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StPO III: Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung, oder: Eingeschränkte Schuldfähigkeit/Blutprobe

Und dann noch eine Entscheidung aus dem Berufungsverfahren, und zwar der

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Das AG hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das LG eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung für wirksam erachtet und  die Berufung des Angeklagten als unbegründet verworfen. Mit seiner unbeschränkten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts und äußert Zweifel an seiner Schuldfähigkeit. Die Revision hatte Erfolg:

„Die gemäß § 333 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO) Revision des Angeklagten hat bereits deshalb einen vorläufigen Erfolg, weil das Landgericht mangels hinreichender Feststellungen des Amtsgerichts zur Alkoholisierung des Angeklagten nicht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung ausgehen durfte (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Dezember 2022 – 203 StRR 481/22-, juris).

Für eine rechtsfehlerfreie Prüfung der Voraussetzungen von §§ 20, 21 StGB ist der Tatrichter nach der gefestigten höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich verpflichtet, die Tatzeit-Blutalkoholkonzentration (BAK) des Täters für das Revisionsgericht nachvollziehbar zu errechnen, sobald und soweit die Schuldfähigkeit durch Alkoholmissbrauch eingeschränkt oder ausgeschlossen gewesen sein könnte (Senat a.a.O. Rn. 6; BayObLG, Beschluss vom 2. Februar 2001 – 5 StRR 20/01 -, juris Rn. 9). Bei einem erkennbar alkoholisierten Täter hat für die Beurteilung der Schuldfähigkeit die Berechnung der BAK zur Tatzeit vorauszugehen, um den Grad der Alkoholisierung auf einer hinreichenden Faktenbasis einschätzen zu können (Senat a.a.O. m.w.N.).

Die danach gebotene Feststellung des Blutalkoholwerts hat das Amtsgericht versäumt und eine Schuldunfähigkeit ohne tragfähige Tatsachengrundlage ausgeschlossen, obwohl sich der Angeklagte auf einen „Filmriss“ berufen hat. Das Landgericht hätte daher nicht von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung ausgehen dürfen und das Urteil des Amtsgerichts umfassend im Schuldspruch mit eigenen Feststellungen zur Frage der Schuldfähigkeit überprüfen müssen (vgl. Senat a.a.O. Rn. 4, 9; BayObLG, Beschluss vom 2. Februar 2001 – 5 StRR 20/01 –, juris Rn. 6 ff., 9). Die bisherigen Feststellungen tragen auch keine Verurteilung wegen Vollrausches nach § 323a StGB, so dass der Senat offen lassen kann, ob in diesem Fall die Beschränkung der Berufung wirksam wäre.

Die neue Strafkammer wird – gegebenenfalls unter Inanspruchnahme von sachverständiger Hilfe – die tatsächlichen Grundlagen, die für die Beurteilung der Schuldfähigkeit mit Blick auf den der Tat vorangegangenen Alkoholkonsum von Bedeutung sind, zu klären und hierzu Feststellungen zu treffen haben (vgl. Senat a.a.O. Rn. 6).

