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Beleidigung II: Sie „Schwuchtel“ und „Wichser“, oder: Schmähkritik, Schmähung, Formalbeleidigung?

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Die zweite Entscheidung zu § 185 StGB kommt mit dem BayObLG, Beschl. v. 15.08.2023 – 204 StRR 292/23 – auch aus Bayern.

Der Angeklagte ist wegen Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Dagegen die Revision, die hinsichtlich des Strafausspruch Erfolg hatte. Insoweit komme ich auf den Beschluss noch einmal zurück. Hier soll es heute um die Frage der Beleidigung (§ 185 StGB) gehen.

Das BayObLG ist von folgenden Feststellungen ausgegangen:

„a) Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass sich der Angeklagte zur Tatzeit nach vorheriger Terminabsprache in den Büroräumlichkeiten des Obergerichtsvollziehers F… zur Abgabe einer Vermögensauskunft eingefunden habe. „Da der Angeklagte sich auf Aufforderung des Obergerichtsgerichtsvollziehers F… weigerte seine Mütze abzunehmen, erachtete der Gerichtsvollzieher ihn als nicht ausreichend identifizierbar und belehrte ihn dahingehend, dass er in diesem Fall von einem unentschuldigten Nichterscheinen ausgehen und gegebenenfalls ein Erzwingungshaftbefehl beantragt werden müsse. Anschließend beendete der Obergerichtsgerichtsvollzieher den Termin.“

Nachdem der Angeklagte sich an die Polizei um Hilfe gewandt habe und durch diese identifiziert worden sei, habe sich der Obergerichtsgerichtsvollzieher bereit erklärt, den Termin mit dem Angeklagten doch noch durchzuführen, diesen jedoch gebeten, noch die Durchführung eines weiteren Termins mit der zwischenzeitlich eingetroffenen Zeugin S… vor dem Büro abzuwarten. Daraufhin habe der sich vor dem Büro aufhaltende Angeklagte den Obergerichtsgerichtsvollzieher über zehn bis fünfzehn Minuten hinweg lauthals und wiederholend mit den Worten „Wichser“ und „Schwuchtel“ bezeichnet, wobei er diese Beleidigungen mit dem Zusatz „meiner Meinung nach, sind sie …“ verbunden habe. Der Angeklagte habe beabsichtigt, durch sein Verhalten seine Missachtung gegenüber dem Obergerichtsvollzieher auszudrücken. Wie vom Angeklagten beabsichtigt habe sich der Geschädigte in seiner Person herabgesetzt und in seiner Ehre verletzt gefühlt…..“

Das BayObLG führt zur Frage, ob „Wichser“ und „Schwuchtel“ Schimpfwörter sind, aus:

„aa) Das Berufungsgericht sieht die Äußerungen „Wichser“ und „Schwuchtel“ zutreffend als gesellschaftlich verbreitete Schimpfwörter an.

(1) Die Verwendung des Begriffes „Wichser“ wird üblicherweise als Beleidigung gemeint und in der Regel auch ebenso aufgefasst; er stellt ein Synonym für „Arschloch“ dar mit der überaus negativen Konnotation eines schlechten („miesen“) Charakters (s. unter wikipedia).

(2) Schwuchtel ist eine meist salopp und abwertend als Schimpfwort verwendete Bezeichnung für Schwule oder einen sich ‚weiblich‘ benehmenden Mann. Seltener kommt es als wertneutrale ironisierende Selbstbezeichnung vor, manchmal zur Differenzierung untereinander. Der Unterschied ist meist im Tonfall zu hören oder aus dem geschriebenen Zusammenhang zu entnehmen (s. unter wikipedia).

Während die Bezeichnung einer Person als „schwul“ je nach dem Kontext teilweise als wertneutral angesehen wird, aber auch als diskriminierend gilt und – etwa von Schülern – häufig als Schimpfwort verwendet wird (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 26.04.2022 – 15 W 15/22 –, juris Rn. 4 unter Hinweis auf eine entsprechende Studie), stellt im Vergleich hierzu die Bezeichnung als „Schwuchtel“ eher eine Herabwürdigung dar.

bb) Auch wenn die Bezeichnung des Geschädigten als „Schwuchtel“ und „Wichser“ verletzend formulierte Aussagen sind, werden sie grundsätzlich vom Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, das jedem das Recht gibt, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten, umfasst (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266, juris Rn. 108; so auch zur Schmähkritik BVerfG, Kammerbeschluss vom 17.03.2021 – 2 BvR 194/20 –, NStZ 2021, 439, juris Rn. 47).

(1) Konstitutiv für die Bestimmung dessen, was als Äußerung einer „Meinung“ vom Schutz des Grundrechts umfasst wird, ist das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung. Meinungen sind im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen durch die subjektive Einstellung des sich Äußernden zum Gegenstand der Äußerung gekennzeichnet. Sie enthalten sein Urteil über Sachverhalte, Ideen oder Personen. Auf diese persönliche Stellungnahme bezieht sich der Grundrechtsschutz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.04.1994 – 1 BvR 23/94 –, BVerfGE 90, 241, juris Rn. 26 m.w.N.).

So verhält es sich bei den Äußerungen des Angeklagten, denen mangels anderweitiger Feststellungen des Berufungsgerichts jeglicher Tatsachenbezug fehlt und die somit als Werturteil anzusehen sind (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79 –, BVerfGE 61, 1, juris Rn. 13 und 15).

