In die 33. KW. geht es dann heute mit Entscheidungen zur Einziehung (§§ 73 ff. StGB). Hier zunächst der KG, Beschl. v. 07.06.2024 – 5 Ws 47/24 – 161 GWs 24/24 – zur Anwendung des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO bei Entreicherung des Einziehungsadressaten, insbesondere in den sog. „Verschiebungsfällen“.
Zugrunde liegt folgender Sachverhalt:
Mit seit dem 30.032022 rechtskräftigem Urteil vom 30.07,2021 verhängte das LG Berlin gegen den Beschwerdeführer wegen (gemeinschaftlich begangenen) Computerbetruges eine Freiheitsstrafe. Außerdem ordnete es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 12.291.092,37 EUR – davon 12.198.276,83 EUR als Gesamtschuldner – an. Dem lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Jahre 2011 gemeinsam mit dem Mitangeklagten V. unter Rückgriff auf eine Vielzahl von Fälschungen und Täuschungen im maschinellen Mahnverfahren einen Mahn- sowie einen Vollstreckungsbescheid über eine in Wahrheit nicht bestehende Forderung von mehr als 23 Mio. Euro gegen einen libyschen Staatsfonds (L.) erwirkt und im Wege der Zwangsvollstreckung die Überweisung eines Geldbetrages in Höhe des genannten Einziehungsbetrages auf ein unter seinem Namen geführtes Konto, über welches er allein verfügungsbefugt war, erreicht hatte. Von dem Betrag entfiel auf den Beschwerdeführer als Taterlös letztlich (nur) ein Anteil von insgesamt 165.000,– Euro, während der Rest (nach Abzug von Bankgebühren) über eine einziehungsbeteiligte Gesellschaft, die R. GmbH, an den Mitangeklagten sowie an weitere Beteiligte floss.
U.a. mit Schriftsatz seiner Verteidigerin hat der der Beschwerdeführer dann beantragt, von der Vollstreckung der Einziehungsentscheidung nach § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO abzusehen. Er macht insbesondere geltend, § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO sei in der bis zum 30.06.2021 geltenden Fassung heranzuziehen, die gegenüber der aktuellen Rechtslage das mildere Recht im Sinne des § 2 Abs. 3 und 5 StGB darstelle. Er sei im Sinne des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO a. F. entreichert, weil er das Erlangte (ganz überwiegend) an die R. GmbH weitergereicht habe. Jedenfalls aber sei eine Einziehung unverhältnismäßig. Die Weitergabe des Erlangten gebiete eine Korrektur der tatgerichtlichen Einziehungsentscheidung, bei der Verhältnismäßigkeitserwägungen keine Berücksichtigung hätten finden können. Außerdem sei er zur Begleichung des Einziehungsbetrages nicht in der Lage. Die Verpflichtung, neu erwirtschaftetes Vermögen oberhalb der Pfändungsgrenzen zeitlich unbegrenzt an den Staat abzuführen, sei allenfalls dann zumutbar, wenn das abgeschöpfte Vermögen an den Verletzten ausgekehrt (§ 459h Abs. 2 StPO) und der Einziehungsadressat damit letztlich nur einem abweichenden Vollstreckungsregime unterworfen werde. Anderes gelte jedoch, wenn der Verletzte – wie hier – keine dem Einziehungsbetrag entsprechenden Ansprüche gegen den Betroffenen habe, so dass der Betrag dem durch die Straftat nicht geschädigten Staat verbleibe; dies sei mit dem kondiktionsähnlich ausgestalteten, auf die Beseitigung deliktisch entstandener Vermögenslagen gerichteten Institut der Einziehung nicht vereinbar. Das LG den Beschwerdeführer auf eine Klage des L. mit insoweit rechtskräftigem Urteil vom 02.06.2022 (…) zur Zahlung von (lediglich) 164.620,81 Euro nebst Zinsen als Schadenersatz nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung (§ 852 Satz 1 BGB) verurteilt; deliktische Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263a StGB habe das Gericht als verjährt angesehen. Zahlungen an den L. könne der Verurteilte derzeit nur im Wege der Hinterlegung leisten, weil das Vermögen des L. auf der Grundlage der Verordnung (EU) 2016/44 eingefroren sei. Eine Vollstreckung hätte außerdem erdrosselnde und desozialisierende Wirkung. Die Bestellung des Beschwerdeführers zum Notar sei aufgrund der Verurteilung erloschen. Als Mitgesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ständen ihm monatliche Vorabentnahmen im Umgang von 5.000,– EUR (brutto) zu; hiervon habe er Steuervorauszahlungen von monatlich 1.485,– EUR, Krankenversicherungsbeiträge von 701,50 EUR sowie Mietzahlungen von 1.237,58 EUR zu leisten und sei seiner nicht berufstätigen Ehefrau und seinen vier minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er drohe durch die Vollstreckung in Vermögensverfall zu geraten und deshalb seine Anwaltszulassung zu verlieren. Wegen der weiteren Einzelheiten verweist der Senat auf den Inhalt der genannten Schriftsätze.
Das LG hat unter (stillschweigender) Ablehnung des Antrags angeordnet, dass die Vollstreckung der Einziehung fortgesetzt wird. Dagegen die Beschwerde, die keinen Erfolg hatte.
Hier die Leitsätze zu der Entscheidungen des KG:
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- Die Vorschrift des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO, nach welcher die Vollstreckung der zu einer Geldzahlung verpflichtenden Nebenfolge unterbleibt, soweit sie unverhältnismäßig wäre, ist in ihrer seit dem 1. Juli 2021 geltenden Fassung auch auf Fälle anzuwenden, in denen die zugrundeliegende Straftat bei Inkrafttreten der Neuregelung bereits beendet war.
- § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO ist nach seinem Regelungsgehalt eine verfahrensrechtliche Vorschrift, auf welche § 2 Abs. 3 StGB keine Anwendung findet, weil sie lediglich eine den Anordnungen nach § 455 StPO vergleichbare vorläufige (§ 459 Abs. 5 Satz 2 StPO) Unterbleibensanordnung vorsieht, welche die Höhe des durch das Tatgericht materiellrechtlich abschließend bestimmten Einziehungsbetrages unberührt lässt.
- Unverhältnismäßig im Sinne des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO ist die Vollstreckung nur dann, wenn mit ihr aufgrund besonderer Umstände eine außerhalb des Einziehungszwecks liegende besondere Härte verbunden wäre, die dem Betroffenen auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Einziehung nicht zugemutet werden kann. Dies gilt auch für die nach bisher geltendem Recht als Unterfall der Unverhältnismäßigkeit gesondert geregelte Konstellation, dass der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist (Entreicherung).
- Hat der Einziehungsadressat den von ihm erlangten Betrag tatplangemäß an einen Mittäter weitergereicht („Verschiebung“ von Taterlösen), so eröffnet dies regelmäßig keine Anwendung des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO. Eine Begrenzung der Vollstreckung auf den einem Einziehungsbeteiligten verbleibenden Betrag findet im Gesetz keine Stütze und widerspräche nicht nur den materiellrechtlichen Einziehungsvorschriften, nach denen von einer Einziehungsanordnung lediglich in der Ausnahmekonstellation eines nur „transitorischen Besitzes“ abzusehen ist, sondern auch den Wertungen des zivilrechtlichen Bereicherungsrechts (§ 819 Abs. 1 i. V. m. § 818 Abs. 4 BGB), an denen sich der Gesetzgeber explizit orientiert hat.
Einzelheiten dann bitte im verlinkten Volltext nachlesen.