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AG Meißen wie AG Jülich, oder: Leivtex XV3 ist nicht standardisiert

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So, heute dann – auch seit längerem mal wieder – ein wenig (?) OWi-/Bußgeldverfahren. Und den Opener macht der AG Meißen, Beschl. v.18.04.2018 – 13 OWi 162 Js 60190/17 (2), den mir der Kollege A.Kaden aus Dresden geschickt hat. Es geht um Leivtec XV3. Das AG Meißen macht es wie das AG Jülich im AG Jülich, Urt. v. 08.12.2017 – 12 OWi-806 Js 2072/16-122/16 (dazu: Leivtec XV3 nicht standardisiert, oder: Honig saugen) und sagt: Leivtex XV3 ist kein standardisiertes Messverfahren und stellt das Bußgeldverfahren gegen den Betroffenen ein. Begründung:

„Aufgrund eigener umfangreicher Ermittlungen des Gerichts zum Messgerät LEIVTEC XV3 in Parallelverfahren, die lediglich wegen der vorübergehenden Dezernatsentlastung von Bußgeldverfahren im Jahr 2017 nicht fortgeführt werden konnten, und der darin gewonnenen Erkenntnisse zum Zulassungsverfahren des fraglichen Messgeräts folgt das Gericht den Gründen im  freisprechenden Urteil des Amtsgerichts Jülich vom 08.10.2017, Aktenzeichen 12 OWi 122/16.

Danach leidet das nach dem bisherigen EichG durchgeführte Zulassungsverfahren der PTB an massiven Mängeln.

Hierzu äußern sich PTB und Hersteller wie folgt:

Die im Verfahren zur Bauartzulassung nach dem EichG durchgeführten Prüfungen, u.a. die EMV-Prüfungen seien in Art und Umfang nicht erforderlich gewesen, weshalb dortige Fehler keine Bewandtnis hätten (vgl. Stellungnahme vom 20.03.2018 – siehe Internet https://vut-verkehr.de/downloads/2018-03-20%20Das%20Geschwindigkeitsueberwachungsgeraet%20LEIVTEC%20XV3%20erfuellt%20alle%20EMV-Anforderungen.pdf

Unterstellt, diese Mitteilung entspräche den Tatsachen, was allerdings angesichts des stets vorhandenen Kostendrucks durchaus bezweifelt werden mag, wäre dies ein typischer Fall für einen Nachtrag zur Bauartzulassung gewesen.

Es existiert indes kein Nachtrag und seit dem Außerkrafttreten des EichG am 31.12.2014 sind Nachträge zu Bauartzulassungen nicht mehr zulässig.

Damit bedarf das Inverkehrbringen und Betreiben des Geschwindigkeitsmessgeräts LE[VTEC XV3 eines vollständig neuen Konformitätsverfahrens nach dem seit dem 01.01.2015 geltenden MEssEG

Dass die Firma LEIVTEC Verkehrstechnik GmbH stattdessen nach Bekanntwerden der Mängel bei der Bauartzulassung aus ihrer eigenen und Sicht der PTB angeblich unnötige, jedoch durchaus kostenintensive EMV-Prüfungen durchführt, wecken allerdings Zweifel, ob das Messgerät ein solches Verfahren überhaupt bestehen würde.

Ohne ordnungsgemäße Bauartzulassung nach dem früheren EichG bzw. ohne Konformitätserklärung nach dem (MessEG darf das Geschwindigkeitsmessgerät LEITEC XV3 gemäß §§ 6 ff. MessEG nicht einmal in den Verkehr gebracht werden.

Erst recht handelt es sich hierbei nicht um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des BGH.

Die Annahme eines standardisierten Messverfahrens verfolgt den Zweck, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalles freizustellen und setzt neben der Reduzierung des gemessenen Wertes um einen – die systemimmanenten Messfehler erfassenden – Toleranzwert die amtliche Zulassung der verwendeten Messgeräte und Messmethoden voraus (BGH, Beschluss vom 19. August 1993 – 4 StR 627/92  BGHSt 39, 291-305, Rn. 21), wobei das Tatgericht in einem solchen weithin standardisierten und tagtäglich praktizierten Verfahren ohnehin nur von den sachlichrechtlichen Anforderungen an den Inhalt der Urteilsgründe entlastet wird, nicht aber von den Anforderungen, die von Rechts wegen (S 261 StPO) an Messgeräte und -methoden gestellt werden müssen, um die grundsätzliche Anerkennung ihrer Ergebnisse im gerichtlichen Verfahren rechtfertigen zu können (BGH, Beschluss vom 19. August 1993-4 StR 627/92BGHSt 39, 291-305, Rn. 20).

