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OWi III: Abwesenheitsverhandlung, oder: Keine Verwertung unbekannter Beweismittel

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Und die dritte Entscheidung des Tages ist dann der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.04.2019 – IV-4 RBs 27/19. Eine schöne Entscheidung, denn den hier geltend gemachten Verfahrensfehler muss man als Verteidiger erst mal entdecken. Und: Die Pfiffigkeit des Verteidigers ist belohnt worden, das OLG hat aufgehoben:

„Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen führt bereits mit der Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs zum — zumindest vorläufigen — Erfolg.

Die Versagung rechtlichen Gehörs ist mit der Verfahrensrüge geltend zu machen (vgl. OLG Düsseldorf, VRS 47, 57, 58; Thüringer Oberlandesgericht, Beschl. v. 08.01.2010 – 1 Ss 349/09 -,juris). Dabei müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen so genau und vollständig angegeben werden (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 344 Abs. 2 StPO), dass das Rechtsbeschwerdegericht schon anhand der Rechtsmittelschrift ohne Rückgriff auf die Akten prüfen und im Freibeweisverfahren abschließend feststellen kann, ob der behauptete Fehler tatsächlich vorliegt. Der Betroffene muss deshalb bei der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs darlegen, was er im Falle seiner Anhörung geltend gemacht hätte (vgl. Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 79 Rdn. 27d). Diesen Anforderungen wird die dem Schriftsatz vom 19. Dezember 2018 zu entnehmende Verfahrensrüge gerecht.

Dem Betroffenen ist das rechtliche Gehör insofern versagt worden, als in der Hauptverhandlung Erkenntnisse aus unbekannten Beweismitteln genutzt worden sind, mit deren Verwertung er nicht rechnen musste.

Im Abwesenheitsverfahren nach § 74 Abs. 1 OWiG dürfen nur die dem Betroffenen bekannten Beweismittel verwendet werden (vgl. Göhler/Seitz/Bauer, a.a.O., § 74 Rdn. 17 m.w.N.). Dies folgt aus dem auch für das Bußgeldverfahren verbindlichen, sich aus Art. 103 Abs. 1 GG ableitenden Grundsatz, dass ein Gericht seiner Entscheidung nur jene Tatsachen zugrunde legen darf, zu denen sich die Verfahrensbeteiligten äußern konnten (vgl. OLG Thüringen, Beschl. v. 08.01.2010 – 1 Ss 349/09 -, juris m.w.N.). Anderenfalls kann der Betroffene seine Verteidigung nicht ausreichend, nämlich gezielt auf alle vorhandenen, ihm bekannten Beweismittel einrichten. Insbesondere kann er, wenn er nicht alle ihn belastenden Beweismittel kennt, nicht uneingeschränkt entscheiden, ob er tatsächlich von der ihm durch das Amtsgericht gemäß § 74 Abs. 1 OWiG eingeräumten Möglichkeit, der Hauptverhandlung fern zu bleiben, Gebrauch machen und nicht am Hauptverhandlungstermin teilnehmen will (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 19.07.2010 – 2 Ss OWi 1201/01 -, juris). Zum Nachteil des Betroffenen können deshalb nur die Beweismittel verwendet werden, die entweder im Bußgeldbescheid aufgeführt, dem Betroffenen mit der Ladung mitgeteilt oder vor der Hauptverhandlung bekannt gemacht worden sind. Beabsichtigt der Richter die Einführung und Verwertung von Beweismitteln, zu denen sich der Betroffene bisher noch nicht äußern konnte, muss er die Verhandlung unterbrechen oder aussetzen und den Betroffenen und seinen Verteidiger falls auch er abwesend ist, entsprechend unterrichten (vgl. OLG Thüringen, Beschl. v. 08.01.2010 – 1 Ss 349/09 juris unter Verweis auf KK Senge, OWiG, § 74 Rdn. 13).

Dies muss auch für die Feststellung von Verfahrensvoraussetzungen gelten. Der Erlass eines wirksamen Bußgeldbescheides ist Verfahrensvoraussetzung für das gerichtliche Bußgeldverfahren (vgl. BGH, NJW 1997, 380, 381). Zwar kann der Bußgeldbescheid — wie hier — auch durch die EDV hergestellt werden, dies setzt aber voraus, dass dies auf einem für den Betroffenen erkennbaren und nachprüf-baren Willensakt der Behörde beruht, d.h. wenn der zuständige Sachbearbeiter-den Bußgeldbescheid aktenkundig verfügt hat; es reicht sogar aus, wenn eine von vorherein aus den Akten ersichtliche Verfügung des Sachbearbeiters nicht gegeben ist, jedoch nachträglich im Wege des Freibeweises festgestellt werden kann, dass der Bußgeldbescheid von dem zuständigen Sachbearbeiter durch Benutzung der EDV-Anlage erlassen worden ist (vgl. Göhler/Seitz/Bauer, Vor § 65 Rdn. 4 m.w.N.).