(2) Werturteile genießen grundsätzlich den Schutz der Meinungsfreiheit, ohne dass es dabei auf deren Begründetheit, Werthaltigkeit, Richtigkeit oder Vernünftigkeit ankäme (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.04.1994 – 1 BvR 23/94 –, BVerfGE 90, 241, juris Rn. 26 m.w.N.). Er besteht deswegen unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird. Dass eine Aussage scharf, übersteigert, polemisch oder verletzend überzogen formuliert ist, entzieht sie nicht schon dem Schutzbereich des Grundrechts der Meinungsfreiheit (BVerfG, Beschlüsse vom 13.04.1994 – 1 BvR 23/94 –, BVerfGE 90, 241, juris Rn. 26; vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266, juris Rn. 108, jeweils m.w.N.; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17 –, NJW 2019, 2600, juris Rn. 16; vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 12 m.w.N.).

cc) Nach Artikel 5 Abs. 2 GG findet die Meinungsfreiheit ihre Schranken jedoch in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze und dem Recht der persönlichen Ehre. Dazu gehört auch § 185 StGB (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266, juris Rn. 111; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 14.06.2019 – 1 BvR 2433/17 –, NJW 2019, 2600, juris Rn. 17; vom 19.05.2020 – 1 BvR 2397/19 –, NJW 2020, 2622, juris Rn. 14 m.w.N.; vom 16.10.2020 – 1 BvR 2805/19 –, NJW 2021, 298, juris Rn. 13). Diese Vorschrift ist aber wiederum im Licht des eingeschränkten Grundrechts auszulegen, damit der wertsetzenden Bedeutung der Grundrechte auch auf der Ebene der Auslegung und Anwendung des Strafrechts Rechnung getragen werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 –, BVerfGE 93, 266, juris Rn. 117; st. Rspr.).

….“

Wegen der weiteren umfangreichen Ausführungen des BayObLg verweise ich auf den verlinkten Volltext. Hier dann nur noch die Leitsätze zu der Entscheidung:

    1. Sofern weder eine Schmähung oder Schmähkritik noch eine Formalbeleidigung noch ein Angriff auf die Menschenwürde vorliegen, die eng umgrenzte Ausnahmekonstellationen darstellen, ist eine Einzelfallabwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Angeklagten erforderlich.
    2. Wenn der Angeklagte einen Obergerichtsvollzieher während dessen rechtmäßiger Dienstausübung bei Anwesenheit Dritter über einen längeren Zeitraum als „Wichser“ und „Schwuchtel“ beschimpft, liegt eine nicht gerechtfertigte Beleidigung vor.

Beleidigung I: „Hurensöhne“ nach Polizeikontrolle, oder: Strafloses Selbstgespräch?

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Heute dann StGB-Delikte, und zwar drei Entscheidungen zur  Beleidigung (§ 185 StGB).

Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 01.03.2023 – 203 StRR 38/23. Das AG hat die Angeklagte wegen Beleidigung in drei Fällen verurteilt. Dagegen die Revision, die keinen Erfolg hatte. Das BayObLG hat die Revision gem. § 349 Abs. 2 StGb verworfen:

„Ergänzend bemerkt der Senat:

1. Das Amtsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass sich die Angeklagte durch die Äußerung gegenüber ihrer Freundin der Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen gemäß § 185 StGB schuldig gemacht hat.

Dass mit den Worten „Hurensöhne“ sämtliche mit der vorhergehenden Kontrolle der Angeklagten befassten Beamten, also auch die Geschädigte POM`in I. gemeint waren, wird von der Beweiswürdigung getragen. Die funktionsbezogene Individualisierung der betroffenen Beamten ist hinreichend dargetan. Spontane Formalbeleidigungen gehen nicht zwingend mit einem geschlechtersensiblen Formulieren einher.

Entgegen der Rechtsauffassung der Revision ist der Tatbestand der Beleidigung auch dann erfüllt, wenn die Kundgabe der Missachtung nicht unmittelbar gegenüber dem Geschädigten, sondern gegenüber einem Dritten in Bezug auf den Geschädigten erfolgt (vgl. Hilgendorf in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 185 Beleidigung Rn. 10; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 185 Rn. 6). Ein Selbstgespräch, das von niemandem gehört werden sollte, liegt auch nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin nicht vor. Selbst wenn die Angeklagte nicht damit rechnete, dass ein Beamter die Äußerungen hörte, ist der Tatbestand der Beleidigung erfüllt. Denn der Vorsatz des Täters muss sich nur darauf richten, dass ein Dritter, hier die Freundin, die Ehrverletzung zur Kenntnis nimmt und den ehrverletzenden Gehalt versteht. Es ist ohne Bedeutung, wenn die Äußerung – auch – einem anderen zugeht (vgl. Regge/Pegel in Münchener Kommentar, StGB, 4. Aufl., § 185 Rn. 40 f.).