Erfolgte die Messung mit einem nicht oder nicht ordnungsgemäß zugelassenen Messgerät, kann der Tatrichter die gemäß § 261 StPO für eine Verurteilung erforderliche freie, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpfte Überzeugung von der Ordnungsgemäßheit der einzelnen Messung, der nicht wissenschaftliche Erkenntnisse, Gesetze der Logik und Erfahrungssätze entgegenstehen, (vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 1993 – 4 StR 627/92BGHSt 39, 291-305, Rn. 16) regelmäßig nur unter Zuhilfenahme eines messtechnischen Sachverständigen gewinnen.

Doch im Fall des Geschwindigkeitsmessgeräts LEIVTEC XV3 scheitert auch die sachverständige Prüfung der Ordnungsgemäßheit der Messung. Die hierfür erforderlichen Daten werden nicht mehr gespeichert.

Die Herstellerfirma LEMTEC Verkehrstechnik GmbH in Wetzlar ließ unmittelbar vor Außerkrafttreten des EichG am 30.12.2014 mit einem 1. Nachtrag zur 1. Neufassung der Bauartzulassung eine Softwareversion zulassen und aufspielen, mit der nur noch die Daten „Messung Start- und Ende-Distanz“, „Auswertung Start- und Ende-Distanz“ und „Zeitdifferenz zwischen Start- und Ende-Bild“ gespeichert werden. Ale anderen durch das Gerät über die gesamte Messtrecke erhobenen Messwerte und gerade jene, aus denen das Gerät die durchschnittliche Geschwindigkeit errechnet, werden nunmehr systematisch auf Null gesetzt, also nicht mehr gespeichert.

Damit ist es einem Sachverständigen nicht mehr möglich, das bei der Fallauswertung einem Fahrzeug Toleranz zugeordnete Messergebnis auf Plausibilität zu prüfen.

Dementsprechend ist auch das Gericht gehindert, den Tatvorwurf zu prüfen.

Unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung vermag das Gericht die für eine Verurteilung erforderliche Überzeugung, dass die bei Auswertung des Falles angezeigte Geschwindigkeit der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit des zugeordneten Fahrzeuges entspricht, nicht zu bilden

Die konkreten Gründe, welche die LEIVTEC Verkehrstechnik GmbH dazu bewogen hatten, die bisherige als vorbildlich geltende Transparenzstrategie (siehe das frühere Messgerät  die bis zum 30.12.2014 verwendete Software) aufzugeben, sind unbekannt.

Die im Nachhinein bekannt gewordenen bei der Zulassung, die durchgeführte aber angeblich gar nicht erforderlich gewesene EMV-Prüfung, die durchaus überraschende und messtechnisch nicht begründete Aufhebung der Speicherung der Einzelmesswerte, die damit aufgehobene Nachprüfbarkeit des Mesergebnisses und nicht zuletzt die vom hiesigen Gericht erlebte und vom Amtsgericht Jülich dokumentierte Intransparenz der rückblickend als höchst ungewöhnlich zu bezeichnenden Vorgänge um dieses Messgerät zusammen mit der fehlenden Auskunftsbereitschaft von Herstellerfirma und PTB ließen jegliches Vertrauen des Gerichts in die Sicherheit des Messgeräts LEIVTEC XV3 schwinden.

Es kann den Verwaltungsbehörden, die wie jene im Landkreis Meißen aus verständlichem Grund gleich mehrere der ja an sich komfortabel und flexibel einsetzbaren Messgeräte angeschafft hatten, zur Sicherstellung einer effektiven, vom Bürger akzeptierten und gerichtsfesten Verkehrsüberwachung nur dringend angeraten werden, die Herstellerfirma zur Wiederherstellung der Transparenz zu mahnen als ersten Schritt zumindest zur Speicherung der über die Auswertestrecke gewonnenen Messwerte zurückzukehren.

