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Atypischer Rotlichtverstoß, oder: Fahrverbot, weil Fußgänger behindert

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Und dann noch einmal ein Rotlichtverstoß, und zwar im AG Dortmund, Urt. v. 22.08.2017 –  729 OWi-261 Js 1418/17-225/17. In diesem Posting geht es aber nicht um den „Schuldspruch“, sondern um die Rechtsfolge „Fahrverbot“. Der Betroffene hatte einen sog. atypischen Verstoß geltend gemacht und war deshlab der Auffassung, dass vom an sich verwirkten Regelfahrverbot – länger als eine Sekunde Rolticht – abgesehen werden muss. Das AG hat das anders gesehen. Dazu der Leitsatz der AG-Entscheidung:

„Ein atypischer Rotlichtverstoß, der einen Wegfall der groben Pflichtwidrigkeit bedingen könnte, liegt bei einem qualifizierten 1-Sekunden-Rotlichtverstoß aufgrund des Nichteinfahrens in den von anderen Fahrzeugführern genutzten Kreuzungsbereich nicht vor, wenn der Betroffene aufgrund seines Verstoßes tatsächlich andere Verkehrsteilnehmer, nämlich Fußgänger, beim Passieren der Kreuzung durch sein Verhalten behindert hat und gerade auch Fußgänger von einer rotlichtzeigenden Lichtzeichenanlage geschützt werden sollen.“

Und <<Werbemodus an>>: Zum Fahrverbot bei/nach einem qualifizierten Rotlichtverstoß eingehend(er) Deutscher in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., 2018, die im November 2017 erscheint. Vorbestellen kann man hier.

OWi-Verfahren I: Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid auf die Geldbuße? Ja, das geht…

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Heute dann mal ein wenig „OWi-Verfahrensrecht“. Den Reigen eröffnet das AG Dortmund, Urt. v. 18.07.2017 729 OWi-267 Js 1158/17-191/17 – zur Frage, ob der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid, der eine Geldbuße und ein Fahrverbot festsetzt, auf die  Höhe der Geldbuße wirksam beschränkt werden kann. Das AG sagt – unter Hinweis auf Rechtsprechung des OLG Hamm -: Das geht:

„Gegen den Betroffenen waren dementsprechend eine Geldbuße und ein Regelfahrverbot festzusetzen. Letzteres war hier nicht näher zu prüfen, da insoweit auch die Beschränkung des Einspruchs griff (zur Zulässigkeit einer derartigen Rechtsmittelbeschränkung: OLG Hamm, Beschluss vom 16.1.2012 – III-2 RBs 141/11 = BeckRS 2012, 08582; Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen, 4. Aufl. 2017, § 21 Rn. 6). Was die Regelgeldbuße von 500,00 € anging, die aufgrund einer Voreintragung im Bußgeldbescheid noch auf 550,00 € erhöht war, so hat das Gericht die Geldbuße auf 275,00 € abgesenkt aufgrund der wirtschaftlichen und persönlichen Umstände des Betroffenen. Der Verteidiger hat für den Betroffenen glaubhaft dargelegt, dass der Betroffene Kleinunternehmern ist. Er ist Spediteur, und zwar als Einzelunternehmer. Mittlerweile wurde dem Betroffenen seine Fahrerlaubnis im verwaltungsrechtlichen Wege sofort vollziehbar entzogen. Er behilft sich derzeit dadurch, dass ein befreundeter Fuhrunternehmer Fahrten, die der Betroffene organisiert, mitdurchführt. Hierdurch schafft es der Betroffene auf ein Monatsnetto zwischen 600,00 und 800,00 €. Das Gericht hat so aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten die Geldbuße auf die genannten 275,00 € herabgesetzt.“

Schwieriger wird es, wenn es um die „Alleinbeschränkung“ auf das Fahrverbot geht. Das wird in der Rechtsprechung differenzierter gesehen. Dazu Gieg in Burhoff, (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., Rn 949 ff..

Wenn der Messbeamte sich nicht mehr erinnern kann, oder: Bezugnahme auf das Messprotekoll?

