Erstreckung I: Voraussetzungen der Erstreckung, oder: AG Siegen macht es richtig

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Und heute dann Gebühren, und zwar mal wieder Erstreckung.

Zunächst kommt hier der AG Siegen, Beschl. v. 23.11.2023 – 450 Gs 1656/23 -, der sich zu den materiellen Voraussetzungen der Erstreckungsentscheidung äußert.

Der Verteidiger hatte die Erstreckung der gebührenrechtlichen Rückwirkung einer Bestellung in zwei Verfahren – StA Siegen 66 Js 163/23 und 66 Js 659/23 – auf weitere Verfahren beantragt. Er hat sich auf die rechtzeitige Antragstellung vor Verbindung der Verfahren und die unterbliebene rechtzeitige Bescheidung berufen. Die Staatsanwaltschaft hat dem AG die Akten mit dem vorgelegt, den Antrag des Verteidigers zurückzuweisen, vor. Zur Begründung führte sie aus, dass ihrer Auffassung nach keine gebührenauslösenden Tätigkeiten in den nicht beschiedenen Verfahren erbracht worden seien. Hierauf erwiderte der Verteidiger, die Staatsanwaltschaft bekräftigte ihren Standpunkt dann erneut.

Das AG ist dem Antrag des Verteidigers nachgekommen:

„Gemäß § 48 Abs. 6 S. 3 RVG kann das Gericht die Wirkungen des § 48 Abs. 6 S. 1 RVG auch auf diejenigen Verfahren erstrecken, in denen vor der Verbindung keine Beiordnung oder Bestellung erfolgt war, wenn Verfahren verbunden wurden und der Rechtsanwalt nicht in allen Verfahren bestellt oder beigeordnet worden ist. § 48 Abs. 6 S. 1 RVG legt fest, dass ein bestellter oder beigeordneter Rechtsanwalt die Vergütung auch für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung oder Beiordnung erhält.

Im vorliegenden Fall erfolgte die Bestellung des Verteidigers jeweils rechtzeitig vor einer Verbindung der Verfahren. In allen Fällen, in denen nicht über eine Beiordnung entschieden wurde, wurde der Antrag schon überhaupt nicht dem Gericht zur Entscheidung zugeleitet, obwohl § 141 Abs. 1 StPO eine unverzügliche Entscheidung über den Antrag anordnet.

Der Verteidiger hat auch in sämtlichen Verfahren Tätigkeiten erbracht. Hierzu wird auf die Schriftsätze des Verteidigers vom 14.11.2023 und 17.11.2023 Bezug genommen.“

Und dann die Preisfrage: Hat die Staatsanwaltschaft Siegen die Entscheidung hingenommen? Lösung gibt es heute Mittag.

StGB III: Halb SS-Totenkopf, halb Söder als Graffiti, oder: Kennzeichen verfassungswidriger Organisation?

entnommen obenclipart.org

Und dann zum Tagesschluss noch etwas aus Bayern, und zwar der BayObLG, Beschl. v. 08.05.2024 – 204 StRR 452/23. Es geht um das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86a StGB).

Das AG hat den Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Das LG hat die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten als unbegründet verworfen. Dagegen die Revision.

Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt zwischen dem 08.06.2022 und dem 20.07.2022 sprühte der Angeklagte ein mehrere Meter hohes und mehrere Meter breites Graffiti an die Wand einer Feldscheune am Anwesen (…). Es kann, wie von dem Angeklagten beabsichtigt, von einer nicht überschaubaren Anzahl an Personen zur Kenntnis genommen werden.

