Schlagwort-Archive: Ablehnung

Ablehung von PKH wegen fehlender Erfolgsaussicht, oder: Ablehnungsbeschluss ist nicht anfechtbar

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und dann die Gebührenentscheidungen am Freitag.

Ich starte zum Warmwerden mit dem BayObLG, Beschl. v. 30.04.2024 – 203 StObWs 150/24. Nicht direkt Gebühren, aber der Beschluss hat damit zu tun. Es geht um die Anfechtbarkeit der PKH-Entscheidung im Strafvollzugsverfahren. Da sagt das BayObLG: Nicht anfechtbar:

„Der Senat hat das Rechtsmittel aufgrund der ausdrücklichen Bezeichnung durch die Rechtsanwältin als Rechtsbeschwerde und hilfsweise als sofortige Beschwerde geprüft. Das Rechtsmittel gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer erweist sich als unzulässig.

1. Eine Rechtsbeschwerde nach § 116 Abs. 1 StVollzG wäre gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer nicht eröffnet, da sich das Tatgericht – insoweit auch rechtsfehlerfrei – isoliert mit dem ihm zur Entscheidung unterbreiteten Begehren des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe befasst hat.

2. Die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe ist ebenfalls unzulässig. Nach überwiegender obergerichtlicher Auffassung, der sich der Senat anschließt und die auch im Schrifttum Zustimmung erlangt hat, ist im Strafvollzugsverfahren ein die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussicht ablehnender Beschluss der Strafvollstreckungskammer ungeachtet des Verfahrenswerts nicht anfechtbar (vgl. OLG Bremen, Beschluss vom 12. Mai 2020 – 1 Ws 129/19 –, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. März 2020 – 2 Ws 38/20 –, juris Rn. 7; OLG Koblenz, Beschluss vom 5. November 2019 – 2 Ws 627/19 Vollz –, juris Rn. 10; KG, Beschluss vom 16. Februar 2018 – 5 Ws 20/18 Vollz -, juris Rn. 2 ff.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18. Februar 2014 – 1 Ws 294/13-, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 4. Dezember 2012 – III-1 Vollz (Ws) 672/12-, juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 17. November 2008 – 3 Vollz (Ws) 64/08 –, juris Rn. 8; OLG Naumburg, Beschluss vom 9. September 2003 – 1 Ws 275/03, juris; Spaniol in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 8. Aufl., Teil IV § 120 StVollzG Rn. 21; Laubenthal in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl., 12. Kapitel § 120 Rn. 12; Euler in BeckOK Strafvollzug Bund, §120 StVollzG, 25. Ed., § 120 Rn. 11; Bachmann in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, Strafvollzugsgesetze, 13. Aufl., P § 120 StVollzG Rn. 140; diff. nach Beschwerdewert wohl Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl. § 120 Rn. 7; diff. nach zulässig eingelegter Rechtsbeschwerde OLG Rostock, Beschluss vom 6. Februar 2012 – I Vollz [Ws] 3/12 – BeckRS 2012, 04285). Denn im Strafvollzugsverfahren ist gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer keine weitere Tatsacheninstanz eröffnet (vgl. KG a.a.O.; OLG Hamburg a.a.O.).“

StPO III: Ablehnung/Begriff des erkennenden Richters, oder: Welches Rechtsmittel ist zulässig?

© canstockphoto5259235

Und dann habe ich hier noch einen Beschluss aus dem Ablehnungrecht, und zwar den LG Stuttgart, Beschl. v. 03.01. – 8 Qs 62/23 – mit folgende Sachverhalt:

Mit Strafbefehl vom 22.11.2022 verhängte das AG gegen die Angeklagte wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 StGB eine Geldstrafe. Auf den fristgerechten Einspruch der Angeklagten beraumte das Amtsgericht die Durchführung der Hauptverhandlung für den 03.04.2023 an. In diesem Termin stellte die Angeklagte einen Antrag auf Ablehnung des Vorsitzenden wegen der Besorgnis der Befangenheit. Hierauf setzte das AG die Hauptverhandlung aus und verwarf mit rechtskräftigem Beschluss vom 05.04.2023 das mündlich gestellte Ablehnungsgesuch als unzulässig mit der Begründung, dass ein Grund der Ablehnung nicht angegeben worden sei.