Gerade in den Bußgeldverfahren gibt es immer wieder Streit/Probleme bei der Beweiswürdigung hinsichtlich der Frage: An was kann sich der Messbeamte eigentlich noch erinnern bzw. was kann ich/der Amtsrichter ihm noch glauben. Bei der Vielzahl der Messungen ist es schon „verständlich“, wenn sich die Messbeamten nicht mehr an jede Messungen erinnern können. Wenn sie „ehrlich“ sind, räumen sie das dann auch in der Hauptverhandlung ein und ziehen sich dann auf das Messprotokoll zurück. Tenor: „Wenn das da so steht, soll es schon so gwesen sein“. Das geht, wenn überhaupt, allenfalls dann, wenn der Messbeamte das Messprotokoll auch selbst gefertigt und unterschrieben hat. Sonst klappt das nicht.

So (zutreffend) jetzt das AG Dortmund im AG Dortmund, Urt. v. 14.o7.2017 – 729 OWi-268 Js 995/17 -169/17 – mit dem Leitsatz:

„Das nur in einem Messprotokoll enthaltenen Messergebnis einer Geschwindigkeitsmessung, an das sich der Messbeamte nicht selbst erinnern kann, kann einer Verurteilung nur dann zugrunde gelegt werden, wenn der Messbeamte die Gewähr für die Richtigkeit seiner laut Messprotokoll getroffenen Feststellungen übernimmt. Dies ist nicht möglich, wenn er selbst das Messprotokoll gar nicht gefertigt oder (mit) unterschrieben hat. Gleiches gilt für durchgeführte Gerätetests.“

Ähnlich hatte das AG Dortmund vor kurzem zu einem Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO entschieden (vgl. AG Dortmund, Urt. v. 13.06.2017 – 729 OWi-261 Js 625/17-114/17; dazu: Mobiltelefon im Straßenverkehr, oder: Was haben die Polizeibeamten gesehen/wofür kann man die „Gewähr“ übernehmen?) Dazu dann auch BGHSt 23, 213.

Messung mit Riegl LR90-235/P, oder: Zuordnungssicherheit

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Und zum Schluss des „OWi-Tages“ berichte ich über das  AG Dortmund, Urt. v. 26.05.2017 – 729 OWi-253 Js 291/17-78/17, das zur Zuordnungssicherheit bei einer Geschwindigkeitsmessung in 302 m-Entfernung mittels Messgeräts Riegl LR90-235/P Stellung nimmt und diese verneint hat. Ist heute ja auch schon in zwei anderen Blogs gelaufen 🙂 .

Dem Betroffenen ist vorgeworfen worden, in Dort­mund auf der Emscherallee mit seinem PKW BMW die an der Messstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 31 km/h überschritten zu haben. Er soll nach Toleranzabzug mit einer Geschwindigkeit von 101 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften gefahren sein. Das hat das AG nicht feststellen können und den Betroffenen frei gesprochen:

„… Das Gericht hat jedoch keine ihm zu­zuordnende Messung feststellen können. Möglicherweise ist der Betroffene tatsäch­lich zu schnell gewesen. Dies ließ sich jedoch nicht wirklich feststellen, da die Zuord­nungssicherheit bei der durchgeführten Lasermessung mit einem Lasermessgerät der Firma Riegl nicht gegeben war. Die Messung wurde nämlich durchgeführt durch den Polizeibeamten A, der das Fahrzeug des Betroffenen bei einem Über­holvorgang in einem Abstand von 302 m gemessen hat. Die beiden Fahrzeuge, also das überholende Fahrzeug des Betroffenen und das überholte Fahrzeug befanden sich z.Zt. der Messung unmittelbar nebeneinander, so dass zwar sehr wahrscheinlich ist, dass die Messung des Polizeibeamten A dem Betroffenen zuzuordnen ist, eine Sicherheit jedoch nicht gegeben ist.

Der Betroffene hat erklärt, er sei zur Tatzeit Fahrzeugführer gewesen. Er bezweifle aber die Richtigkeit der Messung.

Der Zeuge A wurde vernommen. Dieser bestätigte, dass er sich zur Tatzeit keinerlei Gedanken darüber gemacht habe, ob in der Bedienungsanleitung des Messgerätes ab einer Entfernung von 300 m eine Zuordnungssicherheit aufgrund einer Aufweitung des Messstrahls problematisch sein könnte. Er könne sich noch erinnern, nach dem Anhalten mit dem Betroffenen gesprochen zu haben. Es sei deshalb auch das Überholen ausdrücklich in die Anzeige aufgenommen worden und eine Skizze insoweit gefertigt worden. Ansonsten habe der Zeuge A natür­lich die für die Messung notwendigen Tests durchgeführt.