Das Amtsgericht hat durch die Verlesung der Auskunft der Stadt Wuppertal vom 5. Oktober 2018, wonach pp. bestätigte, dass sie am 16. April 2018 in Vertretung für Frau pp. den Bußgeldbescheid verfügt habe, ein Beweismittel beigezogen, das Aufschluss darüber gab, ob der Bußgeldbescheid von der zuständigen Sachbearbeiterin verfügt wurde. Diese Erkenntnisquelle, auf die sich das Urteil auch stützt, ist dem Betroffenen und seinem Verteidiger jedoch nicht bekannt gewesen. Dies begründet die Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Betroffene bei Kenntnis dieses Beweismittels auch anders verteidigt hätte, zumal durch den Betroffenen der ordnungsgemäße Erlass eines Bußgeldbescheides in Frage gestellt worden ist.“

Vollmacht III: Was darf der Verteidiger ohne Vertretungsvollmacht?, oder: Eigene Anträge stellen darf er..

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Und als dritte Entscheidung, dann noch eine weitere Entscheidung vom KG 🙂 und ebenfalls zur Vertretung in der Hauaptverhandlung. Nun aber nicht zur Berunfungshauptverhandlung, sondern zur Vertretung in der Hauptverhandlung im Bußgeldverfahren, und zwar zur Frage der Befugnisse des Verteidigers ohne Vertretervollmacht bei erlaubter Abwesenheit des Betroffenen. Es handelt sich um den KG, Beschl. v. 02.03.2018 – 3 Ws (B) 71/18 .

Dazu „klarstellend“ das KG:

„Allerdings ist die Auffassung des Amtsgerichts unzutreffend, der Rechtsanwalt, der seine Vertretungsvollmacht nicht nach § 73 Abs. 3 OWiG schriftlich nachweisen könne, sei in der Hauptverhandlung zur Stellung von Anträgen nicht befugt. Zutreffend ist, dass er den Betroffenen in der Abwesenheitsverhandlung nicht vertreten kann, d.h. er kann für diesen keine Erklärungen abgeben und entgegennehmen. Der mit der Verteidigung beauftragte Rechtsanwalt hat aber sämtliche dem Verteidiger zustehenden Befugnisse (vgl. Senat, Beschluss vom 2. September 2015 – 3 Ws (B) 447/15 – [juris]; BayObLG VRS 61, 39; Senge in Karlsruher Kommentar, OWiG 4. Aufl., § 73 Rn. 42). Dazu gehört auch das Recht, in der Hauptverhandlung im eigenen Namen Anträge zu stellen.“

Ok, ok…. „Vollmacht“ passt nicht so ganz, aber der Zusammenhang passt 🙂 .

Da irrt der Amtsrichter, oder: Ein Blick ins Gesetz …

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Nach dem erfreulichen OLG Celle, Beschl. v. 16.06.2016 – 1 Ss (OWi) 96/16 (dazu OLG Celle: Messdaten und Token sind herauszugeben, oder: Sie – die OLG Rechtsprechung – bewegt sich doch)  hier dann eine weitere „schöne“ OLG Celle-Entscheidung, und zwar: Ich habe ja schon häufiger über die Ablehnung von Beweisanträgen im Bußgeldverfahren und die ggf. darauf gestützte Aufhebung es Urteils wegen Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) berichtet (vgl. u.a. den OLG Hamm, Beschl. v. 13.01.2016 – 2 RBs 181/15  und den OLG Hamm, Beschl. v. 15.12.2015 – 3 RBs 352/15 und dazu Nicht so hurtig mit der Ablehnung von Beweisanträgen, oder: Versagung des rechtlichen Gehörs). Fakt ist, dass nach der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht jede Ablehnung eines Beweisantrages zur Verletzung des rechtlichen Gehörs führt, sondern grdunsätzlich nur dann, wenn – so die Formulierung der Obergerichte – „der Beweisantrag ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückführbare Gründe in willkürlicher Weise abgelehnt worden ist“. Und von einem solchen Fall ist das OLG Celle im OLG Celle, Beschl. v. 28.06.2016 – 2 Ss (OWi) 125/16 – ausgegangen.