As weiterer Schritt ebenso erforderlicher Schritt um das Messgerät überhaupt weiter in Betrieb setzen zu können, wird die Firma LEIVTEC Verkehrstechnik GmbH die XV3 einem Konformitätsverfahren unterziehen müssen. Wenn Firma und PTB sich so sicher sind wie behauptet, dass die XV3 den Anforderungen an die Mess-, Speicher- und Auswertungssicherheit entspricht, fragt es sich, was sie daran hindert.

Nach erfolgreichem Bestehen eines Konformitätsverfahrens wird zu entscheiden sein, ob für ein nach dem MessEG als konform erklärtes Messgerät die Rechtsprechung über das standardisierte Messverfahren angewendet werden kann oder der Empfehlung des 54. Verkehrsgerichtstages zu folgen sein wird, dies jedenfalls vorerst nicht zu tun mit der Folge, dass jedenfalls bei fehlendem Geständnis jedes   einzeln überprüft werden muss.“

So weit, so gut. Schön auch die „Handlungshinweise“ an den Landkreis. 🙂 Was bleibt ist allerdings die Frage, ob die Messung gänzlich unverwertbar ist, oder ob sie nicht doch – mit einem höheren Sicherheitsabschlag – hätte verwertet werden können. Dazu gibt es OLG Rechtsprechung, mit der sich das AG – jedenfalls nicht erkennbar – nicht auseinander gesetzt hat.

Eine „Zähne und Klauen-Entscheidung aus Oldenburg, oder: Die PTB, die PTB, die PTB hat immer Recht

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Machen wir heute einen OWi-Tag. Nach dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.04.2016 – 4 Ss 212/16 – zur „Aufweichung“ des Handyverbots am Steuer (§ 23 Abs. 1a StVO) (vgl. dazu Aufweichung beim Handyverbot, wirklich?, oder: Neue „Verteidigungsansätze“?) daher den OLG Oldenburg, Beschl. v. 18.04.2016 – 2 Ss (OWi) 57/16. Für mich ein „schönes“ Beispiel dafür, dass es im Owi-Recht ähnlich wie beim Keglen ist: Ist eine Kugel nämlich dort erst mal auf der Bahn, dann kann man sie kaum noch aufhalten. Und so ist es im OWi-Recht auch: Hat erst mal ein OLG etwas „vorgebetet“, dann wird das (häufig) von den anderen OLg „nachgebetet“. Das haben wir bei der Videomessung im Straßenverkehr 2009 mit der Frage nach der Ermächtigungsgrundlage erlebt. Die hatte das OLG Bamberg im OLG Bamberg vom 16.11.2009 – 2 Ss 1215/09 – in § 100h StPO gesehen (vgl. dazu Entscheidung aus Bamberg ist da: Rechtsgrundlage für Videomessung ist § 100h StPO). Und alle OLGs haben das dann mitgemacht.

Ähnlich ist es zur Zeit bei den Geschwindigkeitsmessungen mit dem „antizipierten Sachverständigengutachten der PTB betreffend ESO ES 3.0. Das OLG Frankfurt ist diesen Blödsinndiese Rechtsprechung im OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 04.12.2014 – 2 Ss-OW i 1041/14 – angefangen (vgl. OLG Frankfurt kämpft für Poliscan Speed – wie die Römer gegen Asterix? und Munition im Kampf gegen PoliscanSpeed, oder: Das OLG Frankfurt hat keine Ahnung….), das OLG Bamberg hat es im OLG Bamberg, Beschl. v. 22. 10. 2015 – 2 Ss OWi 641/15, vgl. (OLG Bamberg: Mit „Klauen und Zähnen“ für Riegl FG21-P, oder: Die PTB als „antizipierter Sachverständiger“) „aufgegriffen“ und nun gibt es auch vom OLG Oldenburg so eine „Klauen und Zähne-Entscheidung“, in der diese Auffassung vertreten wird.

Es ist der OLG Oldenburg, Beschl.v. 18.04.2016 – 2 Ss (OWi) 57/16, von dem ich hier nur die Leitsätze einstellen möchte – Rest selbst lesen bitte:

„1. Die Geschwindigkeitsmessung mit dem Einseitensensor ES3.0 erfüllt die Anforderungen an ein sog. standardisiertes Messverfahren. Der Bauartzulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) kommt dabei die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu, mit dem die generelle Zuverlässigkeit und Geeignetheit des Messgeräts verbindlich festgestellt ist.