2. Der von der Revision in Betracht gezogene Ausnahmefall, dass die Angeklagte die Äußerung ihrer Freundin gegenüber innerhalb einer „beleidigungsfreien Sphäre“ getätigt hätte, ist hier nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Tatgerichts nicht gegeben. In der Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass es einen Bereich vertraulicher Kommunikation innerhalb besonders ausgestalteter Vertrauensbeziehungen gibt, in der der Äußernde ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen und ohne Sorge vor staatlicher Sanktionierung kommunizieren darf (vgl. KG, Beschluss vom 14. Juli 2020 – (4) 161 Ss 33/20 (43/20) –, juris Rn. 22; OLG Frankfurt, Urteil vom 17. Januar 2019 – 16 W 54/18 –, juris Rn. 22; OLG Koblenz, Urteil vom 24. April 2008 – 6 U 81/08 –, juris Rn. 29; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 22. Februar 1995 – 2 Ws 30/95 –, juris Rn. 14; Hilgendorf a.a.O. Rn. 11 ff.; Eisele/Schittenhelm in Schönke/Schröder, StGB 30. Aufl., Vorbem. §185 Rn. 9a m.w.N.). Äußerungen, die gegenüber Außenstehenden oder der Öffentlichkeit wegen ihres ehrverletzenden Gehalts eigentlich nicht schutzwürdig wären, genießen in solchen privaten Vertraulichkeitsbeziehungen verfassungsrechtlichen Schutz, welcher dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht (vgl. KG a.a.O. m.w.N.). Voraussetzung für die Straffreiheit ist jedoch, dass es sich um eine Äußerung gegenüber einer Vertrauensperson handelt, die in einer Sphäre fällt, die gegen die Wahrnehmung von Seiten weiterer Personen abgeschirmt ist (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20. Mai 2010 – 2 BvR 1413/09 –, BVerfGK 17, 311-319 Rn. 20 zitiert nach juris; KG a.a.O. Rn. 23 und 25 m.w.N.; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 23. Januar 1990 – 2 Ss 103/89 –, juris Rn. 13 m.w.N.; Eisele/Schittenhelm a.a.O.Rn. 9b). Dies war hier nach den Feststellungen nicht der Fall. Die Angeklagte äußerte sich nicht vertraulich in einer Sphäre, in der sie davon ausgehen konnte, dass ihre Worte gegen die Wahrnehmung durch den Betroffenen und Dritte abgeschirmt waren, sondern schreiend im öffentlichen Raum beim Verlassen einer Polizeidienststelle.

3. Der Ehrangriff auf die Polizeibeamten war nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt (§ 193 StGB). Die Angeklagte hat hier die ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG durch § 185 StGB gesetzte Grenze überschritten, Art. 5 Abs. 2 GG.

Bei der Bezeichnung der Beamten als „Hurensöhne“ handelt es sich – wie auch die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme angenommen hat – um eine Formalbeleidigung. Die Angeklagte hat ein nach allgemeiner Auffassung besonders krasses, aus sich heraus herabwürdigendes Schimpfwort verwendet, das eine kontextunabhängig gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit darstellt. Die verwendete Beschimpfung verlässt das absolute Mindestmaß menschlichen Respekts und kann unabhängig von den Umständen grundsätzlich nicht mit der Meinungsfreiheit vereinbar sein. Ein Kontext, in dem die Bezeichnung eines Amtsträgers als Hurensohn gesellschaftlich billigenswert erscheinen könnte, ist nicht denkbar (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 2397/19-, juris Rn. 21, 23; BayObLG, Beschluss vom 07. September 2020 – 206 StRR 220/20-, juris Rn. 13, 14). Bei einer solchen Formalbeleidigung tritt ohne weitere Gewichtung und kontextspezifische Einzelfallabwägung die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG hinter den Ehrenschutz zurück (BVerfG, a.a.O., juris Rn. 15 m.w.N.; BayObLG, a.a.O., juris Rn. 12).

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine – hilfsweise – vorgenommene Abwägung der widerstreitenden Interessen (Ehrenschutz / Meinungsfreiheit, vgl. insoweit BVerfG, a.a.O., juris Rn. 25; BayObLG, a.a.O., juris Rn. 15) auf der Grundlage der im Urteil insoweit noch ausreichend festgestellten Umstände des Einzelfalls zu keinem anderen Ergebnis führen könnte. Das Recht des Bürgers, gerichtliche Entscheidungen ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, gehört zum Kernbereich des Rechts auf freie Meinungsäußerung, weshalb deren Gewicht in diesen Fällen besonders hoch zu veranschlagen ist. Dabei fallen grundsätzlich auch scharfe und übersteigerte Äußerungen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Befindet sich jemand im sogenannten „Kampf ums Recht“, ist es ihm zur plastischen Darstellung seiner Position grundsätzlich auch erlaubt, starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, ohne jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen. Allerdings bleiben auch die Gesichtspunkte der Machtkritik und des „Kampfs ums Recht“ in eine Abwägung eingebunden und erlauben nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern (BayObLG, a.a.O., juris Rn. 18). Die betroffenen Beamten bedürfen als Träger einer hervorgehobenen staatlichen Funktion im Interesse einer wirkungsvollen Erfüllung öffentlicher Aufgaben des besonderen staatlichen Schutzes (vgl. BayObLG, Beschluss vom 3. Februar 2022 – 204 StRR 20/22 –, juris Rn. 16).

Im konkreten Fall sind zwar die Rechtmäßigkeit und der Ablauf der Kontrolle nicht feststellbar. Jedoch fällt als Abwägungsgesichtspunkt zugunsten des Ehrenschutzes und des sozialen Geltungsanspruches der Beamten der als besonders grob herabwürdigend einzuordnende Inhalt der Äußerung beträchtlich ins Gewicht. Der abschätzige Begriff „Hurensohn“ weist inhaltlich keinen erkennbaren Bezug zu der Polizeikontrolle auf, sondern trifft die Person (vgl. BVerfG a.a.O., juris Rn. 28; BayObLG a.a.O. Rn. 16) und insbesondere die Abstammung der Beamten und verletzt auch den sozialen Achtungsanspruch von deren Müttern (vgl. Hilgendorf in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 185 Rn. 43; Eisele/Schittenhelm in: Schönke/Schröder, StGB 30. Aufl. § 185 Rn. 10). Selbst wenn es im Kontext von Auseinandersetzungen mit Amtsträgern grundsätzlich erlaubt ist, auch besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen, wäre situationsunabhängig das Betiteln mit unflätigen Schimpfwörtern unter der Einbeziehung von Verwandten der Geschädigten nicht mehr gerechtfertigt. Die Angeklagte hätte mit der Verwendung der Schimpfwörter das Maß und die Form durch die Meinungsfreiheit gedeckter Kritik und Empörung eindeutig verlassen.“

StGB II: Polizei-SS-Vergleich als Bildmontage bei FB, oder: Verfassungswidrige Kennzeichen/Beleidigung

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Und als zweite Entscheidung im heutigen Kontext dann das OLG Hamm, Urt. v. 27.06.2023 – 4 ORs 46/23.

