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OWi I: Umfang der Einsicht in Messunterlagen, oder: Was will der Verteidiger mit den Daten „anstellen“?

entnommen wikimedia.org
Urheber Jepessen

In der Wochenmitte dann heute einige Owi-Entscheidungen.

Ich beginne in diesem Posting mit zwei AG-Entscheidungen zum Umfang des Einsichtsrecht in Messunterlagen.

Zunächst ein Beschluss des AG Leer. Das Bemerkenswerte an dem Beschluss ist m.E. das Zitat uralter Rechtsprechung aus 2011. Hier der Leitsatz zu dem AG Leer, Beschl. v. 25.05.2022 – 111 OWi 175/22:

Es besteht grundsätzlich kein Anspruch des Betroffenen auf Beiziehung weiterer, nicht zur Akte gehörender Unterlagen. Nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 147 StPO besteht lediglich das Recht auf Einsicht in die vorliegende Verfahrensakte, nicht jedoch auf eine inhaltliche Gestaltung derselben durch Hinzufügen weiterer Unterlagen.

Ob das alles so richtig ist, was das AG da schreibet, wage ich dann doch zu bezweifeln.

Und als zweite Entscheidung dann der AG Tübingen, Beschl. v. 26.05.2022 – 15 OWi 628/22 – mit folgendem Leitsatz:

Die Einsicht in Informationen, die nicht zur Bußgeldakte gehören, aber dennoch vorhanden sind, kann die Verwaltungsbehörde beschränken, zum Beispiel auf eine Einsicht in den Diensträumen.

Das Bemerkenswerte an dem Beschluss ist die Formulierung: “ Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, wenn die Bußgeldbehörde insoweit eine Erklärung verlangt, weshalb sie in die geschützten Belange Dritter eingreifen soll. Der Verteidiger hat im vorliegenden Fall aber gar nicht vorgetragen, was er den mit den grundrechtlich geschützten Daten Dritter anstellen möchte.“

Ah, der „Verteidiger stellt etwas an“ (?), wenn er verteidigt. Bemerkenswert.

Terminsgebühr im Bußgeldverfahren, oder: Mehr als Mittelgebühr bei aufwändiger Vorbereitung

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Und als zweite Entscheidung dann auch eine AG-Entscheidung, und zwar zur Gebührenbemessung im Bußgeldverfahren. Es geht um die Höhe der Terminsgebühr in einem Verfahren wegen eines Rotlichtverstoßes.

Das AG Leer (sic!) hat im AG Leer, Beschl. v. 03.05.2021 – 111 OWi 174/20 – eine über der Mittelgebühr liegende Gebühr bewilligt:

„Der Verteidiger hat einen Anspruch auf Erstattung der von ihm begehrten Gebühren nach RVG. Es kann dahinstehen, ob in Bußgeldsachen wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten mit geringem Aufwand, geringer rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeit und geringer Bedeutung grundsätzlich sog. herabgesetzte Mittelgebühren anzusetzen sind.

Im vorliegenden Fall ist der Ansatz der Mittelgebühr durch den Verteidiger auch bei der (hier allein streitigen) Terminsgebühr nach Nr. 5110 nicht als unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 4 RVG anzusehen. Es handelte sich im vorliegenden Fall nicht um eine durchschnittliche Verkehrsordnungswidrigkeit im o.g. Sinne. Der von dem Verteidiger betriebene Aufwand überstieg den einer unterdurchschnittlichen Ordnungswidrigkeit. Es handelte sich um einen atypischen Fall eines Rotlichtverstoßes und der Verteidiger hat sich aufwendig auf den Termin vorbereitet und hierzu von dem Betroffenen gefertigte Lichtbildaufnahmen vorgelegt. Auch die Dauer der Hauptverhandlung mit 30 Minuten und der Vernehmung von zwei Zeugen, wobei es sich bei dem vernommenen Polizeibeamten auch nicht um einen Messbeamten handelte, der seine Standardaussage“ zu Protokoll gibt, entspricht nicht der Verhandlung einer durchschnittlichen Verkehrsordnungswidrigkeit. Ursprünglich hätte noch ein weiterer Polizeibeamter als Zeuge aussagen sollen, der jedoch nicht zum Termin erschienen ist. Dies alles rechtfertigt ausnahmsweise die Annahme einer überdurchschnittlichen Verkehrsordnungswidrigkeit und somit den Ansatz einer Mittelgebühr für eine durchschnittliche Ordnungswidrigkeit.“

Statt Führerschein „Ade!“ nur drei Monate Fahrverbot

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Wir hatten vor einiger Zeit über Entscheidungen des AG Leer und eine des AG Gmünden berichtet, die beide bei einer Verurteilung nach § 316 StGB bzw. nach § 315c StGB von der an sich fälligen (Regel)Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen haben.