Das Graffiti ähnelt einer gemalten Postkarte, die unter anderem eine Person mit schwarzer Uniform nebst Schirmmütze zeigt, welche wie vom Angeklagten beabsichtigt, einer SS-Uniform zum Verwechseln ähnlich sieht. So ist auf dem linken Kragen der Uniform das Abzeichen des Dienstgrades eines SS-Sturmbannführers abgebildet, welches aus vier kleinen hellen Quadraten auf einem dunklen, hell umrandeten rechteckigen Untergrund besteht. Auf der schwarzen Schirmmütze ist über dem Schirm – so wie es auch bei den Dienst-Schirmmützen insbesondere für Offiziere der SS der Fall war – eine zweizügige helle Kordel abgebildet, sowie darüber mittig das bayerische Wappen mit zwei Flügeln, welches dem auf den Dienst-Schirmmützen der SS angebrachten Hoheitszeichen ähnelt.

Das Gesicht der dargestellten Person besteht aus einem halbseitig skelettierten Kopf, welcher, wie von dem Angeklagten ebenfalls beabsichtigt, dem von der SS verwendeten Totenkopfabzeichen jedenfalls zum Verwechseln ähnlich sieht. Die andere Gesichtshälfte zeigt das Konterfei des bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Söder. Unter diesem Bild sind zwei kleinere Bilder angeordnet, welche zeigen, wie drei Personen, deren Kleidung sehr stark bayerischen Polizeiuniformen ähnelt, eine wehrlose Person misshandeln. Der Gesichtsausdruck des bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Söder scheint dies zu billigen. Ferner ist auf dem Graffiti der Schriftzug „Liebesgrüße aus Bayern“ aufgebracht. Der Angeklagte beabsichtigt damit, gegenüber dem bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Söder seine Missachtung kundzutun.

Der Angeklagte wusste, dass es sich bei den genannten Zeichen um Kennzeichen der ehemaligen Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei handelte.“

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts habe der Angeklagte angegeben, dieses Graffiti an die Feldscheune gesprüht, hierfür sechs Stunden benötigt und einen Tag vorher bereits die Grundierung vorgenommen zu haben. Er habe hiermit einen einige Zeit vorher selbst erlebten Fall von Polizeigewalt darstellen und ihn „in visueller Form“ verarbeiten wollen. Bei der dargestellten Person handele es sich nicht um den bayerischen Ministerpräsidenten, sondern um „irgendeine Autoritätsperson“. Auch handle es sich nicht um eine SS-Uniform; schwarz sei diese, weil diese Farbe negative Emotionen ausdrücke. Das Graffiti sei immer noch vorhanden.

Demgegenüber hat das Berufungsgericht zum Tatsachverhalt festgestellt, dass die auf dem Graffiti zu sehende schwarze Uniform nebst Schirmmütze einer SS-Uniform jedenfalls zum Verwechseln ähnlich sieht (BU 3), und ist beweiswürdigend davon ausgegangen, dass es sich bei der Uniform, die die dargestellte Person trägt, eindeutig um eine SS-Uniform handele (BU 6).“

Die fRevision des Angeklagten hatte mit der Sachrüge Erfolg und führt, da nach Auffassung des BayObLG die vom LG festgestellten und vom Anklagevorwurf erfassten Handlungen des Angeklagten keinen Straftatbestand erfüllen, zum Freispruch des Angeklagten.

Ich beschränke mich hier auf die Leitsätze des BayObLG, da die Gründe zu lang sind, um sie hier einzustellen. Insoweit ist also Selbststudium angesagt, aber: Vorsicht, denn es ist schwere Kost auf über 30 Seiten.

Hier die Leitsätze:

1. Zur Frage, ob ein Graffiti, das eine Person mit einer als Schädel ausgeformten Gesichtshälfte und mit an eine SS-Uniform erinnernden Uniformteilen zeigt, in der erforderlichen Gesamtschau ein Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation darstellt.

2. Ein Graffiti stellt bereits bei ausschließlich formaler Betrachtungsweise grundsätzlich Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG dar, da es die Gattungsanforderungen eines bestimmten Werktyps, nämlich der Malerei, erfüllt.

Es unterfällt auch dem inhaltsbezogenen Kunstbegriff, wenn es in der Art seiner bildhaften Umsetzung einer Geschichte schöpferische Elemente enthält, wodurch der Künstler seine persönlichen Erfahrungen – wie hier mit der Staatsgewalt – ausdrückt und zu unmittelbarer Anschauung bringt.