Das AG hat den Angeklagten wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Tateinheit mit Beleidigung verurteilt.  Die gegen dieses Urteil form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat das LG mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte wegen Verstoßes gegen das Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie verurteilt worden ist.

Zur Sache hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:

„Der Angeklagte veröffentlichte am 19.11.2020 gegen 20:24 Uhr in A auf seiner öffentlich einsehbaren Facebook-Seite eine Bildmontage, um seiner kritischen Meinung gegenüber der Corona-Politik der Bundesrepublik Ausdruck zu verleihen. Diese Bildmontage ist überschrieben mit „…“wes Brot ich ess, des Lied ich sing“, war so, ist so, und bleibt auch so! … Ich führe nur [es folgt die Bildmontage, Anm. des Unterzeichners] Befehle aus“. Außerdem beinhaltet dieser Post zwischen den Worten „Ich führe nur“ und „Befehle aus“ eine Bildmontage, welche halbseitig ein Foto des SS-Obersturmbandführers J. H. in Uniform, mit „Totenkopfemblem“ an der Mütze und mit der „Doppel -Siegrune“ auf dem Kragen und auf der anderen Seite den uniformierten Adhäsionskläger und Zeugen Polizeihauptmeister B. zeigt. Der Angeklagte, der diese Fotomontage aus dem Internet entnommen hat, hat dabei die naheliegende Möglichkeit erkannt, dass der Zeuge B. keine Einwilligung zur Verwendung seines Bildnisses erteilt hat und nahm dies jedenfalls billigend in Kauf.

Nachdem dem Angeklagten bekannt wurde, dass gegen ihn strafrechtliche Ermittlungen wegen dieses Posts geführt werden, hat er den Post am 14.10.2021 gelöscht und ein Entschuldigungsschreiben auf seiner Facebookseite veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem: „Das in diesem Beitrag von mir geteilte Bild (aus Unkenntnis der Rechtslage), verstößt gegen den § 86a StGB […] Bedauerlicherweise wurde es von Facebook gelöscht, daher entferne ich es heute am 14. Oktober 2021 selber“. („Auslassungen“ durch den Unterzeichner).“

Dagegen die Revision der StA und auch des Angeklagten. Nur die Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.

Das OLG führt zum Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a 1 Nr. 1 StGB aus:

„a) Das Landgericht hat zu Unrecht eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a 1 Nr. 1 StGB verneint.

Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich bei der auf dem Kragen des halbseitig abgebildeten SS-Obersturmbandführers J. H. befindlichen Sig-Rune in ihrer doppelten Darstellung um ein Kennzeichen im Sinne des § 86a StGB (vgl. Brandenburgisches OLG, Urteil v. 12. September 2005 – 1 Ss 58/05; OLG Bamberg, Urteil v. 18. September 2007 – 2 Ss 43/07; Paffgen/Klesczewski in NK-StGB, 6. Aufl. 2023, StGB, § 86a, Rn. 10). Dieser Doppel Sig-Rune hat sich die „Schutzstaffel“ (SS) der NSDAP bedient und sie verkörpert die Zugehörigkeit zu dieser Organisation.

Auch bei dem auf der Mütze des SS-Obersturmbandführers J. H. befindlichen Totenkopf handelt es sich um ein Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen im Sinne des § 86a StGB. Mit seinem stark ausgeprägten Kiefer mit zwei vollständig großen Zahnreihen sowie den Schädelöffnungen im Bereich der Augen und der Nase stellt er das spezifische Totenkopfsymbol, das Uniformabzeichen der SS-Verbände der NSDAP und damit ein verfassungswidriges Kennzeichen dar (vgl. OLG Jena, Urteil v. 1. Juni 2006 – 1 Ss 79/06 in BeckRS 2006, 9085).

Durch das „Posten“ auf seinem Facebook-Profil, das nach den – nicht zu beanstandenden – Feststellungen des Landgerichts öffentlich und für jedermann einsehbar war, hat der Angeklagte dieses Bild wissentlich und willentlich für eine nicht überschaubare Anzahl von Personen wahrnehmbar gemacht und somit im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB verwendet.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts unterfällt die verwendete Fotomontage auch dem Schutzzweck des § 86a StGB. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs richtet sich die Vorschrift des § 86a StGB gegen eine Wiederbelebung verfassungswidriger Organisationen und der von ihnen verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auf die das Kennzeichen symbolhaft hinweist. Es soll bereits jeder Anschein vermieden werden, in der Bundesrepublik Deutschland gebe es eine rechtsstaatswidrige politische Entwicklung in dem Sinne, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen in der durch das Kennzeichen symbolisierten Richtung geduldet werden (vgl. BGH, Urteil v. 15. März 2007 – 3 StR 486/06 in NJW 2007,1602). § 86a StGB soll auch verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen – ungeachtet der damit verbundenen Absichten – sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in Deutschland grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können (BGH, a.a.O.).

Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die weite Fassung des § 86a StGB eine Restriktion des Tatbestands in der Weise erfordert, dass solche Handlungen, die dem Schutzzweck der Norm eindeutig nicht zuwiderlaufen oder sogar in seinem Sinne wirken, nicht dem objektiven Tatbestand unterfallen (vgl. BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2008 – 3 StR 164/08; BGH, Urteil v. 15. März 2007 – 3 StR 486/06, zitiert nach juris). Dies ist für Fälle anerkannt, in denen das Kennzeichen in einer Weise dargestellt wird, die offenkundig gerade zum Zweck der Kritik an der verbotenen Vereinigung oder der ihr zu Grunde liegenden Ideologie eingesetzt (vgl. BGH, Urteil v. 15. März 2007 – 3 StR 486/06, zitiert nach juris) oder erkennbar verzerrt, etwa parodistisch verwendet wird (vgl. BGH, Urteil v. 14. Februar 1973 – 3 StR 3/72 in NJW 1973, 766 f.). Mit dieser Rechtsprechung wird einerseits dem Anliegen, verbotene Kennzeichen grundsätzlich aus dem Bild des politischen Lebens zu verbannen, andererseits den hohen Anforderungen, die das Grundrecht der freien Meinungsäußerung an die Beurteilung solcher kritischen Sachverhalte stellt, Rechnung getragen (vgl. BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2008 – 3 StR 164/08 in NStZ 2009, 88 ff.).

Unter Zugrundelegung dessen handelt es sich vorliegend nicht um einen Ausnahmefall der zulässigen Verwendung verbotener Kennzeichen.

Aus Sicht eines objektiven Betrachters ist die Fotomontage in Form einer halbseitigen Abbildung des Adhäsionsklägers in Uniform und einer halbseitigen Abbildung des SS-Obersturmbandführers J. H. mit der Überschrift „Ich führe nur Befehle aus“ als Protest gegen das polizeiliche Handeln zu verstehen. Durch die Zusammenfügung der beiden Fotos zu einem Foto wird zum Ausdruck gebracht, dass das Handeln der heutigen Polizei an die Methoden der SS erinnere und das Vorgehen der Polizei mit den Methoden des NS-Staats vergleichbar sei.

Zweck der Fotomontage war eine Kritik an der Polizei. Es ging demnach nicht um eine Kritik an der verbotenen Vereinigung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sollen jedoch nur solche Handlungen nicht vom Tatbestand des § 86a StGB erfasst werden, in denen das Kennzeichen offenkundig gerade zum Zweck der Kritik an der verbotenen Vereinigung oder der ihr zu Grunde liegenden Ideologie eingesetzt wird. Dies ist – wie ausgeführt – vorliegend nicht der Fall.

Zudem wird durch den Vergleich der heutigen Polizei mit der SS das von der SS begangene Unrecht relativiert, weil Organisation und Handlungen der Polizei in keiner Weise mit denjenigen des verbrecherischen Nazi-Regimes und insbesondere auch der SS vergleichbar sind. Das Handeln der SS, welches untrennbar mit der Massenvernichtung von Juden verbunden ist, wird durch den Vergleich mit dem Handeln der Polizei verharmlost und das von der SS begangene schwerste Unrecht in keiner Weise als solches anerkannt.

Da vorliegend keine der von dem Bundesgerichtshof entwickelten Fallgruppen der Tatbestandsrestriktion eingreift, ist der Tatbestand des § 86a StGB erfüllt. Die vorliegende Verwendung der Kennzeichnung ist gerade das, was die Vorschrift des § 86a StGB verhindern soll, denn sie soll einer Gewöhnung an bestimmte Kennzeichen zuvorkommen, indem diese aus allen Kommunikationsmitteln verbannt werden (sogenanntes „kommunikatives Tabu“).“

Das OLG hat auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB bejaht. Insoweit und wegen der Revision des Angeklagten verweise ich auf den Volltext.

StGB II: Beleidigung der Polizei bei der Kontrolle, oder: „Zum Kotzen eure Scheiß-Arbeit… so eine Lappalie…“

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Und als zweite Entscheidung zum StGB mal wieder etwas zur Beleidigung, und zwar der OLG Dresden, Beschl. v. 05.12.2022 – 1 OLG 22 Ss 550_22. In der Entscheidung nimmt das OLG zur Beleidigung von zwei Polizeibeamten Stellung. Das AG hatte den Angeklagten wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 60,00 € verurteilt worden.

Das AG hatte folgende Feststellungen getroffen: Der mit einem Fahrzeug im Straßenverkehr fahrende Angeklagte sei infolge der Verwendung eines Mobiltelefons einer Kontrolle unterzogen worden und habe, nachdem er aus seinem Fahrzeug ausgestiegen sei, in Richtung der ihn kontrollierenden Polizeibeamten unter anderen geäußert „Zum Kotzen eure Scheiß-Arbeit, das alles wegen so einer Lappalie, was ist euer Scheiß-Problem“, um seine Missachtung auszudrücken. Da ein Gespräch mit dem Angeklagten nicht möglich gewesen sei, hätten die Polizeibeamten schließlich die Kontrolle beendet.

Das OLG sagt/meint: Das reicht nicht für § 185 StGB:

„Die Feststellung einer Strafbarkeit nach § 185 StGB erfordert daher regelmäßig eine fallbezogene Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen (BVerfGE 93, 266, 292). Ausgangspunkt dieser Abwägung ist die zutreffende Deutung des Aussageinhalts. Da schon auf der Deutungsebene Vorentscheidungen über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit von Äußerungen fallen, ergeben sich aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht nur Anforderungen an die Auslegung und Anwendung des § 185 StGB, sondern auch an die Deutung der inkriminierten Äußerung. Bei dieser Deutung ist vom Wortlaut auszugehen. Zusätzlich bestimmt sich der Sinn einer Äußerung nach ihrem sprachlichen Kontext und den erkennbaren Begleitumständen, unter denen sie fällt. Ein Gericht verstößt bei der Anwendung des § 185 StGB insbesondere auch dann gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, wenn es bei einer mehrdeutigen Äußerung die zur Verurteilung führende Deutung zugrundelegt, ohne vorher andere mögliche Deutungen, die nicht völlig fernliegen, mit schlüssigen Argumenten ausgeschlossen zu haben (BVerfGE 93, 266, 295).