2. Eine nähere tatrichterliche Überprüfung des Messwertes durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nur dann erforderlich, wenn im Einzelfall konkrete Zweifel an der Funktionstüchtigkeit oder sachgerechten Handhabung des Messgeräts und deshalb an der Richtigkeit des Messergebnisses bestehen.

3. Die Entscheidung des Amtsgerichts Meißen vom 29.05.2015 (Az. 13 OWi 703 Js 21114/14) begründet für das Tatgericht keinen Anlass, das Geschwindigkeitsmessgerät ES3.0 sachverständig untersuchen zu lassen.“

Bemerkenswert ist an dem Beschluss für mich:

1. Die Frage/das Problem „antizipiertes Sachverständigengutachten“ wird vom OLG schon gar nicht mehr näher behandelt. Es wird nur noch auf den OLG Bamberg, Beschl. v. 22. 10. 2015 – 2 Ss OWi 641/15 verwiesen. Das nennt man dann wohl „Kettenreaktion“.

2. Und das AG Meißen, dieses böse AG, mit seinem AG Meißen, Urt. v. 29.05.2015 – 13 OWi 703 Js 21114/14 (vgl. dazu Ein Schwergewicht/Hammer aus Sachsen: 112 Seiten zu ESO ES 3.0 und  Hier wird es technisch, oder. ESO ES 3.0, das AG Meißen, die PTB und eine sachverständige Gegendarstellung), das hat keine Ahnung. Denn die PTB sagt: „Wir haben Recht“. Die Kollegin Kutscher, die das Urteil „verbrochen“ hat, wird es mit Fassung tragen. Sie kann sich aber auch darin „sonnen“ – wenn sie denn mag -, dass sie es mit ihrem Urteil immerhin bis in die Leitsätze des OLG Oldenburg-Beschlusses geschafft hat. Ist für ein AG auch eher selten. 🙂 .

Fazit: Nach wie vor fragt man sich bzw. ich mich: Warum diese Klauen und Zähne-Entscheidungen? Vielleicht steckt des Pudels-Kern in dem vom OLG aus der obergerichtlichen Rechtsprechung zitierten Satz: „Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass die Obergerichte durch eine Fülle von massenhaft vorkommenden Bagatellsachen blockiert und sie so für ihre eigentliche Aufgabe funktionsuntüchtig gemacht würden“.  Allerdings müsste man dann mal erst den Begriff der „Bagatellsache“ definieren. Und ob die Sicht so richtig ist, erscheint mir im Hinblick auf den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dann doch mehr als zweifelhaft.

Ich habe übrigens die Entscheidung des OLG dann auch an die angesprochene VUT, deren Gutachten ja vom OLG verworfen ist, geschickt. Von dort kam als Kommentar: „Ist überholt und falsch.  Näheres in Kürze, wenn wir einen entsprechenden Gerichtsauftrag zur Feststellung der Korrektheit der Daten haben. Unsere Gutachten sind jedenfalls eine Stufe weiter. Freue mich auf die weitere Auseinandersetzung.

Aber wahrscheinlich kommt das Argument: Die haben (auch) keine Ahnung, denn – in Abwandlung von“Die Partei, die Partei, die hat immer recht.“ – gilt ja wohl: Die PTB, die PTB, die PTB hat immer Recht:

Hier wird es technisch, oder. ESO ES 3.0, das AG Meißen, die PTB und eine sachverständige Gegendarstellung

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Ich komme dann noch einmal auf das AG Meißen, Urt. v. 29.05.2015 – 13 OWi 703 Js 21114/14 – zurück (vgl. dazu Ein Schwergewicht/Hammer aus Sachsen: 112 Seiten zu ESO ES 3.0).  Nun, wie nicht anders zu erwarten, gibt es dazu (natürlich) inzwischen eine Stellungnahme der PTB, die mich inzwischen auch erreicht hat.

Ich stelle Sie hier dann mal ein unter „Stellungnahme der PTB zu AG Meißen„, wobei ich einräumen muss: Für mich wird es nun allmählich unverständlich bzw. ich kann es nicht mehr nachvollziehen. Aber „meine“ Sachverständigen von der VUT die können es – meine ich. Und die haben dann auch eine Stellungnahme zu der Stellungnahme der PTB verfasst, die ich hier unter „Stellungnahme VUT_26_01_2016 Gegendarstellung PTB_AG Meissen“ einstelle (hier geht es zur VUT, die heute auch mit einem Newsletter auf ihre Stellungnahme hinweisen).