Sollte ein Blutprobe-Blutalkoholkonzentrationswert fehlen, rechtfertigt dies nicht, von Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration abzusehen (Senat a.a.O.). Vielmehr ist der Alkoholgehalt der insgesamt konsumierten Alkoholmenge anhand von Trinkmengenangaben des Angeklagten und möglicher Zeugen festzustellen und sodann die Tatzeit – BAK zu ermitteln (vgl. Senat a.a.O.; BGH, Beschluss vom 26. Mai 2009 – 5 StR 57/09 –, juris Rn. 8; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 20 Rn. 14). Die entsprechenden Anknüpfungstatsachen sind im Urteil darzulegen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2003 – 2 StR 209/03 –, juris Rn. 6). Anschließend hat eine Gesamtbewertung der Umstände des Tatgeschehens und der Persönlichkeitsverfassung des Täters vor, während und nach der Tat zu erfolgen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1991 – 1 StR 482/91 –, juris Rn. 8). Dem festgestellten BAK – Wert kommt dabei die Bedeutung eines gewichtigen Beweisanzeichens zu (vgl. Fischer a.a.O. Rn. 17, 23). Entziehen sich die Angaben des Angeklagten zum Alkoholkonsum sowohl zeitlich als auch mengenmäßig jedem Versuch einer Eingrenzung, so bedarf es der Berechnung der Blutalkoholkonzentration ausnahmsweise nicht. In einem solchen Fall kann sich die Beurteilung der Schuldfähigkeit nur nach psychodiagnostischen Kriterien richten, wobei die Hinzuziehung eines Sachverständigen regelmäßig geboten sein wird (vgl. Senat a.a.O. m.w.N.; BayObLG, Beschluss vom 6. März 2003 – 1St RR 13/03 –, juris Rn. 17; Fischer a.a.O. Rn. 26).“

StPO III: Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung, oder: Wenn das AG die Schuldfähigkeit nicht prüft

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Und als dritte und letzte Entscheidung des Tages ein weiterer Beschluss des BayObLG, und zwar der BayObLG, Beschl. v. 06.12.2022 –  203 StRR 481/22.

Das AG hat den Angeklagten u.a. tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hin hat das LG eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Rechtsfolgen für wirksam erachtet und das Urteil des AG im Rechtsfolgenausspruch abgeändert, den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und die Berufung im übrigen als unbegründet verworfen. Das gefällt dem Angeklagten immer noch nicht. Er hat Revision eingelegt und hatte damit Erfolg.

Das BayObLG moniert in seiner umfangreich begründeten Entscheidung nicht ausreichende Feststellungen des AG zur Frage der Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB) und geht daher davon aus, dass die Berufungsbeschränkung – entgegen der Ansicht des LG – unwirksam war (§ 318 StPO). Das LG hääte dazu Ausführungen machen müssen.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Grundsätzlich ist eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch auch dann zulässig, wenn eine Einschränkung der Schuldfähigkeit im Raum steht. Hat jedoch das Amtsgericht die Frage der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB nicht geprüft, obwohl aufgrund seiner eigenen Feststellungen Anlass hierfür bestand, und hat es auch eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit nach § 21 StGB nicht rechtsfehlerfrei begründet, erweist sich eine Rechtsmittelbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch von vorneherein als unwirksam.

2. Kommt das Berufungsgericht nach eigener Prüfung der Voraussetzungen von § 21 StGB zu dem Ergebnis, dass entgegen dem erstinstanzlichen Urteil die Voraussetzungen sogar des § 20 StGB erfüllt sind, muss das Berufungsgericht die Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch als unwirksam und im Berufungsverfahren als unbeachtlich beurteilen.

3. Im Urteil muss das Berufungsgericht, wenn das Erstgericht die verminderte Schuldfähigkeit nicht rechtsfehlerfrei begründet hat und der Tatrichter der zweiten Instanz nach den durchgeführten Beweiserhebungen die Beschränkung für wirksam hält, erkennen lassen, dass es die Frage der Schuldunfähigkeit geprüft und verneint hat.

4. Für eine rechtsfehlerfreie Prüfung der Voraussetzungen von §§ 20, 21 StGB ist der Tatrichter nach der gefestigten höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich verpflichtet, die Tatzeit-Blutalkoholkonzentration (BAK) des Täters für das Revisionsgericht nachvollziehbar zu errechnen, sobald und soweit die Schuldfähigkeit durch Alkoholmissbrauch eingeschränkt oder ausgeschlossen gewesen sein könnte.