Zwar tritt die Meinungsfreiheit bei Äußerungen, die sich als Schmähung erweisen, regelmäßig hinter den Ehrschutz zurück (BVerfGE 93, 266, 303). Wegen seines die Meinungsfreiheit ver-drängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik jedoch eng zu definieren. Danach macht auch eine überzogene oder gar ausfällige ehrverletzende Kritik eine Äußerung für sich genom-men noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch von polemischer oder überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfGE 93, 266, 303). Das kann etwa bei der Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter der Fall sein (BVerfG, NJW 2009, 3016, 3017).

b) Bereits die Wertung des Amtsgerichts, die Äußerungen des Angeklagten seien Ausdruck (personenbezogenen) Miss- und Nichtachtung der beiden handelnden Polizeibeamten, hält der Nachprüfung anhand der vorgenannten Maßstäbe nicht stand. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat dazu in ihrer Antragsschrift vom 26. August 2022 unter anderem Folgendes aus-geführt:

„Zwar hat das Gericht festgestellt, dass in der Äußerung des Angeklagten auch eine Unzufriedenheit mit der Polizeikontrolle insgesamt zu erkennen sei, ging aber nachfolgend ausschließlich von einer personenbezogenen, herabsetzenden Äußerung aus. Dabei setzt es sich jedoch nicht mit dem gesamten Wortlaut der in Rede stehenden Äußerung auseinander, in deren Mittelteil ausschließlich auf die Maßnahme als solche abgestellt wird („das alles wegen so einer Lappalie“) und der insoweit die vor- und nachfolgenden Begriffe „Scheiß-Arbeit“ und „Scheiß-Problem“ diesem Kontext unterstellt. Auch findet sich in der Äußerung keine direkte Bezeichnung der handelnden Polizeibeamten, so dass die alleinige Sinnermittlung des Gerichts, im Rahmen der Äußerung sei eine Auseinandersetzung des Angeklagten in der Sache insgesamt nicht erkennbar, nicht haltbar ist“.

 

Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.“

StGB III: Äußerungen in einem Online-Kondolenzbuch, oder: „Wieder ein Grüner weniger… “ als Beleidigung

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Und dann noch einmal – der Beitrag war gestern schon – aufgrund eines technischen Versehens – online. 🙂

Als dritte StGB-Entscheidung dann noch der LG Verden, Beschl. v. 07.02.2022 – 4 Qs 101/21 – zur Strafbarkeit einer Äußerung über eine verstorbene Politikerin in einem Online-Kondolenzbuch als Beleidigung.

Die Staatsanwaltschaft hat beim AG den Erlass eines Strafbefehls beantragt. Vorgeworfen wird wird dem, am 17.05.2021 in N. das Andenken eines Verstorbenen verunglimpft zu haben, indem er auf dem – online-basierten – Trauerportal der Zeitung „XXX“ unter den Nachrufen der verstorbenen Sprecherin des Ortsverbandes R.-L. der Partei Bündnis 90/Die Grünen, B. N., einen Kommentar mit dem folgenden Inhalt verfasst haben soll: „WIEDER EIN GRÜNER WENIGER.HERRGOTT WIR DANKEN DIR.“.

Der Beschuldigte bestreitet den Tatvorwurf aus tatsächlichen Gründen. Das AG hat den Erlass des Strafbefehls aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Dagegen die sofortige Beschwerde der StA, die Erfolg hatte:

2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist vorliegend ein hinreichender Tatverdacht gegen den Beschuldigten wegen der in dem von der Staatsanwaltschaft Verden beantragten Strafbefehl bezeichneten Tat gegeben.

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Ausgangspunkt für die Prüfung, ob eine Äußerung eine Beleidigung i.S.v. § 185 StGB darstellt, ist die Ermittlung ihres objektiven Sinnes. Maßgeblich ist insofern weder wie der Erklärende seine Äußerung subjektiv verstanden haben wollte noch wie sie sein Kommunikationspartner tatsächlich verstanden hat (vgl. Valerius, in BeckOK/StGB, 46. Edition 2020, § 185 Rn. 21 m.w.N.), sondern der Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Der tatsächliche Gehalt der Äußerung ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Es ist vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, wobei dieser den Sinn der Äußerung nicht abschließend festlegt. Er wird vielmehr auch durch den sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Empfänger erkennbar sind (BVerfG, Nichtannahmebeschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12.07.2005, Az.: 1 BvR 2097/02).

Bereits auf der einfachen Sinn- und Deutungsebene trägt der durch die schriftliche Erklärung „WIEDER EIN GRÜNER WENIGER.HERRGOTT WIR DANKEN DIR.“ zur Schau getragene Dank über den Tod eines Menschen ehrherabsetzenden Charakter. Jedoch verstößt nicht jede ehrherabsetzende Äußerung gegen § 185 StGB.

Der Ehrenschutz des Opfers einer Beleidigung steht nämlich regelmäßig im Widerstreit mit der Äußerungsfreiheit des Täters, die ihrerseits dem besonderen Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG unterliegen kann. Zwar findet die dadurch geschützte Meinungsfreiheit seine Schranke schon nach Art. 5 Abs. 2 GG im Recht der persönlichen Ehre. Dies führt jedoch aufgrund der besonderen Bedeutung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG für eine pluralistische Demokratie nicht dazu, dass per se jede ehrangreifende Äußerung der Strafandrohung der §§ 185 ff. StGB unterliegt (OLG Celle, a.a.O., Rn. 33). Vielmehr müssen beide Rechtspositionen bei der Anwendung des einfachen Rechts in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden. Dies erfolgt über eine Gesamtabwägung aller Umstände.

Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob die Äußerung eine Tatsachenbehauptung oder die Kundgabe eines Werturteils, einer Meinung, darstellt. Während bei Tatsachenbehauptungen die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund steht, sind Meinungen durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage und durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt (BVerfG, Beschluss vom 13.04.1994, Az.: 1 BvR 23/94). Der Grundrechtsschutz des Art. 5 Abs. 1 GG bezieht sich grundsätzlich auf letzteres (vgl. OLG Celle, a.a.O., Rn. 33 – 34).

Bei der schriftlichen Erklärung „WIEDER EIN GRÜNER WENIGER.HERRGOTT WIR DANKEN DIR.“ handelt sich nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um ein Werturteil. Zwar lässt sich die Äußerung auch als Behauptung über die – dem Beweis zugänglichen – Tatsache begreifen, es gäbe nunmehr ein Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen weniger. Eine solche Würdigung griffe indes zu kurz. Der Schwerpunkt der Äußerung ist – gemessen am Auslegungsmaßstab eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums – indes in der Missachtung, Geringschätzung bzw. Nichtachtung der Verstorbenen zu sehen. Dies ergibt sich bereits aus der Äußerung als solcher, die den Dank und somit die Freude über das Ableben eines Mitmenschen zum Ausdruck bringt. Verstärkt wird die zum Ausdruck kommende Missachtung, Geringschätzung und Nichtachtung noch durch den Kontext der Äußerung in einem online abrufbaren Kondolenzbuch der Verstorbenen. Durch die vorstehende Äußerung wird der Verstorbenen, derer sowohl im privaten, beruflichen und politischen Umfeld gedacht wird, der ethische, personale und soziale Geltungswert ganz oder teilweise abgesprochen, indem der Dank über ihr Ableben allein aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit bekundet wird. Hierdurch wird ihr grundsätzlich uneingeschränkter Achtungsanspruch verletzt.

Die Äußerung ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB gerechtfertigt.

Werturteile unterfallen als Meinungsäußerungen dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28.09.2015, Az.: 1 BvR 3217/14 Rn. 13). Auch eine polemische oder verletzende Formulierung entzieht die Äußerung nicht dem Schutz des Grundrechts (u.a. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 08.02.2017, Az.: 1 BvR 2973/14 Rn. 14). Wo der Grenzbereich von der Unhöflichkeit zur Beleidigung überschritten ist, ist nicht immer eindeutig (Regge/Pegel, in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2021, § 185 Rn. 13).

Eine Formalbeleidigung, welche sich dadurch auszeichnet, dass sich die Kränkung bereits aus der Form der Äußerung ohne Rücksicht auf deren Inhalt ergibt, ist vorliegend nicht gegeben. Aber auch eine Schmähkritik liegt nach vorläufiger Würdigung der Sach- und Rechtslage nicht vor. Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassungs wegen eng zu verstehen. Schmähung im verfassungsrechtlichen Sinn ist gegeben, wenn eine Äußerung keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Es sind dies Fälle, in denen eine vorherige Auseinandersetzung erkennbar nur äußerlich zum Anlass genommen wird, um über andere Personen herzuziehen oder sie niederzumachen, etwa in Fällen der Privatfehde (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020, Az.: 1 BvR 2397/19 Rn.19 m.w.N.). Davon abzugrenzen sind Fälle, in denen die Äußerung, auch wenn sie gravierend ehrverletzend und damit unsachlich ist, letztlich als (überschießendes) Mittel zum Zweck der Kritik eines Sachverhaltes dient. Dann geht es dem Äußernden nicht allein darum, den Betroffenen als solchen zu diffamieren, sondern stellt sich die Äußerung als Teil einer anlassbezogenen Auseinandersetzung dar (BVerfG, ebd., Rn. 20). Die Wahl des Benutzernamens „DIE ANTIGRÜNEN“ und die Bezeichnung der Verstorbenen als „EIN GRÜNER“ lässt einen politischen Kontext zumindest erkennen, sodass eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung bzw. dem Pietätsempfinden der Angehörigen und die Menschenwürde der Verstorbenen einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch das Verbot der Äußerung andererseits vorzunehmen ist. Das Ergebnis der Abwägung ist von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig.

Das bei der Abwägung anzusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ist umso höher, je mehr die Äußerung darauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso geringer, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht (vgl. BVerfG, ebd., Rn. 29 m.w.N.). Allein die Wahl der Plattform, die online abrufbare Kondolenzseite einer Zeitung, zeigt, dass es dem Verfasser lediglich nachrangig – wenn überhaupt – um den öffentlichen Diskurs einer parteikritischen Äußerung geht. So lässt die Äußerung zwar einen Bezug zum politischen Kontext erkennen, sie setzt sich aber inhaltlich nicht argumentativ mit der Politik auseinander, sondern behandelt die Verstorbene aufgrund ihrer politischen Zugehörigkeit zu einer Partei als unterwertiges Wesen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.02.2010, Az.: 1 BvR 369/04, Rn 31).