Die Verkehrsrechtler wird es sicher interessieren….. 🙂

Ein Schwergewicht/Hammer aus Sachsen: 112 Seiten zu ESO ES 3.0

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Heute hat mir die Kollegin RiAG Kutscher vom AG Meißen ein Schwergewicht geschickt, nämlich das AG Meißen, Urt. v. 29.05.2015 – 13 OWi 703 Js 21114/14. Das ist 112 Seiten lang; ich stelle es dann mal hier zum Download bereit und nicht bei Burhoff-Online, weil das Urteil Lichtbilder enthält, die dort verloren gehen würden. In der hier bereit gestellten PDF-Version bleiben sei erhalten. Die Kollegin hat sich viel Mühe gegeben und ESO ES 3.0 ein wenig auseinander genommen bzw. sich ausführlich mit ES 3.0 auseinander gesetzt. Im Verfahren sind dann auch Chef-Entwickler der Fa. eso GmbH als Zeuge vernommen worden und es haben zwei Sachverständigenbüros mitgewirkt. Also: Umfangsverfahren beim AG 🙂

Das Ergebnis: Der Betroffene ist frei gesprochen worden.

Ich hatte die Kollegin nach der Kernaussage dieses Schwergewichts gefragt, weil ich derzeit keine Zeit habe/hatte, die 112 Seiten zu lesen. Sie hat mich für den „ganz eiligen Leser“ auf S. 3 des Urteils verwiesen. Da heißt es:

„Die innerstaatliche Bauartzulassung, auf deren Grundlage die Eichungen aller eingesetzten ES 3.0 beruhen und die Einhaltung der Bedienvorschriften gewährleistet nicht, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Messergebnisse zu erwarten sind.

Die Beweisaufnahme hat bauartbedingte Fehlerquellen der Geschwindigkeitsmessanlage bei der Messwertbildung zu Tage treten lassen, die nicht innerhalb der zulässigen Verkehrsfehlergrenze liegen und auch nicht durch einen größeren Toleranzwert ausgeglichen werden können.“

Also: Vielleicht/Hoffentlich kann der ein oder andere Blogleser mit der Entscheidung etwas anfangen. Und: Die Entscheidung ist rechtskräftig. Wir hören zu der Frage also dann nichts aus Dresden vom OLG.

Der Kollegin herzlichen Dank für die Sendung – ich freue mich über solche „Gaben“ immer, tragen sie doch zu einer bunten Berichterstattung bei.

P.S. Sollte an sich erst morgen online gehen, aber Fluch der Technik 🙁 .

Das kleine gallische Dorf im Gebührenrecht: AG Meißen versus LG Dresden – zur Nachahmung empfohlen

Like - thumb upAn das berühmte kleine gallische Dorf in den Astrix-Geschichte denke ich nicht mehr nur bei PoliscanSpeed, wenn es um das AG Emmendingen geht (vgl. “ein kleines gallisches Dorf…”, oder: AG Emmendingen versus PoliscanSpeed, die 2.„) sondern (jetzt) auch im Gebührenrecht, wenn es um das AG Meißen geht. Ein Kollege hatte mir nämlich den AG Meißen, Beschl. v. 23.01.2015 –  13 OW 703 Js 22714/12 – übersandt, der eine Abrechnung im Bußgeldverfahren, und zwar die Bemessung der Rahmengebühren, zum Inhalt hat. Und ich war dann hoch erfreut, als ich mal wieder lesen konnte, dass die anwaltlichen Tätigkeiten im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren eben nicht grundsätzlich unterdurchschnittlich sind, wie einige Bußgeldkammern verschiedener Landgerichte meinen. Anders der o.a. Beschluss und das dann auch noch mit der Formulierung gegenüber der eigenen Beschwerdekammer: „Die Betrachtungsweise der Bußgeldkammer des Landgerichts Dresden findet im Gesetz keine Stütze.“ Hut ab, Frau Kollegin 🙂 .

„In Bußgeldverfahren erhält der Verteidiger Rahmengebühren, welche der Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 1 RVG im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen bestimmt. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

Von Letzterem ist die Rechtspflegerin hinsichtlich der Gebühren Nr. 5100 und 5110 VV in nicht zutreffender Weise ausgegangen. Im Übrigen ist gegen die Einschätzung der Rechtspflegerin hinsichtlich der von der Staatskasse angegriffenen Festsetzung der jeweiligen Mittel-gebühren nichts zu erinnern.