5. Fehlt ein Blutprobe-Blutalkoholkonzentrationswert, rechtfertigt dies nicht, von Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration abzusehen. Vielmehr hat der Tatrichter in diesem Fall den Alkoholgehalt der insgesamt konsumierten Alkoholmenge festzustellen, auch wenn er auf die Trinkmengenangaben des Angeklagten angewiesen ist. Erst wenn sich auch nach der Ausschöpfung der vorhandenen Beweise keine annähernd verlässliche Berechnung der BAK zur Tatzeit durchführen ließ, richtet sich die Beurteilung der Schuld nach psychodiagnostischen Kriterien.

Also: Neue Runde…..

Bewährung III: Wirksame Berufungsbeschränkung?, oder: Reichen die tatsächlichen Feststellungen?

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Im dritten Posting des Tages stelle ich das OLG Brandenburg, Urt. v. 15.02.2023 – 1 OLG 53 Ss 119/22 – vor. Es behandelt eine Frage, die insbesondere auch in Zusammenhang mit Strafaussetzung zur Bewährung immer wieder eine Rolle spielt. Nämlich die Frage, der Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung auf die Frage der Strafaussetzung.

Hier hatte der Angeklagte sein Rechtsmittel in der Berufungshauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch und diesen weiter auf die Frage der Vollstreckung der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung beschränkt. Das hat beim OLG „gehalten“. Das OLg führt dazu (noch einmal) aus:

„b) Gegenstand der revisionsgerichtlichen Überprüfung ist allein die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung auszusetzen. Die seitens des Angeklagten schon im Berufungsverfahren erklärte Beschränkung des Rechtsmittels auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung ist auch im Revisionsverfahren nicht nur formell (§§ 302 Abs. 2, 303 StPO), sondern auch materiell wirksam. Die Beschränkung des Rechtsmittels auf bestimmte Beschwerdepunkte (vgl. für die Berufung: § 318 Abs. 1 StPO; für die Revision: § 344 Abs. 1 StPO „inwieweit“) ist nach der so genannten Trennbarkeitsformel insoweit wirksam, als sie dem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit eröffnet, den angefochtenen Teil des Urteils losgelöst vom nicht angegriffenen Teil der Entscheidung nach dem inneren Zusammenhang rechtlich und tatsächlich zu beurteilen, ohne die Prüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig zu machen. Die den Rechtsmittelberechtigten eingeräumte „Macht zum unmittelbaren Eingriff in die Gestaltung des Rechtsmittels“ (RGSt 69, 110, 111; vgl. auch BGHSt 14, 30, 36) gebietet es, den in Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck gekommenen Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren. Das Rechtsmittelgericht kann und darf diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird, wenn und soweit der angegriffene Entscheidungsteil trennbar ist, also losgelöst vom übrigen Urteilsgehalt selbständig geprüft und beurteilt werden kann (siehe schon: RGSt 65, 296; RGSt 69, 110, 111; ebenso: BGHSt 19, 46, 48; BGHSt 24, 185, 187; BGH NJW 1981, 589, 590, jeweils m.w.N.).

Die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung ist ein selbständiger Teil des Urteilsspruchs (§ 260 Abs. 4 S. 4 StPO). Sie kann isoliert angefochten werden, wenn sich die ihr zugrunde liegenden Erwägungen von denen der Strafzumessung trennen lassen (BGH NStZ 1994, 449; KG, Urteil vom 13. Dezember 2006, (5) 1 Ss 305/06 (49/06) m. w. N., Juris; OLG Dresden NStZ-RR 2012, 289; OLG Hamburg NStZ-RR 2006, 18, StraFo 2016, 518; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, zu § 318, Rz. 20a m. w. N.). An der Trennbarkeit fehlt es nicht schon dann, wenn sich die bei der Strafzumessung und bei der Aussetzungsentscheidung zu berücksichtigenden Tatsachen überschneiden (KG a.a.O.; OLG Frankfurt VRS 59, 106, 108). Insoweit doppelt relevante Feststellungen verknüpfen diese Entscheidungen regelmäßig miteinander; vom Gesetzgeber ist in § 46 Abs. 2 StGB und § 56 Abs. 1 S. 2 StGB vorgesehen, dass diejenigen Tatsachen, welche die Zumessung der Strafe im engeren Sinn mitbestimmen, auch für die Aussetzungsentscheidung wesentliche Bedeutung erlangen könnten (KG a.a.O. und m.w.N.).

