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OWi I: Einsicht in Messunterlagen – der Kampf geht weiter

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Urheber KarleHorn

Heute dann seit längerem mal wieder Entscheidungen zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren, über die zum Teil auch schon der Kollege Gratz im VerkehrsrechtsBlog berichtet habe. Ich tue es hier nur noch sporadisch, da die Problematik sich – man kann so viel berichten, wie man will – letztlich doch nicht erledigt. Die Verwaltungsbehörden, zum Teil die AG und noch schlimmer: die OLG, wollen einfach nicht und bleiben zum Teil bei ihren – nicht nur in meinen Augen – falschen Auffassungen.

Aber es gibt auch Lichtblicke, wie die hier heute vorgestellten Entscheidungen zeigen.

So z.B. der AG Dillenburg, Beschl. v. 26.11.2018 – 3 OWi – 2 Js 57859/18 – zur Form der Einsicht in die sog. Falldatei:

„Nach der Rechtsprechung des OLG Frankfurt hat der Betroffene einen Anspruch darauf, dass ihm „seine“ Falldatei vom RP zur Verfügung gestellt wird. Hier hat die Verteidigung die Daten trotz ausdrücklicher Bitte nicht erhalten.

In der maßgeblichen Entscheidung des OLG Frankfurt wird ausgeführt: ,Sie [die Verwaltungsbehörde] ist zumindest verpflichtet, in den Räumen der Verwaltungsbehörde die Einsicht in die vom Messgerät erzeugte digitalisierte Falldatei des Betr. zu gewähren und dort das Auswerteprogramm, mit dem die Auswertung vorgenommen wird, zur Verfügung zu stellen‘.‚ (NStZ-RR 2016, 385, beck-online). Damit soll aber wohl ausgedrückt werden, dass auch dem Betroffenen, der kein Auswerteprogramm zur Verfügung hat, zumindest dies ermöglicht werden muss – nicht aber, dass dieses Vorgehen in jedem Fall ausreichend ist.

Dagegen spricht, dass die vorgesehen Vorgehensweise für Betroffene und Verteidiger unpraktikabel ist und einen unzumutbaren Aufwand erfordert. Es sollte in Zeiten der Digitalisierung möglich sein, einen solch bescheidenen Datentransfer auf die eine oder andere Weise ohne körperliche Anwesenheit des Empfängers im Einklang mit datenschutzrechtlichen Anforderungen zu ermöglichen. Das RPI hat immerhin jahrelang anders Verfahren, ohne dass klar wird, warum dies auf einmal nicht mehr möglich sein soll.“

In die grundsätzlich gleiche Richtung zielt der AG Dillenburg, Beschl. v. 04.01.2019 -3 OWi 80/18, allerdings: Es besteht für den Betroffenen nur ein Recht auf Einsicht in „seine Falldatei“.

Und dann habe ich noch:

Chapeau, AG Landstuhl – so macht man bei ESO ES 3.0 dem Hersteller Beine; oder: Durchsuchung angedroht

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Urheber Jepessen

Von zwei Seiten bin ich gestern auf den AG Landstuhl, Beschl. v. 06.11.2015 – 4286 Js 2298/15 – hingewiesen worden, nämlich einmal von meiner „Urteilsmutter“ = dem Kollegen Garcia, der mich immer wieder auf interessante Entscheidungen hinweist (wir betreiben einen kleinen Wettlauf dergestalt, ob ich die Entscheidungen schon kenne 🙂 ) und vom Kollegen Krenberger vom AG Landstuhl. Und den Beschluss will ich dann auch gleich heute „bringen“. Denn er zeigt m.E. sehr schön, dass es sich für den Verteidiger/Angeklagten „lohnen“ kann, hartnäckig zu bleiben und sich nicht zu früh mit den von der Verwaltungsbehörde gelieferten Messdaten/-unterlagen – es dürfte sich um ESO ES 3.0 gehandelt haben – zufrieden zu geben. Andererseits zeigt er aber auch, dass es sich eben – zum Glück – nicht alle AG so einfach machen, wie z.B. das AG Dillenburg im AG Dillenburg, Beschl. v. 02.11.2015 – 3 OWi 54/15, das den Betroffenen/Verteidiger in ein paar Sätzen „abfertigt hat: Basta, gibt es nicht.

