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Pflichti II: Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung, oder: LG Halle versus LG Neuruppin/AG/LG Krefeld

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Und dann hier einige „Rückwirkungsentscheidungen“.

    1. Eine rückwirkende Bestellung zum Pflichtverteidiger ist jedenfalls dann vorzunehmen, wenn der Beschuldigte rechtzeitig eine Pflichtverteidigerbestellung ausdrücklich beantragt hatte, wenn die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung zum Zeitpunkt der Antragstellung vorgelegen haben und wenn eine Entscheidung über den Beiordnungsantrag ohne zwingenden Grund nicht unverzüglich erfolgt ist, da die Entscheidung durch behördeninterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte.
    2. Eine Vorlage des Antrages auf Bestellung des Pflichtverteidigers beim zuständigen Ermittlungsrichter mehr als drei Wochen nach dem (erstmaligen) Eingang des Antrages bei der Polizei ist nicht mehr unverzüglich.
    1. Der Verteidiger kann gegen die Ablehnung seiner Bestellung als Pflichtverteidiger nicht im eigenen Namen sofortige Beschwerde ein legen, weil er nicht in eigenen Rechten verletzt ist.
    2. Eine rückwirkende nachträgliche Bestellung eines Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger kommt nicht in Betracht (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).

Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist nicht zulässig.

Die Entscheidung des LG Halle ist zutreffend, die des LG Neuruppin bzw. die von AG/LG Krefeld sind falsch.

Ich verstehe bei der Entscheidung des LG Neuruppin schon nicht, warum man den richtigen Weg, den man mal gegangen ist, nun verlässt und sich dabei mit der richtigen anderslautenden Rechtsprechung nicht auseinandersetzzt, sie ja noch nicht einmal erwähnt. Und das in einer Sache, in der die Frage überhaupt keine Rolle gespielt hat. Denn, wenn die sofortige Beschwerde unzulässig war, kam es auf die Frage der Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung nicht an. Warum problematisiert man das dann und warum ändert man dann gerade in der Sache seine Rechtsprechung. Das sieht ein wenig nach „Herr Lehrer, ich weiß was.“ aus. Zudem dürfte das LG die Frage der Beschwerdebefugnis wohl nicht richtig entschieden haben. Denn: Warum geht man nicht den Weg der Auslegung, den andere Gerichte gegangen sind und sieht die sofortige Beschwerde als im Namen des Mandanten eingelegt an. Letztlich müsste man aber den genauen Wortlaut der Beschwerdeschrift kennen.

Beim AG Krefeld „erstaunt“ die Kürze der Begründung – gelinde ausgedrückt. Man kann dem Satz: „Zudem ist das Verfahren bereits eingestellt.“ entnehmen, dass das AG das Für und Wider erwogen und sich mit den für und gegen die rückwirkende Bestellung auseinandergesetzt hat. Oder doch nicht? Jedenfalls hat diese tiefschürfende Begründung das LG nicht davon abgehalten, sich mit dem Satz: „Die Kammer schließt sich auch in der Begründung den zutreffenden Erwägungen des mit der Beschwerde angegriffenen Beschlusses an.“ Man möchte schreien, wenn man es liest. Beides ist schlicht eine Unverschämtheit. Zumindest von einem LG als Beschwerdegericht sollte man mehr erwarten dürfen.

Auslagen im Bußgeldverfahren, oder: Akteneinsicht vor Einlassung schadet nicht

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Und auch die zweite Entscheidung am heutigen „Gebührenfreitag“ hat nur mittelbar etwas mit Gebühren zu tun. Es geht nämlich zunächst mal um eine Kostengrundentscheidung im Bußgeldverfahren. Die Verwaltungsbehörde hatte das Verfahren eingestellt, die Übernahme der notwendigen Auslagen des Betroffenen – also seine Verteidigerkosten – unter Hinweis auf § 109a Abs. 2 StPO OWiG abgelehnt. Anders das AG Krefeld im AG Krefeld, Beschl. v. 17.10.2018 – 33 OWi 349/18 (b):

„Die Voraussetzungen des § 109a Abs. 2 OWiG liegen nicht vor.

Zum einen sind die Auslagen des Betroffenen in Form der Rechtsanwaltskosten nicht (jedenfalls nicht in voller Höhe) deshalb entstanden, weil der Betroffene entlastende Umstände nicht „rechtzeitig“ i.S.d. Norm vorgebracht hätte; der Betroffene hatte sei¬nen Verteidiger bereits vor Erlass des Bußgeldbescheids nach Erhalt des Anhörungsbogens vom 23.04.2018 eingeschaltet.

Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass der Betroffene die ihn entlastenden Umstän¬de, die zu einer Einstellung des Verfahrens geführt haben, nicht „rechtzeitig“ vorgebracht hätte. Die Mitteilung, dass der Betroffene nicht der Fahrer des Fahrzeugs gewesen sei (sondern ein namentlich benannter Dritter), erfolgte bereits mit Schriftsatz des Verteidigers vom 14.05.2018, eingegangen am 15.05.2018. Unter Berücksichtigung dessen, dass der Verteidiger auf das Anhörungsschreiben hin zunächst Akten¬einsicht unter dem 02.05.2018 beantragte, diese unter dem 08.05.2018 für fünf Tage, d.h. bis zum 13.05.2018 gewährt, der Bußgeldbescheid jedoch bereits unter dem 11.05.2018 erlassen wurde (Zustellung am 18.05.2018), ist das Vorbringen noch als rechtzeitig zu betrachten. Dies gilt vorliegend erst recht Unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Betroffene inhaftiert war, was naturgemäß die zeitlichen Informationsabläufe verzögert; auf eine Kenntnis der Verwaltungsbehörde kommt es insoweit nicht an, weil insoweit ein objektiver Maßstab gilt (Hadamitzky, in: KK-OWiG, § 109a Rn.11). Dass der Betroffene bzw. dessen Verteidiger erst Akteneinsicht begehrte, bevor eine Einlassung abgegeben wurde, ist unschädlich. Eine Einlassung wurde nicht per se verweigert, sondern als „eventuell“ durch den Verteidiger erfolgend. in Aussicht gestellt; eine solche Verteidigereinlassung erfolgt regelmäßig erst nach erfolgter Akteneinsicht.“

Akteneinsicht I, oder: Keine Akteneinsicht bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellation

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Heute dann mal ein Akteneinsichtstag, allerdings ohne den straßenverkehrsrechtlichen Dauerbrenner „Einsicht in Messdaten“ pp. Dazu habe ich zwar einiges in meinem Blogordner hängen, das bringe ich dann aber in den nächsten Tagen mal in einer Übersicht gesammelt. Nein, heute gibt es zunächst nur Entscheidungen zur Akteneinsicht des Verletzten und/oder Dritter.

Und den Reigen eröffne ich mit dem AG Krefeld, Beschl. v. 25.07.2017 – 24 Ls-3 Js 897/16-19/17. Thema: Zur Versagung von Akteneinsicht an den Nebenkläger gemäß § 406e Abs. 2 S. 2 StPO wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks bei Bestehen einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation, den mir der Kollege P. Vogt aus Dusiburg übersandt hat.

Mit der Anklage ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, die Zeugin und Nebenklägerin mit Gewalt und unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert war, genötigt zu haben, sexuelle Handlungen des  Angeklagaten an sich zu dulden, wobei der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzog. Das AG hat für die Nebenklägerin weitere Akteneinsicht versagt:

„Eine weitergehende Akteneinsicht war gemäß § 406e Abs. 2 S. 2 StPO wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks zum derzeitigen Zeitpunkt des Verfahrens abzulehnen.

Zum derzeitigen Zeitpunkt besteht eine Konstellation Aussage gegen Aussage.

Über das Protokoll der polizeilichen Vernehmung der Nebenklägerin finden sich in der Akte Vernehmungen des Zeugen pp.  sowie der Zeuginnen pp. und pp.

Bei den Zeugen handelt es sich um so genannte Erstaussageempfänger. Darüber hinaus findet sich in der Akte Whats-App-Verkehr zwischen der Zeugin und dem Beschuldigten.

Eine weitergehende Akteneinsicht war gemäß § 406 Abs. 2 S. 2 StPO zu versagen, da der Untersuchungszweck des Verfahrens gefährdet erscheint.