Die Beschränkung der Revision auf die Aussetzungsentscheidung ist indes nur dann unwirksam, wenn die Tatsachenfeststellungen und Erwägungen zum Strafmaß so unzulänglich sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Aussetzungsentscheidung bilden (KG a.a.O.; OLG Köln NStZ 1989, 90, 91; VRS 61, 365, 567; OLG Frankfurt VRS 59, 106, 107), die Entscheidung über die Bewährung an einem Fehler leidet, der zugleich die Strafzumessung betrifft (KG a.a.O.; OLG Frankfurt a.a.O., S. 110; OLG Köln VRS 61, 365, 367), der Anfechtende sich gegen die Feststellung oder Nichtfeststellung einer doppeltrelevanten Tatsache wendet (BGH NJW 2001, 3134; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 309; KG a.a.O.) oder eine unzulässige Verknüpfung von Strafmaß- und Aussetzungsentscheidung hergestellt worden ist (BGH NStZ 2001, 311; OLG Frankfurt VRS 59, 106, 109; OLG Köln VRS 61, 365, 367; KG a. a. O.). Stets muss gewährleistet sein, dass das stufenweise entstehende Urteil frei von inneren Widersprüchen bleibt (BGHSt 29, 359, 365; NJW 2001, 3134; NStZ-RR 1999, 359; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 309, 310; KG a.a.O.).

Hieran gemessen, erweist sich die Beschränkung der Berufung auf die Frage der Strafaussetzung als wirksam. Das Landgericht hat die Strafzumessung getrennt von der Strafaussetzung begründet und auch inhaltlich nicht unzulässig miteinander verknüpft. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Kammer wegen der Versagung der Strafaussetzung auf höhere oder niedrigere Einzelstrafen oder eine hieran angepasste Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte. Die Tatsachenfeststellungen und Erwägungen zur Strafzumessung bilden – auch – eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung. Die Revision rügt ausschließlich Rechtsfehler bei der Anwendung des § 56 StGB, die das Strafmaß nicht berühren.“

Wegen der Ausführungen des OLG zur Sache dann bitte im verlinkten Volltext nachlesen.

Rechtsmittel II: Wirksame Berufungsbeschränkung, oder: Zwei tateinheitliche Verurteilungen….

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In der zweiten Entscheidung, die ebenfalls vom OLG Köln stammt, geht es noch einmal um die Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung auf den Rechfolgenausspruch.

Das AG Düren hat den Angeklagten wegen unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Stoffen und Gütern in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu der unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, im Hauptverhandlungstermin auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkte Berufung hat das LG verworfen. Dagegen die Revision des Angeklagten.

Wegen der Einzelheiten der tatsächlichen Feststellungen verweise ich auf den verlinkten Volltext. Zur Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung führt das OLG im OLG Köln, Beschl. v. 12.08.2022 – III-1 RVs 101/22 – aus:

„b) Der Umstand, dass die getroffenen Feststellungen nur eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Stoffen, nicht aber eine solche wegen eines Verstoßes gegen das SprengG belegen, führt unter den hier obwaltenden Umständen dazu, dass der Beschränkung der Berufung für diese Tat die Wirksamkeit insgesamt zu versagen ist.