Aus dem AG Landstuhl, Beschl. ist allein der Tenor schon berichtenswert. Der lautet:

  1. Dem Zeugen ppp. wird zur Vorbereitung auf die nächste Hauptverhandlung in dieser Sache aufgegeben, bei der Messstelle 511006, BAB62, km 219,6, Gem. Bann, die Länge des sog. Seitenstreifens binnen 2 Wochen zu verifizieren.
  2. Der Zentralen Bußgeldstelle Speyer wird aufgegeben, dem Sachverständigen ppp. die für den Messtag 16.07.2014 erstellten Rohmessdateien binnen 2 Wochen zu übersenden.
  3. Der Firma ppp. GmbH, ppp. , wird zur Vermeidung von Zwangsmaßnahmen nach §§ 94 ff. StPO, 46 OWiG aufgegeben, dem Sachverständigen ppp. den herstellerseits ohne Veranlassung der Zentralen Bußgeldstelle eingefügten Code zur Entschlüsselung der Messserie zu übermitteln, die am unter Ziffer 2. genannten Messtag bei der unter Ziffer 1. genannten Messstelle mit dem Messgerät ES3.0 mit der Gerätenr. 5099, Bauartzulassung 18.11/06.04 laut Eichschein des Regierungspräsidiums ppp. ., Nummer 1812262_14 vom 17.06.2014, binnen 2 Wochen zu übermitteln, um eine Begutachtung der verfahrensgegenständlichen Messung mittels Auswertung der Helligkeitsprofile der einzelnen Messungen vornehmen zu können.
  4. Das Gericht weist explizit darauf hin, dass es nicht angezeigt ist,

a) den Hersteller für diese Tätigkeit außerhalb des JVEG zu vergüten,
b) mglw. ein eigens vom Hersteller vorgesehenes Programm zur Überprüfung der Messung zu nutzen und
c) den Rohdatensatz zur Entschlüsselung an den Hersteller des Messgeräts zu übersenden, letzteres schon aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht.

Mir gefällt besonders die Ziffer 3 – „zur Vermeidung von Zwangsmaßnahmen nach §§ 94 ff. StPO, 46 OWiG aufgegeben“. Auf die Möglichkeit von Beschlagnahme und Durchsuchung hatte ja schon das OLG Celle hingewiesen. Vielleicht erleben wir es ja noch, dass bei einem Hersteller mal durchsucht wird/werden muss.

Erst verjähren lassen und dann dem Betroffenen die Kosten auferlegt – so läuft es nicht –

Kurz vor Beginn der Osterfreizeit mal was Positives bzw. ein positives Osterei für den Verteidiger:

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Beim Regierungspräsidium Kassel war ein Ordnungswidrigkeitenverfahren anhängig, in dem Verjährung eingetreten ist, weil das Regierungspräsidium es versäumt hat, das Verfahren rechtzei­tig vor Ablauf der sechsmonatigen Verjährungsfrist gemäß § 69 Abs. 3 S. 1 OWiG über die Staatsanwaltschaft an das Gericht zu übersenden (§ 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 OWiG). Daher wird das Verfahren eingestellt.

So weit, so gut: Wer nun aber gedacht hatte, das auch die Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt werden, hat sich geirrt. Das Regierungspräsidum hat nämlich unter Verweis auf § 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 467a Abs. 1 S. 2, 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO mit der Begründung zurück, das Verfahren sei eingestellt wor­den, da nach dem Erlass des Bußgeldbescheides Verfolgungsverjährung eingetreten sei, jedoch habe aufgrund der Beweismittel festgestanden, dass der Betroffene die ihm vorgeworfene Ordnungswidrigkeit begangen habe.

Das AG Dillenburg, Beschl. v. 22.03.2012 – 3 OWi 25/12 sieht das nun gänzlich anders:

„...Notwendig ist jedoch das Fortbestehen eines erheblichen Tatverdachts, solange klargestellt ist, dass die Auslagenentscheidung nicht auf einer Schuldfeststellung beruht, sondern nur auf der Beschreibung und Bewertung der Verdachtslage (BGH NJW 2000, 1427; OLG Frankfurt NStZ- RR 2002, 246).