Am 25.05.2023 bestimmte das AG einen neuen Termin zur Hauptverhandlung auf 12.06.2023 und ordnete mit Beschluss vom selben Tag das persönliche Erscheinen der Angeklagten hierzu an.

Zu diesem Termin zur Hauptverhandlung erschien die Angeklagte nicht. Daraufhin verwarf das AG mit Urteil vom 12.06.2023 nach §§ 412 Satz 1, 329 Abs. 1 StPO ihren Einspruch. Das Urteil wurde der Angeklagten am 15.09.2023 zugestellt.

Mit Telefax stellte die Angeklagte am 22.09.2023 einen neuerlichen Antrag auf Ablehnung des Vorsitzenden der Hauptverhandlung vom 12.06.2023 wegen der Besorgnis der Befangenheit sowie einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Außerdem legte sie Berufung ein.

Nachdem der abgelehnte Richter am 25.09.2023 eine dienstliche Stellungnahme abgegeben hatte, wies das AG das Ablehnungsgesuch der Angeklagten – ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters – mit Beschluss vom 02.11.2023 als unbegründet zurück. Der Beschluss wurde am 06.11.2023 formlos an die Angeklagte hinausgegeben.

Gegen diesen Beschluss legte die Angeklagte am 27.11.2023 sofortige Beschwerde ein. Die hatte keinen Erfolg.

Das LG äußert sich zur Zulässigkeit des Rechtsmittels, und zwar mit folgenden Leitsätzen:

    1. Gegen den Beschluss über ein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden der Hauptverhandlung nach Einspruch gegen einen Strafbefehl ist die sofortige Beschwerde statthaft, auch wenn ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt wurde.
    2. Nach Verwerfung eines Einspruchs gemäß §§ 412 Satz 1, 329 Abs. 1 Satz 1 StPO wegen Ausbleibens des Angeklagten in der Hauptverhandlung ist der Amtsrichter nicht mehr erkennender Richter im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO, auch wenn ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 329 Abs. 7 StPO gestellt wurde (vgl. für die Konstellation eines Verwerfungsurteils nach einer Berufungshauptverhandlung: OLG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2018 – 4 Ws 429/17 -), so dass dann gegen die amtsgerichtliche Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch die sofortige Beschwerde statthaft ist.

Ablehnung II: Anstellung des Partners bei einer Partei, oder: Die pflichtwidrig unterlassene Selbstanzeige

© semnov – Fotolia.com

Die zweite Entscheidung kommt mit dem OLG Stuttgart, Beschl. v. 29.09.2002 – 2 W 47/22 – aus dem Zivilrecht. Ergangen ist er in einem Verfahren, in dem die Parteien um Schadensersatzansprüche wegen der Beteiligung der Beklagten am sog. Lkw-Kartell streiten. Beim LG Stuttgart fallen solche Streitigkeiten u. a. in die Zuständigkeit der 53. Zivilkammer.

Die Klägerin hat den lehnt den Vorsitzenden der 53. Zivilkammer, Vorsitzenden Richter am Landgericht X, u.a. mit der Begründung abgelehtn, dass dessen Ehefrau von Mai 2011 bis Oktober 2021 bei der Beklagten als Manager, später als Senior Manager angestellt und zum Oktober 2021 zur D. in eine Führungsposition im Bereich Compliance gewechselt sei. Die D. sei gegenüber der Beklagten im Innenverhältnis zur Freistellung von den streitgegenständlichen Schadensersatzansprüchen verpflichtet. Der abgelehnte Richter habe zudem gegen seine Pflicht zur rechtzeitigen Offenbarung dieser Umstände verstoßen. In seiner dienstlichen Äußerung hat der abgelehnte Richter die berufliche Tätigkeit seiner Ehefrau bestätigt.

Das Befangenheitsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter veranlasste den Richter am Landgericht Y, der ebenfalls der 53. Zivilkammer angehört, zu dem Hinweis, dass seine Partnerin bis 30.11.2021 im Personalbereich der Beklagten tätig war und im Anschluss daran im Personalbereich der D. Die Klägerin sieht hierin einen Grund zur Besorgnis der Befangenheit und lehnt auch den Richter am Landgericht Y ab.