Auch wenn der Künstler durch die Abbildungen eines Polizeieinsatzes Vorgänge des realen Lebens schildert, unterfällt ein Graffiti dem sog. offenen Kunstbegriff, wenn die Wirklichkeit im Kunstwerk „verdichtet“ wird, indem die Realität aus den Zusammenhängen und Gesetzmäßigkeiten der empirisch-geschichtlichen Wirklichkeit gelöst und in neue Beziehungen gebracht wird, für die nicht die „Realitätsthematik“, sondern das künstlerische Gebot der anschaulichen Gestaltung im Vordergrund steht, es somit eine Reihe von Interpretationen zulässt und damit in seiner Aussage vieldeutig bleibt.

3. Die Kunsteigenschaft eines Graffiti wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Künstler damit über die künstlerische Ausdrucksform hinaus eine politische Meinung äußern wollte und hierbei eine satirische Ausdrucksform gewählt hat, die durch Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen gekennzeichnet ist.

4. Dies gilt auch, wenn das Graffiti ein verfassungswidriges Kennzeichen und eine Beleidigung beinhalten würde.

5. Gegenüber der Kunstfreiheit hat das Persönlichkeitsrecht der abgebildeten Person zurückzutreten, wenn sich deren karikaturhaft verzerrtes Abbild nicht unerheblich von deren Urbild entfernt, sich nicht ausschließen lässt, dass diese lediglich als Symbol der Staatsmacht dargestellt wurde, wobei nicht grundlos deren oberster Repräsentant, sondern das Handeln der Exekutive kritisiert werden sollte, und eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts bei der gebotenen kunstfreiheitsfreundlichen Betrachtung unter dem Aspekt der satirischen Machtkritik auch sonst nicht vorliegt.

6. Zum Verhältnis von Kunstfreiheit und verfassungsrechtlich gewährleisteter Ordnung.

StGB II: Nebenklägerin im „dissoziativen Zustand“, oder: „Nein heißt Nein“ oder: „Nur Ja heißt ja“

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem BGH, Beschl. v. 03.04.2024 – 6 StR 5/24 – ebenfalls vom BGH. Zu entscheiden hatte der über die Revision eines Angeklagten gegen ein landgerichtliches Urteil, mit dem der Angeklagte u.a. wegen Vergewaltigung verurteilt worden war.

Dem lag folgenden Sachverhalt zugrunde: „Nach den Feststellungen des LG trafen sich der Angeklagte und die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidende Nebenklägerin M. kurz nach ihrem Kennenlernen in deren Wohnung. Sie berichtete dem Angeklagten zwar von dissoziativen Zuständen, nicht feststellbar aber davon, dass diese insbesondere im Zusammenhang mit sexuellen Handlungen auftreten würden. Obwohl sie selbst nicht primär sexuelle Absichten verfolgte, ließ sie sich auf sexuelle Handlungen ein, weil sie davon ausging, den Angeklagten ansonsten zu verlieren.

Während des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs fiel die Nebenklägerin in einen dissoziativen Zustand. In diesem war sie nicht in der Lage, einen Willen hinsichtlich des sexuellen Geschehens zu bilden. Der Angeklagte erkannte den Zustand der Nebenklägerin und unterbrach den Geschlechtsverkehr. Nachdem die Nebenklägerin wieder zu sich gekommen war und ihren Zustand erklärt hatte, versicherte der Angeklagte ihr, dass sie bei ihm sicher sei und er ihr nichts tun werde. Sie sprachen nicht darüber, ob der Geschlechtsverkehr fortgesetzt werden soll. Sodann verfiel die Nebenklägerin erneut in einen dissoziativen Zustand, was der Angeklagte bemerkte. Gleichwohl übte er den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss aus.

