die Rechtsprechung mit § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO umgeht.

Nachtrag: Vgl. dazu aber auch die Diskussion hier.

Ist eine Videoaufnahme eine Abbildung?

In der obergerichtlichen Rechtsprechung scheint sich ein neuer Streit aufzutun, und zwar in der Frage: Ist eine Videoaufnahme eine Abbildung mit der Folge, dass darauf dann im Urteil ggf. nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug genommen werden darf? In der Vergangenheit ist die Frage von einigen OLG`s bejaht worden, vor allem das OLG Dresden hat im vergangenen Jahr in einem m.E. überzeugend begründeten Beschluss (25.05.2009 – Ss (OWi) 83/09) dargelegt, dass eine für die Bezugnahme geeignete Abbildung auch dann vorliegt, wenn technische Hilfsmittel notwendig sind, um sie betrachten zu können. Das will jetzt offenbar das OLG Hamm anders sehen. Der 3. Senat für Bußgeldsachen hat in seinem  Beschl. v. 09.12.2009 – 3 Ss OWi 948/09 ausgeführt, dass der Wortlaut „Abbildung“ eher dagegen spreche, einen Verweis auf einen ganzen Videofilm für zulässig zu erachten. Der Sache nach bestehe ein Film aus einer Vielzahl hintereinander in kurzen Abständen gezeigten einzelnen Abbildungen. Durch den Verweis auf einen ganzen Film – ohne dass ggf. eine Angabe von Einzelbildern „von … bis“ möglich sei – könnte unklar werden, auf welche Abbildungen konkret verwiesen werde. Das OLG Hamm hat die Frage letztlich offen gelassen, der Hinweis ist aber deutlich. Wahrscheinlich eine Frage, die irgendwann mal der BGH entscheiden wird.