Das Landgericht hat die Ablehnungsgesuche zurückgewiesen. Dagegen die sofortige Beschwerde der Klägerin, die Erfolg hatte. Wegen der Einzelheiten der Begründung verweise ich auf den verlinkten Volltext. Das OLG hat seiner Entscheidung folgende Leitsätze gegeben:

    1. Die Besorgnis der Befangenheit ist begründet, wenn die Ehegattin oder feste Partnerin des abgelehnten Richters bei einer Partei des Rechtsstreits beschäftigt ist und bei vernünftiger Betrachtungsweise aus Sicht des ablehnenden Klägers die Befürchtung besteht, dass sie sich aufgrund ihrer gehobenen beruflichen Tätigkeit in besonderem Maße mit den Interessen und Zielen des Unternehmens identifiziert, deshalb bei Rechtsstreitigkeiten von herausragender Bedeutung für das Unternehmen dessen Position einnimmt oder sich mit diesem solidarisiert, dies auch ihrem Ehegatten – dem abgelehnten Richter – vermittelt und aufgrund der besonderen Nähebeziehung des Paares dessen Meinungsbildung zugunsten der Partei bewusst oder unbewusst beeinflusst, sodass die Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Richters nicht mehr gewährleistet ist.
    2. Ist oder war die Ehefrau bzw. feste Partnerin eines Richters bei einer Partei beschäftigt, hat der Richter dies den Parteien des Rechtsstreits vor oder spätestens bei der ersten richterlichen Handlung anzuzeigen.

Interessant und darauf will ich hier dann doch konkret hinweise ist m.E. dann das, was das OLG zur Selbstanzeige ausführt, nämlich:

„dd) Darüber hinaus kann die Klägerin als ablehnende Partei aber auch deshalb berechtigten Anlass für Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters haben, weil dieser die Verfahrensbeteiligten zunächst nicht auf das Beschäftigungsverhältnis seiner Ehefrau bei der Beklagten bzw. der D. hingewiesen hat.

(1) Gemäß § 48 ZPO hat das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuchs zuständige Gericht auch dann zu entscheiden, wenn ein Richter von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte. Aus dem Sinn und Zweck dieser Bestimmung bzw. ihrer Funktion im Zusammenhang mit den Verfahrensgrundrechten aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 GG und Artikel 103 Absatz 1 GG folgt eine Verpflichtung des Richters zur Anzeige solcher Verhältnisse (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juni 1993 – 1 BvR 878/90, juris Rn. 28 ff.). Die in § 48 ZPO vorgesehene Anzeige bestimmter Gründe durch den Richter dient der Gewährleistung des Verfassungsrechts der Parteien, nicht vor einen Richter gestellt zu werden, dem es an der gebotenen Neutralität fehlt (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1994 – I ZR 121/92, juris Rn. 32).

Mit Blick auf einen möglichen Ablehnungsgrund ist eine Pflicht zur Anzeige gegeben, wenn ein Ablehnungsgesuch nach den Maßstäben des § 42 ZPO begründet sein könnte. Offen zu legen sind alle Umstände, die Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit des Richters wecken können (OLG München, Urteil vom 26. März 2014 – 15 U 4783/12, juris Rn. 15; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11. Oktober 2017 – VI-U (Kart) 9/17, juris Rn. 81). Die Anzeige hat vor oder spätestens bei der ersten richterlichen Handlung zu erfolgen (Vollkommer in: Zöller, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 34. Auflage 2022, § 48 ZPO Rn. 3). Ob und gegebenenfalls wann ein materieller Grund für die Annahme der Befangenheit eines Richters gegeben ist und ob eine Befangenheit tatsächlich besteht, ist für die Verpflichtung eines Richters, objektive Umstände anzuzeigen, welche die Besorgnis der Befangenheit aus Sicht der Parteien nahelegen können, grundsätzlich ohne Belang (BGH, Urteil vom 7. Mai 2009 – RiZ (R) 1/08, juris Rn. 38).