Das LG hat den Tatbestand des § 177 Abs. 2 Nr. 1 , Abs. 4 , Abs. 6 StGB als erfüllt angesehen, weil der Angeklagte während des zweiten dissoziativen Zustands den Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin fortführte, obwohl ihm aufgrund des unmittelbar vorausgegangenen dissoziativen Zustands bewusst war, dass sie nicht in der Lage war, einen entgegenstehenden Willen zu bilden. Die Beweisaufnahme habe keine vorherige Einwilligung der Nebenklägerin „erbracht“, die über den Eintritt des dissoziativen Zustands fortgewirkt hätte.

Das sieht der BGH anders:

„b) Diese Ausführungen tragen die Verurteilung nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 , Abs. 4 StGB nicht, weil nicht rechtsfehlerfrei festgestellt ist, dass der Angeklagte den Zustand der Nebenklägerin ausgenutzt hat.

aa) Der Täter nutzt den Zustand des Opfers im Sinne des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB aus, wenn ihm die sexuelle Handlung gerade erst aufgrund der besonderen Situation des Opfers gelingt. Die Unfähigkeit des Opfers, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, muss demnach die Vornahme der fraglichen Handlung ermöglichen oder zumindest begünstigen. An diesem – bereits vor der zum 10. November 2016 in Kraft getretenen Reform des Sexualstrafrechts geltenden – Begriffsverständnis des Ausnutzens (vgl. zu § 179 a.F. BGH, Urteil vom 28. März 2018 – 2 StR 311/17 , Rn. 12, NStZ-RR 2018, 244; Beschlüsse vom 17. Juni 2008 – 3 StR 198/08 Rn. 4, NStZ 2009, 90; vom 28. Oktober 2008 – 3 StR 88/08 Rn. 5, NStZ 2009, 324; MüKo-StGB/Renzikowski, 2. Aufl., § 179 Rn. 35 mwN) ist im Rahmen des § 177 Abs. 2 StGB n.F. festzuhalten (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 2019 – 2 StR 301/18 , BGHSt 64, 55 Rn. 21 unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung; ebenso: Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 177 Rn. 30; MüKo-StGB/Renzikowski, 4. Aufl., StGB § 177 Rn. 71; SSW-StGB/Wolters, 5. Aufl., § 177 StGB Rn. 47).

(1) Dem steht der Anlass zur Gesetzesreform nicht entgegen. Der Reformgesetzgeber wollte die Strafbarkeit in erster Linie auf solche Fälle erweitern, in denen der Täter sich ohne Einsatz von Nötigungsmitteln über einen erkennbaren entgegenstehenden Willen des Opfers hinwegsetzt („Nein heißt Nein“-Lösung, vgl. BT-Drucks. 18/9097, S. 21). § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt jedoch die fehlende Möglichkeit des Opfers zur Willensbildung voraus. Auf einen – erkennbaren – entgegenstehenden Willen kann es in dieser Konstellation demnach nicht ankommen, so dass das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel keine Erweiterung des bislang über § 179 StGB gegebenen strafrechtlichen Schutzes indiziert.

(2) Zudem wird nach dem Willen des Gesetzgebers der von § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB beschriebene Zustand nicht bereits dann ausgenutzt, wenn die geschützte Person im Vorfeld kein ausdrückliches Einverständnis mit sexuellen Handlungen während des ihre Fähigkeit zur Willensäußerung ausschließenden Zustands erklärt hat. Ein solches Erfordernis würde der in anderen europäischen Rechtsordnungen geltenden „Nur Ja heißt Ja“-Lösung entsprechen. Der deutsche Reformgesetzgeber hat diesen Ansatz ausweislich der Gesetzesbegründung indes nur dem § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB n.F. zugrunde gelegt (vgl. BTDrucks. aaO S. 25). Diese bewusste gesetzgeberische Entscheidung spricht dagegen, ihn auch auf § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu erstrecken.