aa) Es ist anerkannt und wird auch in der Rechtsprechung des Senats so gesehen, dass ein bloßer Fehler bei der Subsumtion des Sachverhalts unter die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen die Wirksamkeit der Beschränkung nicht grundsätzlich hindert, wenn nur auf der Grundlage der erstinstanzlich getroffenen Feststellungen eine wie auch immer geartete – wenn auch anders als vom Amtsgericht angenommene – Strafbarkeit besteht (SenE v. 22.02.2022 – III-1 RVs 20/22; SenE v. 12.03.2019 – III-1 RVs 49/19 -; SenE v. 30.10.2018 – III-1 RVs 214/18 –; SenE v. 02.12.2016 – III-1 RVs 235/16 -; KG Urt. v. 26.02.2020 – (3) 161 Ss 10/20 (8/20) = BeckRS 2020, 6518; OLG Hamburg VRS 123, 88; OLG Koblenz NStZ-RR 2008, 120; BeckOK-StPO-Eschelbach, 43. Edition Stand 01.04.2022, § 318 Rz. 19; MüKo-StPO-Quentin, § 318 Rz. 53; KK-StPO-Paul, 8. Auflage 2019, § 318 Rz. 7a; LR-StPO-Gössel, 26. Auflage 2012, § 318 Rz. 52; SK-StPO-Frisch, 5. Auflage 2016, § 318 Rz. 46b).

Dieser Grundsatz gilt namentlich auch dann, wenn das Amtsgericht das Konkurrenzverhältnis mehrerer Taten unzutreffend beurteilt hat (SenE v. 12.03.2019 – III-1 RVs 49/19 -; KG StV 2014, 78; OLG Hamm NStZ-RR 2010, 345; BayObLG NStZ 1998, 532). In diesen Fällen wird es freilich häufig so liegen, dass die unzutreffende konkurrenzrechtliche Bewertung nichts am materiellen Unrechts- und Schuldgehalt der Tat(en) ändert (anders aber OLG Karlsruhe B. v. 18.07.2017 – 2 Rv 8 Ss 348/17 = BeckRS 2017, 118456). Sollte sich dies im zu bewertenden Einzelfall einmal anders darstellen, könnten aus einem solchen Befund ggfs. aber auch Konsequenzen für die Frage der Wirksamkeit der erklärten Beschränkung gezogen werden.

Andererseits entspricht es der gefestigten Rechtsprechung des Senats, dass die erklärte Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam sein kann, wenn die getroffenen Feststellungen zwar eine Strafbarkeit des Angeklagten belegen, diese aber ein Delikt mit günstigerem Strafrahmen als vom Amtsgericht angenommenen ergeben (SenE v. 22.01.1999 – Ss 616/98 = NStZ-RR 2000, 49; SenE v. 19.03.2010 – III-1 RVs 48/10; SenE v. 28.09.2021 – III-1 RVs 163/21; SenE v. 22.02.2022 – III-1 RVs 20/22). Der Senat sieht keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzugehen (anders aber etwa OLG Karlsruhe B. v. 18.07.2017 – 2 Rv 8 Ss 348/17 = BeckRS 2017, 118456; s. insoweit auch – für die Revisionsbeschränkung – BGH NStZ 2016, 733 [736 Tz. 35]).