Allerdings hat der Richter nicht auf „alles Mögliche“, sondern nur auf Umstände hinzuweisen, von denen er annehmen muss, sie könnten bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an seiner Unbefangenheit und Unparteilichkeit erwecken (Kammergericht, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 20 SchH 2/10, juris Rn. 20; OLG Hamm, Beschluss vom 5. Oktober 2011 – I-8 SchH 1/11, juris Rn. 22). Wie bei der Beurteilung nach § 42 ZPO ist unbeachtlich, ob der Richter sich tatsächlich befangen fühlt, da es darum geht, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (OLG München, Urteil vom 26. März 2014 – 15 U 4783/12, juris Rn. 15). Die Anzeigepflicht gewährleistet, dass die Parteien von etwaigen, ihnen unbekannten Ablehnungsgründen Kenntnis erlangen und sich zu ihnen äußern können (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1994 – I ZR 121/92, juris Rn. 33). Zudem stärkt die Hinweispflicht das Vertrauen der Rechtsuchenden in die Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Gerichts.

Die pflichtwidrig unterlassene Selbstanzeige kann für sich allein oder in der Zusammenschau mit weiteren Umständen die Besorgnis der Befangenheit begründen (Vossler in: Beck’scher Onlinekommentar zur ZPO, 45. Ed. 01. Juli 2022, § 48 ZPO Rn. 7). Dies gilt allerdings nicht für Umstände, die eindeutig und klar ungeeignet sind, die Besorgnis der Befangenheit des Richters zu begründen (Kammergericht, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 20 SchH 2/10, juris Rn. 20). Da die Abgrenzung zu Gründen, die eine Befangenheit nahelegen, nicht immer klar ist, wird eine einfache Fehleinschätzung im Einzelfall nicht dazu führen, dass aus der Sicht einer Partei durch den unterbliebenen Hinweis Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (BGH, Urteil vom 4. März 1999 – III ZR 72/98, juris Rn. 14). Anders liegt es hingegen, wenn sich dem Richter eine Offenlegungspflicht in der konkreten Situation aufdrängen musste (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2019 – I ZB 46/18, juris Rn. 23).

(2) Nach diesen Maßstäben hat der abgelehnte Richter durch den nicht rechtzeitig (vor oder spätestens bei der ersten richterlichen Handlung) erteilten Hinweis der ablehnenden Partei Anlass gegeben, an seiner Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit zu zweifeln.

Der Umstand, dass die Ehefrau langjährig bei der Beklagten beschäftigt war und weiterhin bei der durch die Konzernaufspaltung hervorgegangenen D. beschäftigt ist, löste die Verpflichtung des abgelehnten Richters zur Anzeige dieser Umstände aus. Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt sich, dass die berufliche Tätigkeit eines Ehegatten die Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall begründen kann (BGH, Beschluss vom 19. November 2020 – V ZB 59/20, juris Rn. 10). Soweit der abgelehnte Richter selbst die relevanten Umstände in seiner dienstlichen Äußerung als „völlig unerheblich“ bezeichnet hat, ist diese Einschätzung nicht nachvollziehbar. Da bei einer Beschäftigung der Ehefrau bei einer Partei die Besorgnis der Befangenheit von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls abhängt, musste sich dem abgelehnten Richter die ernsthafte Möglichkeit aufdrängen, dass das für die Entscheidung über die Ablehnung zuständige Gericht auf eine entsprechende Anzeige gemäß § 48 ZPO die Besorgnis der Befangenheit für begründet erklären könnte.“

Ablehnung I: Reicht „Ich fühle mich nicht befangen“?, oder: Nein, das ist eine „Nichtäußerung“, aber…

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und heute dann noch einmal Entscheidungen zu Ablehnungsfragen. Von den drei Entscheidungen stammt allerdings nur eine aus einem Strafverfahren. Die beiden anderen stammen auf einem finanzgerichtlichen bzw. Zivilverfahren. Die in diesen Entscheidungen angesprochenen Fragen können allerdings auch im Strafverfahren Bedeutung erlangen.

Ich beginne die Berichterstattung mit dem BFH, Beschl. v. 28.09.2022 – X B 168/21, also finanzgerichtliches Verfahren. Der Beschluss nimmt u.a. Stellung zum Mindestinhalt der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters. Der Kläger hatte mit seiner „Revisionsschrift“ gerügt, dass die vom abgelehnten Senatsvorsitzenden beim FG abgegebene Erfklärung unzureichend gewesen sei.