Ein derartiger erheblicher Tatverdacht, der es rechtfertigen würde, dem Betroffenen die Erstattung seiner notwendigen Auslagen zu versagen, kann im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden. Der Betroffene hat sich im Bußgeldverfahren nicht zur Sache eingelassen. Um die Begehung der Ordnungswidrigkeit durch den Betroffenen fest­stellen zu können, hätte dieser daher zunächst als Fahrer identifiziert werden müssen. Hierzu hätte das Gericht in einer Hauptverhandlung Feststellungen durch einen Ab- gleich zwischen dem Beweisfoto und der Person des Betroffenen treffen müssen. Al­lein der Umstand, dass es sich bei dem Betroffenen um den Halter des Fahrzeugs handelt, dessen Geschwindigkeit gemessen wurde, begründet einen erheblichen, eine Verurteilung wahrscheinlich machenden Tatverdacht noch nicht.

Hinzu kommt, dass das Regierungspräsidium in seinem Kostenbescheid gerade keine Verdachtslage beschrieben und bewertet, sondern in unzulässiger Weise eine Schuldfeststellung vorgenommen hat, indem das Absehen von der Auslagenerstattung mit der Überlegung begründet wurde, aufgrund der Beweismittel habe festgestanden, dass der Betroffene die ihm vorgeworfene Ordnungswidrigkeit begangen habe. Hierin liegt eine unzulässige, die Unschuldsvermutung verletzende Schuldzuschreibung. Schließlich wäre es auch deswegen unbillig, die notwendigen Auslagen des Betroffe­nen nicht der Staatskasse aufzuerlegen, weil die Verfolgungsverjährung dadurch ein­getreten ist, dass es das Regierungspräsidium versäumt hat, das Verfahren rechtzei­tig vor Ablauf der sechsmonatigen Verjährungsfrist gemäß § 69 Abs. 3 S. 1 OWiG über die Staatsanwaltschaft an das Gericht zu übersenden (§ 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 OWiG). ...“

Recht hat das AG.

Volltext zur Entscheidung des OLG Frankfurt zur Poliscan Speed

Wir hatten vor einigen Tagen über die Entscheidung des OLG Frankfurt vom 01.03.2010 – 2 Ss OWi 577/09 – berichtet, mit der das OLG das AG Dillenburg aufgehoben hatte, das wegen der mangelnden Überprüfbarkeit der Messung die Messung als nicht verwertbar angesehen hatte. Inzwischen liegt der Volltext vor. Sie finden ihn hier.

Poliscan: OLG Frankfurt hebt AG Dillenburg auf.

Wir hatten am 23.11.2009 über die Entscheidung des AG Dillenburg zu Poliscan Speed berichtet; vgl. hier. Inzwischen hat das OLG Frankfurt diese Entscheidung aufgehoben (Beschl. v. 01.03.2009 – 2 Ss OWi 577/09 – und die Sache an das AG zurückverwiesen. Das OLG sieht in der mangelnden Überprüfbarkeit des Messverfahrens keine Gründe für die Nichtverwertbarkeit. Mal sehen, was sich aus dem Volltext ergibt. Bisher kenne ich nur die PM. In der heißt es:

„Zur Begründung führt der Senat aus, die Feststellungen des AG seien lückenhaft und trügen den Freispruch nicht. Das Amtsgericht stütze seine Zweifel an der zutreffenden Ermittlung der Geschwindigkeit durch das PoliScan Speed-Messverfahren darauf, dass die Messung nicht nachträglich überprüft werden könne, weil detaillierte Unterlagen über die Funktionsweise des Messsystems fehlten. Insoweit habe zwar der vom Amtsgericht beauftragte Sachverständige Unzulänglichkeiten bei dem Messsystem festgestellt, dieser sei jedoch schließlich zu dem Ergebnis gelangt, dass seine Bedenken im konkreten Fall nicht zum Tragen kämen und es keine Hinweise für eine Fehlmessung gebe. Bei dieser Sachlage hätte das AG Feststellungen zu den konkreten Umständen der Geschwindigkeitsmessung sowie deren Auswertung treffen und sich damit auseinandersetzten müssen, warum der Sachverständigen seine Bedenken aufgegeben habe.“

Die Entscheidung des OLG lässt offen, ob es sich bei dem Lasermessverfahren PoliScan Speed um ein anerkanntes und standardisiertes Messverfahren handelt. Das Gericht betont jedoch, dass allein die systembedingte Unmöglichkeit der nachträglichen Überprüfung der Geschwindigkeitsmessung der Verwertbarkeit der Messung nicht entgegenstehe, zumal dies auch bei anderen – standardisierten – Lasermessverfahren gegeben sei.“