Der hier zu beurteilende Fall liegt gleichsam „zwischen“ den bislang behandelten Konstellationen: Die amtsgerichtlichen Feststellungen, an die sich die Berufungsstrafkammer gebunden gesehen hat, belegen zwar nicht (auch) eine Strafbarkeit nach § 40 Abs. 1 Ziff. 2 SprengG, wohl aber eine solche (nur) nach § 328 Abs. 3 Ziff. 2 StGB. Insoweit ist dem Amtsgericht ein Fehler bei der Subsumtion des Sachverhalts unter die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen unterlaufen. Die Strafe ist auch dem Tatbestand entnommen, dessen Vorliegen die Feststellungen belegen. Gleichwohl belastet den Angeklagten die unberechtigte Verurteilung nach einer Strafnorm hinsichtlich derer er – wäre sie allein zur Anklage gelangt – freizusprechen gewesen wäre. Das Landgericht ist zu seinen Lasten bei der Strafbemessung von einem zu hohen Schuldumfang ausgegangen, indem es dem Angeklagten die tateinheitliche Begehung zweier Delikte strafschärfend entgegenhält. Bei einer solchen Sachlage muss nach Auffassung des Senats dem Grundsatz Geltung verschafft werden, dass die Berufungsstrafkammer nicht an einen als falsch erkannten Schuldspruch gebunden sein soll (Senat NStZ 2000, 49; im Ergebnis ebenso OLG Saarbrücken NStZ 1997, 149). Für einen durchaus vergleichbaren Sachverhalt (Verurteilung wegen Diebstahls in Tateinheit mit Nötigung, während die – offenbar nicht ergänzungsfähigen – Feststellungen nur eine solche wegen versuchten Diebstahls in Tateinheit mit Nötigung trugen) ist auch das OLG Rostock (B. v. 29.10.2001 – 1 Ss 253/01 I 81/01 – bei Juris) von einer Unwirksamkeit der Beschränkung ausgegangen (anders aber OLG Karlsruhe B. v. 14.07.2017 – 2 Rv 8 Ss 420/17 – Juris; für Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung OLG Oldenburg B. v. 08.01.2015 – 1 Ss 226/14 – Juris; krit hierzu wiederum HK-StPO-Rautenberg/Reichenbach, 6. Auflage 2018, § 318 Rz. 17).

Der Senat hat erwogen, dem Subsumtionsfehler dadurch Rechnung zu tragen, dass er die fehlerhafte tateinheitliche Verurteilung wegen des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz im Wege einer Schuldspruchänderung in Fortfall geraten lässt. Hieran hat er sich jedoch dadurch gehindert gesehen, dass ggf. von Sonderkonstellationen (vgl. BGHSt. 19, BayOhlGSt 1968,119) abgesehen) –  bislang allgemein von der Unteilbarkeit des (Un)wirksamkeitsurteils ausgegangen wird.

c) Das angefochtene Urteil ist nach alledem hinsichtlich der Tat vom 2. Mai 2019 materiell-rechtlich unvollständig, weil die Berufungsstrafkammer, die sich – nach dem zuvor Dargestellten: zu Unrecht – an die amtsgerichtlichen Feststellungen gebunden gesehen hat, nicht in eigener Verantwortung Feststellungen zu dieser Tat getroffen hat…..“

Rechtsmittel III: Berufungsbeschränkung wirksam?, oder: Trennbarkeitsformel

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In der dritten Entscheidung geht es dann noch einmal um die Wirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung. Das AG verurteilt den wegen zweifachen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 StVG) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung es für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung aussetzte. Dagegen die Berufung der Staatsanwaltschaft, die ihre Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das LG verwirft die Berufung. Dagegen dann die auf die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung beschränkte Revision.

Das OLG hat im OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.08.2022 – 1 OLG 53 Ss 65/22 – die Beschränkung als wirksam angesehen:

„b) Gegenstand der revisionsgerichtlichen Überprüfung ist allein die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. Die seitens der Staatsanwaltschaft erklärte Berufungsbeschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung ist nicht nur formell (§§ 302 Abs. 2, 303 StPO), sondern auch materiell wirksam.

Die Beschränkung der Revision auf bestimmte Beschwerdepunkte (vgl. § 344 Abs. 1 StPO „inwieweit“) ist nach der so genannten Trennbarkeitsformel insoweit wirksam, als sie dem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit eröffnet, den angefochtenen Teil des Urteils losgelöst vom nicht angegriffenen Teil der Entscheidung nach dem inneren Zusammenhang rechtlich und tatsächlich zu beurteilen, ohne die Prüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig zu machen. Die den Rechtsmittelberechtigten eingeräumte „Macht zum unmittelbaren Eingriff in die Gestaltung des Rechtsmittels“ (RGSt 69, 110, 111; vgl. auch BGHSt 14, 30, 36) gebietet es, den in Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck gekommenen Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren. Das Rechtsmittelgericht kann und darf diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird, wenn und soweit der angegriffene Entscheidungsteil trennbar ist, also losgelöst vom übrigen Urteilsgehalt selbständig geprüft und beurteilt werden kann (siehe schon: RGSt 65, 296; RGSt 69, 110, 111; ebenso: BGHSt 19, 46, 48; BGHSt 24, 185, 187; BGH NJW 1981, 589, 590, jeweils m.w.N.).