Der BFH sagt: Ja, aber:

„c) Im Ausgangspunkt zu Recht rügt der Kläger allerdings, die dienstliche Erklärung des abgelehnten Senatsvorsitzenden, die nur aus dem Satz „Ich fühle mich nicht befangen“ besteht, sei unzureichend.

aa) Eine solche Bekundung ist zum einen überflüssig (Zöller/Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 44 Rz 9), weil Maßstab für die Beurteilung, ob eine Besorgnis der Befangenheit vorliegt, nicht die eigene subjektive Einschätzung des abgelehnten Richters ist, sondern der Standpunkt eines Verfahrensbeteiligten, der eine objektive, vernünftige Würdigung aller Umstände vornimmt (Senatsbeschluss vom 12.09.2013 – X S 30, 31/13, BFH/NV 2014, 51, Rz 5). Zum anderen wird eine auf die eigene subjektive Einschätzung beschränkte Erklärung des abgelehnten Richters dem Normzweck des § 44 Abs. 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht gerecht, eine Stellungnahme des abgelehnten Richters zu Tatsachenbehauptungen, die im Ablehnungsantrag aufgestellt worden sind, zu erhalten.

Die vorliegend vom abgelehnten Richter erstellte dienstliche Erklärung kommt daher –wie der Bundesfinanzhof (BFH) bereits entschieden hat– ihrem Inhalt nach einer Nichtäußerung gleich; die zwingende gesetzliche Vorgabe des § 44 Abs. 3 ZPO wird damit nicht erfüllt (BFH-Beschluss vom 29.03.1995 – II B 36/94, BFH/NV 1996, 45, unter II.4.a). Der Vertretersenat hätte den Vorsitzenden daher vor seiner Entscheidung über das Ablehnungsgesuch auffordern müssen, seiner Pflicht aus § 44 Abs. 3 ZPO in ordnungsmäßiger Weise nachzukommen, zumal der Kläger den Mangel der dienstlichen Äußerung rechtzeitig und zutreffend gerügt hatte.

bb) Das Fehlen einer ordnungsmäßigen dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters macht die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch im Streitfall aber nicht willkürlich.

(1) Zwar ist in einzelnen Entscheidungen eine dienstliche Äußerung, in der sich der abgelehnte Richter mit keinem Wort zu dem Tatsachenvortrag im Ablehnungsantrag äußert, als zusätzliches Indiz für das Vorliegen einer Besorgnis der Befangenheit angesehen worden (vgl. z.B. Oberlandesgericht Oldenburg, Beschluss vom 07.10.1991 – 3 WF 106/91, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht –FamRZ– 1992, 192, unter 1.d).

(2) Vorliegend war dem FG aber auch ohne die dienstliche Äußerung eine willkürfreie Entscheidung über das Ablehnungsgesuch möglich.

Zwar konnte das Gericht aufgrund der fehlenden Äußerung des abgelehnten Senatsvorsitzenden zu der Behauptung des Klägers, der Vorsitzende habe in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass er dem Kläger nicht glaube, nicht feststellen, ob diese Äußerung tatsächlich so gefallen war. Das FG ist aber im zweiten Begründungsstrang seiner Entscheidung über diesen Gesichtspunkt des Ablehnungsgesuchs davon ausgegangen, dass der Vorsitzende die Äußerung getätigt hat, und hat sie –jedenfalls willkürfrei– als zulässige Kundgabe einer vorläufigen Einschätzung gewertet.

Hinsichtlich der zweiten mit dem Ablehnungsantrag gerügten Äußerung des Vorsitzenden –der Erklärung zum Ergebnis der Beweisaufnahme und der Ablehnung der beantragten Schriftsatzfrist– waren die mit dem Ablehnungsantrag vorgetragenen Tatsachen ohnehin unstreitig. Eine ordnungsmäßige dienstliche Äußerung hätte hier daher –ungeachtet dessen, dass der abgelehnte Richter gemäß § 44 Abs. 3 ZPO sowohl prozessual als auch dienstrechtlich zu ihrer Abgabe verpflichtet blieb– zu keinem anderen Ergebnis der Entscheidung über den Ablehnungsantrag führen können, so dass diese jedenfalls willkürfrei ist.“

StPO III: Beweisantrag auf Einholung eines Gutachtens, oder: Ablehnung wegen eigener Sachkunde

