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Durch das Posting des Kollegen Krähn aus Berlin (vgl. hier Der Trick der Bezirksrevisorin mit der Analogie) bin ich auf den LG Berlin, Beschl. v. 31.03.2016 – (538 KLs) 283 Js 2801/14 29103V (7/15) Kbd1 – aufmerksam geworden und habe ihn mir – mit Einverständnis natürlich – dort „geklaut“. Es geht um die Anrechnung von Vorschüssen/Zahlungen, die der Kollege als Wahlverteidiger für das Ermittlungsverfahren von seinem Mandanten erhalten hat, auf die gesetzlichen Gebühren, die der Kollege, der später zum Pflichtverteidiger bestellt worden ist, für das gerichtliche Verfahren erhält.
An sich nach den Änderungen durch das 2. KostRMoG in den §§ 58 Abs. 3, 17 Nr. 10 RVG ein glasklare Sache und man fragt sich, wozu man ein LG braucht, dass einem sagt, dass da nichts anzurechnen ist. Anders aber wohl in Berlin, wo es offenbar besonders hartnäckige/unbelehrbare Bezirksrevisoren gibt, die die ausdrücklichen Intentionen des Gesetzgebers durch immer neue Überlegungen – der Kollege Krähn spricht von „Tricks“ unterlaufen wollen. Nun ist man auf die Idee gekommen, dassdoch der neue § 58 Abs. 3 Satz 4 RVG auf § 58 Abs. 3 Satz 1 RVG analog (!!) Anwendung finden müsse. Aus der Regelung in Satz 4 ergebe sich eine wirtschaftliche Obergrenze.
Anders das – zum Glück – LG in seinem Beschluss. Es sagt:
- Vorschüsse und Zahlungen, welche der Verteidiger für das Ermittlungsverfahren erhalten hat, sind nach der Neuregelung des § 58 Abs. 3 Satz 1 durch das 2. KostRMoG nicht auf seine Pflichtverteidigervergütung für das gerichtliche Verfahren des ersten Rechtszuges anzurechnen.
- Eine analoge Anwendung des § 58 Abs. 3 Satz 4 RVG auf § 58 Abs. 3 Satz 1 RVG kommt nicht in Betracht.
Im Grunde genügt als Anmerkung zu dieser Entscheidung ein Wort, nämlich „Passt“ oder „Zutreffend“. Denn das LG hat in beiden Fragen Recht bzw. hat zutreffend entschieden. Dass eine Anrechnung des (nur) für das Ermittlungsverfahren vereinbarten Pauschalhonorars auch auf die Gebühren für das gerichtliche Verfahren in der zugrunde liegenden Fallkonstellation ausscheidet, habe ich schon 2014 unter dem Titel: „Wehret den Anfängen, oder Unschönes aus der Praxis zum neuen § 58 Abs. 3 Satz 1 RVG“ in RVGreport 2014, 340 dargelegt. Ausgangspunkt für den Beitrag waren Berichte von Berliner Kollegen, wonach in Berlin die alte Rechtsprechung, u.a. auch des KG, zu § 58 Abs. 3 RVG fortgeführt und nach wie vor auch in den Fällen auf die Gebühren für das gerichtliche Verfahren angerechnet werden sollte, in denen die Zahlungen pp. ausdrücklich nur für das Ermittlungsverfahren vereinbart waren.
Zwar haben die Berliner Bezirksrevisoren offenbar erkannt, dass das dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers widerspricht. Allerdings bedeutet das – wie der Beschluss des LG beweist – nun nicht, dass man Ruhe gibt. Sondern: Man hat jetzt den „Dreh“ über die analoge Anwendung des § 58 Abs. 3 Satz 4 RVG gefunden und versucht so, den gesetzgeberischen Willen bei der Änderung des § 58 Abs. 1 Satz 3 RVG durch das 2. KostRMoG zu unterlaufen. Das ist zwar innovativ, aber aus den vom LG im Beschluss dargelegten Gründen falsch. In seiner Vorlage an das KG v. 11. 04. 2016 weist das LG zusätzlich darauf hin, dass die Auffassung der Landeskasse, § 58 Abs. 3 S. 4 RVG habe – sofern man die Vorschrift nicht als allgemeine wirtschaftliche Obergrenze verstehe – keinen eigenen Anwendungsbereich, da die in § 58 Abs. 3 S. 3 RVG angeführten, dem Rechtsanwalt anrechnungsfrei zu belassenden, doppelten Gebühren rechnerisch niemals die Höchstgebühren eines Wahlanwaltes erreichen könnten, unzutreffend sei. Das ist zutreffend, weil nämlich das VV RVG Gebühren vorsieht, die allein der ·gerichtlich bestellte oder beigeordnete Rechtsanwalt geltend machen kann (vgl. z.B. Nr. 4110, 4111 VV RVG). Entsprechend betragen die dem beigeordneten Rechtsanwalt anrechnungsfrei zu belassenden, doppelten Gebühren für eine sechsstündige ·Hauptverhandlung vor dem AG gem. Nr. 4108, 4110 VVRVG insgesamt 660,- EUR (errechnet aus 220,- EUR + 110,- EUR = 330,- EUR; verdoppelt = 660,- EUR), während der Wahlverteidiger gemäß Nr. 4108 VV RVG höchstens 480,- EUR erhält.
Ach so, ja richtig gelesen: „Vorlage an das KG“. Überrascht? Nein wirklich. Denn die Bezirksrevisorin ist natürlich in die Beschwerde gegangen, was mich nicht überrascht. M.E. liegt die Entscheidung des KG auf der Hand. Ich werde berichten.
Übrigens: Die Argumentation mit der „wirtschaftlichen Obergrenze“ finde ich in dem Zusammenhang mehr als „witzig“. Hat sich die Bezirksrevisoren mal Gedanken gemacht, welche „wirtschaftlichen“ Ressourcen sie verbrät. Und: Die Änderung des § 58 Abs. 3 RVG ist 2013 auf Betreiben der Länder in das 2. KostRMoG aufgenommen worden. Das ist es in meinen Augen mehr als albernunverständlich, wenn nun die Vertreter der Landeskassen versuchen, diese Regelung zu unterlaufen.
„Parallele aus dem öffentlichen Dienst: Bei Reisekostenerstattungen stellt sich das BMI auf den Standpunkt, es handle sich um eine Entschädigung und stellt auf die persönliche Betroffenheit ab: http://www.bva.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/DLZ/Rechtsgrundlagen/Dienstreisen/bmi_rdschr_03092012_flug_fahrgastrechte.pdf;jsessionid=662B4CBCC74A420DA565E5B73B9F8879.1_cid361?__blob=publicationFile&v=3
In zumindest einigen Ländern wird das (z.T. auch auf Basis abweichender Formulierungen in den Landesreisekostengesetzen) anders gesehen und gehandhabt.“