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Angeklagte den Zustand der Nebenklägerin jedenfalls dann nicht tatbestandsmäßig ausgenutzt, wenn es vor dem zweiten dissoziativen Zustand der Nebenklägerin erneut zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen zwischen ihm und der Nebenklägerin kam, weil diese dann nicht erst durch ihren Zustand ermöglicht worden wären.

(1) Die hierzu vom Landgericht getroffenen Feststellungen sind unklar. Sie verhalten sich nicht dazu, aufgrund welcher Umstände die Nebenklägerin erneut in einen dissoziativen Zustand verfiel. Zudem ist nicht beweiswürdigend belegt, dass es zuvor zu keinen weiteren einvernehmlichen sexuellen Handlungen kam. Insoweit hätte sich das Landgericht damit auseinandersetzen müssen, dass die Nebenklägerin zum einen bekundet hat, „es müsse nach ihrer Erfahrung wieder körperlich geworden sein, so dass sie deswegen wieder weggetreten sei“ (UA S. 39 aE) und zum anderen gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen angegeben hat, dass der Angeklagte „dann weitergemacht habe und sie (…) wieder in den dissoziativen Zustand zurückgefallen“ sei (UA S. 46).

(2) Soweit das Landgericht ohne nähere Begründung ausgeführt hat, dass die Beweisaufnahme eine vorherige Einwilligung nicht „erbracht“ habe, hat es – von einem zu engen Maßstab ausgehend – nur darauf abgestellt, dass die Nebenklägerin nicht ausdrücklich in die weitere Durchführung des Geschlechtsverkehrs auch für den Fall eingewilligt hat, dass sie erneut in einen dissoziativen Zustand verfällt.

Demgegenüber lassen sich der angefochtenen Entscheidung keine tatsächlichen Anhaltspunkte für die Annahme entnehmen, dass die etwaige erneute Annäherung gegen den erkennbaren Willen der Nebenklägerin erfolgte. Ausweislich der Urteilsgründe wurde zwischen den beiden dissoziativen Zuständen der Nebenklägerin nicht thematisiert, ob der Geschlechtsverkehr fortgesetzt werden soll. Zwar hat sie bekundet, dass sie erwartet habe, dass der Angeklagte aufhöre und akzeptiere, dass es gerade nicht der richtige Zeitpunkt sei (UA S. 44 f.). Dass sie dies erkennbar zum Ausdruck brachte, liegt jedoch bereits vor dem Hintergrund ihrer Bekundung nicht nahe, sie sei davon ausgegangen, den Angeklagten zu verlieren, wenn sie nicht mit ihm schlafen würde und habe gemerkt, dass sie ohne ein Treffen bei ihr uninteressant für ihn werde. Ihr sei klar gewesen, dass er auf Sex aus gewesen sei. Für sie sei es die Hauptsache gewesen, ihn nicht zu verlieren. Er habe sie nicht verlassen sollen (UA S. 39). In ihrer polizeilichen Vernehmung hat sie ausdrücklich angegeben, dass sie nicht gesagt habe, sie wolle „es“ nicht. Sie habe gewusst, dass sie ihn nur dann halten könne, wenn sie „das“ jetzt tun würde. Auch im Nachgang hat sie sich über das Verhalten des Angeklagten in der Tatsituation nicht erbost oder schockiert gezeigt. Dass Geschlechtsverkehr für sie einfach immer eine Überwindung gewesen sei, könne sie dem Angeklagten nicht anlasten (UA S. 44).

(3) Die Feststellungen erweisen sich darüber hinaus als lückenhaft, weil es näherer Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten hinsichtlich seines Ausnutzungsbewusstseins bedurft hätte (vgl. BGH, Urteil vom 28. März 2018 – 2 StR 311/17 , Rn. 13; Beschluss vom 8. Januar 2014 – 3 StR 416/13 Rn. 2, jeweils zu § 179 StGB aF).“

StGB I: Die (anonyme) „Kinderpornobande“ im Internet, oder: Bandenmitgliedschaft geht auch anonym.