In die Reihe „passt“ dann auch das schon etwas ältere AG Düsseldorf, Urt. v. 20.07.2011 – 125 Cs 51 Js 128/11-99/11, auf das ich erst jetzt gestoßen bin. Auch in ihm ist das AG – sicherlich ein wenig überraschend – von der Regelentziehung des § 69 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 StGB abgewichen und hat nur ein Fahrverbot von drei Monaten verhängt.

Leitsatz der Entscheidung:

„Von der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB kann auch bei Vorliegen eines Regelfalls abgesehen werden, wenn sich zum Zeitpunkt der Entscheidung sich der Führerschein bereits länger sich in amtlicher Verwahrung befindet (hier 6 ½ Monate), lediglich relative Fahruntüchtigkeit mit einem BAK Wert von 0,59 ‰ vorliegt und die Angeklagte ein entsprechendes Seminar für im Verkehr durch Alkohol aufgefallene Verkehrsteilnehmer besucht hat. In Betracht kommt dann jedoch die Verhängung eines Fahrverbotes gemäß § 44 StGB .“

Da auf das Fahrverbot die Zeit der vorläufigen Entziehung angerechnet wird (§ 51 Abs. 5 StGB) bleibt in diesen Fällen meist nichts mehr zu vollstrecken. Wegen des „überschießenden Teils“ besteht an sich grds. ein Anspruch nach dem StrEG, – so auch hier. Auf den wird dann aber ebenso häufig auch verzichtet.

2,21 ‰ – 315c StGB – aber keine Entziehung der Fahrerlaubnis

Sicherlich eine überraschende Einzelfallentscheidung ist das AG Leer, Urt. v. 24. 8. 2011 – 6c Cs 420 Js 27526/10 – 150/11, dass bei dem Angeklagten, der mit 2,21 ‰ von der Fahrbahn abgekommen und mit einem anderen Pkw zusammengestoßen war, zwar § 315c StGB bejaht, aber einen Regelfall i.S. des § 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB verneint und die Fahrerlaubnis nicht entzogen hat. Begründung:

„Durch die Einlassung des Angeklagten und das in der Hauptverhandlung verlesene Gutachten des Fachpsychologen für Verkehrspsychologie vom 22.08.2011 ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass der Angeklagte durch eine Aufarbeitung seines Fehlverhaltens wieder zum Führen eines Kraftfahrzeugs geeignet ist. Der Angeklagte hat eingeräumt, aufgrund einer beruflichen und privaten Überlastung in dem Jahr vor dem Unfall in erheblichem Maße Alkohol konsumiert zu haben, wobei er nach dem Gutachten aber nicht i. S. d. ICD-10 Kriterien Alkoholiker war. Er habe während dieser Zeit seine Ausbildung zum Versicherungskaufmann absolviert und nebenher gearbeitet. Dies habe ihn stark unter Druck gesetzt, weil er Lernerfolge erzielen und gleichzeitig für seine Familie Zeit haben und diese ernähren musste. Seit dem Unfall lebt der Angeklagte in völliger Alkoholabstinenz, was durch eine in der Hauptverhandlung verlesene Bescheinigung von Dr. med. B., Oldenburg, nachgewiesen wurde. Der Angeklagte gab auch an, sich seither körperlich und geistig weitaus besser zu fühlen.

Diese Nachweise und der Umstand, dass der über keinerlei Voreintragungen verfügende Angeklagte als – originärer – Außendienstmitarbeiter einer Versicherung auf seinen Führerschein angewiesen ist, haben das Gericht dazu bewegt, die Fahrerlaubnis vorliegend nicht zu entziehen.“

Also, so ganz klar werden die Gründe nicht, vor allem nicht, wie der Angeklagte sein Fehlverhalten ausgearbeitet hat. Aber eine Argumentationshilfe kann die Entscheidung ggf. sein. Im Einzelfall 🙂