Das Gericht konnte zudem einen gültigen Eichschein und ein Messprotokoll fest­stellen. Auch aus dem Messprotokoll ergab sich die Messung beim Überholen.

Sodann hat das Gericht auszugsweise die Bedienungsanleitung des Messgeräts Riegl LR90-235/P verlesen.

Hierin heißt es:

„Die zu messsenden Fahrzeuge sind möglichst mittig anzuvisieren. Dadurch ist bei der Messung mehrspuriger Fahrzeuge bis zu einer Entfernung von 300 m aufgrund der engen Bündelung des Laserstrahls die Zuordnungssicherheit gewährleistet. Da ab Entfernungen von 300 m eine Zielerfassung außerhalb der Breit von PKW nicht ausgeschlossen werden kann, ist der von Fahrzeugen der gleichen Fahrtrichtung freizuhaltende Zielerfassungsbereich auf einen Durchmesser von insgesamt 2 PKW-Breiten (ca. 3,50 m) zu erweitern, d.h. es ist rechts und links je eine halbe Fahr­zeugbreite zuzugeben. Entsprechendes gilt für den Raum oberhalb des anvisierten Fahrzeuges.“

Derartiges konnte hier nicht sichergestellt werden. Das Gericht konnte auch keine weiteren Anhaltspunkte feststellen, aufgrund derer eine weitergehende Plausibili­tätsprüfung stattfinden konnte. Insbesondere konnten keine Feststellungen mehr zu dem Fahrverhalten des überholten Fahrzeuges getroffen werden. Eine Plausibilitäts­prüfung hätte insoweit allenfalls dann stattfinden können, wenn ausdrücklich durch den Polizeibeamten die Gewähr übernommen worden wäre, dass z.Zt. der Messung das überholte Fahrzeug tatsächlich langsamer war als der Betroffene oder gleich­schnell. Ohne eine solche Angabe bestand jedenfalls noch die Möglichkeit, dass während des Überholens auch das überholte Fahrzeug kurzzeitig schneller gewor­den sein kann.“

Mobiltelefon im Straßenverkehr, oder: Was haben die Polizeibeamten gesehen/wofür kann man die „Gewähr“ übernehmen?

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Egal, welche Änderung des Mobilfunkparagrafen – wann (?) – kommt (vgl. Mobilfunkparagraf III, oder: Dobrindtscher Irrsinn passiert nicht den Bundesrat – Entwarnung?: Es wird weiterhin das Problem mit und die Probleme in der Beweiswürdigung geben, über die die Kollegen derzeit immer wieder klagen. Dass es nämlich ohne Bedeutung ist, wenn die Polizeibeamten längere Zeit nach dem potentiellen Verstoß als Zeugen vernommen werden und die AG dann „ohne viel Federlesens“ einfach davon ausgehen, dass die Polizeibeamten sich noch erinnern können und es reicht, wenn sie sich auf ihre damaligen Feststellungen beziehen. Etwas anders jetzt das AG Dortmund, Urt. v. 13.06.2017 – 729 OWi-261 Js 625/17-114/17.

Dem Betroffenen war vorgeworfen worden, am 17.02.2017 um 12.37 Uhr in Dortmund auf dem Körner Hellweg in Höhe Haus 113 in Fahrtrichtung Osten als Führer eines PKW ein Mobiltelefon verbotswidrig benutzt zu haben, indem er es aufnahm und hielt. Das AG hat festgestellt, dass der Betroffene zu der fraglichen Zeit das Kraftfahrzeug an der fraglichen Stelle führte. Ob er jedoch ein Mobiltelefon verbotswidrig benutzte, konnte das AG nicht mehr feststellen. Der von der Erscheinenspflicht entbundene Betroffene hatte durch schriftliche Erklärung seine Fahrereigenschaft zugestanden. Die Benutzung eines Mobiltelefons zur Tatzeit war jedoch in Abrede gestellt worden. Dazu hat das AG drei Polizeibeamte A, B und C vernommen. A war Anhalteposten und B und C hatten „aus dem ersten Obergeschoss des an der Tatörtlichkeit sich befindenden Polizeigebäudes aus dem Fenster die vorbeifahrenden Fahrzeuge beobachtet „. Allein das würde bei mir schon die Alarmglocken schrillen lassen und zu einigen Rückfragen in der Beweisaufnahme führen: Wie weit weg von der Straße? Durch offenes Fenster beobachtet. Was kann man eigentlich sehen, usw.?

