Kaum eine Gebühr aus Teil 4 VV RVG macht in der Praxis in der Anwendung so viel Schwierigkeiten wie die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG. Das beweist mal wieder ein Beschluss des AG Oldenburg, das zur Bemessung der Gebühr Stellung nimmt.
Gegen den Beschuldigten und einen Mitbeschuldigten ist von der Polizei und der Staatsanwaltschaft wegen Totschlags ermittelt worden. Grundlage des Verfahrens waren Geschehnisse auf einem Parkplatz in Vechta. Der Beschuldigte ist von der Polizei über seine Rechte als Beschuldigter in einem Strafverfahren belehrt worden. Durch Verfügung vom 24.11.2020 hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Beschuldigten wegen „Totschlags und unerlaubten Führens einer Schusswaffe“ mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Später hat die Staatsanwaltschaft Nachermittlungen angestellt und das Verfahren gegen den Beschuldigten mit Verfügung vom 14.02.2022 erneut nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Der Verteidiger hat seine Gebühren abgerechnet und dabei auch eine Nr. 4141 VV RVG geltend gemacht. Zur Höhe hat er ausgeführt, die „Höhe der Gebühren richte sich danach, vor welchem Gericht Anklage erhoben worden wäre“, Anklage wäre nach Ansicht des Verteidigers vor dem Landgericht/ Schwurgerichtskammer erhoben worden. Das AG hat/Rechtspfleger „nur“ eine Gebühr für das „Ermittlungsverfahren“ festgesetzt. Die dagegen gerichtete Erinnerung des Verteidigers hatte Erfolg.
Der Amtsrichter hat im AG Oldenburg (Oldb), Beschl. v. 17.11.2022 – 28 Gs 1204 Js 38031/20 (3373/21) – die Gebühr Nr. 4141 VV RVG in Höhe der Verfahrensgebühr Nr. 4118 VV RVG festgesetzt:
Aus dem Wortlaut der Norm und aus der Begründung des Gesetzgebers ergibt sich, dass die Gebühr Nr. 4141 VV RVG in Höhe der gerichtlichen Verfahrensgebühr anfällt, die entstehen würde, wenn Anklage erhoben worden wäre (Beschluss des Landgerichts Marburg vom 30. Nov. 2018, Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021). In dem Beschluss führt das Landgericht aus:
„Die Verfahrensgebühr war daher nach VV 4106 ff. zu bemessen und richtet sich danach, welches Gericht mit dem Verfahren befasst worden wäre, wenn sich das Verfahren nicht erledigt hätte. Da vorliegend der Verdacht des versuchten Totschlags Gegenstand des Ermittlungsverfahrens war, ist die vom Amtsgericht vorgenommene Zuordnung zu VV 4118 RVG im Hinblick auf eine voraussichtliche Verhandlung vor dem Schwurgericht nicht zu beanstanden. Als zusätzliche Gebühr gern. 4141 Abs. 3. 4118 VV RVG waren daher 316,00 € festzusetzen.“
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidung des Landgerichts Marburg vom 30.11.2018, die Bestand der Akte geworden ist, vollumfänglich Bezug genommen. Das Gericht schließt sich der Entscheidung des Landgerichts Marburg in vollem Umfang an und verzichtet auf die erneute inhaltliche Wiedergabe der Entscheidungsgründe, nimmt hierauf aber vollumfänglich Bezug auch in Kenntnis der gegenteiligen Entscheidungen, die von der Bezirksrevisorin mitgeteilt worden sind.“
Da hier der Verdacht des versuchten Totschlags Gegenstand des Ermittlungsverfahrens gewesen ist, ist die vom AG vorgenommene Zuordnung zu Nr. 4118 VV RVG im Hinblick auf eine voraussichtliche Verhandlung vor dem Schwurgericht nicht zu beanstanden. Der Bezirksrevisor hatte das in seiner Stellungnahme (natürlich) anders gesehen und auf offenbar entgegenstehende Rechtsprechung anderer Gerichte verwiesen, die das AG aber leider nicht angeführt hat. Ich kenne diese – und ich habe einen recht guten Überblick – nicht. Es wäre daher schön gewesen, wenn das AG, schon um sich mit der anderen Ansicht auseinander setzen zu können, zitiert hätte.
Über den LG Marburg, Beschl. v. 30.11.2018 – 4 Qs 52/18 – hatte ich übrigens auch berichtet (vgl. hier: Befriedungsgebühr, oder: Gebührenhöhe nach Einstellung im Ermittlungsverfahren?).