Bild von mohamed Hassan auf Pixabay

Und als dritte Entscheidung dann noch einmal etwas zum Beweisantragsrecht, nämlich zur Ablehnung  eines Beweisantrages wegen eigener Sachkunde (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Der Angeklagte hatte in einem Verfahren mit dem Vorwurf gefährlichen Körperverletzung einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gestellt, der vom Tatgericht wegen „eigener Sachkunde“ abgelehnt worden ist. Die dagegen gerichtete Verfahrensrüge hatte beim KG keinen Erfolg. Das führt dazu im KG, Beschl. v. 15.09.2022 – (3) 161 Ss 140/22 (48/22) – aus:

„3. Auch die erhobene Verfahrensrüge der unzulässigen Ablehnung eines Beweisantrags bleibt aus den in der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft genannten Gründen ohne Erfolg.

Von vornherein sind Aufbau und Stoßrichtung des Beweisantrags fraglich, so dass bereits zweifelhaft erscheint, dass es sich bei dem Beweisbegehren überhaupt um einen (förmlich zu bescheidenden) Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 StPO handelt. Unklar ist etwa, warum ein „verkehrsanalytisches Sachverständigengutachten“, für das zudem weder im Antrag noch in der Revisionsschrift tragfähige Anknüpfungstatsachen bezeichnet werden, Aufschluss über die Herkunft von Verletzungen geben können soll. Auch das Begehren, „anschließend den Sachverständigen als sachverständigen Zeugen zu seinem Gutachten zu vernehmen“, erhellt sich nicht. Weitere Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) ergeben sich daraus, dass die Revision die Erklärung versäumt, wie die Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung zu dem Beweisantrag Stellung genommen hat (vgl. BGH StRR 2020, Nr. 7 [Volltext bei juris] und Beschluss vom 24. Oktober 2018 – 5 StR 206/18 –; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Aufl., § 244 Rn. 106). Dass sie sich geäußert hat, ergibt sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll (Bl. II 9).

Schließlich gibt die Revision den beanstandeten Beschluss, durch den der Beweisantrag abgelehnt worden ist, unzutreffend wieder. Die Revisionsschrift behauptet, die Kammer habe eigene Sachkunde dafür geltend gemacht, dass (folgend getreue Wiedergabe) „die bei dem Zeugen X attestierten Verletzungen allein und ausschließlich auf der vom Angeklagten geschilderten Sturzgeschehen oder durch den von dem zeugen X geschilderte Geschehen verursacht worden sein können“ (RB S. 2). Tatsächlich enthält der beanstandete Beschluss (neben korrekter Rechtschreibung und Grammatik) das Adverb „auch“ („… auch durch das von dem Zeugen X geschilderte Geschehen verursacht worden sein können“) (Bl. II 38). Dem kommt hier Bedeutung zu: Bleibt das Wort „auch“ weg, ergibt sich ein Verständnis, dem zufolge die Verletzungen nur entweder von einem Sturzgeschehen oder von der dem Angeklagten angelasteten Bestrafungstat herrühren können. Durch die Verwendung des Wortes „auch“ wird hingegen deutlich, dass die Kammer eigene Sachkunde nur dafür behauptet, dass das Verletzungsbild als eine von ggf. mehreren Möglichkeiten (= „auch“) durch die vorgeworfene Vorsatztat verursacht worden sein kann. Die hierfür erforderliche Sachkunde ist deutlich unspezifischer als diejenige, die für die Beurteilung erforderlich wäre, ob die Verletzungen nur oder auch durch ein Unfallgeschehen verursacht worden sein können.

Jedenfalls war die Kammer bei dem hier in Rede stehenden Alltagsgeschehen nicht gehindert, den Antrag im Hinblick auf eigene Sachkunde nach § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO zu bescheiden. Der Darlegung eigener Sachkunde bedurfte es nicht. Sie ist erlässlich, wenn dem Gericht die Sachkunde nach allgemeiner Lebenserfahrung zuzutrauen ist, wobei es im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts liegt, ob es sich dieses Wissen zutrauen darf (vgl. Alsberg/Güntge, Beweisantrag im Strafprozess 8. Aufl., Kapitel 6 [§ 244 Abs. 4-6] Rn. 8, 11). Nach dieser Maßgabe bleibt die von der Strafkammer zur Ablehnung des Beweisersuchens in Anspruch genommene – im Letzten alltagsweltliche – Sachkunde revisionsrechtlich ohne Beanstandung.“