Wenn das Amtsgericht im Rahmen der zu treffenden Abwägung mit der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit darauf abstellt, dass die Äußerung im virtuell-öffentlichen Raum einer Zeitung im unmittelbaren Zusammenhang zu einer öffentlichen Erklärung eines politischen Verbands vorgebracht wurde und die vom Verfasser verfolgte Zielrichtung darüber hinaus auch durch die Wahl seines Benutzernamens „DIE ANTIGRÜNEN“ deutlich gemacht worden sei, stellt dies eine Verkürzung der nach Aktenlage vorliegenden Tatsachen dar. Die Homepage XXX enthält ausweislich des Screenshots vom heutigen Tage bereits seit dem 15.05.2021 insgesamt drei Traueranzeigen. Die oberste Traueranzeige wurde gestellt von „T., S. und Su.“. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei „T.“ um den Witwer der Verstorbenen und Antragsteller T. F. N. handelt. Bei der mittleren Traueranzeige handelt es sich um diejenige des R.-L. Ortsverbands der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Bei der untersten Traueranzeige handelt es sich um eine der Schulgemeinschaft der Grundschule M., an der die Verstorbene seit 2012 gearbeitet hatte. Der Kontext des hinterlassenen Kommentars ist hiernach keineswegs allein im Politischen zu suchen. Selbst wenn dies so wäre, änderte es nichts an der Beurteilung seiner Strafbarkeit. Im Gegenteil:

In der zu treffenden Abwägung sind die Besonderheiten digitaler Kommunikation zu berücksichtigen (vgl. hierzu auch die Beschlüsse des BVerfG vom 19.05.2020 zu den Az.:1 BvR 2397/19, 1 BvR 1094/19 und 1 BvR 362/18). Mit Blick auf Form und Begleitumstände einer Äußerung kann insbesondere erheblich sein, ob sie unvermittelt in einer hitzigen Situation oder im Gegenteil mit längerem Vorbedacht gefallen ist. Denn für die Freiheit der Meinungsäußerung wäre es besonders abträglich, wenn vor einer mündlichen Äußerung jedes Wort auf die Waagschale gelegt werden müsste. Der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit als unmittelbarer Ausdruck der Persönlichkeit impliziert – in den Grenzen zumutbarer Selbstbeherrschung – die rechtliche Anerkennung menschlicher Subjektivität und damit auch von Emotionalität und Erregbarkeit. Demgegenüber kann bei schriftlichen Äußerungen im Allgemeinen ein höheres Maß an Bedacht und Zurückhaltung erwartet werden. Dies gilt – unter Berücksichtigung der konkreten Kommunikationsumstände – grundsätzlich auch für textliche Äußerungen in den „sozialen Netzwerken“ im Internet (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 Rn. 36 m.w.N.). Ebenfalls erheblich kann sein, ob und inwieweit für die betreffende Äußerung ein konkreter und nachvollziehbarer Anlass bestand und welche konkrete Verbreitung und Wirkung sie entfaltet. Erhält nur ein kleiner Kreis von Personen von einer ehrbeeinträchtigenden Äußerung Kenntnis oder handelt es sich um eine nicht schriftlich oder anderweitig perpetuierte Äußerung, ist die damit verbundene Beeinträchtigung der persönlichen Ehre geringfügiger und flüchtiger als im gegenteiligen Fall. Demgegenüber ist die beeinträchtigende Wirkung einer Äußerung beispielsweise gesteigert, wenn sie besonders sichtbar in einem der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Medium getätigt wird. Ein solches die ehrbeeinträchtigende Wirkung einer Äußerung verstärkendes Medium kann insbesondere das Internet sein, wobei hier nicht allgemein auf das Medium als solches, sondern auf die konkrete Breitenwirkung abzustellen ist (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 Rn. 37 m.w.N.).

Die Breitenwirkung eines online abrufbaren Kondolenzbuches einer lokalen Tageszeitung ist groß. So weisen die Traueranzeigen für die Verstorbene N. bereits 1.407 Besuche (Stand: 07.02.2022) auf. Die auf der Homepage veröffentlichten Statistiken: „12.860 Trauerfälle online, 26.061 Traueranzeigen online, 30.507 Kerzen angezündet, 3.268 Kondolenzeinträge verfasst“ (Stand: 07.02.2022) sprechen ihr übriges.

In die Abwägung sind darüber hinaus auch aktuelle Bestrebungen des Gesetzgebers einzustellen. So hat er mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30.03.2021 (BGBl. 2021 I 441) eine Qualifikation des § 185 StGB für die öffentliche – somit auch im Internet – begangene Beleidigung eingeführt. Richtet sich die Beleidigung gegen eine Person des politischen Lebens, welches bis hin zur kommunalen Ebene reicht, so ist sie gemäß § 188 StGB sogar mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe zu sanktionieren, wenn die Tat geeignet ist, das öffentliche Wirken der Person des politischen Lebens erheblich zu erschweren. Der Gesetzgeber reagierte hiermit auf das aktuelle Kriminalitätsphänomen öffentlich ehrverletzender Herabsetzungen in digitalen Medien und stellt klar, dass Beleidigungen, die unter dem Deckmantel vermeintlicher Anonymität im Internet begangen werden, keineswegs weniger schlimm wiegen, als solche in persona.

Die Verschärfung der vorgenannten Normen zum 01.07.2021 hat der Gesetzgeber nicht mit der Notwendigkeit eines besseren Ehrschutzes, sondern mit der bestehenden Gefahr für den freien Meinungsaustausch begründet. Er führt dazu aus: „Die eigene Meinung frei, unbeeinflusst und offen sagen und sich darüber austauschen zu können, stellt einen wesentlichen Grundpfeiler der demokratischen pluralistischen Gesellschaft dar, die der Staat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen hat.“ (BT-Drs. 19/17741, S. 1). Schutzgut des § 185 StGB ist somit nicht mehr nur die individuelle Ehre im Spannungsverhältnis zur Meinungsfreiheit, sondern die Meinungsfreiheit selbst und der Schutz demokratischer Institutionen (Hoven/Wittig, in: NJW 2021, 2397). Der wirksame Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern und Politikern liegt im öffentlichen Interesse und ist auch gewichtig (so zuletzt wieder: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20 Rn. 47 m.w.N.). Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19.05.2020 – 1 BvR 1094/19 Rn. 32 m.w.N.)……“a.O., § 473 Rn. 7).“