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Ich mache heute dann einen StGB-Tag. In den starte ich mit einem schon etwas älteren BGH-Beschluss, der aber erst jetzt veröffentlicht worden ist, und zwar der BGH, Beschl. v. 14.11.2023 – 6 StR 449/23.

Es geht in der Entscheidung um den Begriff der Bande beim Verbreiten kinder- und jugendpornografischer Inhalte. Das LG hat den Angeklagten deswegen wegen eines Verstoßes gegen §§ 184b Abs. 2, 184c Abs. 2 StGB verurteilt. Nach den Feststellungen des LG hatte sich der Angeklagte dem Internetforum „B.“ unter Verwendung des Nutzernamens „S.“ angeschlossen. Dabei han­delte sich dabei um einen szenetypischen, internationalen Zusammenschluss pä­dophiler Personen, die hierüber einen längerfristigen und umfangreichen Aus­tausch kinder- und jugendpornographischer Bild- und Videodateien abwickelten. Das Internetforum war über das TOR-Netzwerk erreichbar. Eine Anmeldung war nach Registrierung möglich, wozu Nutzername und Passwort hinterlegt wurden.

Voraussetzung war ferner, dass der Nutzer die durch die Administratoren festge­legten „Forenregeln“ akzeptierte. Hierzu gehörte namentlich, dass ausschließlich Dateien mit männlichen Kindern ab dem ersten Lebensjahr und Jugendlichen hochgeladen werden. Der Austausch der Dateien erfolgte mittels in Threads „ge­posteter“ Links zu passwortgeschützten Dateiarchiven. Sämtliche Nutzer konnten auf die Dateiinhalte zugreifen. Zur Tatzeit ge­hörten dem Internetforum etwa 245.000 registrierte aktive Mitglieder an. Auch der Angeklagte beabsichtigte mit seinem Beitritt, sich den Regeln des Internetforums zu unterwerfen, hierüber langfristig kinder- und jugendporno­graphische Inhalte mit anderen registrierten Nutzern auszutauschen und mit die­sen hierüber zu kommunizieren. Insbesondere durch das wiederholte Bereitstel­len („Posten“) solcher Inhalte, aber auch durch das Verfassen von Beiträgen leistete er wissentlich einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung des Inter­netforums. Hierdurch sollten die anderen registrierten Nutzer zum Posten von Links zu entsprechenden Inhalten motiviert werden, damit der Angeklagte immer wieder neues kinder- und jugendpornographisches Bild- und Videomaterial er­halten konnte. Der Angeklagte gehörte zu den „TOP 350“ des Netzwerks und damit zu einer Gruppe von Mitgliedern, die bereits mehr als 250 Posts verfasst hatten.

Die Revision des Angeklagten ist bis auf eine  Schulspruchberichtigung („Zugänglichmachen“ statt „Verbreiten“) erfolglos geblieben.

Der BGH hat seine Entscheidung, die zur Aufnahme in BGHSt bestimmt ist, recht umfangreich begründet. Daher stelle ich hier nur den Leitsatz ein, die Einzelheiten der Begründung bitte im Volltext nachlesen. Der Leitsatz lautet:

    1. Bandenmäßig im Sinne von § 184b Abs. 2 Var. 2 bzw. § 184c Abs. 2 Var. 2. StGB handelt, wer einem zum Zwecke des Austauschs kinder- und jugendpor­nographischer Inhalte (§ 184b Abs. 1, § 184c Abs. 1 StGB) betriebenen zu­gangsbeschränkten Internetforum beitritt und entsprechend den hierfür aufge­stellten Regeln zugleich (konkludent) erklärt, hierüber fortan einen wiederhol­ten Tauschhandel mit anderen registrierten Nutzern zu betreiben.
    2. Eine Bandenabrede ist auch zwischen Personen möglich, die sich sämtlich nicht näher kennen, sondern unter Pseudonymen und Decknamen im virtuel­len Raum des Internets miteinander handeln.