Die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung ist ein selbständiger Teil des Urteilsspruchs (§ 260 Abs. 4 S. 4 StPO). Sie kann isoliert angefochten werden, wenn sich die ihr zugrunde liegenden Erwägungen von denen der Strafzumessung trennen lassen (BGH NStZ 1994, 449; KG, Urteil vom 13. Dezember 2006, (5) 1 Ss 305/06 (49/06) m. w. N., Juris; OLG Dresden NStZ-RR 2012, 289; OLG Hamburg NStZ-RR 2006, 18, StraFo 2016, 518; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, zu § 318, Rz. 20a m. w. N.). An der Trennbarkeit fehlt es nicht schon dann, wenn sich die bei der Strafzumessung und bei der Aussetzungsentscheidung zu berücksichtigenden Tatsachen überschneiden (KG a. a. O.; OLG Frankfurt VRS 59, 106, 108). Insoweit doppelt relevante Feststellungen verknüpfen diese Entscheidungen regelmäßig miteinander; vom Gesetzgeber ist in § 46 Abs. 2 StGB und § 56 Abs. 1 S. 2 StGB vorgesehen, dass diejenigen Tatsachen, welche die Zumessung der Strafe im engeren Sinn mitbestimmen, auch für die Aussetzungsentscheidung wesentliche Bedeutung erlangen (KG a. a. O. m. w. N.).

Die Beschränkung der Revision auf die Aussetzungsentscheidung ist nur dann unwirksam, wenn die Tatsachenfeststellungen und Erwägungen zum Strafmaß so unzulänglich sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Aussetzungsentscheidung bilden (KG a. a. O.; OLG Köln NStZ 1989, 90, 91; VRS 61, 365, 567; OLG Frankfurt VRS 59, 106, 107), die Entscheidung über die Bewährung an einem Fehler leidet, der zugleich die Strafzumessung betrifft (KG a. a. O.; OLG Frankfurt a. a. O., S. 110; OLG Köln VRS 61, 365, 367), der Anfechtende sich gegen die Feststellung oder Nichtfeststellung einer doppeltrelevanten Tatsache wendet (BGH NJW 2001, 3134; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 309; KG a. a. O.) oder eine unzulässige Verknüpfung von Strafmaß- und Aussetzungsentscheidung hergestellt worden ist (BGH NStZ 2001, 311; OLG Frankfurt VRS 59, 106, 109; OLG Köln VRS 61, 365, 367; KG a. a. O.). Stets muss gewährleistet sein, dass das stufenweise entstehende Urteil frei von inneren Widersprüchen bleibt (BGHSt 29, 359, 365; NJW 2001, 3134; NStZ-RR 1999, 359; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 309, 310; KG a. a. O.).

Hieran gemessen, erweist sich die Beschränkung der Revision auf die Entscheidung über die Strafaussetzung als wirksam. Das Landgericht hat die Strafzumessung getrennt von der Strafaussetzung begründet und auch inhaltlich nicht unzulässig miteinander verknüpft. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Kammer wegen der Bewilligung der Strafaussetzung auf höhere oder niedrigere Einzelstrafen oder eine hieran angepasste Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hat oder bei Versagung der Bewährung die Einzelstrafen oder die Gesamtstrafe niedriger festgesetzt hätte. Die Tatsachenfeststellungen und Erwägungen zur Strafzumessung bilden – auch – eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung. Die Revision rügt ausschließlich Rechtsfehler bei der Anwendung des § 56 StGB, die das Strafmaß nicht berühren.“

Wegen der Bewährungsfrage komme ich noch einmal auf die Entscheidung zurück.