Die zweite Entscheidung, der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 17.10.2023 – 1 ORbs 1 SsRs 37/23 – hat auch etwas mit der Frage der Entbindung und/oder der Abwesenheitsverhandlung zu.
Der Betroffene war in dem nach seinem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid anberaumten Hauptverhandlungstermin nicht erschienen. Seine – nicht mit einer schriftlichen Vertretungsvollmacht versehene – Verteidigerin hat zu Beginn der Hauptverhandlung die Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen beantragt. Die Jugendrichterin des AG hat diesem Antrag stattgegeben, ohne den Betroffenen zur Sache verhandelt und den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 100 EUR verurteilt.
Dagegen der Antrag der Verteidigerin des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Das OLG hat nicht zugelassen:
„2. Auch die Gehörsrüge dringt nicht durch. Mit ihr beanstandet der Betroffene, dass das Amtsgericht seinen Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen fehlerhaft beschieden, ohne seine Anwesenheit zur Sache verhandelt und hierdurch den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt habe. Eine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung kann auf der Grundlage des Rechtsbeschwerdevorbringens jedoch nicht festgestellt werden.
Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die erlassene Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Art. 103 Abs. 1 GG geht davon aus, dass die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen bleiben muss (BVerfGE 9, 89 <95 f.>; 74, 1 <5>), und gewährt keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen. Bei der Verletzung solcher Vorschriften bedarf es aber jeweils der Prüfung, ob dadurch nicht zugleich das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verkürzt worden ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Februar 1992 – 2 BvR 700/91, juris, Rn. 14).
Grundsätzlich ist der Betroffene in einem Bußgeldverfahren zum Erscheinen in der Hauptverhandlung gemäß § 73 Abs. 1 OWiG verpflichtet, womit sein Anwesenheitsrecht als Ausprägung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör korrespondiert (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO). Der Betroffene kann allerdings auf sein Anwesenheitsrecht verzichten. Die Hauptverhandlung darf aber nur dann in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt werden, wenn er nicht erschienen ist und darüber hinaus von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war, § 74 Abs. 1 OWiG. In einer fehlerhaften Anwendung der Norm kann ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör liegen (Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 25.04.2002 – 2 Ss (OWi) 44 Z/02; NZV 2003, 587).
Das Amtsgericht hat die Hauptverhandlung zwar unter Verstoß gegen § 74 Abs. 1 OWiG in Abwesenheit des Betroffenen durchgeführt. Es hat dem Antrag auf Entbindung, den die Verteidigerin zu Beginn der Hauptverhandlung gestellt hat, nachdem der Betroffene nicht erschienen war, stattgegeben und zugelassen, dass die Verteidigerin den Betroffenen in der Hauptverhandlung vertritt. Da die Verteidigerin keine schriftliche Vertretungsvollmacht hat, konnte sie aber weder den von ihr zu Beginn der Hauptverhandlung gestellten Entbindungsantrag wirksam stellen, noch konnte sie den Betroffenen in der Sitzung wirksam vertreten, § 73 Abs. 2 und 3 OWiG (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 04.08.2011 – 1 SsBs 26/10, juris). Entschuldigungsgründe, die ein Fehlen des Betroffenen rechtfertigen, wurden im Rahmen der Hauptverhandlung nicht vorgetragen, und es ist aus der Rechtsbeschwerde auch nicht ersichtlich, dass dem Amtsgericht Entschuldigungsgründe bekannt waren. Richtigerweise hätte die Jugendrichterin den Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ohne Verhandlung zur Sache verwerfen müssen.
Dieser Verstoß gegen einfaches Recht hat im vorliegenden Fall aber nicht den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt. Das verfahrensrechtlich gebotene Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG wäre ausschließlich aufgrund verfahrensrechtlicher Vorschriften ohne materiell-rechtliche Prüfung ergangen, mit der Folge, dass der Betroffene mit seinem Vortrag zur Sache bei richtiger Verfahrensweise nicht gehört worden wäre. Das Amtsgericht hat hier den Vortrag des Betroffenen dagegen zu seinen Gunsten in der Weise berücksichtigt, dass die Geldbuße herabgesetzt wurde.“
Mir erschließt sich nicht so ganz, was angesichts der erfolgten Reduzierung der Geldbuße Ziel der Rechtsbeschwerde war.