StPO III: Sicherungsbedürfnis beim Vermögensarrest, oder: Unaufgeklärte Beteiligung mehrere Personen

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Und als dritte Entscheidung dann hie rnoch etwas zum Vermögensarrest, und zwar der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 30.04.2024 – 12 Qs 11/24.

Der Ermittlungsrichter des AG hat gegen den Beschuldigten einen Beschluss, mit dem er den Vermögensarrest zur Sicherung eines Anspruchs auf Wertersatz über 34.911,57 EUR anordnete, erlassen. Tatvorwurf war gewerbsmäßiger Bandenbetrug; die Einzelheiten sind für die Entscheidung nicht von Bedeutung.

Aufgrund dieses Arrestes führte die Staatsanwaltschaft Pfändungsmaßnahmen durch. Der Verteidiger des Beschuldigten hat Beschwerde eingelegt, die aber keinen Erfolg hatte:

„Die statthafte Beschwerde (§ 304 Abs. 1 StPO) ist auch im Übrigen zulässig. In der Sache ist sie allerdings unbegründet, weil der Arrest zu Recht angeordnet wurde und derzeit aus Verhältnismäßigkeitsgründen auch nicht aufzuheben ist.

1. Die Anordnung eines Arrestes setzt gem. § 111e Abs. 1 Satz 1 StPO lediglich den Anfangsverdacht einer rechtswidrigen Straftat i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO voraus, mit der Folge, dass die Voraussetzungen der Einziehung (von Wertersatz) bejaht werden können (OLG Nürnberg, Beschluss vom 20.12.2018 – 2 Ws 627/18, juris Rn. 14; OLG Stuttgart, Beschluss vom 25.10.2017 – 1 Ws 163/17, juris Rn. 10; OLG Hamburg, Beschluss vom 26.10.2018 – 2 Ws 183/18, juris Rn. 29 m.w.N.). Es müssen also konkrete Tatsachen vorliegen, die in Verbindung mit kriminalistischer Erfahrung den Schluss zulassen, dass später eine Einziehung erfolgen kann. Diese Voraussetzungen liegen vor.

a) Klarzustellen ist zunächst, dass es im Rahmen der Beschwerde gegen einen Vermögensarrest nicht darauf ankommt, ob im Zeitpunkt des Erlasses des Arrestbeschlusses ein Anfangsverdacht vorlag, sondern darauf, ob er im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung vorliegt. Die Beschwerde ist eine Tatsacheninstanz (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 309 Rn. 3; KK-StPO/Zabeck, 9. Aufl., § 309 Rn. 6) und nicht auf die retrospektive Überprüfung der seinerzeitigen Sachlage bei Erlass der angegriffenen Entscheidung beschränkt (anderes gilt lediglich bei Durchsuchungsbeschlüssen zur Sicherung des verfassungsrechtlichen Richtervorbehalts in Art. 13 Abs. 2 GG, vgl. MüKo-StPO/Hauschild, 2. Aufl., § 105 Rn. 41c m.w.N.).

b) Dies vorweggeschickt besteht zunächst ein Anfangsverdacht hinsichtlich des Beschuldigten Ö.