Er hat eine mal etwas anderes Konstellation zum Gegenstand.  Der Betroffene, der gegen den gegen ihn ergangenen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt hatte, hatte über seinen Verteidiger vor Beginn der Hauptverhandlung verschiedene Beweisanträge stellen lassen. Der Betroffene nahm an der Hauptverhandlung dann aber nicht teil, er war vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden; auch der Verteidiger des Betroffenen nahm an der Hauptverhandlung nicht teil. Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitesüberschreitung verurteilt. Im Urteil heißt u.a.:

„Anträge wurden in der Hauptverhandlung nicht gestellt. Soweit der Verteidiger beantragt hat, den Schriftsetz vom 25.01.2016 zu verlesen, der (wohl: diesen) als Anlage zum Protokoll zu nehmen, sehen weder die Strafprozessordnung noch das Ordnungswidrigkeitengesetz ein solches Verfahren vor.“

Da irrt der Amtsrichter aber, was ihm dann auch das OLG bescheinigt:

„b) Nach diesen Grundsätzen rechtfertigt das Beschwerdevorbringen die Annahme der Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen, da nicht erkennbar ist, dass das Amtsgericht die vor der Hauptverhandlung abgegebenen Erklärungen und Anträge des Betroffenen zur Kenntnis genommen und diese erwogen hat.

§ 74 Abs. 1 Salz 1 OWG bestimmt, dass die Hauptverhandlung dann in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt wird, wenn er nicht erschienen ist und von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war, § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG bestimmt weiter, dass frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine schriftlichen oder protokollierten Erklärungen durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen sind. Gegen diese Vorschrift hat das Amtsgericht verstoßen, indem es sich ausweislich des Urteilsinhaltes geweigert hat, die vor der Hauptverhandlung schriftsätzlich gestellten Anträge zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen. § 74 Abs. 1 Satz 2 OWIG soll sicherstellen, dass zum Ausgleich für die weitgehende Durchbrechung der auch im Bußgeldverfahren zu beachtenden Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsgrundsätze alle wesentlichen Erklärungen, die der Betroffene In irgendeinem Stadium des Verfahrens zu der gegen ihn erhobenen Beschuldigung abgegeben hat im Falle des ihm gestatteten Fernbleibens von der Hauptverhandlung bei der Entscheidung berücksichtigt werden; es handelt sich hierbei um zwingendes Recht (vgl. Senge in: KK-OWiG, 4. Aufl. § 74 Rn. 11 m.w.N.).

Da das Amtsgericht – auch ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls – die Äußerungen und Anträge des Betroffenen nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht hat und diese weder in der Hauptverhandlung noch in den Urteilsgründen beschieden hat, hat es hierdurch das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt (vgl, zu einer ähnlichen Fallgestaltung OLG Dresden DAR 2014, 708 f.). Dies nötigt zur Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.“

Tja, ein Blick ins Gesetz….

Was du nicht kennst, darf ich nicht verwerten

Mit einer in meinen Augen Selbstverständlichkeit setzt sich die Entscheidung des OLG Stuttgart v. 11.06.2010 – 5 Ss 321/10 auseinander.  Nämlich mit der Frage, ob die Verwertung einer Meldeauskunft gegen Betroffenen im Bußgeldverfahren auch dann verwertet werden kann/darf, wenn der Betroffene diese nicht kennt. Die Antwort des OLG lautet natürlich nein.

In der Sache ging es um ein Abwesenheitsverfahren, in dem das AG eine Meldeauskunft über den Betroffenen eingeholt und die dann bei der Beweiswürdigung gegen ihn verwendet hatte. Das OLG sagt dazu: Die Durchführung der Hauptverhandlung in Bußgeldsachen ist in Abwesenheit des Betroffenen nur zulässig, wenn diesem alle Beweismittel bekannt sind, die das Gericht zum Gegenstand der Entscheidungsfindung macht und der Betroffene sich hierzu äußern kann. Wird aber ohne Kenntnis des Betroffenen eine am Vortag eingeholte Meldeauskunft zum Gegenstand der Beweiswürdigung gemacht und hieraus der Schluss gezogen, dass diesen ein besonderes Verschulden trifft, weil er wegen Wohnortnähe absolut ortskundig (hier: Rotlichtverstoß) ist, schränkt dies die Verteidigung in unzulässiger Weise ein.

An sich: Einfach, oder? Man ist erstaunt, dass das AG das übersehen hat.

Immer wieder die (fehlerhafte) (Nicht)Entbindung – hier aber mal mit einem neuen Aspekt

Zunächst habe ich beim Lesen des Beschl. des OLG Celle v. 06.10.2010 – 311 SsRs 113/10 – gedacht: Hatten wir doch alles schon, das Übliche: Der Amtsrichter hat mal wieder die „Sanktionsschere“ geöffnet = nicht entbunden in der Hoffnung, dass der Betroffene seinen Einspruch zurücknimmt. Hat er aber nicht :-). Dann kommt allerdings eine Passage im Beschl., die doch ganz interessant ist. Nämlich die Frage: Braucht der hier tätig gewordene Unterbevollmächtigte auch eine schrilltiche (Unter)Vertretervollmacht. Das OLG sagt nein: Die schriftliche Vertretervollmacht des Verteidigers reicht. Der Unterbevollmächtigte braucht nicht auch noch eine.

Aber dennoch: In den Fällen gilt: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Lieber den Unterbevollmächtigten mit einer ausstatten.