Das Amtsgericht Meißen folgt der Rechtsprechung der Bußgeldkammer des Landgerichts Dresden, wonach wegen des Massencharakters von Verkehrsordnungswidrigkeiten die anwaltliche Tätigkeit in diesen Sachen lediglich als unterdurchschnittlich einzustufen sei, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, in eigener ständiger Rechtsprechung nicht.

Die Betrachtungsweise der Bußgeldkammer des Landgerichts Dresden findet im Gesetz keine Stütze. Soweit dort unterschieden ist zwischen Verfahren mit einer Geldbuße von 40,00 Euro bis 5.000,00 Euro und Verfahren mit einer Geldbuße über 5.000,00 Euro, so ist hieraus nicht zu entnehmen, dass die Anwaltsgebühr in Relation zur Höhe der Geldbuße zu stehen habe. Vielmehr ist das Gesetz nach den zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden da-hingehend zu verstehen, dass Verfahren, in denen Geldbußen von mehr als 5.000,00 Euro zur Anwendung regelmäßig rechtlich und tatsächlich schwierig sind, weil es bereits deren Tatbestand ist. Dies sind regelmäßig recht seltene Fälle aus Nebengesetzen, die in der Regel Spezialkenntnisse verlangen. Verfahren, in denen Geldbußen von 40,00 Euro bis 5.000,00 Euro sollen hingegen der Normalfall an Bußgeldverfahren sein. Dabei soll die dortige Mittelgebühr wiederum den dort durchschnittlichen Bußgeldfall abdecken. Durchschnittsfall im Bußgeldreferat, sei es die richterliche oder anwaltliche Tätigkeit, ist aber die Verkehrsordnungswidrigkeit. Diese Verfahren nehmen den weit überragenden Teil aller Bußgeldverfahren ein. Die vom Landgericht Dresden zum Vergleich herangezogenen Bußgeldtatbestände anderer Rechtsgebiete, insbesondere auf dem Gebiet des Wirtschafts- , Steuer- oder Umweltrechtes machen, wenn sie denn überhaupt einmal auftreten, einen verschwindend geringen Anteil im bußgeld-rechtlichen Dezernat aus. Sie können somit nicht als Durchschnittsfall gelten. So stellt es im durchschnittlichen amtsrichterlichen Dezernat den Normalfall dar, wenn eine Geldbuße um die 100 € verhängt wird. Bereits die Verhängung eines Fahrverbotes ist verhältnismäßig selten höhere Geldbußen ebenfalls. Der Regelfall ist ein Fall der vorliegenden Art und Güte.

Stellen solche Art Verfahren den Normalfall dar, sind sie auch gleichzeitig der Normalfall anwaltlicher Tätigkeit. Dieser soll entsprechend des gesetzgeberischen Willens gerade durch die Mittelgebühr honoriert werden. Soweit es einmal doch zu einem Bußgeldverfahren in Wirtschafts-, Steuer- oder Umweltverfahren kommen sollte, mag dies durch entsprechende Erhöhung der Mittelgebühr bis hin zur Höchstgebühr berücksichtigt werden. Jenseits einer Geldbuße von 5.000 €käme dann ohnehin Nr. 5111 VV zur Anwendung.

Hinzu kommt, dass bei der anzustellenden Einzelfallprüfung ohnehin die jeweilige Bedeutung der Angelegenheit nur ein Entscheidungskriterium neben anderen Erwägungen ist, keinesfalls doch das Ausschließliche oder das Überragende. Im Sinne einer wertenden Entscheidung des Einzelfalls sind vielmehr sämtliche Umstände heranzuziehen, die für die Bestimmung des jeweiligen Gebührenrahmens von Belang sein können. Die Bewertung beschränkt sich namentlich nicht auf die in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG benannten Merkmale. Die Verwendung des Wortes „vor allem“ belegt vielmehr, dass diese nicht enumerativ sondern lediglich exemplarisch aufgeführt sind, vgl. auch Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 18.06.2004, L6B 92/03 RJ-KO — noch zu § 12 Abs. 1 BRAGO und der dortigen Verwendung des Wortes „insbesondere“. Gemessen an diesem Maßstab ist die von dem Erinnerungsführer in Ansatz ge-brachte Gebührenbestimmung mit der Mittelgebühr nicht unbillig.“

Zur Nachahmung empfohlen.