© fpic – Fotolia.com
Als zweite Entscheidung stelle ich heute das KG, Urt. v. 03.05.2024 – 3 ORs 29/24 – vor. Es geht um die Strafzumessung bei einer Verurteilung wegen (gefährlicher) Körperverletzung.
Das AG hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer (Gesamt-) Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt. Nach den Feststellungen des AG begehrten die Angeklagte und ihre vormals mitangeklagte Schwester am 05.072021 kurz vor Ladenschluss Einlass in die Verkaufsräume eines Bekleidungsfachgeschäfts. Eine Mitarbeiterin der dort tätigen Sicherheitsfirma, die Zeugin C., teilte ihnen mit, dass kurz vor Ladenschluss keine Kunden mehr in den Laden gelassen würden und bat sie, am nächsten Tag wiederzukommen. Darüber waren die Angeklagte und ihre Schwester derart verärgert, dass die Schwester der Angeklagten der Zeugin mit der Faust ins Gesicht schlug. Aufgrund eines spontan gefassten gemeinsamen Tatentschlusses schlugen die Angeklagte und ihre Schwester im weiteren Verlauf mehrfach auf die Zeugin ein und traten ihr jeweils mit Füßen gegen die Schienbeine. Die Geschädigte erlitt unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades, sowie Schmerzen und Hämatome im Gesicht, an den Armen und den Beinen. Sie war in der Folge drei Wochen krankgeschrieben. Als ein Kollege der Zeugin C., der Zeuge L., zur Hilfe eilte, traten die Angeklagte und ihre Schwester jeweils auch ihn, wodurch er vorübergehend Schmerzen erlitt.
Das LG hat auf die Berufung der Angeklagten, die diese auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, das Urteil des AG im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass die Angeklagte zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt wird. Die Wahl des nach § 224 Abs. 1, 2. Halbsatz StGB gemilderten Strafrahmens hat das LG damit begründet, die Anwendung des Regelstrafrahmens stelle für die Angeklagte eine „unbillige Härte“ dar. Es hat zugunsten der Angeklagten unter anderem berücksichtigt, die Verletzungen der Zeugin C. seien „allesamt in überschaubarer Zeit“ verheilt; Ausführungen zu der vom AG festgestellten Art und der Schwere der Verletzungen enthält das Urteil nicht. Nach Auffassung des LG sei bei einer Gesamtschau der aufgeführten Umstände und der Persönlichkeit der Angeklagten, insbesondere im Hinblick auf den mittlerweile eingetretenen deutlichen Zeitablauf seit der Tatbegehung, das erstmals zu konstatierende Geständnis und das bei der Angeklagten deutlich gewordene Umdenken eine mildere Strafe als in der angefochtenen Entscheidung des AG tat- und schuldangemessen.
Dagegen die Revision der StA; die beim KG Erfolg hatte:
„Die zulässige Revision hat mit der (allgemeinen) Sachrüge Erfolg, denn die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts erweisen sich als rechtsfehlerhaft.
1. a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, von unzutreffenden Tatsachen ausgehen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2017 – 1 StR 606/16 -, juris; Senat NStZ-RR 2022, 368; Urteile vom 25. Juli 2022 – (3) 161 Ss 93/21 (34/22) – und 25. Mai 2021 – (3) 121 Ss 53/21 (24/21) -, juris). Nur in diesem Rahmen kann eine „Verletzung des Gesetzes“ nach § 337 Abs. 1 StPO vorliegen. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen (vgl. für viele BGHSt 34, 345).
b) Gemäß § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB ist die verschuldete Auswirkung der Tat einer der für die Strafzumessung maßgebenden Umstände. Da die einen Täter treffenden Folgen einer strafbaren Handlung zur Schwere der Rechtsgutsverletzung und dem individuellen Verschulden in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen (vgl. BVerfGK 14, 295 m.w.N.), darf und muss das Tatgericht bei der Findung der gerechten Strafe das Gewicht der durch die Tathandlung verursachten Rechtsgutsverletzung als wesentlichen Strafzumessungsfaktor in seine Erwägungen einstellen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 1989 – 4 StR 8/89 -, juris; Seebode in Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltkommentar zum StGB 3. Aufl., § 46 Rdn. 57; Maier in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 46 Rdn. 245; beide m.w.N.). Bei Körperverletzungsdelikten sind daher das Maß der Gewalt sowie Art und Schwere der Verletzungen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2013 – 5 StR 113/13 -, juris; Schneider in Leipziger Kommentar zum StGB 13. Aufl., § 46 StGB Rdn. 277; Kinzig in Schönke/Schröder, StGB 30. Aufl., § 46 Rdn. 19).
Diese Anforderungen gelten nicht nur für die Strafzumessung im engeren Sinn, sondern auch schon für die Prüfung des Tatgerichts, ob die Voraussetzungen eines minder schweren Falls – hier nach § 224 Abs. 1 StGB – vorliegen. Denn zur Feststellung dessen hat es auf Grund einer Gesamtwürdigung aller für die Wertung von Tat und Täter in Betracht kommender Umstände – bei Gewaltdelikten mithin auch des Maßes der Gewalt sowie der Art und Schwere der Verletzungen – abzuwägen, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maße abweicht, dass der Regelstrafrahmen nicht mehr angemessen ist (std. Rspr., vgl. BGHSt 26, 97; NStZ 1991, 529; Senat, Beschluss vom 20. Oktober 2023 – 3 ORs 60/23 -; KG, Beschluss vom 2. August 2021 (2) 121 Ss 81/21 (11/21) -, juris; Maier a.a.O., § 46 Rdn. 135 m.w.N.; Fischer, StGB 71. Aufl., § 46 Rdn. 85 m.w.N.).
c) Auf der Grundlage dieses Maßstabs erweisen sich die Ausführungen zur Wahl des Strafrahmens und zur Strafzumessung als nicht tragfähig. Das Landgericht beschreibt das Verhalten der Angeklagten und deren Schwester zwar pauschal als „Gewaltorgie“, setzt sich aber nicht mit Art und Ausmaß der rechtskräftig festgestellten – erheblichen – Verletzungen der Zeugin C, auseinander, obwohl gerade diese die Tat entscheidend geprägt haben und schon im Rahmen der Abwägungsentscheidung zur Feststellung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, konkreterer Ausführungen bedurft hätten. Soweit die Kammer den dreiwöchigen Krankenstand der Geschädigten als „überschaubar“ bezeichnet und damit als nicht gravierend apostrophiert hat, ohne sich mit den zugrundeliegenden Verletzungen auseinanderzusetzen, lassen dies und der Umstand, dass demgegenüber einer durch eine Abwehrbewegung der Geschädigten entstandene – nicht näher beschriebene – Verletzung am Mund der Angeklagten eine wesentliche strafmildernde Bedeutung zugeschrieben worden ist, besorgen, dass die Kammer die Verletzungen der Geschädigten und deren Folgen einseitig zugunsten der Angeklagten ausgeblendet hat. Hierbei ist in den Blick zu nehmen, dass das Landgericht selbst innerhalb des nach § 224 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmens – angesichts der Schwere der Verletzungen der Geschädigten Ca. kaum vertretbar – lediglich die gesetzliche Mindesstrafe ausgesprochen hat.“eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.