Der Untersuchungszweck im Sinne dieses gesetzlichen Versagungsgrundes ist gefährdet, wenn durch die Aktenkenntnis des Verletzten eine Beeinträchtigung der gerichtlichen Sachaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) zu besorgen ist. Zwar steht dem mit der Sache befassten Gericht ein weiter Entscheidungsspielraum zu. Die durch das Akteneinsichtsrecht des Verletzten stets begründete Gefahr einer anhand des Akteninhalts präparierten Zeugenaussage reicht für sich alleine zur Versagung der Akteneinsicht nicht aus. Vielmehr ist für die Frage der Gefährdung des Untersuchungszwecks eine Würdigung der Verfahrens- und Rechtslage im Einzelfall vorzunehmen.

Im vorliegenden Fall führt die Reduzierung des gerichtlichen Ermessens auf Null zu einer weitergehenden Versagung der begehrten Akteneinsicht. Eine umfassende Einsicht in die Verfahrensakten ist dem Verletzten in aller Regel in solchen Konstellationen zu versagen, in denen seine Angaben zum Kerngeschehen von der Einlassung des Angeklagten abweichen und eine Aussage-gegen Aussage-Konstellation vorliegt.

Diese Beweiskonstellation erfährt ihr Gepräge durch eine Abweichung der Tatschilderung des Zeugen von der eines Angeklagten, ohne dass ergänzend auf weitere unmittelbare tatbezogene Beweismittel, etwa belastende Indizien mit Zeugenaussagen über Geräusche oder Verletzungsbilder zurückgegriffen werden kann. Diese Verfahrenskonstellation ist auch gegeben, wenn der Angeklagte selbst keine eigenen Angaben zum Tatvorwurf macht, sondern sich durch Schweigen verteidigt.

So liegt es hier. In beiden Fällen ist das gerichtliche Ermessen grundsätzlich auf Null reduziert, da eine unbeschränkte Akteneinsicht der der Nebenklägerin mit der gerichtlichen Pflicht zur bestmöglichen Sachaufklärung unvereinbar ist.

Entscheidend bei der Beweiswürdigung bei einer solchen Aussage gegen Aussagekonstellation ist die inhaltliche Konstanz aufeinander folgender Vernehmungen derselben Zeugin sowie Realkennzeichen, die eine erlebnisbasierte Aussage ausmachen Erhält die einzige Belastungszeugin im Rahmen einer Aussage-gegen Aussage-Konstellation nahe liegend vermittelt über ihren Beistand (§ 397a StPO) Kenntnis von Inhalten ihrer früherer Vernehmungen oder aber auch von etwaigen Widersprüchen in den Angaben der Erstaussagempfänger so wäre bei umfassender Aktenkenntnis eine Anpassung des Aussageverhaltens der einzigen Belastungszeugin an die jeweils aktuelle Verfahrenslagen nicht auszuschließen. Dies würde unter einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung gemäß § 244 Abs. 2 StPO zuwiderlaufen für (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg 1 Ws 120/14 vom 24.11.2014; 1 Ws 110/14 vom 24.10.2014).“

Auch Rechtsanwälte leben gefährlich: Stalkerin (sogar) auf Krücken

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Auch Rechtsanwälte leben gefährlich. Das ist das Fazit aus einer Meldung über ein Verfahren/Urteil des AG Krefeld (vgl. u.a. hier in der WZ am 01.08.2013 und gestern auch bei LTO). Das AG hat eine am Montag (12.08.2013) eine 50-jährige, bereits wegen Stalkens vorbestrafte Frau zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Frau hatte seit Juni 2011 ihre ehemalige Verteidigerin verfolgt. Der hatte sie mit Pkw, Fahrrad und auch zu Fuß auf Krücken (!!) nachgestellt. Außerdem hatte sich durch Telefon und SMS täglich bis zu 30 Mal Kontakt zum Privathaushalt und zur Kanzlei der Verteidigerin gesucht. Obwohl die Fahrerlaubnis offenbar sichergestellt war , hat die Stalkerin die Verteidigerin dennoch mit dem Pkw verfolgt. In einem Fall raste sie auf den Ehemann der Anwältin zu, der sich nur durch einen Sprung zur Seite retten konnte. Die Quittung: Verurteilung wegen Nachstellens, Gefährdung des Straßenverkehrs und Fahrens ohne Führerschein.

Frage ist immer: Wie kann man sich dagegen schützen? Wahrscheinlich so richtig gar nicht. Denn wie will man sich gegen eine „schizoide Persönlichkeitsstörung“, die festgestellt worden ist, wappnen. Wie „wichtig“ der Stalkerin das Nachstellen war, zeigt auch: – Verfolgung auf Krücken!!