Das AG hat dann aus einem anderen Grund frei gesprochen:

Das Gericht hat alle drei an der Feststellung des Verstoßes beteiligten Polizeibeamten hierzu vernommen, konnte jedoch keine tragfähigen Feststellungen treffen. Das Gericht konnte durch Vernehmung der Zeugin A, B und C klären, dass der Zeuge A zur Tatzeit ausschließlich als Anhalteposten und Protokollführer/Anzeigenverfasser fungierte und die beiden anderen Zeugen aus dem ersten Obergeschoss des an der Tatörtlichkeit sich befindenden Polizeigebäudes aus dem Fenster die vorbeifahrenden Fahrzeuge beobachtet hatten. Keiner der drei Beamten konnte von sich aus aus seiner Erinnerung noch etwas zu dem Vorfall sagen. Lediglich der Zeuge A konnte ausführen, dass er als Anhalteposten auch nachträglich für die Anzeigenerstattung zuständig gewesen war. Er erklärte insoweit, er übernehme die Gewähr für die Richtigkeit seiner Aufzeichnungen. Insofern nehme er Bezug auf das von ihm gefertigte Beiblatt zum Datenerfassungs- beleg, in dem der Handyverstoß näher verzeichnet sei. Dieser Verstoß werde – dies erklärten auch die anderen beiden gehörten Zeugen – immer mit den beobachtenden Polizeibeamten per Funk abgeglichen. Die Bezeichnung der Halteposition eines Handys in der Anzeige oder beigefügten Blättern beruhe so mittelbar auf den Angaben der jeweiligen Kollegen.

In dem Beiblatt zur Anzeige heißt es unter dem Punkt „Mobiltelefon“, dieses sei rechts halbhoch in der Hand gehalten worden; es habe sich um ein silberfarbenes Handy gehandelt habe; eine Tippbewegung sei festgestellt worden, aber keine Sprechbewegung. Das Handy sei bei der Kontrolle auf dem Beifahrersitz verblieben.

Das Gericht konnte durch Vorhalt und Vorlage dieses Datenblattes feststellen, dass der Zeuge A auch das fragliche Datenerfassungsblatt, Bl. 3 d.A., unterzeichnet hatte. Er konnte so durchaus die Gewähr für die Richtigkeit von ihm festgestellter und dokumentierter Wahrnehmungen/Ermittlungshandlungen übernehmen. Der Zeuge A konnte aber auch nur die Gewähr für seine eigenen Feststellungen übernehmen, nicht für die Richtigkeit von Feststellungen anderer Kollegen. Die Übernahme kann nach Ansicht des Gerichts auch nicht mittelbar stattfinden. Sie kann bei einer dokumentierten Erklärung über die Wahrnehmung anderer Polizeibeamter nur dahin gehen, dass deren Mitteilung als solche richtig dokumentiert ist.

Die vorgenannten Dokumentationen sind so angesichts der Arbeitsaufteilung der involvierten Beamten derart zu verstehen, dass der unterzeichnende Beamte A die Gewähr für das Anhalten und den Verbleib des Handys beim Anhalten übernimmt.

Anders als in dem Fall, in dem der beobachtende Polizeibeamte auch die Anzeige gefertigt und die Richtigkeit des Anzeigetextes selbst auch für den Verstoß übernimmt, war im vorliegenden Fall somit keine Verstoßfeststellung möglich, und zwar auch nicht unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die beiden anderen Polizeibeamten erklärten, dass stets der Anzeigetext von ihnen auch üblicherweise noch einmal durchgeschaut werde. Das Gericht hielt ein derartiges Vorgehen nicht für ausreichend, um eine Verurteilung tragen zu können.

Zutreffend, allerdings habe ich auch in dem Fall, den das AG offenbar „anders…“ entscheiden würde, so meine Bedenken und würde schon nachfragen, was denn nun eigentlich noch „Erinnerung“ des Polizeibeamten ist. Allein die wäre für mich entscheidend. Ich weiß, dass die OLG es teilweise – gestützt auf BGH-Rechtsprechung – „anders“ sehen.  Aber man muss ja nicht auf jeden Zug aufspringen…..

Jedenfalls aber eine Entscheidung, mit der man argumentieren kann.