2. Das für die Arrestanordnung notwendige Sicherungsbedürfnis besteht.

Im Ausgangspunkt ist beim Vorliegen dringender Gründe, die die Kammer als gegeben erachtet, die Anordnung des Vermögensarrestes nach § 111e Abs. 1 Satz 2 StPO der gesetzliche Regelfall („soll“, vgl. BT-Drs. 18/9525, 77; OLG Nürnberg, Beschluss vom 20.12.2018 – 2 Ws 627/18, juris Rn. 14; KK-StPO/Spillecke, 9. Aufl., § 111e Rn. 2). Diese gesetzliche Wertung begründet zwar keinen Automatismus, wonach allein schon der dringende Verdacht einer gegen fremdes Vermögen gerichteten Straftat die Bejahung des Sicherungsbedürfnisses rechtfertigt (Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 66. Aufl., § 111e Rn. 6 m.w.N.), senkt aber gegebenenfalls die Hürden für die Begründung des Sicherungsbedürfnisses und der Verdacht gibt ein starkes Indiz für dessen regelmäßiges Vorliegen (vgl. die Rspr.-Nachweise bei Rettke, wistra 2024, 38), wobei auch allgemein kriminalistische Erfahrungen zu berücksichtigen sind (vgl. LR-StPO/Johann, 27. Aufl., § 111e Rn. 18). Weiterhin teilt die Kammer die Einschätzung von Köhler (in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. § 111e Rn. 7), dass das Sicherungsbedürfnis ohne weiteres bei mehreren Tatbeteiligten angenommen werden kann, wenn der personelle Hintergrund der Straftaten (noch) nicht völlig aufgeklärt werden konnte und deshalb zu besorgen ist, dass der Einziehungsadressat sein noch vorhandenes Vermögen mithilfe der weiteren Mittäter dem Zugriff entziehen könnte. So liegen die Dinge hier. Der Sachverhalt ist noch nicht umfassend aufgeklärt, die Ermittlungen legen aber nahe, dass hier eine größere Anzahl von Beteiligten an dem Geschäftsmodell der UG beteiligt war, sodass auch die vorläufige Bejahung eines gewerbsmäßigen Bandenbetrugs (§ 263 Abs. 5 StGB) derzeit gut begründet ist. Damit sind aber auch die Beziehungen zwischen den Beteiligten und damit das Risiko ihres kollusiven Verhaltens derzeit noch nicht sicher abzuschätzen, was prognostisch zulasten des Beschuldigten geht.

3. Der Arrest ist auch im Übrigen verhältnismäßig.

Bei der Anordnung eines Arrestes ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, bei der das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit gegen das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 14 Abs. 1 GG abzuwägen ist; die „Soll“-Regelung des § 111e Abs. 1 Satz 2 StPO lässt den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unberührt (BT-Drs. 18/9525, S. 77). Dabei wachsen mit der den Eigentumseingriff intensivierenden Fortdauer der Maßnahme die Anforderungen an die Rechtfertigung der Anspruchssicherung (OLG Nürnberg, Beschluss vom 20.12.2018 – 2 Ws 627/18, juris Rn. 107 m.w.N.). Derzeit fällt die Abwägung zugunsten des staatlichen Sicherungsbedürfnisses aus.

Bedenken gegen die Dauer des Arrestes bestehen hier nicht, nachdem er erst seit wenigen Wochen vollstreckt wird. Inwieweit der Arrest die Lebensführung des Beschuldigten beschränkt, vermag die Kammer nach gegebenem Aktenstand nicht zu sagen; die Bemerkung in der Beschwerde, der Beschuldigte sei „in seinem täglichen Leben erheblich eingeschränkt“ ist reichlich unbestimmt. Aber selbst wenn der Arrest in wirtschaftlicher Hinsicht zur Folge haben sollte, dass dadurch nahezu das gesamte Vermögen des Beschuldigten dessen Verfügungsbefugnis entzogen wurde (dazu vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.04.2015 – 2 BvR 1986/14, juris), hinderte das die Anordnung des Arrestes nicht. Denn sind die Voraussetzungen der Einziehung von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 StGB oder einer hieran anknüpfenden Wertersatzeinziehung gemäß § 73c StGB erfüllt, sieht die gesetzliche Regelung die Anordnung der entsprechenden Vermögensabschöpfung zwingend vor, sofern, wofür es keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt, kein Ausschlusstatbestand des § 73e StGB gegeben ist. Eine Abhilfe zugunsten des Beschuldigten ist mit der Regelung des § 459g Abs. 5 StPO eröffnet, die eine entsprechende Verhältnismäßigkeitsprüfung im Vollstreckungsverfahren vorsieht (BGH, Urteil vom 27.09.2018 – 4 StR 78/18, juris Rn. 11). Dazu kann bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vorgetragen werden.“